Die Entwicklung des Damensattels

Rund ums Thema Pferd und die klassische Reitkunst

Moderator: Josatianma

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Josatianma
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Die Entwicklung des Damensattels

Beitrag von Josatianma »

Diese, sehr verkürzte, Entwicklungsgeschichte des Damensattels soll einen kleinen Überblick über die diversen Sattelformen geben. Der Einfachheit halber beziehe ich mich bei meinen Ausführungen auf den links-sitzigen Damensattel, wobei es im Lauf der Geschichte immer auch rechts-sitzige Sättel und Gründe für den rechten Seitsitz gegeben hat. Ferner gehe ich von einer Reiterin aus, wobei es natürlich auch immer im Seitsitz reitende Herren gegeben hat, sei es aus praktischen oder gesundheitlichen Gründen oder weil sie als Ausbilder tätig waren. Des Weiteren beziehe ich mich bei der zeitlichen Datierung auf das früheste Erwähnungs- bzw. Abbildungsdatum. In der Regel wurden die etablierten Sattelformen aber noch lange weiter hergestellt und benutzt, und die moderneren Varianten immer erst von den aktiveren Reiterinnen verwendet, da jeder entscheidende Entwicklungsschritt des Damensattels eine verbesserte aktive Einflussnahme der Reiterin auf das Pferd mit sich brachte und damit auch eine Entwicklung der eigenen reiterlichen Fähigkeiten voraussetzte.

Der Damensattel entwickelte sich laut Jules Pellier aus der so genannten Sambue, die im 13. Jahrhundert sehr verbreitet war. Dieser Sattel war mit einem seitlichen Fußbrett ausgestattet auf dem die Füße der Reiterin ruhten, während ihr Körper im 90° Winkel zur Bewegungsrichtung des Pferdes zeigte, sie also komplett seitwärts saß. Somit waren schnellere Gangarten ausgeschlossen und das Reittier wurde in der Regel geführt. Diese Reitart, Bauernsitz genannt, wurde in Teilen Europas bis ins 20 Jahrhundert angewendet, verlangte aber ein Reittier von ruhigem Gemüt.

Die Einführung des so genannten Amazonen-Sitzes, ca. 1380, der bereits eine gewisse Drehung der Reiterin in Reitrichtung mit sich brachte, wird Anna von England zugeschrieben. Dabei ruhte nur noch ein Fuß auf dem seitlichen Brettchen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich neue Sattelformen, denen zum Beispiel der Vierspitz-Sattelbaum zu Grunde lag. Alle diese Sättel (a la Fermière) hatten jedoch Lehnen und Bögen um der Reiterin einen gewissen Halt zu verleihen und keine Gabel, geschweige denn Sattelhörner.

Die Erfindung der Gabel wird Maria de Medici im 16. Jahrhundert zugeschrieben. Die ausladenden Kleider ihrer Zeit erfordernden aus Platzgründen eine Unterbrechung der Verbindung von Sattelknauf und Lehne. Maria nutzte angeblich die Lücke um ihr rechtes Bein hineinzulegen und aus diesem Prinzip entstand der Gabelsattel, der seiner Reiterin entscheidend mehr Halt bot und die Körperhaltung der Reiterin noch weiter in Reitrichtung brachte.

Gabelsättel wurden bis ins ausgehende 19.Jahrhundert hergestellt und werden gelegentlich zum Kauf angeboten. Wobei wir in der Gegenwart angekommen sind.

Der Gabelsattel hat einen symmetrischen Sattelbaum, der den asymmetrischen Sitz der Reiterin jedoch nicht genügend ausgleicht. Dies hat häufig ein Rutschen des Sattels zur Folge, dem man mit zwei sehr langen Ortenden am Kopfeisen entgegenzuwirken versuchte. Des Weiteren haben Gabelsättel keinen zurück geputzten Vorderzwiesel, was ein sehr hohes, rechtes Knie in Relation zum Gesäß der Reiterin zur Folge hat. Diese vorgegebene Sitzposition nennt man „dipped seat“, die Linie des Sattels „uphill“ oder bergauf. Gabelsättel sind aufgrund der langen Ortenden, die das Pferd nicht selten im Brustkorb einengen oder in der Schulterfreiheit behindern, sehr schwer an unsere heutigen Pferde anzupassen.

Der nach hinten verlagerte Schwerpunkt der Reiterin, dem sie nur sehr mühsam entgegenwirken kann, bringt einen erhöhten Druck im Bereich der Niere des Pferdes mit sich. Die Gabel bringt zudem nur wenig Halt (im Vergleich zum modernen Damensattel) und birgt ein erhöhtes Risiko für die Reiterin in einer unkontrollierten Situation zu stürzen.

(Ich persönlich glaube daher, dass Gabelsättel wundervolle Museumsstücke sind, die oft herausragende Sattlerarbeit zeigen und allein aufgrund der Verarbeitung und des verwendeten Materiales unbedingt erhaltenswert sind. Ihre Funktion hat sich mit den modernen Erkenntnissen über die Physiognomie des Pferdes und seiner biomechanischen Bewegungsabläufe jedoch überholt.)

Die entscheidende Erfindung des Einschraubhorns, auch Jagdhorn oder leaping head genannt, kam Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieses neue, untere Horn bot nun dem linken Bein eine Unterstützung und war die Vorraussetzung für den modernen, nach vorne gerichteten Sitz, bei dem die Reiterin ihren Schwerpunkt in Höhe der Schwerpunktachse des Pferdes (im Bereich des 15. Brustwirbels) verlagert. Das rechte Horn der Gabel (es gab in der Übergangszeit auch so genannte Dreihornsättel) bildete sich langsam, weil überflüssig geworden, zurück. Die Sitzfläche der Sättel wurde flacher, der Vorderzwiesel wurde aus diesem Grund zurückgeputzt, und die Sattelbäume wurden asymmetrisch, mit einem, immer noch notwendigen, langen Ortende links, einer leichten Seitenverschiebung der Sitzfläche nach rechts, sowie einer konstruktionstechnischen Verstärkung unterhalb des linken Gesäßknochens.

Diese Details erlauben es heute der Reiterin nahezu gleichmäßig (Schultern und Hüfte parallel zu Schultern und Hüfte des Pferdes) zu sitzen, und dem Pferd sich uneingeschränkt unter dem Damensattel zu bewegen……

….die Grundvoraussetzung für die klassische Reitkunst!


Sefton
Oktober 2006
Liebe Grüße, Sabine

Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren

"Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt" Mahatma Gandhi
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