Reittherapie Teil 4

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Moderator: Josatianma

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Josatianma
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Reittherapie Teil 4

Beitrag von Josatianma »

Bislang habe ich nur von den praktischen Seminaren unserer RT-Ausbildung berichtet. Nun gehört zu einer gründlichen Ausbildung allerdings auch eine Menge Theorie dazu und die wird beim PIRT praktischerweise in die Wintermonate gelegt. So hatten wir im November das schöne Thema „Psychologische Grundlagen“, im Januar „Pferdehaltung, -gesundheit und Erste Hilfe“ (siehe Bericht Nr.3), im Februar „Entwicklungspsychologie und Entspannungsverfahren“ und im März „Therapeutisches Basisverhalten I“ (Teil II war für den April vorgesehen, fiel aber wegen Erkrankung der Dozentin aus und wird irgendwann im nächsten Winter nachgeholt).

Ich weiß ja nicht, wie oft ich in meinen diversen Ausbildungen schon mit den Grundlagen der Psychologie und mit Entwicklungspsychologie konfrontiert war – über die Jahre hinweg ist jedenfalls einiges hängen geblieben. Nun kann ja einerseits nicht von jedem Teilnehmer an einer solchen Weiterbildung erwartet werden, dass er (oder vielmehr: sie) ähnliches an Vorkenntnissen mitbringt wie ich, andererseits kann unter diesen Umständen auch gar nicht so tief ins Thema eingetaucht werden, dass mehr als nur ein Einblick vermittelt wird (was wiederum für mich recht langweilig ist).
An dieser Stelle ist es angebracht, mal etwas über die Gruppenzusammensetzung zu sagen. Also, wir sind 14 Teilnehmerinnen, ich bin der erste Mann seit Jahren dabei, und beruflich haben wir sehr unterschiedliche Voraussetzungen: Es gibt Krankenschwestern, Erzieherinnen, Kinderdorfmütter, Sozialpädagoginnen, Ergotherapeutinnen und eine Reitlehrerin FN ohne pädagogische Ausbildung.
WIE unterschiedlich der Stand der mitgebrachten Vorkenntnisse auf therapeutischem Gebiet ist, wurde gerade beim „Therapeutischen Basisverhalten“ deutlich. Die Sozialarbeiter/pädagogen sind ausgesprochen fit, der Rest eher ruhig Sprich: Entweder die Sozpäds sagen was oder es herrscht Schweigen, wohl aus der Angst heraus, etwas Falsches zu sagen. Und tatsächlich ist es für einen Ungeübten nicht immer einfach, á la Carl Rogers eine empathisch-korrekte Antwort zu geben oder mit seinem Repertoire zu spielen und auch unkorrekterweise an geeigneter Stelle eine direktive Frage zu stellen (wenn sie denn der Öffnung des Gesprächs dient). Und nicht zuletzt macht immer der Ton die Musik. Tonfall, Gestik, Mimik und Körperhaltung bilden eine Einheit und treffen zusammen eine Aussage, der wir uns nicht immer völlig bewusst sind.
Themen wie diese werden uns von erfahrenen Psychotherapeutinnen nahegebracht. Methodisch gibt es einen Mix aus eher seminaristischen Vorträgen, Kleingruppenarbeit und auch Selbsterfahrungen und Rollenspielen (nicht bei allen Teilnehmerinnen beliebt).

Die „psychologischen Grundlagen“ wie auch das „Therapeutische Basisverhalten“ bringt uns eine Psychotherapeutin näher, die in der JVA Halle als Psychologin (und Stellvertretende Anstaltsleiterin) arbeitet und auch in der Arbeit mit Strafgefangenen schon RT eingesetzt hat, durchaus mit Erfolg. Beide Veranstaltungen (wie auch die „Entwicklungspsycho“) waren schwierig für uns, weil einfach nahezu durchgängig gesessen und geredet wurde (das kenne ich doch von meiner Arbeit).
Prinzipiell wurden uns in den „Grundlagen“ die drei (anerkannten) psychotherapeutischen Grundrichtungen vorgestellt: Die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie und die Gesprächspsychotherapie (wobei die Dozentin gemäß ihrer Ausbildung zu letzterer neigt). Die Einführung ins Thema erfolgte über eine Begriffsbestimmung: Was ist „Psychologie“ eigentlich? Weiter ging es über den Einsatz von Tieren in der Psychotherapie (Wirkungsmechanismen) hin zu den drei Therapieformen und ihren (möglichen) Bezügen zur Reittherapie.

Nach einer längeren Winterpause (in der noch die „Pferdehaltung, -gesundheit und Erste Hilfe“ stattfand) gab es Ende Februar „Entwicklungspsychologie und Entspannungsverfahren“, beide Themen in einer Veranstaltung (was ich ein wenig unglücklich finde – dadurch wird’s doch arg zusammengequetscht und notgedrungen noch oberflächlicher), als Dozentin kam wieder eine Psychologin, die auch viel mit Entspannungsverfahren arbeitet, aber mit Pferden keinerlei Erfahrung hat (dabei sah sie hundertprozentig so aus – wie man(n) sich so irren kann ).
Neben der klassischen Entwicklungspsychologie standen im ersten Teil auch Bindungstheorien (John Bowlby und Mary Ainsworth) im Zentrum der Veranstaltung. Letztere sind ja auch für die Reittherapie relevant, weil hier das Pferd u.U. die Aufgabe eines Übergangsobjekts (eines zeitweiligen „Beziehungspartners“) übernehmen kann.

Die Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Traumreise) wurden uns nicht theoretisch vorgestellt, sondern wir konnten sie auch in einem Selbsterfahrungsteil ausprobieren. Was mir und den meisten anderen gefiel, einigen aber unangenehm war. Alles in allem eine recht angenehme Veranstaltung, die leider etwas knapp ausfiel und den Makel aller Theorieveranstaltungen aufwies: Zuviel Rumsitzen. (Da wir mittlerweile aber schon begonnen hatten, morgens, mittags und abends ums Dorf zu laufen oder spazieren zu gehen, war es doch erträglich).

Jetzt ist wohl der Zeitpunkt da, das Institut und seine Umgebung noch mal näher vorzustellen:
Das PIRT liegt in Plennschütz, einem sehr kleinen Dorf zwischen Weißenfels und Naumburg, im südlichen Sachsen-Anhalt (ganz kurz vor Thüringen), das vom Nachbarort Plotha nur durch einen kleinen Bach getrennt ist. Beide bilden (aus meiner „fremden“ Sicht) eine Einheit. Dazu kommt dann noch Prittitz, das wiederum in Plotha übergeht. Alle drei Dörfer bilden eine Art Dreieck und sind durch unseren Lieblings-Spazierweg miteinander verbunden. „Unterwegs“ gibt es eine durchaus interessante Landschaft: Ein Feld mit einem mit Gummimatten belegten Weg (wahrscheinlich versinkt sonst der Kleintraktor), eine alte, verfallende Windmühle, ein Park, von einer Ziegelmauer umgeben, die keinen Einblick erlaubt, eine Feuchtwiese mit alten Weiden, deren Äste im Wind schaukeln. Und der Auslauf samt Sommerweide für die Pferde des PIRT.

Das PIRT residiert im ehemaligen Pfarrhaus und ist auf zwei Etagen untergebracht: Oben befinden sich ein Büro (für uns immer verschlossen), ein luxuriöses Zimmer mit angeschlossenem Bad sowie zwei weitere Zimmer für je drei Gäste.
Unten sind ein weiteres Bad, drei weitere Gästezimmer, der Seminarraum, ein „Wohnzimmer“ (besonders beliebt für seminaristische Gruppenarbeit, wegen der Sessel und dem Sofa) sowie die Küche mit dem großen Tisch, Mittelpunkt am Morgen und am Abend. Hier wird gekocht, gegessen, getrunken und erzählt. An Geräten ist alles da, was nötig ist, auch für Kaffee und Tee wird immer gesorgt. Die restliche Verpflegung übernehmen wir selbst – da wird jedes Mal eine Liste angelegt, wer was einzukaufen hat. Das klappt ganz gut, auch gibt’s jetzt nur noch einen Tag Nudeln

Als Ausbildungsgruppe haben wir wohl einen seltsamen Ruf: Vermutlich gelten wir als Langweiler An den ersten Wochenenden endeten die Abende spät, mit viel Erzählen, von Pferden und sonstigen Begleitern durchs Leben. Aber irgendwann löste sich die Runde auf, einige versammelten sich zum Rauchen vor der Tür (im PIRT gilt Rauchverbot), andere schlafen eh in der Pension oder zu Hause. Und die ersten lagen um 9 im Bett Nach anfänglichem Wundern und Staunen finde ich das inzwischen ganz angenehm: PIRT heißt Ausschlafen Kommt man ja sonst nicht zu
Die relativ feste Gruppe von Leuten, mit denen ich auch zumeist in Kleingruppen etc. zusammenarbeite, hat es mittlerweile schon geschafft, abends zu spielen oder Filme zu schauen (DVD-Player und Videorecorder sind da, ebenso wie ein Fernseher). Überhaupt scheint sich gruppendynamisch einiges zu tun: Drei Teilnehmerinnen überlegen aufzuhören oder zu pausieren (eine schafft es arbeitsmäßig nicht mehr, eine ist mit ihren diversen Weiterbildungen überfordert, eine dritte hat ihr Ziel verloren). Wie sich das auf den Fortgang der Ausbildung auswirkt, bleibt abzuwarten. Laut Ausbildungsvertrag beginnt der Kurs nur, wenn mindestens 10 Teilnehmer zusammenkommen. Aber was passiert, wenn „unterwegs“ welche verloren gehen? Bezahlen müssen sie den Kurs übrigens trotzdem, am Geld kann es also nicht scheitern...

Im Dorf ist das PIRT immer noch etwas isoliert: „Das sind die komischen da, die irgendwas mit Pferden machen“. Zum Tag der Offenen Tür kommen die Nachbarn trotzdem. Überhaupt: So manchen lustigen Vor- oder Nachmittag verdanken die Nachbarn uns. Was hätten sie sonst zu sehen?
So mähen sie wohl rein zufällig immer gerne den Rasen oder schneiden die Hecke, wenn wir uns mit Neron, Läusel, Mexxie, Lara und Smokey vergnügen. Und auch die Verwandtschaft schaut auf ihrem Spaziergang gerne zu.
Für die Arbeit mit den Pferden gibt es ein Round Pen, eine Wiese mit Spielplatz sowie einen Reitplatz. Zur Pferdeunterbringung dienen ein Stallgebäude mit Offenstall (und Sattelkammer) und zwei weitere Offenställe rechts und links davon.

Seit Mitte Mai arbeiten wir wieder praktisch mit den Pferden und sind, zur Freude der Nachbarn, aber vor allem zu unserer, wieder regelmäßig auf dem Reitplatz zu Gange. Davon demnächst mehr...

Autor: dshengis
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