Wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, hast du nach der langen Pause ja erst wieder angefangen und dann ja doch wieder ziemlich schnell geritten und dann auch schnell von solchen Lektionen geschrieben. Also bitte nicht falsch verstehen, ich frag mich das wirklich, kann man so etwas irgendwann auch zum Aufbau nehmen? Ich könnte es mir vorstellen, weil die ja korrekt ausgeführt schon genau die richtigen Muskeln ran bekommt. Und wie lang sind dann solche Einheiten?
Superinteressant! Ich sag jetzt mal meine Sicht:
Meine Ansicht der Dinge ist, dass Versammlung keinerlei „vorgebildete Kraft“ braucht. Am ehesten noch einen gewissen Grad an Graderichtung, und ein gewisser Grad an Geschmeidigkeit und ein brauchbares Körpergefühl, sowie eine respektvolle Erziehung und definitiv Hilfenverständnis. Und ich sage bewusst: braucht KEINE vorgebildete Kraft.
Denn platt gesagt, das (halbwegs gesunde) Pferd bringt alles mit was es braucht – jedes Pferd versammelt sich beim Spielen auf der Weide, beim Steigen, rückwärts ausweichen, beim Rangeln.
Aus meiner Sicht ist es lediglich die Frage der Dosierung und der Ausführung. Zweiteres – schlechte Ausführung und Zwang, schließe ich jetzt mal aus. In Pferdebabyalter ist das mit der Dosierung einfacher. Weil Pferd ja nicht besonders viel kann. Aber auch da – mit keiner einzigen Übung baut man so viel Kraftmuskulatur/Haltemuskulatur zur Versammlungsfähigkeit auf, wie mit den versammelten/versammelnden Lektionen selbst. Wie habe ich bei Stahlecker lernen dürfen (bevor jetzt jeder schreit – ja, ein exzellenter Reiter, Handarbeiter, und nicht festgefahren – nein, ich habe mein Pferd nie verschnürt, das hätte Celta niemals ausgehalten). Und ich habe auch gelernt, wie eine nicht-zerschleißende Wiegeschritt/Piaffetritt-Übung ausschaut. Denn gefährdet sind weniger die Muskeln. V.a. sind gefährdet Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen. Alle 4 haben extreme Bewegungen und abrupte Richtungsänderungen nicht gerne, sowie übermäßige Langzeitbelastung (während Kurzzeitbelastungen idR sehr sehr gut weggesteckt werden, bzw. sogar eben den wichtigen Trainingsreiz darstellen).
Prinzipiell bin ich aber SEHR davon überzeugt, dass elastisch gehaltene 5min Piafftritte NICHT HALB so verschleißend für Vorderbeine, Gelenke und Sehnen sind wie v/a Traben über 20min. So. Das Heben einzelner Beine, das erste Diagonalisieren, das ist aber nicht abrupt oder harsch. Und 20 min v/a Traben sind ja für viele nur ein Witz. Viele machen da ja eher 30, 40min draus (insgesamt in einer Einheit, nicht am Stück, meine ich).
Mein Mentor früher sagte: Wenn du Ballett tanzen willst – trainierst du dann auch als allererstes 1Jahr vorab Marathon bevor du überhaupt mit Ballettübungen startest? Nein. Sicher nicht. Denn ich bin der Überzeugung, dass ich nicht die Muskeln für schwierige Hebefiguren, Tanzsschritte und Sprünge damit trainiere. Im besten Fall trainiert es Ausdauer und schadet nicht.
Letztendlich ist es sicherlich auch eine wichtige Frage der Sichtweise der Dressur im Allgemeinen: Ist die Lektion das Ergebnis der guten Ausbildung – oder ist die Lektion für die gute Ausblidung da? Ketzerischer ausgedrückt: Aus meiner Sicht ist nicht das Pferd für die Lektion da, sondern die Lektion für das Pferd. Das heisst, ich nutze die Lektion wirklich, um die Hanke zu beugen, das Gleichgewicht zu verschieben, um geradezurichten – für mich ist Piaffe, Passage, Pirouette kein Überprüfungszweck oder –baustein ala OBD-2-Testgerät, sondern gerade diese Lektionen sind dazu da, das Pferd auszubilden und zu formen. Deswegen sind für mich z.B. diese 15 Piaffetritte, die gefordert sind, ja völlig sinnlos. Dann ist es echt nur ein Abhake-Kasterl.
Ich bin überzeugt davon, dass lockeres Jogging, Kantern, … usw. alles sehr gut für die Ausdauer und das Lockern an sich ist und eine eigene Wichtigkeit hat. Dass es aber für die versammelnde Dressurarbeit wenig bis nichts bringt – abgesehen vom Herstellen des notwendigen Grundzustands, und das KANN (muss man aber nicht) man auch anders machen, z.B. durch Wiegetritte, Seitengänge an der Hand, … ich für meinen Teil sehe, dass die ganze ausgedehnte und vorbereitende v/a Arbeit, das dehnen-bis-zum-Erbrechen, das Rücken-Rücken-Rücken Celta gar nichts gebracht hat. Mindestens. Wenn nicht noch geschadet. Also abgebaut hat er dadurch definitiv. Und zwar an der Oberlinie, und an der Hanke. Und nein, ich bin nicht allein geritten damals, sondern bei einer bekannten dt. Richterin. Wöchentlich 1-2x Unterricht. Das hat überhaupt nichts gebracht. Trotzdem ist es wichtig, dass ich es abrufen kann. Abgesehen davon möchte ich ja nicht nur versammelt auf dem Platz reiten, sondern auch springen, ins Gelände, etc.
Dieses Mal im Selbstversuch also anders gestartet – eben direkt in die versammelnde Kraftarbeit, nach ein wenig „neu anreiten“, Geraderichten und Arbeitsgewöhnung. Ich bin niemand, der einfach so sagt: So, das ist das System, jetzt kommt das, dann das, dann jenes. Ich versuche auf mein Pferd zu hören. Und ich sehe folgendes: Celta hat in einer abartigen Kürze der Zeit derart aufgemuskelt und wahnsinnige Hals-, Brust-, Rücken-, Hintern- und Bauchmuskulatur entwickelt, das ist der helle Wahnsinn. Er galt bisher (insbesondere bei den FN-angelehnten Ausbildern) immer als „Hardgainer“, also einer der schlecht und schwierig Muskeln aufbaut… Ich sehe nur: Das stimmt offenbar nicht. An Fütterung und Haltung kann es nicht liegen, es hat sich ja nix geändert.
Versammelte Lektionen und der Mythos Schäden am Pferd: Es wird ja immer gesagt, oh die furchtbaren Belastungen durch Versammlung. Wenn ich mich aber umgucke, kenne ich praktisch gar kein Pferd, das durch versammelnde Lektionen körperliche Probleme bekam oder gar körperlich zerschliss. Stirnrunzelnd stelle ich fest, dass alle Sehnen-, Sehnenscheiden-, Sehnenträger- und Bänderprobleme durchgängig bei Pferden zu finden waren, die gerade NICHT stark versammelnd geritten wurden. Betrifft auch Gallen, angelaufene dicke Beine, usw. Ich habe nun 4 eigene Pferde gehabt und ausgebildet, auf unterschiedliche Weise. Auch bei Celta bin ich praktisch wieder bei dem gelandet, was bei Scampo so gut funktioniert hat. Der Ausflug in ein anderes Lager ging im Ergebnis nicht auf. Dazu kommen ca. 20-25 Beritt- und Schülerpferde, davon 6 sehr langjährige Berittpferde. Keines davon hatte Bein- oder andere Körperprobleme bekommen.
Auftrainieren z.B. Celta: Will ich damit auftrainieren, kann ich das also nutzen. Nur dann muss man wissen, was man da tut – denn: Das große Problem ist, da gebe ich dir recht, er KANN diese Übungen ja schon in hochversammeltem Grad. Da ist die Gefahr des Überforderns am höchsten, denke ich. Und ich bin auch gefährdet, weil eben auf eine gewisse Art und Weise Fokus immer gefährlich sein kann. Dessen bin ich mir bewusst, und lasse es mir aktuell von meinem Coach auch immer sagen: Aaachtung, Sehne/Band kann nicht so schnell wie Muskel, übertreibe nicht.
Deshalb hab ich folgende „Vorsichtsmaßnahmen“:
- Fokus ist pro Woche EINE der schweren Lektionen. Die anderen werden halt mal so angefragt. Aktuell hab ich z.B. Galoppwoche. Die Woche davor war Passagewoche.
- Ich trainiere max. 4 Mal die Woche, extremst selten 5x, dann muss aber mindestens einmal ohne Sattel dabei sein.
- Aufbau ist eigentlich immer gleich: Handarbeit 10-15min, alle Seitengänge und Schrittarbeit 10-15min, lockernde Seitengänge im Trab 5-10min. Danach 10-15min sofort rein in richtige, anstrengende Arbeit: Heisst Fokus Piaffe, oder Piaffe-Passage, Passage, Galopparbeit, Galoppversammlung, Galopp oder Trab Tempowechsel, Pirouettenarbeit, Wechsel, Traversalenarbeit (aber eben nur EINES dieser Themen, das dafür dann richtig intensiv!). Das ist sozusagen das HIT (High Intense Training, kennt man ja auch aus dem Krafttraining, fällt mir gerade ein). Danach spiele ich in 1-5min MAX (!! Und daran halte ich mich) alle anderen Lektionen an, zackzack Pi-Pa-Galopp-Trabtraversalen-usw. – was in den 5min nicht angespielt ist, fällt unter den Tisch. Gern auch nur angedeutet, nicht in einer Art „Grand-Prix“ sondern mehr in der Art „Hausfrau“. Nur paar Tritte. Paar Meter.
- Ende. Ich reite NICHT ab. Ich springe sofort vom Pferd und bringe ihn zurück, da gibt’s dann Fresschen, ich überbürste ihn, und dann bringe ich ihn noch auf den Sandplatz zum Wälzen. mE brauchen so stark belastete Muskeln erst einmal aerobe Phase. Sinn macht, später Schritt zu gehen noch, wegen dem Dehnen. Führanlage, oder wer Pferd im Offenstall hat ist klar im Vorteil.
- Diese komplette Einheit dauert 30-50min. Meistens bin ich aber in 40min fertig, 50min brauch ich eigentlich nur wenn eine der Galoppthemen kommen, weil Celta da Zeit braucht, es ist seine schwächste Gangart. Mehr kann ich nicht machen. Ich richte mich bei den intensiven Anteilen nach dem Schwitzbild. Ideal ist dampfen. Momentan schwitzt er aber schnell viel, weil er einfach noch wenig Grundkraft hat. Das wird besser werden. Wenn das besser ist, kann ich die hochintensive Zeit sicherlich ausdehnen, oder 2mal machen, oder oder oder. Aktuell kann er das aber gar nicht leisten. Ich sehe mir auch an, WO er schwitzt. So kann ich variieren/anpassen.
- Dabei gestalten sich die gesamten 40min wirklich so: die Arbeitsphasen werden immer unterbrochen durch Ruhephasen im Stehen am hingegebenen Zügel (ich sag mal, alle 1-5min). Da darf er machen was er will, er darf die Basis öffnen, er darf bisschen sich bewegen. Normalerweise könnte ich auch im Schritt am hingegebenen Zügel die Ruhephase gestalten – ist bei Celta aber nicht gut.
Letztendlich ist es vielleicht gar nicht so weit weg von dem wie man Kraft und Muskelzusammenspiel auch beim Menschen am effektivsten aufbaut: durch gezielte, echte, richtige Reize mit ausreichend Regenerationszeit.
Ich bin aber dieses Mal selbst erstaunt darüber, wie stark das positiv auf den Muskelaufbau und die Bewegungsabläufe wirkt, wenn man das Konzept ernsthafter verfolgt. Ich war vorher schon sehr überzeugt von dem, was ich oben geschrieben habe, aber ich habe das fast ein wenig unterschätzt, wie viel möglich ist.
Aktuell bin ich wirklich am Überlegen, einen zweiten Feldversuch hinzuzunehmen… muss mir das zeitlich nur gut überlegen, weil das nur an einem Stall ginge.