Balance ohne Anlehnung?

Rund um die klassische Reitkunst

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schreckenlucy
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Beitrag von schreckenlucy »

Muss ein Pferd nur das eine oder nur das andere können?

Abai läuft nicht ganz so wie das Pferd im Video, aber vieles davon können wir auch (z.B. Vor- und Hinterhandwendung, Galopp-Stop oder Galopp-Schritt-Übergänge, Schenkelweichen). Das alles kann ich auch am Zügel mit Anlehnung. Am Zügel können wir aber noch mehr: Schulterherein im Schritt und Trab, Schenkelweichen in allen drei Gangarten mit feiner Anlehnung und deutlicher Oberhalsrundung, die ersten Ansätze von Travers.

Vielleicht kommen wir irgendwann dahin, dass ich am Halsring alles nachreiten kann, was mit Zügel geht, aber was wir bisher können, macht mich glücklich und stolz.

Ich sehe das nicht als entweder oder - ein Freizeitpferd sollte beides können. Nicht in Perfektion und jeder sieht seinen Schwerpunkt woanders. Ich bin Geländereiter, da liegt mein Schwerpunkt, trotzdem will ich mein Pferd gymnastizieren und dazu nutze ich die Dressur.

Meines Erachtens sollte aber auch jedes Pferd, welches schwerpunktmäßig Dressur geritten wird die Grundschule ohne Zügel können. Und Spaß macht es noch dazu!!! Mit Grundschule meine ich: Schritt-Figuren reiten können, Trab und Galopp ganze Bahn und Zirkel, anhalten, evtl. auch noch rückwärtsrichten und ein paar Tritte seitwärts.
Es heißt Anlehnung und nicht Anziehung!
sumond
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Beitrag von sumond »

Ich sehe es auch wie Jen. Das Video ist sehr schön und harmonisch. Mir würde es aber auch nicht reichen. Dressurreiten ohne Anlehnung habe ich auch noch nie gesehen. Ich denke, hier sind dem "oben ohne" Reiten auch wirklich Grenzen gesetzt.

Bremsen und Lenken sollte sich ein Pferd grundsätzlich aber immer über den Sitz lassen. Mit meinem Pferd möchte ich später auch gerne manchmal am Halsring reiten, um das zu überprüfen. Aber halt immer nur just for fun als Entspannung zwischendurch. Das "richtige" Reiten wird bei mir einfach Dressurreiten mit Gebiss bleiben.
Lg Sumond
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Barbara I
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Beitrag von Barbara I »

Jen, da bin ich ganz Deiner Meinung, Reiten "ohne Zügel" ist natürlich kein klassisches Dressurreiten.

Was ich aber zumindest für mich persönlich glaube, ist, dass ich mit den Zügeln viele Fehler kaschiere.

Und die Idee vom "Parelli Freestyle Reiten" ist, eine Basis zu schaffen, bei der man die Zügel eben nicht mehr "zum Bremsen und Lenken" braucht, sondern sie nun für die feine Kommunikation nutzen kann. (Und dann kann man mit der feinen Dressur anfangen).
Die Idee gefällt mir erstmal :D



Trotzdem, ich habe meine Frage ja schon mit Absicht in diesem Forum gestellt :wink: und freue mich über andere Gedanken, Kritik, Ratschläge...
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Sunknúni
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Beitrag von Sunknúni »

Ich mache es eigentlich grundsätzlich so, dass ich die ersten 10 bis 15min ohne Zügel reite. Hier kann ich wunderbar sehen, wie wir beide drauf sind, wie mein Pferd am Sitz steht und wie gut ich sitze. So reiten wir im Schritt Bahnfiguren, Halten an, richten rückwärts und auch mal ein paar SH- oder Traverstritte.
Ich bin ebenso der Meinung, dass man sich darin immer wieder schulen sollte, damit man zumindest einfachere Dinge zügelunabhängig reiten kann. Ganz gute Reiter erreichen hier vielleicht sogar mehr (sprich im Sinne von "dressurmäßiger" Arbeit), mir genügt vorerst das Lenken des Pferdes und ein paar Seitengangtritte. Dass da die Oberhalslinie usw. nicht besonders arbeitet ist klar;-)
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Jen
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Beitrag von Jen »

Barbara I hat geschrieben:Jen, da bin ich ganz Deiner Meinung, Reiten "ohne Zügel" ist natürlich kein klassisches Dressurreiten.

Was ich aber zumindest für mich persönlich glaube, ist, dass ich mit den Zügeln viele Fehler kaschiere.

Und die Idee vom "Parelli Freestyle Reiten" ist, eine Basis zu schaffen, bei der man die Zügel eben nicht mehr "zum Bremsen und Lenken" braucht, sondern sie nun für die feine Kommunikation nutzen kann. (Und dann kann man mit der feinen Dressur anfangen).
Die Idee gefällt mir erstmal :D
ja, klar, es ist sicher sehr sinnvoll, wenn man selber weiss, dass es grundsätzlich ohne Zügel funktioniert und das Pferd ist gehorsam. Das gibt einem sicher viel Sicherheit und so kommt man wahrscheinlich auch viel weniger in Versuchung, über den zügel das Pferd unnötigerweise zu manipulieren und damit auch zu stören und sich auf die essentielle Einwirkung zu beschränken.

Ich reite ja auch ab und zu mal nur mit Halsring, einfach zur Abwechslung und weil es spass macht. Aber es ist jetzt kein vordergründiges Ziel oder gar eine Ausbildungsmethode. Da das Dressurreiten mein vordergründiges Ziel ist, widme ich mich dem halt mehr. ;)

Was für einen "Hintergedanken" hattest du denn, beim Einstellen dieses themas?
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
padruga
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Beitrag von padruga »

Und die Idee vom "Parelli Freestyle Reiten" ist, eine Basis zu schaffen, bei der man die Zügel eben nicht mehr "zum Bremsen und Lenken" braucht, sondern sie nun für die feine Kommunikation nutzen kann. (Und dann kann man mit der feinen Dressur anfangen).
Umweg :wink: Wenn man gleich mit der feinen Dressur anfängt, hat man sehr schnell diese feine Kommunikation. Zum Bremsen und Lenken braucht man die Zügel schon sehr bald überhaupt nicht mehr.
esge
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Beitrag von esge »

Ich habe hin und wieder schon hoch ausgebildete - und in der Regel auch für die Dressur begabte Pferde - gesehen, die sich sogar im Halsring in einem positiven Spannungsbogen trugen. Von Johannes Beck-Broichsitters Lippi-Hengst gibt es solche Bilder.
Aber es sind die allerwenigsten Pferde, die sich im Halsring so tragen. Dafür brauchen die meisten pferde halt doch Zügel - und sei er noch so fein geführt. Er gibt dem PFerd eben doch eine Verbindung, an der sich die Hinterbeine "gegen das Maul" schieben können. Hm, ist sicher nicht sehr glücklich ausgedrückt, aber vielleicht verstehen doch ein paar, was ich meine.
Solange dieser positive Spannungsbogen nicht hergestellt wird, geht das PFerd im besten Falle entspannt - aber Dressur isses halt nicht.

Ich denke, dass es hier doch etliche Pferde und Reiter gibt, die das, was da auf dem Video zu sehen ist, zeigen können. Dafür muss ich nicht Parelli Level 1 bis 210 gemacht haben. Schritt, Trab, Galopp, Stoppen, drehen, seitwärts - das ist nicht so schwer, sofern man im gegenseitigen Vertrauen und das Pferd bereit zum Zuhören ist. (Herabsetzen will ich es aber auch nicht - es IST eine schöne Sache und in jedem Fall eine schöne Basis!)

Balance ohne Anlehnung - na ja, im Grunde geht Balance NUR, ohne Anlehnung. Trotzdem werden die meisten Pferde den Zügel zur ständigen Erinnerung brauchen, sich zu balancieren. Denn Balance ist ja nichts, was man einmal herstellt und dann ist sie da. Balance beinhaltet Bewegung und definiert sich quasi daraus, dass sie in jedem Augenblick hergestellt werden muss, droht, verloren zu gehen, wieder hergestellt werden muss. Wie ein Seiltänzer.
Loslassen hilft
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Barbara I
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Beitrag von Barbara I »

Jen hat geschrieben:
Barbara I hat geschrieben: Was für einen "Hintergedanken" hattest du denn, beim Einstellen dieses themas?
Der Hintergedanke war, dass ich nicht zufrieden mit mir und meinem Reiten bin.

Wenn ich es mal mit Tanzen vergleiche: momentan ist es so , dass meine Hand mehr machen muss als die Andeutung der Richtung, sie muss den Partner halten, damit er nicht in die falsche Richtung schwankt. Lieber hätte ich, mein Partner würde von selbst, auf ein Signal hin, in die richtige Richtung gehen und seine Balance selbst übernehmen.


Ganz sicher, dass wirklich gute Reiter das können. Aber, wie komme ich dahin?
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Barbara, in der Zeit, in der dein Pferd noch lernt( und du auch) und du ihm noch helfen mußt, ausbalanciert zu gehen, ist es unsinnig auf einen so wichtigen Teil der HILFENgebung wie die Zügelhilfen zu verzichten und diese zu verurteilen, oder sich zu grähmen, weil du sie (noch) brauchst.

Wenn dein Pferd kein balancetechnischer Überflieger und du kein begnadetes Reitgenie sind, werdet ihr beide die ZügelHILFEN benötigen, um irgendwann an den Punkt zu kommen, daß ihr darauf verzichten könnt.

Das braucht Zeit, denn das Pferd muß lernen sich mit dir neu auszubalancieren und es muß hierfür Kraft und Geschicklichkeit entwickeln, die es für sich, so als ungerittenes Pferd in dieser Form benötigt nicht benötigt. Also hilf ihm ( und dir) so gut du kannst und behalte dein Ziel ( einmal "ohne" zu können) dabei im Auge.

Der Weg ist das Ziel.
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schreckenlucy
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Beitrag von schreckenlucy »

Also ich gehe mit solchen Pferden, wie von dir beschrieben, gerne ins Gelände. Am möglichst langen Zügel Schritt bis sie entspannt und locker flockig vorwärts schreiten ohne zu eilen. Gerne erfahrenes Pferd dabei. Dann lasse ich an einer schönen langen, gerne etwas ansteigenden Strecke antraben. Das Antraben mit etwas Zügelkontakt, anfangs halte ich den Kontakt so leicht wie möglich, viele Pferde springen von sich aus in den Galopp, wenn sie merken, dass sie vorne nicht so begrenzt werden, wie sie das gewohnt sind. Das Galoppieren korrigiere ich immer wieder, mit Ruhe (ist mir egal, ob sie drei oder dreißig Sprünge galoppieren, mir geht es ja um den Lerneffekt), Ruhe und nochmals Ruhe. Also beruhigendes Reden, tiefes Einsitzen, dann erst weiche Paraden. Sobald sie wieder traben, Hand minimal vor und beruhigendes Loben loben loben. Um diese Paraden so weich wie möglich zu machen, halte ich halt anfangs eine leichte Zügelverbindung. Die meisten Pferde springen 5-6mal in den Galopp und haben dann einen Aha-Effekt. Dann bleiben sie im Trab, dann geht meine Hand immer weiter vor bis der Zügel richtig durchhängt. Die meisten eilen und rennen dann erstmal sehr unterm Reiter weg. Das ignoriere ich. Ich korrigiere nur, wenn sie angaloppieren, das Trabtempo ist mir egal, nur Trab muss es sein. Nach einigen Minuten wird der anfangs meist hoch aufgerichtete Hals länger und gerade, nach einigen weiteren Minuten fällt er abwärts und auf einmal merkt man, dass das Pferd sein persönliches Tempo gefunden hat. Das ist meist deutlich ruhiger als der Start. Erst wenn dieses Tempo relativ zuverlässig beim Antraben schon nach wenigen Metern am hingegebenen Zügel eingenommen wird, fange ich wieder mit Zügelanlehnung an. Meines Erachtens ist es die beste Basis, wenn ein Pferd ohne die Stütze auf die Reiterhand sein eigenes Tempo findet und merkt, dass es angenehm und leicht ist, einen Reiter in diesem Tempo zu tragen, wenn man den Hals fallen lässt und den Rücken nicht verspannt.

Mit einer schönen langen Sandwaldstrecke, die langgezogen aufwärts führt, kann man da schon in einem oder zwei Ausritten tolle Fortschritte erreichen.
Es heißt Anlehnung und nicht Anziehung!
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