Jean-François Pignon in Schmelz (Saarland)

Alle subjektiven Kursberichte erscheinen an dieser Stelle

Moderator: Josatianma

Antworten
Benutzeravatar
chica
Admin
Beiträge: 5813
Registriert: Di, 19. Sep 2006 20:59
Wohnort:

Jean-François Pignon in Schmelz (Saarland)

Beitrag von chica »

Jean-François Pignon in Schmelz (Saarland) vom 23. bis 24.07.2008

Jean-François Pignon (39 Jahre alt) ist einer der Stars der Freiheitsdressur von Pferden, die er weltweit in Shows und auf Messen zeigt, meines Wissens aber der einzige, der auch Kurse in dieser Disziplin gibt, in denen er Pferdebesitzern und auch Teilnehmern ohne Pferd die Basis seiner Freiarbeit vermittelt. Für weitere Informationen zu seiner Person und seinen Pferden bitte auf seiner Seite www.jfpignon.com nachlesen.

Ohne Erwartungen, einfach, weil ich einem „Meister der Freiarbeit“ mal über die Schulter sehen wollte, meldete ich mich zu dem zweitägigen Kurs in Schmelz an. Der erste Tag begann um halb neun mit einem Treffen aller Kursteilnehmer (neun mit Pferd, etwa nochmal so viele ohne) zur Besprechung. Nachdem Jean-François sich und seine hauptsächliche Dolmetscherin Andrea kurz vorgestellt hatte, bat er uns zunächst, unsere bisherigen Kenntnisse über die Arbeit mit Pferden für die kommenden beiden Tage zu vergessen und uns einfach auf seine Art der Freiarbeit einzulassen. Erst danach sollten wir entscheiden, ob und wieviel wir dann davon übernehmen wollten oder eben nicht.

Die Basis seiner Arbeit wird gebildet aus Ruhe (des Menschen im Umgang mit dem Pferd), Konsequenz (bis das Pferd das Gewünschte tut), gerechtem Handeln (gegenüber dem Pferd) und Liebe (zum Pferd). Wie auch andere Ausbilder arbeitet Jean-François nach dem Prinzip, dem Pferd unerwünschtes Verhalten unbequem zu machen, erwünschtes Verhalten aber sofort zu belohnen, indem man ihm eine Pause gibt, in der das Pferd, aber auch der Mensch sichtbar entspannen sollen. Das Unbequem-machen erfolgt mittels der Gerte, dem wichtigsten und einzigen Instrument in seiner Arbeit. Sie wird immer so eingesetzt, dass sich die Berührungsintensität beim Touchieren auf einer Skala von 0 bis 10 möglichst ohne Sprünge verstärkt (da „Steigerung der Berührungsintensität“ so ein sperriger Begriff ist, verwende ich im weiteren den französischen Begriff des „Crescendo“ dafür, den Jean-François auch benutzt hat). Dadurch wird dem Pferd einerseits Gelegenheit gegeben, selbst zu entscheiden, bei welcher Berührungsintensität es reagieren möchte, andererseits werden die Pferde dadurch sensibilisiert, mehr auf den Menschen zu achten und seine Signale frühzeitiger zu befolgen. Nach einer kurzen Erläuterung der Übungen, die an diesem Tag durchgeführt werden sollten, nämlich der Respektsübung und der Rechts-Links-Übung, war der theoretische Teil beendet, und wir begaben uns alle auf eine große abgemähte Wiese, um uns in der Praxis zu üben.

Die Teilnehmer mit Pferd wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, wobei immer ein Pferdebesitzer mit seinem Pferd arbeiten sollte, ein anderer Pferdebesitzer als Beobachter dabei war. Am Nachmittag wurde entsprechend gewechselt. Da es auch Teilnehmer gab, die an allen vier Tagen dabei waren, bat Jean-François diese, uns als erstes die Respektsübung an ihren Pferden, die mit Halfter und Strick ausgerüstet waren, vorzustellen. Dabei geht es darum, dass das Pferd jederzeit auf den Menschen achten soll, ihm dabei aber nicht auf die Pelle rücken und natürlich weder rempeln, überholen, in die Taschen kriechen oder ähnliches darf. Ziel war, ein Pferd am Strick zu haben, dass ruhig steht, wenn der Mensch ruhig steht (gucken und sogar grasen war erlaubt!), aber sofort reagiert, wenn der Mensch auch nur einen Schritt macht. Kam die Reaktion, die vom Wenden des Kopfes bis zum Verfolgen des Menschen reichen konnte, gab es sofort die entspannende Pause. Kam sie nicht, wurde mit der Gerte an der Flanke im Crescendo touchiert, bis eine Reaktion erfolgte. Bereits hier konnte man gut sehen, dass die Menschen häufig mit dem linearen Ansteigen der Berührungsintensität überfordert waren, sich nicht trauten, auch mal stark zu touchieren oder nicht rechtzeitig aufhörten, wenn das Pferd eine Reaktion zeigte. Hierbei gefiel mir nicht so, dass im Crescendo auch auf dem Nasenrücken des Pferdes touchiert wurde, wenn es zu dicht an den führenden Menschen herantrat.

Während nach der Demonstration nun die Pferdebesitzer anfingen, mit ihren eigenen Pferden zu üben, ging Jean-François herum, gab Tipps, korrigierte, arbeitete die Pferde auch selbst und erklärte unermüdlich. Wir pferdelosen Teilnehmer begleiteten ihn dabei, konnten auch Fragen stellen und fotografierten natürlich, was die Kameras hergaben ;-). Mit unerschöpflicher Energie demonstrierte und erläuterte Jean-François, blieb immer freundlich und ermunterte alle Teilnehmer, bei Unklarheiten sofort nachzuhaken. An dieser Stelle einmal großer Dank an die Dolmetscherinnen Andrea und Eva, die sich die größte Mühe gaben, die zum Teil schwierigen Sachverhalte für uns zu erklären.

Nachdem es bei den meisten Teilnehmern mit dem Respekt ihrer Pferde ganz gut klappte, wurde die nächste Übung vorgestellt, das so genannte Rechts-Links, eine Schlüsselübung auf dem Weg zur Freiarbeit, weil hierbei das Pferd darauf konditioniert wird, auf einen Gertenimpuls zuzutreten statt ihm zu weichen. Dies führt in der späteren Freiarbeit dazu, dass es möglich ist, weit entfernt stehende Pferde zum Beispiel durch einen Peitschenknall zu sich zu rufen. Beim Rechts-Links, das vom führenden Menschen viel Körperkoordination verlangt, führt der Mensch das Pferd zunächst einige Schritte, greift dann den Führstrick unterhalb des Hakens (Panikhaken eignen sich dabei nicht wirklich, weil sie sich zu leicht öffnen!), drückt den Pferdekopf von sich weg und touchiert dabei leicht unter dem Pferdehals hindurch die Schulter, die sich auf der abgewandten Seite befindet. So lässt man das Pferd auf den Gertenimpuls hintreten, und erstaunlicherweise verstanden diese Übung die meisten Pferde schneller als ihre Menschen ;-). Besonderen Wert legte Jean-François bei allen Übungen darauf, dass von den Pferden immer nur kleinste Reaktionen verlangt wurden, die unmittelbar von den Entspannungspausen gefolgt wurden.

So verging der Vormittag wie im Fluge, und nach der eineinhalbstündigen Mittagspause wurde die zweite Pferdegruppe gearbeitet und beobachtet. Sehr interessant war dabei zu sehen, wie schnell und gut die fremden Pferde auf Jean-François reagierten. Er sieht aufgrund seiner langjährigen Erfahrung natürlich selbst die kleinsten Signale eines Pferdes, hat aber auch eine so ausgeprägte eigene Körpersprache, dass es für die Pferde leicht war, ihn zu verstehen. Hier sehe ich Probleme für Otto Normalreiter, das im Kurs erlernte auch zu Hause allein weiter richtig anzuwenden, denn es war offensichtlich, dass es selbst mit Hilfestellung schon schwierig war, die Übungen korrekt auszuführen. Die größten Probleme gab es jedoch beim Crescendo im Touchieren, bei der Dauer der Übung und bei der Pause danach. Viele Pferdebesitzer waren viel zu ehrgeizig dabei und hatten Mühe zu lernen, dass auch ein einziger entspannter Schritt schon ein Ende der Übung und eine entsprechende Pause bedingt.

Am Ende des ersten Tages gab es dann noch Verladetraining für die Pferde, deren Besitzer Probleme dabei haben, und ich muss leider sagen, dass mir dies überhaupt nicht gefiel, weil Jean-François dabei sein Prinzip des einen einzigen entspannten Schrittes nicht einhielt. Das lag natürlich mit daran, dass es bei den Übungen darum ging, die Pferde auf bestimmte Signale hin zu konditionieren, beim Verladen aber darum, das Pferd in den Hänger zu bekommen. Es gab für mich einige unschöne, weil verletzungsträchtige Szenen, und ich hätte mir gewünscht, dass auch hier das Prinzip eingehalten worden wäre, nach einer gelungenen Teilübung Schluss und am nächsten Tag weiterzumachen.

Nach einem fast zwölfstündigen Trainingstag für uns gab es dann am Ende noch eine halbstündige Trainingseinheit für die sechs Pferde, die Jean-François mitgebracht hatte und die auf einer etwa ein Hektar großen Weide standen. Hier konnte der Show-Mann Pignon dann mal richtig aufdrehen und zeigte uns, was man mit seiner Freiarbeit alles erreichen kann: sechs Pferde, die ohne Sattel und Zaumzeug dirigiert und geritten werden, die Showeinlagen vom Hinlegen übers Steigen bis zu Lektionen der Hohen Schule zeigen, auf denen er stehend im Galopp über die Wiese donnert - das war schon recht beeindruckend. Und hier gab es auch mal Koseworte, Streicheleinheiten und Stimmkommandos für die Pferde, was während unseres Kurses schon fast streng verpönt war. Plötzlich merkte man, auch Jean-François Pignon ist nur ein Mensch, der seine Pferde liebt und sich gewisse Nachlässigkeiten nicht verkneifen kann ;-).

Am zweiten Kurstag gab es zunächst wieder einen Theorie-Teil, in dem die Übungen des Tages erklärt wurden, dann ging es wieder auf die Wiese zur praktischen Arbeit. Nach der Wiederholung der Übungen vom Vortag stand erstes das „Auf-den-Menschen-zukommen“ auf dem Programm. Dabei steht der Mensch frontal vor dem Pferdekopf mit etwa einer Armlänge Abstand. Durch minimalen Zug am Strick und gleichzeitigem Touchieren an der Schulter soll das Pferd lernen, einen Schritt auf den Menschen zuzumachen. Dies soll das Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Pferd so festigen, dass es später ohne Strick geht und auch keine Rolle mehr spielt, wohin (zum Beispiel in den Hänger) oder worüber (zum Beispiel über eine Plane) das Pferd den Schritt setzt. Hier drifteten einige Pferde bei Berührung der Schulter weg, was sich aber mit zunehmendem Training besserte. Bei wem das klappte, der konnte sich daran versuchen, sein Pferd mit dieser Methode über eine Plane zu lotsen, wobei sich schnell die Spreu vom Weizen trennte, denn einige Pferde rammten die Beine in den Boden und sagten ganz einfach erstmal „Nein“. Durch Beharrlichkeit und Konsequenz der Menschen fassten diese Pferde aber mehr und mehr Vertrauen zu ihren Führern, so dass selbst der größte Angsthase schlussendlich entspannt Schritt für Schritt über die Plane ging. Diejenigen, die schon an den beiden vorangegangenen Tagen im Kurs waren, konnten schon das Longieren am langen Strick versuchen, inklusive Richtungswechseln durch die Rechts-Links-Übung. Bei diesem Longieren konnte man sehr gut erkennen, welches Pferd schon stark auf seinen Menschen fixiert war, denn bei diesen hing der Strick permanent durch, die Pferde kreiselten praktisch um ihre Menschen, ohne dass diese sie irgendwie halten mussten. So war es nur noch ein kleiner Schritt, in einen Extra-Paddock zu wechseln, Halfter und Strick zu entfernen und zu versuchen, die Kursübungen frei zu probieren, was zugegeben mal besser, mal schlechter funktionierte. Und wer dann immer noch nicht genug hatte, konnte versuchen, sein Pferd unter einer zwischen zwei Hängern angebrachten, flatternden Plane durchzulotsen.

Auch an diesem Tag war Jean-François unermüdlich stets zur Stelle, wenn Kursteilnehmer nicht zurechtkamen oder Fragen hatten, und auch am Ende dieses Tages gab es nochmals eine gut halbstündige abendliche Trainingseinheit/Vorstellung mit seinen Pferden, wobei es diesmal eine kurze Meinungsverschiedenheit mit einer Stute gab. Ihr fehlte wohl die richtige Motivation, denn sie scherte einfach aus, gab Vollgas und preschte über die Wiese. Da konnten wir Jean-François dann mal eben hinterherrennen sehen, um das Pferd wieder einzusammeln. Als sie dann aber nach ein paar Minuten endlich reagierte und auf Kommando zu ihm kam, erlebte man noch einmal sehr schön das Prinzip, das erwünschte Verhalten sofort mit einer Pause zu belohnen, denn Mensch und Pferd standen sich entspannt und vertraut einige lange ruhige Sekunden gegenüber.

Mein persönliches Fazit des Kurses: Es war spannend und interessant, Jean-François’ Methode der Freiarbeit kennenzulernen, und ich habe eine Menge mitgenommen, auch wenn ich mich nach den beiden Tagen entschieden habe, nicht nach seiner Methode mit meinem Pferd zu arbeiten. Insgesamt ist sie mir zu gertenlastig, außerdem lehne ich es ab, ein Pferd am Kopf zu touchieren, weil man sich da schnell ein kopfscheues Tier einhandeln kann. Er braucht für die Shows Pferde, die hundertprozentigen Respekt zeigen und hundertprozentig „funktionieren“. Ich möchte mit meinem Pferd aber eher partnerschaftlich arbeiten und nehme daher in Kauf, dass es auch mal seinen eigenen Kopf durchzusetzen versucht. Außerdem hätte ich Sorge, dass ich mein Pferd durch das Prinzip des Hintretens auf einen Gertenimpuls eher verwirre, da es eben gewohnt ist, dem Gertenimpuls zu weichen. Aber es gibt ja immer mehrere Wege zum Ziel, und es hat noch nie geschadet, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Insofern kann ich sagen: Es hat sich voll und ganz gelohnt!

Verfasserin: Nora
LG Ines
................................................
"Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart."
(Noël Pierce Coward)
Bild
Benutzeravatar
ottilie
User
Beiträge: 5400
Registriert: Fr, 22. Jun 2007 12:00
Wohnort: Oberbayern

Beitrag von ottilie »

Ein schöner und ausführlicher Bericht!
Vielen Dank - auch für die Fotos an anderer Stelle.
Grüsse von
ottilie
Es grüsst ottilie
~~~~~~~~~
Wo die Kraft anfängt, hört das Gefühl auf (Moshe Feldenkrais)
Benutzeravatar
Medora
User
Beiträge: 3278
Registriert: So, 24. Sep 2006 16:44
Wohnort: Niedersachsen
Kontaktdaten:

Beitrag von Medora »

Prima Bericht, Iris - danke schön!!!

Medora
Antworten