hohe dressur - gesunderhaltung oder doch eher verschleiß

Rund um die klassische Reitkunst

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Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Hier wie da gibt es durchaus objektive Kriterien, die man aber halt auch erst mal sehen lernen muss.

Wenn bei einer Piaffe die Kruppe hüpft oder höher ist als der Widerrist und die Hauptlast auf den Schultern hängt, ist sie objektiv schlecht, weil sie den Sinn der Übung ad absurdum führt. Aus einer so angefangenen Pseudo-Piaffe noch eine wirkliche zu machen ist dann schon hohe Kunst, und mit jedem Mal, die das Pferd sie falsch ausführt, verfestigt sich der verkehrte Bewegungsablauf, der wenn überhaupt, dann negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat.

Andere Sachen wie Taktfehler, Hektik, rausgedrückter Unterhals sind zB auch nicht gut, lassen sich aber meist mit zunehmender Routine und Kraft auch von einem nicht-Genie ganz gut verbessern.

Für meinen persönlichen Geschmack ist es auch keine gute Piaffe, wenn das Pferd sie nicht aus dem Vorwärts und wieder ins Vorwärts ausführen kann, aber da wird´s dann schon subjektiv.
Phanja

Beitrag von Phanja »

Ich geb dir insofern Recht, dass es objektive Kriterien gibt und dass das Sehen und Bewerten dieser gelernt sein will.
Trotzdem haben wir es doch oft genug, dass zwei das gleiche Video sehen und der eine sagt, die Kruppe hüpft und der andere kann nicht nachvollziehen, wo der eine das gesehen haben will. Genauso wie oft der eine meint, ihm fehle das Vorwärts und der andere meint, das Vorwärts wäre doch eindeutig da.
Das meinte ich mit Uneinigkeit darüber, was korrekt ist.
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Öh, ob die Kruppe hüpft oder nicht oder die Last auf den Schultern ist, ist doch keine Frage der persönlichen Wahrnehmung?!

Gerade die Diskussion über das Vorwärts bei dem BB-Fuchs war doch sehr fruchtbar und interessant, weil da zutage kam, dass viele Begriffsverwirrungen herrschen und zB "Vorwärts" mit "über Tempo Herumschrubben" assoziiert wurde oder "Schwung" mit "Vorwärts" verwechselt usw. Dieses Video war ja auch deshalb gut zu diskutieren, weil es eben nicht eindeutig "ZU wenig vorwärts" hatte, sondern es so angesiedelt war, dass man es als "für MEINEN Geschmack zu wenig vorwärts/zu wenig schwungvoll, aber kann man so stehenlassen" sehen konnte.
Phanja

Beitrag von Phanja »

Na ja - ich habe da z.B. hinsichtlich Takt bei dem einen oder anderen Turniervideo andere Erfahrungen gemacht. Da war ich dann doch ab und an irgendwie fast die Einzige, die Taktfehler gesehen hat. Oder das Video von Dujardin - ich weiß nicht mehr, wer es war, aber jemand konnte überhaupt nicht nachvollziehen, welche Mängel ich aufgeführt hatte, obwohl ich sie sehr offensichtlich finde.
Mal völlig abgesehen davon, wer da jetzt jeweils recht hatte, zeigt das doch, dass die Wahrnehmung auch bei scheinbar klaren Dingen unterschiedlich sein kann.
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Klar gibt´s total unterschiedliche Wahrnehmungen von den gleichen Dingen. Das heißt aber nicht, dass alles relativ ist.
Ich war zum Beispiel vor zwei Jahren oft bei Schöneichs und habe bei Dutzenden von Pferden beim Longieren und Reiten zugeschaut und intensiv zugehört. Seitdem sehe ich Dinge (z.B. Wechsel von Stand/Spielbein, Schiefe und ihre Auswirkungen, nach oben oder unten schwingende Amplitude des Rückens), die ich vorher nullkommnull wahrgenommen habe. Aber nicht, weil diese Dinge vorher diskutabel gewesen wären, sondern weil ICH sie nicht wahrgenommen habe.

Und übrigens kann man sich in seiner Wahrnehmung auch mal irren. :wink:
geolina
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Beitrag von geolina »

hallo,

s&p, dein beitrag war wirklich hilfreich - ja, sinnhaftigkeit im sinne von mal zeigen, was man nun mit dem körper so anstellen kann ;). damit kann ich nun was anfangen, v.a. weil dann die mär vom ach so sinnhaften mal ein wenig zersägt ist hin zu einem: weil man es kann.

und dann muss man eben die mama vom turnkind sein, die dann sagt: so, und nun pause und ausruhen und nicht noch spagat mit gewichten auf den oberschenkeln zwischen kästen ...

und auch ich ging immer vom gut gebauten, nicht überforderten und gut vorbereiteten pferd aus.

nunja, ich werd ja wohl nie in die gefahr kommen wirklich mich entscheiden zu müssen, will ich das nun tun oder nicht ;), aber einige dinge möchte ich wirklich nicht erarbeiten, egal wie gut ich das dann evtl. könnte (sollte eine talentmaschine erfunden werden *g*), z.b. keine kapriole, austreten auf kommando, etwas, was einfach aus abwehrhaltungen stammt.

alex
irgendwann wird`s schon nach reiten aussehen - irgendwann ...
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Janina
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Beitrag von Janina »

Also ich würde das noch mal mit einem ganz anderen Ansatz betrachten:
Nämlich alle höheren und hohen Lektionen als Überprüfung der Basisarbeit :wink:
Wenn ich jetzt nicht gerade über einen unheimlich langen Zeitraum an Lektionen rumdoktore, richten sie meiner Ansicht nach auch keinen Schaden an.
Man testet verschiedene Lektionen im Laufe der Arbeit an und je nachdem, wie das Ergebnis ausschaut, erfolgt die Weiterarbeit und Korrektur in den Basisübungen.
Wenn ich nie mal einen Schritt weiter gehe, weiß ich auch nie, ob meine Basisarbeit auch wirklich taugt.

Das Grundproblem sehe ich auch eher darin, dass tatsächlich jeder so seine eigenen Vorstellungen von "Basisarbeit" hat. Habe gerade die Tage in dem Racinet-Buch noch über diese Unterschiede gelesen (war das Beispiel, das wir auch schon mal hatten: korrekter Zirkel VOR SH, also Arbeit auf zwei Hufschlägen à la Steinbrecht oder SH als Basisarbeit, um überhaupt einen wirklihc korrekten Zirkel reiten zu können à la Guérinière :wink: )

Von daher können zwei Leute völlig unterschiedlich arbeiten, aber beide der Meinung sein sich den Basislektionen zu widmen.

Nur mal als Überlegung: Auf der iberischen Halbinsel wird sehr früh sehr viel mit Seitengängen gearbeitet, trotzdem ist mir nicht bekannt, dass die Pferde da deutlich früher platt wären.
Ich denke tatsächlich, dass vor allem die Schrittarbeit in den Seitengängen nicht schädlich ist. Generell muss alles in Maßen angewandt werden, dann dient es der Gymnastizierung und hält flexibel und zwar körperlich und geistig. Denn ganz ehrlich, ich sehe wenige Pfere, die tatsächlich "ihr Leben lang" mit Spaß 30 Minuten ganze Bahn und Zirkel absolvieren.

Mit "Demut" kann ich mich in dem Zusammenhang auch nicht anfreunden. Überhaupt denke ich mir immer, dass gerade in Foren gerne eine sehr komische Form der "Demut" "zelebriert" wird, da kommt es mir manchmal so vor, als präsentierten sich einige schon fast als Märtyrer, weil sie sich (scheinbar ihr Ego besiegend) ganz der Basisarbeit widmen.
Genau dadurch zeigt man aber "Stolz" auf eine Haltung, die dem Begriff "Demut" eigentlich genau gegensätzlich ist. 8)
Aber egal, jeder wie er mag... :P
"When the horse is perfectly on our aids, then the horse is light, brilliant but never spectacular." (Miguel Távora)
rouxa
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Beitrag von rouxa »

Janina hat geschrieben: Mit "Demut" kann ich mich in dem Zusammenhang auch nicht anfreunden. Überhaupt denke ich mir immer, dass gerade in Foren gerne eine sehr komische Form der "Demut" "zelebriert" wird, da kommt es mir manchmal so vor, als präsentierten sich einige schon fast als Märtyrer, weil sie sich (scheinbar ihr Ego besiegend) ganz der Basisarbeit widmen.
Genau dadurch zeigt man aber "Stolz" auf eine Haltung, die dem Begriff "Demut" eigentlich genau gegensätzlich ist. 8)
Aber egal, jeder wie er mag... :P
Sehe ich genauso!
Danke, für diesen Beitrag.
Gruss, Simone
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Vielleicht, Janina, meint für dich "Demut" etwas anderes, als für mich.

Für mich bedeutet Demut, daß ich mich nicht selbstherrlich eines Pferdes bediene, um meine kreative Ader zu verwirklichen, sondern daß ich "mit Respekt ud Demut" im Bewustsein, daß der Quell meiner kreativen Aktivität, ein ein fühlendes, denkendes und Willens-gesteuertes Mitgeschöpf ist, dessen Äußerungen ich wahrnemen und berücksichtigen muß und nicht einfach "drüberwegreite".
"Sorgsame, liebevolle Achtsamkeit" trifft es vielleicht besser, aber "Demut" gehört für mich schon auch dazu.
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Janina
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Beitrag von Janina »

Ich kenne Demut aus der Psychologie eben auch in dieser Pseudoausprägung, deshalb mag ich den Begriff in diesem Zusammenhang nicht. (bzw. WENN ich tatsächlich demütig bin, würde ich es nie erwähnen, weil das sofort das Gegenteil nahelegen würde).
Mit den anderen Begriffen, die du beschreibst, kann ich mich besser identifizieren, aber das ist natürlich absolut subjektiv und sollte jetzt auch kein Verallgemeinerungsanspruch meinerseits gewesen sein. Wollte nur sagen, dass es für mich(!) nicht passt :)
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

saltandpepper hat geschrieben:Für mich bedeutet Demut, daß ich mich nicht selbstherrlich eines Pferdes bediene, um meine kreative Ader zu verwirklichen, sondern daß ich "mit Respekt ud Demut" im Bewustsein, daß der Quell meiner kreativen Aktivität, ein ein fühlendes, denkendes und Willens-gesteuertes Mitgeschöpf ist, dessen Äußerungen ich wahrnemen und berücksichtigen muß und nicht einfach "drüberwegreite".
"Sorgsame, liebevolle Achtsamkeit" trifft es vielleicht besser, aber "Demut" gehört für mich schon auch dazu.
Danke, S&P! Ich verstehe den Begriff Demut genau so wie Du.

Janina, es wäre ganz nett, wenn Du mal sagst, auf wen in dieser Diskussion Du anspielst mit Deiner Beschreibung derjenigen Forenleute, die in "Pseudodemut" ständig die Basisarbeit anpreisen ... manch unbedarfter Leser dieses Threads könnte nämlich meinen, Du meinst auch mich damit ... :wink:

@Shkan: "Wo er vielleicht körperlich seine Schwächen hatte, hat er das ganze durch seinen Willen ausgeglichen." - Ja, solche Pferde kenne ich auch. Sie können einen Reiter regelrecht beflügeln, und zwar im positivsten Sinne.
Ich kenne aber auch Pferde, denen körperlich alles in die Wiege gelegt wurde, die aber aus psychischen Gründen vieles nicht schaffen. Und da wären wir wieder bei der Demut des Reiters. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Phanja hat geschrieben:Mal völlig abgesehen davon, wer da jetzt jeweils recht hatte, zeigt das doch, dass die Wahrnehmung auch bei scheinbar klaren Dingen unterschiedlich sein kann.
Ich glaube, dass die jeweilige Wahrnehmung (abgesehen von den völlig offensichtlichen Dingen) unter anderem auch sehr stark vom persönlichen täglichen Umfeld geprägt ist und von den daraus entstehenden "Sehgewohnheiten". Das betrifft den jeweils individuellen Reitstil und das reiterliche Können, den Pferdetyp und die Reitweise.
Irgendwie ist fast jeder Stall auf die eine oder andere Art und Weise "spezialisiert" und zieht entsprechende Einsteller mit entsprechenden Pferden an, und die holen sich bei freier Reitlehrerwahl auch entsprechende Lehrer. Kaum einer hat deshalb die Möglichkeit, verschiedene Reiter unterschiedlichster Reitweisen mit unterschiedlichsten Pferden auf unterschiedlichem Niveau regelmäßig beobachten zu können, um seine Augen so zu schulen, dass sie wirklich objektiv sehen können.
Deshalb finde ich bei Diskussionen um Ritte immer wieder sehr wichtig, wenn genauestens erklärt wird, wie gesehen wird, was gesehen wird und warum. Nur so kann derjenige mit anderen Sehgewohnheiten versuchen mit den Augen des anderen zu sehen. :)
Viele Grüße
Sabine
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Mit Demut meine ich eine bestimmte innere Haltung bei der Arbeit mit Pferden, nicht eine bestimmte Ebene der Arbeit. Es ist durchaus möglich, dass jemand mit einem Pferd nur Yoyo und ähnliches "spielt" und dabei das Gefühl seiner Macht über die Kreatur geniesst, und ein anderer sein Pferd bis zu Schulen über der Erde ausbildet, und dabei dem Pferd gegenüber dankbar ist für das, was es ihm bietet. Es ist auch möglich, dass jemand weiss, dass man erst Tonleitern übt, bevor man sich an Beethovens Violinkonzert wagt, und daher mit seinem Pferd erst mal lange und geduldig an der Basis arbeitet, und ein anderer produziert "Angst auf der Stelle", weil er doch zeigen muss, dass sein Andalusier, pardon PRE, piaffieren kann.
Mir ist durchaus klar, dass es auch so was wie falsche Demut gibt, das wussten schon die alten Christen, aber ich habe bisher keinen besseren Begriff gefunden für das, was ich meine. Vielleicht "sich des eigenen Ungenügens bewusst sein und trotzdem nicht aufgeben"?
"Der Reitlehrer sei unser eigenes Pferd" SGS
(und der Schüler zeige Geduld, Demut und Hingabe)
Draussen bin ich 4:0 unterwegs, in der Halle 3:1, manchmal 1:3.
Phanja

Beitrag von Phanja »

Janina hat geschrieben:Also ich würde das noch mal mit einem ganz anderen Ansatz betrachten:
Nämlich alle höheren und hohen Lektionen als Überprüfung der Basisarbeit :wink:
Wenn ich jetzt nicht gerade über einen unheimlich langen Zeitraum an Lektionen rumdoktore, richten sie meiner Ansicht nach auch keinen Schaden an.
Man testet verschiedene Lektionen im Laufe der Arbeit an und je nachdem, wie das Ergebnis ausschaut, erfolgt die Weiterarbeit und Korrektur in den Basisübungen.
Wenn ich nie mal einen Schritt weiter gehe, weiß ich auch nie, ob meine Basisarbeit auch wirklich taugt.
Das sehe ich ganz genauso!
Nach BB ist Basis eben auch nur Basis, wenn es für etwas Weiteres die Basis ist. Basis nur um der Basis Willen macht ja auch nicht wirklich Sinn ...

@Max
Natürlich hängt die Wahrnehmung davon ab, aus welchem Umfeld man kommt, welche Erfahrungen man gemacht hat, etc.
Ich finde es halt schade, dass häufig bei genauerer Analyse die Diskussion schnell Vorwürfe beinhaltet, man würde die Stopptaste drücken oder Fehlerguckerei betreiben.
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Meg
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Beitrag von Meg »

Was ist schlimm an der Basis, wenn das Pferd für mehr kein Talent hat, geschweige denn ein Gebäude?

Wenn man in die Basis alle Seitengänge mit einbezieht, ist das schon ansprechend genug für 99% aller Reiter heutzutage.
Whenever I feel blue, I start breathing again :-)
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