Agieren und Reagieren

Allgemeines rund ums Pferd

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Lesley
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Beitrag von Lesley »

Ich sehe jetzt auch nicht ein, warum ein Pferd, das artgerecht gehalten wird und genug Bewegung auf der Koppel hat, sich vor dem Reiten oder Longieren "austoben" muss.
Das sehe ich eindeutig als ein Zeichen von mangelndem Respekt.

Wie Jen sagt, nimmt sich das Pferd oftmals vorher schon kleine Freräume aus, z.B. beim Führen und Putzen. Nur merken es viele Reiter nicht. So schafft sich das Pferd immer mehr kleine Freiräume und stellt immer mehr die Führungsposition des Menschen in Frage.
"Wissen, das nicht jeden Tag mehr wird, wird jeden Tag weniger!"
(Chin. Sprichwort)
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Medora
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Beitrag von Medora »

Wenn ich was bei der Ausbildung von Anthony gelernt habe, dann ist es, dass ich mir sehr gut im Vorfeld überlege, was ich durchsetzen kann und was wahrscheinlich nicht.

Wenn ich also z.B. an einem knackig-kalten Tag merke, dass mein Youngster lustig ist, lass ich ihn auf jeden Fall erst einmal toben, bevor ich Konzentration von ihm verlange oder mich draufsetze. Damit gebe ich aus meiner Sicht nicht "klein bei", sondern ich bin schlau genug, nicht in einen Kampf zu gehen, der erstens unnötig ist und zweitens auch nicht immer zu gewinnen ist.

Das "sich durchsetzen" kläre ich lieber wir Jen bei all den vielen kleinen Alltagsanlässen im Vorfeld und nicht, wenn mein Pferd einfach mal Dampf ablassen muss. In solchen Fällen sehe ich es so, dass mein Pferd reagiert und zwar auf innere Prozesse und ich agiere, indem ich ihm den Raum dafür gebe und nicht versuche, das zu unterdrücken. So kann ich sicherstellen, meine Position zu wahren und kann dann meine Anforderungen danach viel leichter durchsetzen.

Anthony habe ich gerade zu Beginn sehr oft erst einmal in der Freiarbeit ein bisschen rennen lassen, aber sein Bedürfnis danach, erstmal zu toben, ist immer geringer geworden. Manchmal findet er es jetzt einfach überflüssig, stellt sich hin und scheint zu sagen: "Lass uns anfangen" :D

Medora
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

Danke schon mal für Eure vielen Antworten.

Haltungsmäßig haben wir sicherlich kein Problem, da unsere beiden nicht in Boxen stehen, auch nachts auf dem Paddock sind (der länglich angelegt ist und wo sie auch ausgiebig toben können) und z. Zt. tagsüber immer auf der Weide sind. Vor der Longeneinheit stand Amor auch auf der Weide.

Beim Führen haben wir auch keine Probleme. Wird Amor beim Führen mal unaufmerksam, lenke ich seine Aufmerksamkeit wieder auf mich, indem ich z. B. schneller oder langsamer, auch mal in Zeitlupentempo gehe, dann plötzlich wieder schneller.

Seine Buckel-Anfälle hat er meist - von wenigen Ausnahmen vor einem Galopp im Gelände mal abgesehen, wobei sich das allerdings auf ein oder zwei kleine Hopser beschränkt - an der Longe.
Lesley hat geschrieben:Wie Jen sagt, nimmt sich das Pferd oftmals vorher schon kleine Freräume aus, z.B. beim Führen und Putzen. Nur merken es viele Reiter nicht. So schafft sich das Pferd immer mehr kleine Freiräume und stellt immer mehr die Führungsposition des Menschen in Frage.
Das habe ich mir auch schon überlegt. Evtl. übersehe ich aufgrund meiner Guckerei auf die Fußfolge, das korrekte Spuren, etc. am Anfang einer Longeneinheit einige Signale. Bei der nächsten Einheit werde ich daher die ersten Minuten mal auf das Pferd als Ganzes achten, als mich nur auf einzelne Partien zu konzentrieren. Das habe ich bislang sicherlich immer falsch gemacht.

Und sicherlich hat das Pferd in erster Linie und insbesondere aus Gründen der Sicherheit schon mal das zu machen, was ich vorgebe. Mit meiner Überschrift "Agieren und Reagieren" wollte ich eigentlich mehr auf meine - recht späte :oops: - Beobachtung hinweisen, daß es bei jeglicher Arbeit mit dem Pferd doch sehr auf den richtigen Zeitpunkt und das Eingehen auf das Pferd ankommt und man dadurch viel besser Dinge in der Ausbildung "unterstreichen", dem Pferd besser vermitteln kann, wenn man anstatt dem einfachen Vorgeben von Aufgaben auch mal auf die Belange des Pferdes reagiert.

Mmh, wie ich Amor das Buckeln bzw. insbesondere das Ausschlagen in meine Richtung beim Longieren abgewöhnen soll - da weiß ich mir derzeit noch keinen Rat. Vorschläge???

Ich hatte allerdings bei der Einheit auch nicht das Gefühl, daß ich ihm nachgegeben hätte. Er hat ja deutlich gemacht, daß er keinen Bock hat. Hat das mit Buckeln, Quietschen und Ausschlagen deutlich gemacht. Entlassen habe ich ihn nicht (habe die Longe festgehalten und mich nicht mitziehen lassen), sondern habe mich umgestellt, bin eher auf ihn eingegangen, wenn er mal einen positiven Aspekt gezeigt hat. Das hat er dann angenommen.
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
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Sunknúni
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Beitrag von Sunknúni »

Ja und nein...


In einem gewissen Rahmen kann sich ein Pferd durchaus auch mal auf dem Platz austoben. Denn nicht immer ist ganzjährig eine Weide gegeben. Und selbst wenn sehe ich beispielsweise Junito sehr selten auf der Weide toben, da ihm erstens das Fressen wichtiger ist und er zweitens die anderen Pferde wenig zum Spielen animieren kann. Ich spiele zwar sehr selten mit ihm, aber offenbar mag er es auch schon wenn ihm jemand zuguckt :roll:
Ob das Testen ist? Ich denke nicht, da ich ihn nahezu jederzeit Anhalten, ihn Herrufen und und ihn ruhig hinstellen kann, da nie etwas gegen mich geht und ich sehr auf meine Körpersprache und Kleinigkeiten achte.
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smilla
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Beitrag von smilla »

Sunknúni hat geschrieben:Ob das Testen ist? Ich denke nicht, da ich ihn nahezu jederzeit Anhalten, ihn Herrufen und und ihn ruhig hinstellen kann, da nie etwas gegen mich geht und ich sehr auf meine Körpersprache und Kleinigkeiten achte.
Denke ich auch nicht (dass das Testen ist). Aber da kommt es sicher sehr auf eure vorige Kommunikation an! Das nimmt man natürlich mit in die Freiarbeit.
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ist ja nicht so dass bei uns immer alles superperfekt war/ist und pferdchen wie "ein Örgeli" (eine kleine orgel) läuft. Aber vielleicht noch ein kleiner Gedankenanstoss, der mir sehr viel gebracht hat: Die Energie, welche das Pferd beim Toben verbraucht könnte es eigentlich auch positiv nutzen und in die Arbeit stecken. Sicher bei ganz jungen Pferden schwieriger als bei schon gefestigteren, aber ich denke, man lässt sich doch manchmal zu sehr verleiten sich "einzufummeln" bis es schön harmonisch läuft, anstatt dass man gleich von Anfang an 100%-Aufmerksamkeit fordert. jedenfalls mir ging es so und meine RL hat mir da schon etwas ins Gewissen geredet und was soll ich sagen. Seit ich mich viel mehr darauf achte, von meinem Pferd auch mehr zu verlangen - nicht im Sinne von Lektionen sondern im sinne von Intensität und Aktivität und Energie - seither sind wir beide viel zufriedener und viel konzentrierter bei der Sache. Moik ist ja gerne etwas auf dem Auge, also guckig, besonders in fremden Hallen oder wenn unser nachbar in seinem Garten werkelt (gleich neben dem Platz). Da zuckt moik doch gerne mal zusammen oder macht ein paar schnellere Tritte oder hüpft zur Seite. Nun, während der Arbeit hat er gar keine Zeit, da wir beide so konzentriert sind, weil ich nicht versuche die Energie "abzublocken" oder aufzufangen, sondern nur versuche die Energie "umzulenken" in positive Bahnen. Noch schwierig zu erklären. Aber es funktioniert :D und im Gegensatz dass es ihn spanniger machen würde (was passieren würde, wenn die Energie zusammengepackt werden würde, statt rausgelassen) macht es ihn ruhiger und konzentrierter.
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
Sheitana
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Beitrag von Sheitana »

Es gibt einfach Tage, wo Georgia lustig drauf ist und Spaß daran hat zu Buckeln und Blödsinn zu machen. Manchmal mache ich sogar mit. :wink:
Ich wüsste nicht, warum ich ihr das verbieten sollte, kann ich es doch jederzeit abbrechen.

Auch habe ich nicht das Gefühl, dass es danach bei der Arbeit an Energie fehlt. Eher im Gegenteil.
LG
Sheitana
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heike61
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Beitrag von heike61 »

hallo..,

es ist sehr schwierig da konkrete tips zugeben, da man die gesamte situation nicht gesehen hat, sondern nur einen teilausschnitt beschrieben bekommt:---- buckeln,toben ander der longe.

manchmal sind es nur viele kleine winzige "problemchen", die sich summieren und in sich in dem vermeintlichem problem: "ausrasten an der longe" äußern.

oft ist es "nur", dass man selbst nicht die aufmerksamkeit aufbringt, die man dann auf dem longierplatz von dem pferd erwartet.
für ein pferd ist dieser "wechsel" des menschens oft nicht "berechenbar"--- (folgen daraus: unsicherheit)

bei der problemanlyse würde ich ersteinmal den fokus auf :
die selbstkontrolle der eigenen präzision lenken. (ab kontakt mit dem pferd --- und nicht erst wenn ich auf dem longierplatz bin)
da wird mit sicherheit einiges zu finden sein -- (auch wenn sich "probleme" nicht drastisch äußern)

sollte dann ein buckeln vor dem angaloppieren immer noch vorhanden sein --- könnten eventuel auch versteckte verspannungen in frage kommen oder,oder oder...... dann neue problemanalyse starten....usw.

wie gesagt---- die probleme, die zum eigentlichem Problem führen, deren ursachen können auf seiten des menschens oder/und auf der seite des pferdes liegen.
die ursachen(ursprünge) klar aufzudecken, dies ist die herausforderung (an uns selbst) --- selten liegen die ursachen nur bei dem pferd.

je klarer man sich selbst analysieren kann, desto leichter fällt mit der zeit die problemlösung.

lieben gruß
heike

ps. in welche richtung das pferd buckelt--hm.... sehe ich nicht als so "dramatisch" :wink: an...............
Wenn du weitergehst, ändert sich deine Perspektive!
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paris
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Beitrag von paris »

was jen übers energie-umleiten schreibt, kenne ich auch recht gut ;)
mein pferd ist charaktermäßig eine ziemliche rakete (sein drahtiger körper passt da auch recht gut dazu *g*) abgesehen davon, dass er ziemlich ausflippen kann, wenn man nicht fein genug mit ihm arbeitet (was ich ihm allerdings nicht nur zugestehe, sondern auch hoch anrechne), hat er generell früher dazu geneigt, heiß zu werden. was damals ein problem für mich war (ihn wieder runterzubringen) fließt heute ganz selbstverständlich in die arbeit ein - heute ist es viel mehr ein sich-aufbauen und schön-sein-wollen.

allerdings hatten wir dazwischen auch eine phase, wo er gelernt hat, loszulassen und entspannt und ruhig zu arbeiten - innen ruhig zu werden; reiten/arbeit nicht mit streß oder unwohlsein zu verbinden. das war die sich-einfummeln, harmonie zeit ;)
ich bin der meinung, dass man nur aus der losgelassenheit heraus positive spannung aufbauen kann.

und um nicht komplett off-topic zu geraten:
ad agieren/reagieren:
neben den "kleinigkeiten im vorfeld abklären" find ich es auch ganz wichtig, am jeweiligen tag die stimmung des pferdes zu erkennen und das program dementsprechend zu gestalten.
wenn mein pferd einen schlappen, unmotivierten tag hat, dann machen wir einen gemütlichen ausritt (wenns mir genauso geht wie ihm), oder ich motivier ihn erstmal spielerisch mit lieblingslektionen und hutschigutschi (wenn ich hyperaktiv bin *g*), dann ist er auch für arbeit motiviert.
wenn er einen narrischen tag hat, kommts drauf an. wenns pms-mäßiges narrischsein ist, gehn wir ins gelände galoppieren, wenns ich-hab-zum-frühstück-narrische-schwammerln-gegessen-narrischsein ist, mach ich freiarbeit, spiel mit ihm, lache meistens viel und nutze die gelegenheit um vielleicht neue spielereien oder lektionen zu erarbeiten. wenns ein heut-könnt-ich-der-welt-einen-haxen-ausreißen-narrischsein ist, geh ich mit ihm auf den platz und lass mir zeigen, was er nicht für ein tolles pferd ist *g* da funken dann lektionen, bei denen er sich sonst eher schwer tut, wie butter, er versammelt sich mit leichtigkeit und ist überhaupt so, dass mir die kinnlade runterklappt und ich den restlichen tag mit einem verklärten grinser durch die gegend lauf :lol:

fazit: ich lasse mein pferd eigentlich recht viel agieren, lasse ihn sehr viel in die arbeit miteinbringen. aber das sehe ich auch von pferd zu pferd unterschiedlich. soviel freiheiten, wie sich meiner bei mir rausnehmen darf, gebe ich auch nicht jedem pferd.
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ninischi
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Beitrag von ninischi »

*seufz* Jen und Paris - das sind wunderschöne Gedankenansätze.
Ich hoffe sehr, dass es mir irgendwann gelingt, die ganze Energie meiner Jungspündin so positiv für die Arbeit zu nutzen. Dann wird wahrscheinlich doch noch ein Grand-Prix-Pferd draus :D (An einem Mangel an Energie soll das jedenfalls nicht scheitern...)
"Reiten ist die Suche nach Schönheit, Geradlinigkeit und Wahrheit."
Nuno Oliveira
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