Erster Reitkurs mit Desmond O'Brien in der Schweiz

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Moderator: Josatianma

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chica
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Erster Reitkurs mit Desmond O'Brien in der Schweiz

Beitrag von chica »

„Man muss eine Übung nicht im nur Kopf haben, sondern primär im Gesäß.“
„Wenn man sich unterbeschäftigt fühlt, dann sollte man lieber zu seinem Chef sagen, dass er einen mehr auf der Arbeit einspanne – anstatt dass man sich nachher auf dem Pferd abarbeitet.“
„Pferde haben mit Männern einiges gemeinsam, denn auch sie können nur immer ETWAS aufnehmen – und sind daher häufig mit der weiblichen Logik überfordert.“
„Das richtige Bild im Kopf ist das halbe Reiten.“
„Ein Reiter ist vergleichbar mit einem Dirigenten, der seine verschiedenen Instrumente nicht nur führen, sondern damit auch ein Musikstück gänzlich individuell interpretieren muss.“
„Es gibt eigentlich gar keine ReitTHEORIE, sondern immer nur eine ReitPRAXIS“, denn vor allem gilt die Prämisse:

Jedes Pferd und jeder Reiter ist individuell – und darauf sollte geachtet werden!

Bildhafte Sprache, treffende Vergleiche, genaues Beobachten – ein intensives Erlebnis, ein solcher Reitkurs!
In sehr angenehmer Atmosphäre und bei frühlingshaftem Sonnenschein fand am Osterwochenende (Samstag und Sonntag) der erste Reitkurs mit Desmond O’Brien in der Schweiz statt. Sechs Reiter mit ihren Pferden (ein Isländer, ein Andalusier, eine Friesenstute, ein grossrahmiger Freiberger, ein Paso Ibero und ein Warmblüter) kamen in den Genuss, beim sympathischen ehemaligen Sattlermeister der Spanischen Hofreitschule zwei Tage lang in zwei mal zwei Einheiten à je einer halben Stunde äusserst kompetenten und individuellen Unterricht zu bekommen. Dabei wurde auch für uns Zuschauer von der ersten Minute an klar: Bei Desmond ist jeder Reiter willkommen, egal wo er steht! Schliesslich unterrichtet der Wiener ja auch „nicht nur Dressur, sondern einfach Reiten – denn Freizeitreiter sind wir alle“. Auch wenn das reiterliche Niveau im Allgemeinen nicht sehr hoch lag, so waren doch alle Teilnehmenden bemüht, zu lernen, und wurden von Desmond O’Brien mit engagierter Hilfe belohnt. Der Wiener versteht sich ganz klar als „Dolmetscher“, was er immer wieder betonte; der wahre Lehrer für jeden Reiter könne immer nur das Pferd sein.

Wir fuhren am ersten Kurstag hin zum Zuschauen. Desmond O’Brien ist ja bekanntlich einer der grossen Kenner des Reitens im Damensattel. Meiner Kollegin ging es also primär mal darum zu schauen, ob das etwas für sie und ihren Grossen wäre, um im Damensattel nicht immer alles allein erarbeiten zu müssen und vor allem auch mal ein Feedback zu bekommen; ich war einfach grundsätzlich interessiert. An diesem Kurs ritt allerdings niemand im Damensattel mit – wenn der Wiener im Juli zum zweiten Mal in die Schweiz kommt, wird es dann aber anders sein: Zumindest eine wird da dabei sein...

Desmond O’Brien legte insgesamt grossen Wert auf den Sitz. Plastisch vermittelte er, dass Sitzfehler schon durch Fehlverhalten im Alltag beginnen oder durch körperliche Schwächen hervorgerufen sein können – und dass man daher nicht erst auf dem Pferd anfangen kann, seine Bewegungsmuster zu ändern. Vor der Brust verschränkte Arme oder in die Seiten gestützte Hände mit nach vorn gedrehten Daumen sollten grundsätzlich tabu sein. Die Grundlage des Reitens ist die Beherrschung des eigenen Körpers!
Immer wieder betonte Desmond die Zusammenhänge von Reiter- und Pferdebewegung. Loslassen, mit der Bewegung mitgehen, Atmen – alles das waren seine Devisen, von denen nicht nur gesprochen, sondern die auch umgesetzt wurden. Einzig bei einer Reiterin war mir und auch anderen Zuschauern nicht klar, warum er da nicht direkt noch mehr auf den Sitz einging, aber seine Motive sind wohl schwer zu eruieren – vor allem, wenn man nicht den ganzen Kurs gesehen hat. Zumindest schon in den zwei Unterrichtseinheiten am Samstag waren bei sämtlichen Reiter-Pferde-Paaren deutliche Unterschiede zu erkennen in Bezug auf Zusammenspiel und Harmonie der Bewegungen.

Aber auch wir Zuschauer wurden intensiv in den Unterricht einbezogen – sei das durch Fragen aus dem Publikum oder in der „sportlichen Mittagstheorie“, die uns alle dazu bringen sollte, über unsere eigenen Bewegungsmuster und unsern Körper nachzudenken und zu erkennen, dass jedes Lebewesen sich anders bewegt und man das immer berücksichtigen muss.

Der Tag war nicht nur fachlich sehr interessant, sondern auch insgesamt menschlich ein ganz tolles Erlebnis. Ich durfte Desmond O’Brien als sehr engagierten und kompetenten Ausbilder kennen lernen, der nicht nur jedem Reiter das Gefühl gab, dass er Willkommen sei, sondern der auch grundsätzlich sehr interessiert und offen und dadurch sehr nahe bei seinen Schülern war. Seine treffenden und häufig sehr trockenen Sprüche sowie seine einleuchtenden Metaphern sind sehr eingängig und es war ein Vergnügen, seinem Unterricht beizuwohnen und von ihm zu lernen. Vieles, was er gesagt hat, war alt bekannt. Immer wieder hat er auch betont, dass das, was er vermittle, nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen sei, sondern sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelt und etabliert hatte - doch vermitteln können muss man dieses Wissen ja trotzdem! Desmond O'Brien scheint das optimal zu gelingen mit einer angenehmen Mischung aus österreichischem Charme, einem breiten Fachwissen, einem geschulten Auge, treffender Problemanalyse, umsetzbarer Lösungsvorschläge und äusserst plastischem Erklären. Beim nächsten Engagement des Österreichers in der Schweiz im Juli werden wir also definitiv wieder dabei sein - diesmal auch mit einem Pferd; es wird sich bestimmt lohnen.

Verfasserin: bea
LG Ines
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"Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart."
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chica
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Beitrag von chica »

@bea - Danke für den anschaulichen Bericht! Ich durfte O'Brien auch schon einige Mal während eines Kurses erleben. Leider nur als Zuschauer... Aber alleine vom Zuschauen habe ich unheimlich viel mit nach Hause genommen!
Was mich besonders beeindruckt hat, war seine ruhige Art, mit Pferd und Mensch umzugehen. Selbst die nervösesten Paare wurden in seiner Anwesenheit ruhig und konnten konzentriert arbeiten. Da trifft die Bezeichnung Übersetzer ziemlich gut zu :)
LG Ines
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Jen
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Beitrag von Jen »

Hallo Bea

Danke für den spannenden Bericht. wo in der CH war denn der Kurs?
Liebe Grüesslis, Jen
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Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
knowi
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Beitrag von knowi »

Oh das klingt ja gut! :D Danke für den Bericht Bea!
Ich glaube wir zwei könnten mitlerweile einen richtigen "Austausch" machen. Ich komm zu Dir zum O'Brian gucken, Du kommst zu Andrea usw. ;) Soweit ich weiß macht Andrea auch Kurse mit ihm zusammen. Von dem was Du schreibst passt das bestimmt total und muss die Wucht sein ;)

Liebe Grüße!
Knowi
Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.
Dietrich Bonhoeffer
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bea
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Beitrag von bea »

@Ines: Genau so habe ich das auch erlebt. :)

@Jen: In Horgenberg.

@knowi: Genau. :D Von Andrea Jänisch haben übrigens einige an dem Kurs auch geschwärmt.
Reiten heisst: sitzen - fühlen - denken.
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Medora
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Beitrag von Medora »

Höchst spannend - den würde ich auch gerne mal sehen!

Medora
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