Reiten im Damensattel - Ein Bericht von Frau Irmgard Fleisch

Rund ums Thema Pferd und die klassische Reitkunst

Moderator: Josatianma

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Josatianma
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Reiten im Damensattel - Ein Bericht von Frau Irmgard Fleisch

Beitrag von Josatianma »

Meine Familie und meine Bekannten halten mich für ein bißchen verrückt - und möglicherweise haben sie sogar recht. Oder wie sonst soll ich es erklären, daß ich im Alter von 45 Jahren zu reiten begonnen habe? Und dass ich dann, bevor ich noch einigermaßen sicher im Herrensattel sitze, im Damensattel reiten will?

Unbedingt, um jeden Preis! Ich muß das einfach einmal probieren!

Irgendwann habe ich einmal gehört, dass es irgendwo in Deutschland eine DamensattelReitlehrerin gibt - aber wo? Deutschland ist groß - wie soll ich die Dame jemals finden?
Also beginne ich, jeden, der nur einigermaßen mit Pferden zu tun hat, auszufragen und ernte zwei Jahre lang nur höfliche Verneinungen und - unübersehbar - mitleidige Gesichter. Eines Tages aber werde ich fündig, etwas spärlich zwar, aber immerhin, ich habe eine Spur: Eine deutsche Reiterin hat einen Bekannten, dessen Tochter eine reitende Kusine hat, die wiederum in einem Stall reitet, in dem es eine Damensattelreiterin gibt.

Mit zwei weiteren Monaten Telefonieren (ich wage meinen Mann bei der Durchsicht der Telefonrechnungen schon gar nicht mehr anzusehen) habe ich endlich die begehrte Adresse: Dorothee Faltejsek in der Nähe von Tübingen!

Tübingen, wie herrlich, das ist für mich ja erreichbar! Ich hatte ja schon Angst gehabt, die Dame unterrichtet an der Nordsee oder sonst an einem für mich kaum erreichbaren Ort.

Auf der Stelle schreibe ich Frau Faltejsek einen Brief: meinen Wunsch, einmal im Damensattel zu reiten, aber auch, daß ich erst den Reiterpaß habe und, nun ja, schon 53 Jahre alt bin. Ich erwarte eine höfliche Absage, stattdessen kommt eine freundliche Einladung zu einem zweitägigen Kurs. Allerdings, eine Einschränkung ist dabei, die mich etwas erheitert: Frau Faltejsek möchte mein Gewicht wissen - sie reitet eher kleine Pferde, keine Gewichtsträger.

Nun ja, damit hat es keine Not, ich bin klein und schlank und bringe gerade gut 50 kg auf die Waage (mit viel Sport und Fasten mühsam erhalten), - dem Kursbesuch steht also nichts mehr im Wege. Also melde ich mich an, zahle mit großer Begeisterung den Kursbeitrag ein und bin voller Vorfreude - bis zu dem Julinachmittag, an dem ich in Richtung Tübingen losfahre.

Während ich mich durch den Freitag-Nachmittags-Urlaubs-Verkehr nach Ravensburg quäle, fallen die üblichen Zweifel über mich her: Bin ich eigentlich noch normal? Warum tue ich mir das jetzt auch noch an? Kann ich nicht wie andere vernünftige Leute einfach im Herrensattel reiten, mich damit zufrieden geben und zu Hause bleiben?
Gern, liebend gern würde ich den Kursbeitrag noch einmal bezahlen, wenn ich jetzt nur nicht da hinausfahren müßte! Aber erstens habe ich kein übriges Geld und muß einfach rechnen, und zweitens - nein, das Gesicht meines Mannes, wenn ich unverrichteter Dinge zurückkomme, möchte ich doch lieber nicht sehen.
Also nehme ich mir vor (zum 100. Mall), in Zukunft vernünftiger zu sein und nie mehr (in Worten: nie mehr!) so ausgefallene Dinge anzureißen.
Mit diesem weisen Vorsatz kann ich mich schließlich der schönen Landschaft zuwenden und die Fahrt ein bißchen genießen; und irgendwann sind auch vier Stunden Autofahrt geschafft. Auf Anhieb finde ich die Reitanlage Ammerbuch, und als ich die schöne Reithalle betrete, vergesse ich augenblicklich, daß ich doch lieber nicht gekommen wäre.

Da reitet eine reizend aussehende, zierliche Dame mit mädchenhaftem Lockenkopf im Damensattel Seitengänge, Traversalen, Fliegende Galoppwechsel, Passage und Piaffe, und zum Drüberstreuen noch ein paar Levaden. In meine Freude und Bewunderung mischen sich leise Zweifel: Was habe ich mit meinem geringen Können bei dieser Künstlerin im Sattel verloren? Aber schon reitet Frau Faltejsek auf mich zu und heißt mich herzlich willkommen. Als sie allerdings meine weißen Haare sieht, beschleichen auch sie leise Zweifel, die sie sehr höflich in Sorge um einen allfälligen Muskelkater verpackt, wie sie das offenbar schon bei anderen Damen meiner Altersklasse erlebt hat.

Nun, in diesem Punkt kann ich sie beruhigen - ich bekomme äußerst selten einen Muskelkater; und selbst wenn dieser unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, so nehme ich das gerne auf mich - das wäre mir das neue Abenteuer wohl wert.

Am nächsten Morgen bin ich pünktlich im Stall, putze mit etwas Herzklopfen einen hübschen braunen Wallach, dem Vernehmen nach ein besonders braves und erfahrenes Damensattelpferd, das mich also in die Anfange dieses besonderen Reitens einführen soll.
Frau Faltejsek scheint inzwischen so viel Vertrauen in mich zu setzen, daß sie sofort den Damensattel auflegt und mich die 20 Minuten zwischen Stall und Halle im Seit sitz durchs Gelände schicken will. Das ehrt mich zwar, aber mein Überlebenstrieb setzt sich energisch zur Wehr: "Nein, im Gelände reite ich im Herrensattel!"
Ich bleibe eisern, und so reite ich einigermaßen sicher und entspannt durch den sonnigen Morgen zur Halle.
Dort aber wird umgesattelt, ein freundlicher Hüne hebt mich in den Sattel, ich bekomme gerade noch mit, daß die anderen drei Damen erfahrene Damensattelreiterinnen sind, die ihre Fliegenden Galoppwechsel, Passage und Piaffe verbessern wollen ("da passe ich genau dazu" kann ich noch schnell denken), und ohne weiteres Federlesen beginnt die Stunde, meine erste Reitstunde im Damensattel!
"Anreiten im Schritt" - mein Pferd reagiert sofort auf den leichten Druck meines linken Unterschenkels und der Gerte rechts; und seltsam - schon nach wenigen Minuten fühle ich mich im Damensattel wohl. Ich empfinde es als eine besonders elegante Form des Reitens und freute mich unbändig, diesen fanggehegten Wunsch nun erfüllt zu sehen. Konsequent, wie ich nun einmal bin, beschließe ich jetzt sofort, damit weiterzumachen und wieder einmal in einen solchen Kurs zu gehen.
"Terrab!" Vergnügt lasse ich meinen Ansporn (was für ein passender Name für mein Pferd!) auf der linken Hand antraben. Aber - oje - so einfach ist das nicht: Ich rutsche immer weiter nach links vorne, eine ziemlich ungemütliche Stellung. Wie wird das erst auf der rechten Hand gehen? Meine Begeisterung verfliegt so schnell, wie sie gekommen ist; ich stehe wieder an dem Punkt: "Warum habe ich mir das nur angetan!" Das mag ich besonders, dieses Wechselbad der Gefühle!

Da erinnert sich Frau Faltejsek der betrüblichen Tatsache, daß da eine blutige Anfängerin mitreitet, sie wendet mir ihre ganze Aufmerksamkeit zu und ich bekomme ermutigende Hilfe und kluge Anleitung. Mit ungläubigem Staunen höre ich, dass für den Anfänger Traben und Galoppieren im Damensattel auf der rechten Hand leichter sind, nun ja, ich kann's ja probieren. Mit leisem Zweifel mache ich einen Handwechsel, trabe auf der rechten Hand an, und siehe da: Es geht! Herrlich ist das, einfach wunderbar, das werde ich weitermachen. . . . . . (siehe oben).
So vergeht der Vormittag mit Schritt und Trab auf beiden Händen, mit Sitzen und Rutschen, mit Freude und Unsicherheit, mit Begeisterung und Selbstzweifeln. Ich bekomme gar nicht mit, was die anderen lernen, so sehr bin ich mit mir selber beschäftigt.

Früher einmal, als junges Mädchen habe ich ältere Damen von 53 Jahren für seriöse, vernünftige Menschen gehalten - aber auf mich scheint das keinesfalls zuzutreffen. Die drei jungen Damen, die mit mir im Kurs sind (zwischen 19 und 36 Jahren alt), finden es erfreulicherweise "toll", in meinem Alter noch so etwas zu beginnen, und gießen nun das Füllhorn ihrer reichen Erfahrung über mich aus. Da ist vieles zum Lernen dabei, aber auch viel Heiteres: Die 36jährige Reitlehrerin z.B. ritt auf ihre ersten Damensattel-Reitstunden für einen Pas-de-deux nur in Reithosen, erst für die Vorführung zog sie in völliger Unkenntnis der Folgen eine weiten Seidenrock ihrer Mutter an. Schon beim Traben begann der Rock zu fliegen, was ihr Pferd zu einer immer noch schnelleren Gangart veranlasste, im Galopp hatte sie den Rock dann nur noch vor dem Gesicht und die heitere Begeisterung der Zuschauer auf ihrer Seite. Der schöne Pas-de-deux war dahin, und ihr Kollege ritt seine Figuren etwas frustriert und allein.

Und so lerne ich, dass die alten Kleidervorschriften: schwerer Loden, schwerer Samt, Bleiband im Saum, ... keineswegs überholte Etikette, sondern praktische Notwendigkeit sind.

Das ist ja überhaupt ein interessantes und wichtiges Thema: Die Kleiderfrage! Zum Damensattel gehört ja schließlich ein eleganter Reitrock, und ich lerne so erstaunliche Dinge wie z.B. die Englische Schürze kennen - woher bekommt man denn so etwas?

Fertig kaufen kann ich mir das keinesfalls, das sehe ich gleich; die Preise übersteigen meine finanziellen Möglichkeiten. Aber ich habe doch früher fast alle Hosen und Röcke für meine fünf Kinder genäht und meine eigenen Kleider sowieso; da müsste ich doch auch ein Reitkostüm fertig bringen.

Der beste Rat kommt von Angelika, einer reizenden Deutsch-Amerikanerin, deren tadellos sitzender und besonders schön gearbeiteter Rock mir gleich aufgefallen ist. Sie zwinkert mir mit ihren lustigen Augen zu und verrät mir das Geheimnis ihres schönen Reitrocks: lch habe einfach genommen eine weiße Leintuch und geschnitten - wenn nicht passt, ist nicht viel hin, und wenn passt, kann ich schwarz färben. . . " Nun, der Leintuch-Prototyp hat gepasst, sie hat dasselbe noch einmal genäht, miteinander verstürtzt, Bleiband hinein, Gummibund an die Taillen, Klettverschluss für den rechten Stiefel...

Es ist wie überall: Einfälle muß man haben, kreativ sein - oder, so wie ich, tragen und zuhören können. Im Geiste zähle ich die allenfalls in Frage kommenden Leintücher, überlege, ob ich das fertige Kunstwerk schwarz oder grün färben soll... halt, halt, ich muß meine mir durchgehende Phantasie energisch einbremsen; ich bin immer noch auf dem ersten Kurs.

Aber ich sehe schon: Ich habe gleich heute mein Herz an Damensattel-Reiten verloren, und schon wieder galoppiert meine Fantasie weit voraus: Ich möchte einen eigenen Damensattel haben, aber - und das wird die Sache erheblich erschweren - zu meinen Konditionen, sprich: zu einem Preis, den ich bezahlen kann . . .
Vorerst aber, und damit kehre ich nun endgültig in die Gegenwart des Kurses zurück, hält Frau Faltejsek uns einen sehr interessanten Vortrag über die Geschichte des Reitens im Damensattel, eine kultur- und gesellschaftshistorisch geradezu faszinierende Vorlesung.

Dorothea Faltejsek ist eine Neindorff-Schülerin, eine exzellente Reiterin und Reitlehrerin, eine unerschöpfliche Quelle an Wissen und Können - erfreulicherweise hat sie ein Buch geschrieben wo ich das alles dann nachlesen kann, denn merken kann ich mir diese Fülle an Interessantem und Wissenswerten keinesfalls nur mit einem Vortrag.

Am Sonntagvormittag sind wir alle um 10 Uhr schon wieder im Sattel; ich fühle m ich wieder ein bißchen sicherer und kann nun die außergewöhnliche Atmosphäre erst richtig genießen. Heute reitet ein junger Mann mit, im Herrensattel natürlich; und so kommen wir alle uns erst recht vor wie "höhere Töchter" aus vergangenen Zeiten die am Sonntag ein bißchen eleganten Reitunterricht nehmen. Am Mittag will ich mich eben hungrig im Reiterstübchen niederlassen und etwas bestellen, da tauchen vor der Halle ein paar Reiterinnen in herrlichen Kostümen auf Augenblicklich ist aller Hunger vergessen, und ich stürze hinaus; das muß ich genau sehen.

Es ist ein hinreißender Anblick, besonders als die Damen ein großartige Vorführung reiten und abschließend auch noch springen. Ich bin so begeistert, daß ich in den neugegründeten Damensattel- Verein aufgenommen werde, als Verbindungsmitglied zwischen Deutschland und Österreich.

Uns so lerne ich auch in Österreich Damensattelreiterinnen kennen, von Feldkirch über Osttirol bis nach Wien; eine lustige Engländerin in der nahen Schweiz, eine Reitlehrerin im Schwarzwald - und ich dachte ich sei mit meinem Wunsch allein - ganz im Gegenteil!

Inzwischen habe ich meinen eigenen (gebraucht gekauften!) Damensattel! Das wäre wieder eine Geschichte für sich, aber über Telefonrechnungen habe ich schon einmal geschrieben...
Und ich habe entdeckt, daß es auch in Österreich zwei Damensattel-Reitlehrer gibt - die Herren Desmond und Kevin O-Brian in Wien, und ich habe mich schon zu einem Kurs bei ihnen angemeldet, diesmal im Osttirol, in einem Friesen-Stall, wo die Reitlehrerin in diversen Sissi Filmen die berühmte reitende Kaiserin gedoubelt hat.
Da passe ich mit meinem bißchen Können genau hin; und es wird sein wie am Anfang: Geplagt von Selbstzweifeln werde ich hinfahren, voller Ängste die erste Stunde beginnen.... und begeistert und voller Ideen wieder heimkommen. . .
Meine Begeisterung fürs Damensattelreiten hat auch erfreuliche häusliche Folgen; ich bin ja schließlich von Beruf Hausfrau und nicht Reiterin.

Mit mehr Freude denn je bügle ich die vielen Herrenhemden und T -Shirt's meiner großen Familie: Daneben höre ich alle unsere CD's und notiere, welche Stücke für eine Damensattel Vorführung geeignet wären.

Mein Mann freut sich über meinen neuen Eifer beim Bügeln und mein musikalisches Interesse, aber schließlich kann auch ihm nicht verborgen bleiben, welche Beweggründe dahinter stehen, und mit leisem Kopfschütteln stellt er zum 100. Male fest, was schon an Anfang diese Berichtes steht und womit er vielleicht nicht so ganz unrecht hat: Ein bißchen verrückt bin ich schon - aber ich stehe dazu und hoffe, daß mir diese kleinen (oder großen??) Verrücktheiten noch lange Freude bereiten.

http://www.scheidecker.com/
Liebe Grüße, Sabine

Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren

"Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt" Mahatma Gandhi
~pony~

Beitrag von ~pony~ »

*begeistert in die Hände klatsch*
was für ein schöner Artikel! Ich hab stellenweise so gelacht weil ich an meine eigenen ersten Reitstunden im DS denken musste :D
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Ich fand ihn auch ganz herrlich und muss mich auch ganz herzlich bei Gelchen bedanken, die mir die Erlaubnis gegeben hat, diesen wunderschönen Bericht bei uns veröffentlichen zu dürfen.
Liebe Grüße, Sabine

Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren

"Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt" Mahatma Gandhi
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Medora
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Beitrag von Medora »

Erst jetzt gelesen und schließe mich der Begeisterung an: Zauberhaft geschrieben und macht richtig Lust!

Danke!
Medora
Trissa
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Beitrag von Trissa »

Hinreißend geschrieben! Vielen Dank!
Meine alten DS-Sehnsüchte sind mit einem Schlag wieder erwacht... *träum*

Eva
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