"Zum Treiben kommen"?

Rund um die klassische Reitkunst

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Celine
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"Zum Treiben kommen"?

Beitrag von Celine »

Ich hab gerade meine Nachwehen der Equitana :? und versuche, die Fülle an Informationen zu verarbeiten. Und da stieß ich in meinem Hirn auf einen Satz, den ich bei den Präsentationen mehrmals gehört habe: Reiten fängt erst dann an, wenn der Reiter zum Treiben kommt.

Das hab ich auch mal so gelernt, aber insgeheim für mich abgewandelt.
Natürlich darf das Pferd nicht unterm Pöter wegrasen, aber ich will ja gar nicht bei jedem Schritt treiben. Durch den Rhythmus meines mitschwingenden Beckens oder den Takt und die Art des Aufstehens beim Leichttraben treibe ich aber das Pferd schon in gewisser Weise bzw. regel das Tempo.
Ist dies damit gemeint, oder meinten die Herren und Damen (ich glaub, ich hab den Satz sowohl von Herrn Putz als von Frau Schöffmann gehört) WIRKLICH richtig echtes "jeden Schritt raustreiben"?

Wie würdet ihr das auffassen?
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chica
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Beitrag von chica »

Hi Celine,

kann mir gut vorstellen, dass genau dieser Satz von jenen besagten Leuten kam. Und sie meinen damit wirklich jeden Schritt "raustreiben". Ich habe eine alte Stute, die das so drin hat, dass der Reiter erst ernstzunehmen ist, wenn er tatsächlich mit dem Bein zum Treiben kommt. Also gehöre ich bei ihr auch zu den typischen "Dauertreibern".

In der barocken Reitweise, wie ich sie kennengelernt habe, wird aber das Impulsreiten favorisiert. Hier gibt der Reiter einen einzigen Impuls, das Pferd folgt solange, bis ein neuer Impuls kommt. Wesentlich angenehmer und "leichtes" (soll meinen: feines) Reiten.
LG Ines
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"Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart."
(Noël Pierce Coward)
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horsman
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Beitrag von horsman »

Jep.
Typischer Satz aus dt. Reitlehrermunde, der die Misere auf den Punkt bringt und m.E. mehr Schaden als Nutzen stiftet.

Vielleicht gar nicht schlecht gemeint, denn natürlich will man kein Pferd auf der Flucht (was dann eh nicht losgelassen ist), aber in 99,9% der Fälle dann vom Reitl. und Schüler falsch umgesetzt, da es in Dauertreiben und Abstumpfung ausartet.
Ich fürchte Herr Putz & Co. meinen es auch so.
Denn, wenn treiben tatsächlich nur das selbstständige Abholen der treibenden Hilfe seitens des pendelnden Pferdleibs wäre (wie es auch bestimmt irgendwo in diesen sog. Richtlinien steht), wie ist der Satz dann zu verstehen?
Zuletzt geändert von horsman am Di, 20. Mär 2007 15:43, insgesamt 2-mal geändert.
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BiancaW
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Beitrag von BiancaW »

Ich lerne in den Reitstunden nicht zu treiben. War anfangs sehr ungewohnt, und manchmal treibe ich auch noch.
Aber sobald ich aufhöre und einfach im Gleichgewicht sitze und mich "mitnehmen" lasse, gehts viel leichter, lockerer und flotter vorwärts.
lieber Gruß, Bianca

Viele würden niemals mit vollem Mund sprechen, tun es aber mit leerem Kopf (Orson Welles).
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Celine
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Beitrag von Celine »

Ich reite ja auch so, "ohne" Treiben. Und ich habe eigentlich gehofft, dass zumindest Herr Putz dieses "jeden Schritt raustreiben" NICHT predigt. Aber das war wohl nur frommes Wunschdenken?

Sind wir da glatt einem Unterschied zwischen "unserer" und der "FN-Reitweise" auf die Schliche gekommen?

Aber es steht so nicht in den Richtlinien, oder? Ja, mei, versteht denn nicht mal die FN-Elite ihre eigenen Richtlinien? :evil:
horsman
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Beitrag von horsman »

Du sagst es. Das ist das Problem an den RL.
Es steht alles nund nix drin, für jeden quasi etwas.
Ein unschlagbares System eben :lol:
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pepe
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Beitrag von pepe »

...Und wenn sie nicht Dauertreiben, dann Pumpen sie mit dem Oberkörper... :roll: . Da ist schon wieder dieses Schwierige: das Zulassen der Bewegung...igitt! Kontrollverlust! Wie Un-Deutsch! (ich provozier halt gern)
Mal im Ernst: Wer schon mal ein Pferd unterm Sattel hatte, welches nur vor dem Schenkel davonrennt und sich am Bein nicht entspannt, ist auch ein armes Reiterlein..Das Zwischending, der goldene Mittelweg: das Pferd holt sich am ruhigen Reitersitz seine Hilfen ab...wie schön! Überall beschrieben (auch in den Richtlinien!!) und leider in der Praxis in schlimmen Phrasen unmöglich gemacht worden....Natürlich braucht jeder seine eigene Assoziation, sein eigenes Bild...Was für den Einen klappt, erscheint dem Nächsten völlig unverständlich, aber diese Geschichte des Dauertreibens ist so eine unglückliche Formulierung, die können wir getrost endgültig auf den Müll werfen... :twisted:
"Reiten Sie Ihr Pferd teuer!" -Richard Hinrichs
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Larry
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Beitrag von Larry »

@celine:
Hallo!
Ich denke eher mit dem Satz ist gemeint(sollte), dass das Pferd zuhören lernt und man auch dazu kommt seine Hilfe zu geben.

Für mich heißt das noch genauer gesagt:
Nicht, dass das Pferd einfach vorab gewisse Dinge schon "entscheidet", weil es vielleicht eine Reihenfolge von Lektionen"schon kennt" und deswegen einfach "abspult". Mitdenken ist immer erwünscht- aber Kommunikation eben auch.
Bei wem hast Du das denn gehört? Habe mir einige Beiträge Sa und So angehört, aber dass nicht gehört..
LG Larry
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muppet
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Beitrag von muppet »

Für mich bezieht sich der Satz nicht unbedingt auf das Treiben mit dem Schenkel, auch wenn es sicher in das viel gesehene Schenkelklopfen ausartet.
"Zum Treiben kommen" verstehe ich in erster Linie als "zum Sitzen und Einwirken kommen" und das Pferd vor sich bringen.
Auf einem wegsteppenden Pferd kommt mann im besten Fall zum Ziehen aber nicht zum Reiten.
Also zum Sitzen kommen und das aufmerksame Pferd, das sich die Hilfen abholt, und jederzeit geschickt aber auch zurückgenommen werden kann, mit Gewicht und Schenkel, und eben nicht lospest ohne das man zum Einwirken kommt.
Stumpfes Dauerklopfen oder auch aktives Dauermitschwingen (bis das Popo-Leder glänzt) verstehe ich nicht darunter.
Tess
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Beitrag von Tess »

So verstehe ich den Satz auch.

@ Celine: wie du ja selbst letztes Jahr gemerkt hast, marschieren meine Zosseln von sich aus flott vorwaerts ... :twisted: ... wenn es nach denen ginge braeuchte ich ueberhaupt gar nicht zu treiben. Ich habe mich also recht lange damit aufgehalten staendig zu bremsen. Damit kommt man aber nicht wirklich weiter.
Jetzt endlich bin ich so weit, dass ich auch mal "zum treiben" komme. D.h. das Pony schiesst mir nicht sofort unter dem Hintern weg sondern nimmt sich auf, hoert zu und ich habe die Chance einzuwirken.
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KleineBlume
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Beitrag von KleineBlume »

So ähnlich habe ich diese Phrase für mich auch interpretiert.
Dass ich mit dem Schenkel die Hinterhand mehr aktivieren und unter den Körper bringen kann ohne dass das Pferd im Tempo schneller wird und wegrennt.
Da ich ein Kutschpferd reite, die sich sehr angewöhnt hat hintenrauszuschieben steht das ganz weit oben auf unserer Problemchenliste. Aber wir arbeiten dran 8) .
LG
KleineBlume
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

Larry hat geschrieben:@celine:
Hallo!
Ich denke eher mit dem Satz ist gemeint(sollte), dass das Pferd zuhören lernt und man auch dazu kommt seine Hilfe zu geben.
...genau das ist gemeint.

Im Gegensatz zu horsemän halte ich diese Forderung nicht für den Grund der Misere sondern im Gegenteil für eine der zentralen Regeln der Dressurausbildung. Wer nicht zum Treiben kommt, wird sein Pferd niemals korrekt ausbilden können (so ähnlich habe ich es auch gerade wieder in der "klassischen Reitkunst" bei Podhajsky gelesen, den ich mir nach einigen Jahren derzeit mal wieder gönne).

Das Pferd soll durch eine entsprechende Vorbereitung lernen, ein Grundtempo ohne jede reiterliche Einwirkung zu erhalten, wobei Takt, Schwung und Anlehnung erhalten bleiben.

Ein Pferd muss lernen, die treibende Hilfe als Aufforderung zum vermehrten Untertreten (Vorwärts) zu verstehen. Solange das Pferd auf eine treibende Hilfe nach vorne eilt oder sich verspannt, statt sich zu versammeln, wird man keine gymnastizierende Wirkung erreichen. In der Sprache der Dressur sagt man: "Der Reiter kommt nicht zum (richtigen) Treiben", gemeint ist, das Pferd reagiert nicht korrekt auf die treibende Hilfe, dies ist aber von allergrößter Bedeutung.

Eine der wesentlichen Forderungen ist, dass man auch eine Parade mit einer treibenden Hilfe begleitet. Das Pferd soll dabei vermehrt untertreten, also die Parade von hinten nach vorn annehmen. Eine Parade wird also immer mit einer treibenden Hilfe eingeleitet. Der "Reiter muss also zum Treiben kommen" um eine korrekte Parade zu geben.

Der Ausdruck: "Man muss zum Treiben kommen" meint genau das, die Akzeptanz der treibenden Hilfe die zu einem höheren Grad an Versamlung führt. Diese Hilfe wird natürlich nicht ständig gegeben, sondern nur, wenn der Reiter eine Veränderung wünscht, wobei jede Veränderung, egal ob in eine höhere oder eine niedrigere Gangart von Hinten nach Vorn geritten werden soll, also von einer treibenden Hilfe eingeleitet wird. Wenn dies nicht gelingt, hat die Ausbildung nicht den geringsten Wert. In diesem Sinne kann ich nur davon abraten, sich an ein Reiten ohne vortreibende Hilfen zu gewöhnen. Als Hilfe blieben dann nur die aufnehmenden Hilfen, d.h. die Hilfen würden grundsätzlich von Vorn nach Hinten wirken und man erreicht genau das Gegenteil dessen, was zur Gymnastizierung des Pferdes erforderlich ist.

Ein klopfender Schenkel ist genau das Gegenteil. Der Reiter kommt hier gerade nicht zum Treiben, weil das Pferd die Hilfe nicht annimmt, sondern offensichtlich abgestumpft ist. Ein Pferd, dass jedoch bereits jedes Vorwärts verloren hat und dessen Gänge ruiniert sind, wird man zunächst einmal dazu auffordern, wieder frisch nach vorn zu gehen, damit es für die Versammlung genügend Schwung entwickelt.

Auch das ist ein ganz typisches Beispiel dafür, wie zentrale Regeln der klassischen Ausbildung auf dem Scheiterhaufen der "neuen Erkenntnisse" verbrannt werden, nur weil man deren Sinn nicht begreift (begreifen will).
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
Stephanie

Beitrag von Stephanie »

Hallo,

für mich gehört dazu, dass ich ein Pferd über den Takt des Sitzes und der Beine auch mal im Tempo verlangsamen kann (innerhalb einer Gangart). Man denke an den "effet d´ensemble", bei dem ich über den Druck des angelegten Beines das Pferd bis zum Stehen bringe.
Das Pferd soll also das (ruhigliegende) Bein nicht nur zum Vortreten und noch stärkeren Vorgehen annehmen, sondern das gewünschte Tempo annehmen, sich also auch mal zurücknehmen lassen.

Und: ich treibe nicht nur so lange konsequent, bis das Pferd das gewünschte Tempo geht, sondern auch solange, bis es die gewünschte Schritt- oder Trittlänge geht. Dann allerdings, ohne ständig das Tempo zu erhöhen.

So hat Treiben also unterschiedliche Funktionen: Tempo und Hinterhandaktivität.

Wenn das Bein richtig liegt, holt sich das Pferd diesen Impuls auch quasi selber, denn die Muskulatur von Pferd und Reiter spielen dann zusammen. Erst wenn der Reiter anfängt, mit den Beinen zu pumpen oder schon die Fussspitzen auszudrehen, funktioniert das nicht mehr, weil die Muskeln des Reiters in anderer Form funktionieren, aber nicht mehr mit dem Pferd zusammenspielen...

Diese Aussagen, wie im Eingangsbeitrag, sind zwar eigentlich richtig, aber gleichzeitig so verbraucht und mißverständlich, dass man sie eigentlich mal runderneuern müßte.

Stephanie
horsman
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Beitrag von horsman »

Steffen hat geschrieben:
Larry hat geschrieben:@celine:
Hallo!
Ich denke eher mit dem Satz ist gemeint(sollte), dass das Pferd zuhören lernt und man auch dazu kommt seine Hilfe zu geben.
...genau das ist gemeint.
OK,
aber warum sagt man dann nicht das was man meint, nämlich, dass
man das Pferd für sich und seine feinen Hilfen aufmerksam bekommen muss und fügt dann vielleicht noch so eine pädagogische Weisheit an wie: wer leise spricht, dem wird zugehört, oder: wenn es nichts zu sagen gibt, dann muss man auch mal den Mund halten?

Dann wärs auch dem dt. durchschnitts-Reitlehrer klar und die ewige Treiberei hätte ein Ende.
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

horsmän hat geschrieben:aber warum sagt man dann nicht das was man meint,
aus zwei Gründen:

- entweder weil man davon ausgeht, dass die Ausbildung des Reiters soweit fortgeschritten ist, dass dieser die theoretischen Grundlagen und Ausdrücke beherrscht oder

- weil der Ausbilder aus lauter Routine selbst vergessen hat, was er da eigentlich von sich gibt.

Der erste Fall ist leider eher selten, insofern finde ich Stephanies Kritik völlig berechtigt und der zweite Fall ist vermutlich das Ergebnis einer Ausbildung, die viel zu weit in die Breite geht und dazu führt, dass einige Prinzipien so selbstverständlich geworden sind, dass ihr eigentlicher Inhalt vielen gar nicht mehr bewusst ist - und das führt dann eben zu Mißverständnissen und Ausbildungsfehlern. Dies ändert man aber nicht, indem man eine neue Reitlehre erfindet, die mindestens genau so viel Verwirrung stiftet, sondern indem man diese Prinzipien hinterfragt und zu verstehen versucht. :roll: Stichwort: "der denkende Reiter"
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
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