Unpassende Sättel, unfähige Sattler, schwierige Rücken?

Themen zur Ausrüstung von Pferd und Reiter

Moderator: ninischi

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dshengis
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Unpassende Sättel, unfähige Sattler, schwierige Rücken?

Beitrag von dshengis »

Gestern Abend bei uns im Stall: B. hat sich für ihre noch recht junge Stute (6) einen "neuen" Sattel gekauft, einen gebrauchten Branderupsattel, bei einer Sattlerin. Zwar erschien er ihr oben an der Schulter etwas eng aufzuliegen, aber die Sattlerin versicherte ihr, das sei in Ordnung. Jetzt ist ihre Osteopathin da und macht ihr deutlich, dass der Sattel definitiv nicht passt.
Ähnliche Szenen sind häufig zu sehen: Da bringen die Vertreter namhafter Hersteller Sattel um Sattel aufs Pferd, ohne dass einer passt. Da wird jedes Jahr nicht nur der Sattel gewechselt, sondern auch der Sattler, weil der für das Pferd kein passendes Exemplar mehr anzubieten hat.

Und dass bringt mich zu meiner Frage: Früher gabs (bei der deutschen Kavallerie) einen Satteltyp in drei Größen und obwohl es beim Militär keine Maßanfertigung und individuelle Sattelanpassung gab, liefen die Pferde trotzdem. Heute wird jedes Sich-Verhalten, jedes Sich-Nicht-Biegen-Können (oder -Wollen) auf einen nicht passenden Sattel zurückgeführt. Irgendwann landet der mehr oder weniger verzweifelte Pferdebesitzer bei einem Sattel, der so viel kostet wie ein Gebrauchtwagen der Mittelklasse :roll:
Haben sich nun die Pferde so sehr verändert, dass es so unendlich schwierig geworden ist, einen passenden Sattel zu finden? Oder ist es ein gewachsenes Bewusstsein für die Problematik unpassender Sättel, möglicherweise "gefüttert" von der Industrie und ihren Vertretern? Oder verstehen die Sattler ihr Handwerk nicht mehr bzw. wollen Geld verdienen, weswegen wir jedes Jahr einen neuen, diesmal aber garantiert passenden Sattel verkauft bekommen?
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Alix_ludivine
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Re: Unpassende Sättel, unfähige Sattler, schwierige Rücken?

Beitrag von Alix_ludivine »

dshengis hat geschrieben:Haben sich nun die Pferde so sehr verändert, dass es so unendlich schwierig geworden ist, einen passenden Sattel zu finden? Oder ist es ein gewachsenes Bewusstsein für die Problematik unpassender Sättel, möglicherweise "gefüttert" von der Industrie und ihren Vertretern? Oder verstehen die Sattler ihr Handwerk nicht mehr bzw. wollen Geld verdienen, weswegen wir jedes Jahr einen neuen, diesmal aber garantiert passenden Sattel verkauft bekommen?
Salut,

also ich denke es ist ein Zusammenspiel von allem..
Richtig gute Leute im Pferdebereich zu finden, gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, egal, ob es sich dabei um einen Tierarzt, einen Hufschmied, einen Osteo oder Sattler etc. handelt.. Da gibt es nicht viele. Viel zu viele machen ihre Arbeit nach dem Motto "Paßt scho.." :roll:

Viele Pferde sind Indianer und halten Schmerzen aus und laufen trotzdem (Das würde ich jetzt Deinem Beispiel der Kavallerie zuordnen, die liefen trotzdem, aber fragt sich nur wie gut oder wie schlecht..). Ich glaube Herr 'O Brien hat in den DS mal so eine Zahl in den Raum geworfen, dass selbst im großen Sport 80% der Sättel nicht passen - gruselig bis ganz duster...

Und das Bewußtsein für die Problematik "Nicht passender Sattel" ist gewachsen. Anders kann ich mir den Boom der baumlosen Sättel, die "garantiert immer" passen nicht erklären. Und sicher ist dieses Bewußtsein auch zum Großteil der Industrie zu verdanken.. Aber darüber kann ich hinwegsehen, WENN sich denn mal mit der Thematik beschäftigt wird 8)
Das Einzige, was man hier wieder machen kann, ist sich selber zumindest soweit zu informieren und schlau zu machen, dass man zumindest in Ansätzen sieht, ob ein Sattel paßt oder nicht. Profi wird man nicht werden, aber dass eben niemand daherkommen kann und Dir ein X für ein O erzählen kann. Und solche Leute als Kunden werden gehasst 8)

LG Alix
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kiki
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Beitrag von kiki »

Also nach meinen Erfahrungen, liegt die Problematik bei den Komerzgeilen oder aber auch unfähigen Sattlern.
Entweder verstehen sie ihr Handwerk nicht oder verkaufen dir absichtlich falsche Sättel.

Diese Odissee habe ich bis vor 1 bis 2 Jahren auch durchgemacht.
Mittlerweile verstehe ich selber etwas mehr von Sätteln.
Und was das wichtigste ist ich habe eine seeeehr gute Sattlerin, ein zwei Testfragen beim kennenlernen und ich konnte einschätzen, das sie Ahnung hatte.
Mein gebrauchtert Branderup Sattel ist jetzt nach einem Jahr intesivenen klassischen Trainings das erste mal wieder da, da mein Kleiner muskulär stark zugepackt hat.
Das haben wir damals aber schon berücksichtigt. Genug Leder vorhanden um sowohl rein als auch raus zu polstern, das ist die Vorrausetzung für einen Sattel der langfristig bei einem Pferd passen soll.
Was natürlich selbsverständlich ist. das die Kammer grundsätzlich stimmt.

Um noch mal auf die Kavellerie einzugehen, ich glaube die haben damals nicht so darauf geachtet, nimm doch heute mal einige Bereiter, die nehmen immer Ihren Sattel, hauptsache er passt zu ihrem Hinter, ob er dem Pferd passt ist doch egal. Und die "Freizeitreiter" die also mehr auf ihr Pferd achten ( Gesundheit/Wohlbefinden) werden nun mal mehr.
Früher ( und leider bei vielen heutzutage auch noch ) waren Pferde doch Gebrauchsgegenstände die zu funktionieren hatten. :evil:
**Pedro**
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Beitrag von **Pedro** »

ich glaube, es liegt eher an den veränderten Satteltypen. da wird das Keilkissen hinten immer länger, um die Auflägeverfläche vermeintlich besser zu verteilen, da wird rund um den Trapezmuskel immer mehr aufgepolstert, dass er *weich* liegt, anstatt einfach mal Platz für selbigen zu lassen, da werden Vorgurtstrippen genommen um ihn möglichst fest zu schnallen etc. pp. Sowas gab es früher halt überhaupt nicht. ich glaube mit Sicherheit auch nicht an DEN passenden Sattel für jeden Pferdetyp, aber mit ein paar unterschiedlichen Modellen wären mE 85 % wenn nicht noch mehr gut abgedeckt.

Dazu folgt: die Pferde bei der Kavallerie waren entsprechend geritten :wink: heute geht ja das Gros der Pferde nicht mehr ordentlihc über den Rücken, das versucht man dann mit jährlich wechselnden Sätteln zu kompensieren :twisted:
Die Kunst ist es, Richtiges vom fast-Richtigen zu unterscheiden.
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kiki
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Beitrag von kiki »

@**pedro**
Stimmt auf diese Keilkissen schimpft meine Satterlin auch wie ein Rohrspatz, wenn du dir einen Gebrauchten aussuchst, achte darauf das er kein Keilkissen hat, war damals ihre Aussage, die sind schlecht umzuarbeiten. Die Flachen ( z.B. alter Stübben, ähnlich den Kavalleriesätteln ) sind prima an fast jedes Pferd anzupassen, sofern Kammer und Baum passen.
Deswegen verstehe ich aber dshengis Beispiel um so weniger, habe ja selber einen Branderup Sattel, die haben eine "breitere/größere" Auflagefläche auf dem Pferd und müssten eigentlich ( wenn die Kammer passt ) gut anzupassen sein ( so fern die "Ledermenge/Polstemernge" stimmt )
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Larry
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Beitrag von Larry »

@Dschengis:
Sehe da mehrere Gründe.

- mehr Pferdetypen (Exoten von XS bis XL usw)
- verschiedene Reitertypen (ist ja nun nicht jeder wie ein "Soldat" gebaut"
- mehr "praktizierte" Reitstile
- schlecht gearbeitete Pferde
- Pferdebesitzer, denen ein passender Sattel wurscht ist. Zumindest weniger wichtig,als das eigene outfit.
- zu wenig Besitzer, die sich einfach informieren und mal nachfragen wo und wie ein Sattel liegen sollte und vielleicht auch evtl.Hinweise vom Pferd weder merken, noch ernst nehmen.

Finde, da kommt wirklich sehr viel zusammen und kann nicht alles nur auf den/die Sattler abgewälzt werden.

Kann Dir gern meinen Sattler empfehlen. DER ist gut!
Arbeit ist die einzige Entschuldigung für den Erfolg
Helmar Nahr (*1931)
kallisto
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Beitrag von kallisto »

Kann da Larry nur zustimmen. Es wird vom Shire, über Warmblut bis Araber und Pony alles geritten. Die einen wollen Springen, Dressur und Wanderritte zusammen reiten. Die Sattler müssen schnell liefern und wollen keine Kunden warten lassen.
Ich kenne selbst Sattelverkäufer (Angestellte von Reitsportgeschäften), die noch lange keine Sattler sind, aber trotzdem mit einem Auto voller Sättel aufkreuzen und gute "Tipps" geben, den der verunsicherte Käufer oft zustimmt. Selbst die Sättel zum Aufpolstern schaffen.
Desweiteren finde ich, dass gerade die Möchtegern-Dressurreiter meist Pferd mit schlechter Rückenmuskulatur haben und diese vermehrt empfindlich auf schlechte Sättel reagieren.
Bei dem Springen-Pferdewechsel nimmt jeder Reiter seinen Sattel mit und schafft nun trotzdem eine gute Einwirkung unter schwierigsten Voraussetzungen auf das Pferd, beim garantiert nicht optimal passenden Sattel, zu erreichen.
Ich kenne Pferde, die haben schlecht sitzende Sättel und gehen aber eher selten und wenn, nur schonend ins Gelände. Die schwingen trotzdem erstaunlich gut im Rücken. Die Fehlbelastung ist sehr selten und nicht täglich 1 h.
Zudem haben die wenigsten Reiter Sattelkenntnisse. Oft reicht es aus, wenn das Pferd ein korrektes Schweißbild zeigt und der eine gesagt hat, der Sattel würde optimal passen. Wenn dann noch ein Sattler bejahend nickt, haben die meisten keine Zweifel. Und dass der "Gaul nicht locker geht", liegt an seiner Faulheit.

Daher finde ich: Je öfter ich unter schlechten Vorraussetzung (schlecht bemuskelter Rücken, schwierige Sattellage, schlechte Ausbildung bei Pferd/Reiter) ergibt sich die Notwendigkeit eines gut sitzenden Sattels/gute Anpassung, um das Pferd dauerhaft gesund zu reiten. Und meist trifft irgendein Fakt beim Pferd zu. Und gute Sättel lassen sich bezahlen und dafür ist kein Sattelmeister zuständig, sondern jeder kleine Privatreiter selbst.
Und ein guter Sattel eines Gurus ist leider noch lange keiner für den spezifischen Pferderrücken daheim. Der Markt versucht die Sättel sehr breit anzubieten und damit viele Kunden zu gewinnen. Ob sie am Ende passen, ist dem Verkäufer nach dem Bezahlen der Rechnung wurst.

Und da sind evlt. schon kleine Druckstellen entscheidend, die bei einem schritt laufenden Freizeitpferd alle 2 Wochen nicht schaden würden, weil der Rücken sich regeneriert (was natürlich nicht gegen die Notwendigkeit eines optimalen Sattels sprechen würde)

Ein schwieriges, komplexes Thema.

Wobei ich das Thema mit FRÜHER zu vergleichen unsinnig finde. Da gab es weniger Reiter und oft spezialisierte Sattelmeister, die die Sättel mit Hand angefertigt haben. Zumal früher die Pferde auch eher in Ständern standen, was heute keiner mehr möchte.

LG Susi
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Junito
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Beitrag von Junito »

Die Kavallerie hatte einen recht einheitlichen Pferdetyp. Genauso wie früher behauptet wurde (vor 20 Jahren), die bekannte Münchner Marke passe auf jedes Pferd. Für Durchschnittswarmblüter wohl richtig. Für exotischere Rassen dagegen Blödsinn.

Man kann selber aber Folgendes machen: Sich selber kundig machen. Sich dieses eigentlich Grundwissen eines Sattlers selber aneignen und dies dann beim Sattelkauf auch entsprechend vertreten.

Dazu gibt es ein sehr gutes Buch, das dies sehr anschaulich und verständlich erklärt. Großer Nachteil: Momentan nur in Englisch verfügbar.
Titel: The Horse's Pain-Free Back and Saddle-Fit Book. Leider mit viel Text. Übersetzungsanfrage beim Verlag läuft.
Pferde sind wie guter Sekt - es braucht Zeit und Erfahrung, damit sie perlen können.
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