Lernpsychologie

Allgemeines rund ums Pferd

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Alix_ludivine
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Beitrag von Alix_ludivine »

heike61 hat geschrieben:ich bin mir jedoch sicher, dass pferde einen zusammenhang erkennen können, ob der mensch bei ihm "körperliches unwohl-sein" durch "reiten" ausgelöst hat.
Ich habe das aus dem Aspekt Wanderreiten gesehen und das der Reiter es dem Pferd halbwegs bequem macht :wink:
Wenn beide an dem Wanderreittag mit Freude marschieren, dann kann es trotzdem zum Muskelkater kommen. Wenn der Reiter das Pferd am Wanderreittag noch ordentlich mit reiterlicher Unkenntnis gequält hat, dann wird das sicher das Pferd nicht wirklich mit einer guten Erfahrung verbinden, aber Muskelkater hat es trotzdem an nächsten Tag...

Und das körperliches Unwohlsein durch Reiten ausgelöst wird.. Den Zusammenhang kennen viele Pferde und dazu braucht's auch keinen Wanderritt.. :?

LG Alix
"Erst gehen lernen, dann dressieren" (Udo Bürger)
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Cat_85
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Beitrag von Cat_85 »

Gawan hat geschrieben:
Zitat:
Was mir auch noch aufgefallen ist: Wenn ich Gawan auf der Weide zu mir rufe und das Halfter dabei habe (ihn also von der Weide holen will), strahlt er häufig, bevor er zu mir kommt.

Für mich ein ganz klassisches Beispiel für postive Assoziation (wieder gelernt durch Konditionierung). Er verbindet mit dir Positives. Und wer freut sich da nicht. Jedes Lebewesen sucht Orte oder andere Individuen auf, mit denen es Positives verbindet.
Ähem, mit dem Wort "strahlen" meinte ich hier nicht, dass er sich freut, sondern dass er "sich erleichtert", "austritt", "Wasser lässt" bzw. schlicht und einfach pisst. Weiss jetzt nicht, ob ich mich dadurch geschmeichelt fühlen sollte.
Oh sorry, das hab ich total missverstanden. :oops: Ich ging vom "strahlen wie die Sonne" aus, verstehst du? Also, dass er sich freut, aufmerksam schaut, wiehert oder was auch immer.
gimlinchen hat geschrieben:ich glaube, wenn man mal einräumt (nur so als gedankenexperiment), dass pferde viel mehr können als stumpfes konditionieren, dann eröffnen sich interessante beobachtungen. wobei dermechanimsus des verknüpfens von reizen oder ereignissen vermultich schon grundlegend ist
Also ich studiere jetzt gerade und auch heute noch wird sehr viel auf Lernprozesse zurückgeführt. Und es als "stumpfes" Konditionieren zu bezeichnen finde ich nicht gerechfertigt. Auch menschliches Verhalten ist stark von Lerneffekten beherrscht, derer wir uns oft gar nicht bewusst sind. Und ich bin ja auch dafür nachzuhacken, was vielleicht darüber hinausgeht. Aber es ist einfach mal die Grundlage. Und auch wenn das Pferd vielleicht noch über andere Möglichkeiten des Lernens verfügt, sollte man sich in der täglichen Arbeit auf die grundlegenden Dinge beschränken. Da versteht das Pferd wenigstens.
skywalker hat geschrieben:Das Beispiel mit den Rennpferden würde das beweisen ... obwohl wahrscheinlich schon einfach der Umstand, ein REnnen laufen zu müssen ohne entsprechende Muskeln, unangenehm genug ist, um negatives zu assoziieren, da brauchts wahrscheinlich gar keinen Muskelkater am nächsten Tag, da tun die Muskeln schon währenddessen weh genug
Das denke ich auch.
Hestur hat geschrieben:Ja, ich finde zumindest sieht das nach einer Verknüpfung aus, die nicht innerhalb von Sekunden passiert, sondern über Minunten oder Stunden - allerdings im Zusammenhang mit einem regelmäßigen zeitlichen Ablauf
Ja, gerade das "mit einem regelmäßigen zeitlichen Ablauf", da könnte ich mir vorstellen, dass das dann irgednwann auch eine Verbinung im Gehirn zur Folge hat.
lusitano-fan hat geschrieben:das finde ich zum Beispiel eine bemerkenswerte Genralisierung (wenn das immer so geschieht?) ...nicht nur eine bestimmte Person wird gemieden, sondern der 'Typ' der der Person zugrunde liegt...
Die Reizgeneralisierung gehört übrigens auch zum Konditionierungsprozess. Genauso wie die Reizdiskrimination. Wie man also sieht, ist das mit dem Konditionieren gar nicht so simpel, wie es auf den ersten Blick erscheint. Und da wir uns ja nicht im Labor befinden, laufen da wahrscheinlich täglich sehr viele solcher Lernprozesse ab, die dann ein sehr vielfältiges und komplexes Verhalten des Individuums zur Folge haben. Man kann dann noch andere Theorien mit einbeziehen (zum Beispiel die Feldtheorie nach Lewin) und erhält dadurch noch komplexere Erklärung für Verhalten. Alles im Prinzip "simple" Theorien, die als Ganzes gesehen aber dann wieder sehr komplex sind.
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Catja&Olliver
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Beitrag von Catja&Olliver »

Einmal ist mir mit dem Olliver etwas ganz komisches passiert, was ich noch nicht verstanden hab:

Der Olliver trug jahrelang in der Box einen Kopperriemen. Ganz am Anfang hatte ich immer Schwierigkeiten ihm den anzulegen. Dann hatte ich ihm beigebracht, dass er dazu selbstaendig zu mir an die Boxentuer kommen sollte, mir den Hals hinhalten sollte, und stillhalten bis das Ding verschnallt war, und das sowohl zum abnehmen als auch zum wieder anlegen. Das hatte ich ihm ueber die uebliche Konditionierung mit Leckerlies beigebracht und es hat ca. 1 Jahr lang reibungslos so funktioniert.
Dann haben wir die Box getauscht, und in der neuen Box waren wir am Anfang nicht ganz so heimisch, viele taegliche Bewegungsablaeufe mussten umgedacht werden. Dabei hat sich die Sache mit dem Kopperriemen ein bischen verloren, er kam nicht immer, lies sich manchmal lange bitten, manchmal war mir das zu bloede und ich hab nicht immer darauf bestanden, dass er bis an die Tuer zu mir kommt und so. Der Streit ging so ein Paar Monate lang. Eines Abends wurde mir das zu dumm. Ich hab ihn gerufen, er hat sich umgedreht und ist nicht gekommen, ich bin mit der Buerste rein und hab angefangen den Schweif zu putzen, dann die Maehne, dann bin ich wieder rausgegangen, um die Buerste auszuwechseln, und hab ihm den Kopperriemen einfach drangelassen, als haette ich ihn vergessen.
Da ist er mir schnaubend nachgekommen, hat mir den Hals gaaaanz lang hingehalten, als ob er sagen wollte "du bloede Kuh, hier sieh mal, hast du was vergessen". Seit dem Tag hat alles wieder geklappt wie am Schnuerchen, er hat sich nie wieder bitten lassen, weder um das Ding abzunehmen, noch um es wieder anzuschnallen.

Und ich hab immer noch nicht kapiert, wie er nun das verstehen konnte.............
Sheitana
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Beitrag von Sheitana »

@ Catja Ich glaube die Pferde können sowas sehr gut verstehen.

Meine Stute trägt diesen Winter eine Regendecke. Eigentlich sollte sie sie erst nur bei 24h Wiese tragen, ich habe sie jedoch auf draufgelassen, als sie in die Box kam. Eigentlich nur aus Faulheit... :oops: , denn so gibt es bei meinem Schimmelchen keine Mistflecken. :wink: Denn trotz täglich Misten schafft es Georgia immer so zu äppeln, dass sie sich doch reinlegt.

Irgendwann hatte ich dann vergessen die Decke anzuziehen. Es war nicht kalt oder nass, sie hätte sie also nicht gebraucht. Georgia kam dann zu mir, schaute mich an, drehte sich zu der Decke, zog daran, drehte sich wieder zu mir und schaute mich wieder an. Ich zog ihr also die Decke an und sie ging fressen.
Ich glaube ernsthaft, dass sie genau weiß, sie wird nicht dreckig, wenn sie die Decke an hat, denn natürlich ist ihr das unangenehm.

Und was mir gestern noch aufgefallen ist: Wenn ich miste schicke ich sie raus auf ihren Paddock. Doprt äppelt sie dann fast immer nochmal, sodass ich den Haufen beim Rausgehen noch mitnehmen kann. Zufall? Oder doch mit dem Hintergrund, dass ich den Haufen dann noch mit wegmachen?
LG
Sheitana
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Catja&Olliver
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Beitrag von Catja&Olliver »

Was mich gewundert hat:
- Era kannte die "richtige" Prozedur und wollte sich, fuer seinen Teil, nicht mehr daran halten, hat sich mir rumgestritten.
- Dann hab ich mich einmal nicht an die Prozedur gehalten, einfach nur weil ich aergerlich war, nie im Leben haette ich gedacht, dass er daraus etwas lernen koennte.
- Der Streich hat ihm gereicht um einzusehen, dass er sich doch besser wieder an die Prozedur haelt.
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Beitrag von Sheitana »

Catja&Olliver hat geschrieben:Was mich gewundert hat:
- Era kannte die "richtige" Prozedur und wollte sich, fuer seinen Teil, nicht mehr daran halten, hat sich mir rumgestritten.
- Dann hab ich mich einmal nicht an die Prozedur gehalten, einfach nur weil ich aergerlich war, nie im Leben haette ich gedacht, dass er daraus etwas lernen koennte.
- Der Streich hat ihm gereicht um einzusehen, dass er sich doch besser wieder an die Prozedur haelt.
Ich könnte mir vorstellen er findet den Koppriemen doof, es ist ihm vll unangenehm, wenn du daran rumwerkelst (ob nun zu an- oder ausziehen). Dann hat er anscheinend gemerkt, wenn er dich nicht in Ruhe ranlässt muss er ihn länger tragen. Das ist natürlich noch doofer... :wink:

Ich denke schon, dass die Pferde das verstehen können.
LG
Sheitana
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Hestur
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Beitrag von Hestur »

So, jetzt will ich auch mal wieder :mrgreen:
Was für mich ganz klar zu erklären ist, ist wieso er das angelernte herkommen und Hals geben in der neuen Box nicht mehr gemacht hat: Pferde lernen sehr ortsgebunden. Was in der einen Box klappt, kann dem Pferd in einer anderen völlig fremd vorkommen.
Das sehe ich oft bei meiner Stute. Wir haben auf unserem Viereck unser Podest stehen, was sie kennt und wo sie ganz normal draufgeht, ohne Angst oder irgendwas. Jetzt zum Winter habe ich das Teil runtergeholt zur Halle. Als ich das das erste mal in der Halle stehen hatte, kam mein Pferd schaufend mit aufgeblähten Nüstern in die Halle und musste den vermeintlich neuen Gegenstand erstmal genaustens überprüfen.
Ein solches Verhalten ist also kein "herumstreiten", sondern kann durchaus einfach Unwissenheit sein - vielleicht wusste er in dem Moment garnicht genau, was du von ihm wolltest (dass er kommen und sich den Riemen anlegen lassen soll).

Zu der Sache, dass er das gelernte wieder gezeigt hat, als du mal "gedroht" hast, den Riemen einfach dranzulassen, fällt mir jetzt nicht unbedingt was ein.
Ob das "Einsicht" war oder Zufall, da möchte ich mich nicht festlegen.
Sheitana
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Beitrag von Sheitana »

Gerade fällt mir da noch was ein...

Georgia war früher ein Pferd, was beim Freilauf gerne ordentlich gebuckelt hat.
Als ich das zweite oder dritte Mal auf ihrem Rücken saß, erschreckte sie sich plötzlich und rannte und buckelte heftig los. Ich geriet ziemlich in Wohnungsnot, was sie anscheinend merkte, denn sie blieb stehen und setzte dann noch einen gezielten Hüpfer vorne hinterher, der mich wieder in den Sattel setzte. Das war auch mein Glück, sonst wäre ich unten gewesen... :wink:

Seitdem hat sie nie mehr gebuckelt, wenn ich drauf saß. Passt ihr beim Reiten irgendwas nicht, z.B. wenn ich mal zuviel mit dem Bein mache, dann macht sie einen kleinen Hüpfer und ich weiß dann ganz genau, oh, jetzt war was nicht richtig. Aber sie hat nie mehr richtig gebuckelt.

Ab und an merke ich auch, wie sie unter mir etwas hibbelig ist. Lasse ich sie dann laufen buckelt sie dann meist los. Reite ich weiter, hibbelt sie auch weiter, würde aber nicht Buckeln. Sie möchte dann ganz klar Energie loswerden, macht es aber nicht, solange ich drauf sitze.

Ich denke sie hat irgendwie begriffen, dass ich nicht sitzen bleiben kann, wenn sie buckelt, also lässt sie es.

Was meint ihr? Wenn nicht, warum hat sie mich dann wieder in den Sattel gesetzt und wie kommt es, dass sie wirklich nie unter mir buckelt, auch wenn sie gerne so Energie loswerden würde?
LG
Sheitana
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Noch einige Gedankensplitter zum Thema.


Im ursprünglichen Fred las ich die folgenden Aussagen:

lalala hat geschrieben:
"Mit jeder Art der Erziehung pressen wir dem Pferd unseren Willen auf. Beim reiten macht man auch keine Vorschläge sondern klare Ansagen (dürfte sonst im Gelände zu äusserst unangenehmen Situationen kommen)."
Dazu einige meiner eigenen Erfahrungen:

Ich ritt mehrere Jahre lang eine Freibergerstute vorwiegend im Gelände und von ihr lernte ich einiges in Sachen Zusammenarbeit. Sie war sehr "geländegängig", hatte z.B. kein Problem, sich nach dem Lotharsturm durch das Fallholz zu manövrieren, das auf manchen Wegen lag, sie kletterte auch "Prügeltreppen" hinunter (ich meine diese unregelmässigen Treppen, die in einen Hang gebaut werden, indem man für eine Stufe vorne ein dickes Stück Holz mit zwei Eisenstäben befestigt und den Rest der Stufe mit Erde auffüllt). Sie nahm mir manchmal auch eine Entscheidung ab, so gelangten wir einmal im Winter an eine vereiste Wegstelle, und ich überlegte mir noch, auf welche Seite ich ins Gebüsch ausweichen sollte, da ging sie schon schön vorsichtig los, so als wollte sie sagen "wir wollen doch da rüber, ich schaff' das schon". Wir kamen auch heil hinüber.

Eines Tages ritt ich mit ihr einen Pfad im Wald entlang. Der Lehmboden war teilweise etwas feucht und schlammig. An einer Stelle blieb die Stute stehen und weigerte sich, weiterzugehen. Der Boden sah hier vielleicht etwas feuchter aus, sonst bemerkte ich (im Gegensatz zu ihr) nichts auffälliges. Als sie nach mehrmaligem normalem Treiben nicht weiter ging, sogar etwas nervös wurde, 'presste ich ihr meinen Willen auf' indem ich ihr hinten eins mit der Gerte überzog :oops: . Sie trat vorwärts und sank einen Moment später mindestens einen halben Meter mit ihren Vorderbeinen ein. Darauf drückte sie sich mit den Hinterbeinen ab und befreite sich mit einem gewaltigen Satz aus der misslichen Situation.

Wegen solcher Erfahrungen ist es mir wichtig, ein Pferd so auszubilden, dass es sich selbst in die gemeinsame Arbeit einbringen kann und nicht zum reinen Befehlsempfänger wird. Dafür muss ich allerdings auch bereit sein, dem Pferd einen Freiraum zuzugestehen.


dshengis hat geschrieben:
"Alle Verfeinerung beim Reiten ist nur die Folge der ursprünglichen Konditionierung des Pferdes, auf einen bestimmten Reiz hin ("Hilfe" genannt) das erwünschte Verhalten zu zeigen, z.B. Angaloppieren, weil ansonsten der Reiter mit der Gerte touchiert (oder mit dem Sporn einwirkt oder oder)."
Wenn es so einfach ist, warum sind dann die Hilfen für das Angaloppieren so kompliziert? Warum konditionieren wir unsere Pferde nicht einfach auf ein Zeichen wie "Kneifen in die linke Seite des Widerrists" = Linksgalopp? Damit könnten wir uns doch die ganze Mühe mit dem richtigen Sitz etc. sparen.

Für mich gleicht feines Reiten dem Tanzen, nicht dem Programmieren eines Computers. Dabei spielt die Körpersprache zwischen Reiter und Pferd eine wesentliche Rolle, denn sie legt dem Pferd durch verschiedene, u.U. quasi unsichtbare, Impulse jeweils nahe, wie es seinen Körper bewegen soll. Dass der innere Schenkel am Gurt, der äussere weiter zurück liegen soll, dass die Hüften und Schultern des Reiters den Hüften und Schultern des Pferdes entsprechen sollen, dass der Reiter im Gleichgewicht mit dem Pferd sein soll, hat eben damit zu tun, dass uns die Pferde dadurch leichter verstehen können, ja sogar direkt zu bestimmten Handlungen angeregt werden, und nicht damit, dass wir sie ausgerechnet auf diese Signale konditioniert haben.

Dazu ein Beispiel, bei dem ich selbst sozusagen das "Pferd" war und geführt wurde:

Mit etwa fünfzehn besuchte ich eine Tanzschule. Am Ende des Kurses gab es einen Schulball, zu dem auch unsere Eltern eingeladen waren. Am Ball tanzte ich einige Male mit meinem Vater, einem begeistertem und erfahrenen Tänzer. Im Saal herrschte ziemliches Gedränge, als wir einen Walzer tanzten. Ich hatte im Kurs nur gelernt mich in eine Richtung zu drehen, merkte aber plötzlich, dass wir uns flüssig durch die anderen Tänzer bewegten, indem wir uns in die andere Richtung drehten. Der nächste Tanz war für Fortgeschrittene und mir unbekannt, doch mein Vater sagte nur, ich solle mich führen lassen, und ich bewältigte den Tanz vielleicht nicht mit überragender Eleganz aber auch ohne Stolpern. Durch das richtige Geführt-Werden war ich also in der Lage, Tänze zu tanzen, die ich eigentlich gar nicht konnte.

Wenn Pferde nicht das tun, was wir von ihnen erwarten, liegt dies wahrscheinlich häufig daran, dass wir uns ihnen gegenüber nicht klar genug ausdrücken, sprich, unsere Hilfen unpräzis sind.

Tanja Xezal
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gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

ein toller beitrag!! beides sehe ich ganz genauso , hätte es aber nie so schn in worte fassen können
lalala

Beitrag von lalala »

Wegen solcher Erfahrungen ist es mir wichtig, ein Pferd so auszubilden, dass es sich selbst in die gemeinsame Arbeit einbringen kann und nicht zum reinen Befehlsempfänger wird. Dafür muss ich allerdings auch bereit sein, dem Pferd einen Freiraum zuzugestehen.
Gestehst du deinem Pferd den Freiraum auch zu, wenn es mit dir auf eine stark befahrene Straße zugaloppiert ? Ich nicht - ich gebe da ganz klar die Richtung und das Tempo vor (ich hänge an meinem Leben)....ich lasse mein Pferd auch nicht verkehrt herum über einen Oxer springen, nur weil es den Sprung gerade anvisiert und unbedingt dort rüber will.

Letztendlich bestimmt immer der Reiter - auch über den Freiraum.
Wenn es so einfach ist, warum sind dann die Hilfen für das Angaloppieren so kompliziert? Warum konditionieren wir unsere Pferde nicht einfach auf ein Zeichen wie "Kneifen in die linke Seite des Widerrists" = Linksgalopp? Damit könnten wir uns doch die ganze Mühe mit dem richtigen Sitz etc. sparen.
Kannst du doch auch. Es gibt doch jede Menge Pferde-/Reiterpaare die so eingespielt sind, dass das Pferd auch völlig wirre Hilfen versteht. Wenn du deinem Pferd auf "Bratwurst" das galoppieren beibringst ists doch auch okay. Aber grundsätzlich konditionierst du doch das Pferd nur auf deine Signale.
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dshengis
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Beitrag von dshengis »

lalala hat geschrieben:
Wenn es so einfach ist, warum sind dann die Hilfen für das Angaloppieren so kompliziert? Warum konditionieren wir unsere Pferde nicht einfach auf ein Zeichen wie "Kneifen in die linke Seite des Widerrists" = Linksgalopp? Damit könnten wir uns doch die ganze Mühe mit dem richtigen Sitz etc. sparen.
Kannst du doch auch. Es gibt doch jede Menge Pferde-/Reiterpaare die so eingespielt sind, dass das Pferd auch völlig wirre Hilfen versteht. ( ) Aber grundsätzlich konditionierst du doch das Pferd nur auf deine Signale.
Eben. Und alles andere ist Verfeinerung. Auch der Sitz. Denn wenn der so entscheidend wäre, würde doch ein Pferd an der Longe, unter einem ungeübten Reiter, nicht angaloppieren, oder? Aber es galoppiert an, weil es auf das Signal des Longenführers konditioniert ist.

Oder, was recht häufig vorkommt: Beim Ausreiten überlege ich, ob das vor uns liegende Stück zum Galoppieren geeignet wäre und schon merke ich eine deutliche Spannung im Pferd, eine unmittelbare Bereitschaft, anzuspringen. Und das alles, ohne dass sich mein Sitz bewusst ändert, ohne dass mein Schenkel zurück geht (als wohlerzogenes Pferd wartet Herr Schimmel natürlich auf meine "Hilfe", bevor er wirklich angaloppelt).

Und das ist es, was ich unter "Verfeinerung der Hilfengebung" verstehe: Eine immer bessere Komunikation mit dem Pferd, die die korrekte deutliche Hilfe (nämlich den zurückgelegten äußeren Schenkel) überflüssig macht.

Aber ich bin ja auch nur ein Freizeitreiter und als solcher von jeglicher Reitkunst weit entfernt ;)
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Noch einige Gedanken zum richtigen Sitz des Reiters und dem "Konditionieren" des Pferdes

Natürlich kann ich ein Pferd darauf konditionieren, auf irgendwelche Signale irgendwelche Reaktionen zu zeigen. Dass Pferde z.B. sehr schnell kapieren, dass "Action!" Losrennen bedeutet, weiss jeder Regisseur, der einmal eine Kavallerie-Attacke filmen wollte.

Einige Pferde müssen sogar lernen, die Signale ihres "Reiters" zu ignorieren, z.B. Therapiepferde, die körperlich Behinderte tragen sollen. Allerdings werden manche Therapiepferde mit der Zeit sauer, wenn sie nicht regelmässig auch korrekt geritten werden.

Wenn der konditionierte Befehl im Widerspruch zu dem steht, was der Reiter über seine Körperhaltung vermittelt, stellt dies aber für das Pferd grundsätzlich ein Problem dar, ähnlich wie wenn ein Tänzer, der seine Partnerin in eine Linksdrehung versetzt, ihr gleichzeitig sagt "dreh dich nach rechts". Hier ist nämlich nicht klar, was denn nun eigentlich gilt.

Einige Beispiele:

Pferd will nicht anhalten
Ein hochblütiges Pferd wurde von seinem Besitzer mit einer Westernkandare geritten, da es sich angeblich anders nicht anhalten liess. Beim Führen und Longieren hielt das gleiche Pferd auf "hoah" an (= konditioniertes Verhalten). Um Herauszufinden, ob das auch beim Reiten funktioniert, wurde das Pferd in der Halle (da konnte es nicht weglaufen) nur auf Halfter geritten. Der Reiter sagte "hoah", das Pferd wurde deutlich langsamer und kurz bevor es zum Stehen kam, beschleunigte es wieder. Was war passiert? Als das Pferd langsamer wurde, lehnte der Reiter unbewusst mit steifem Kreuz seinen Oberkörper zurück und drückte dadurch sein Pferd durch das Halten hindurch. Der zweite, unbewusste, Befehl des Reiters hob den ersten in seiner Wirkung auf.

Klemmende Oberschenkel
Viele Reiter klemmen anfangs aus Unsicherheit, später aus Gewohnheit mit den Oberschenkeln. Dadurch schränken sie nicht nur ihre eigene Beweglichkeit ein, sie behindern auch das Pferd im Bereich der Schultern und des Rückens. Je nach Typ reagieren Pferde verschieden auf diese Behinderung, "Energiesparmodelle" gehen nur noch tranig, hochblütige Tiere werden eher hektisch und beschleunigen.
Nun kann ich natürlich das "sture Pony" darauf konditionieren, trotzdem vorwärts zu gehen, da es sonst die Gerte oder die Sporen zu spüren bekommt. Dem Pferd dagegen, das angeblich immer rennen will, gebe ich deutliche Paraden ins Maul, um es langsamer zu machen.
(Ich hatte zum Glück einen Reitlehrer, der mir in einem solchen Fall zurief "Knie auseinander!" und oh Wunder, das Pferd, das eben noch in einem höchst unangenehmen Renntrab im Kreis herumraste, ging wieder in den Schritt über ohne dass ich an die Zügel rührte.)

Eingeknickte Hüfte, falsche Gewichtsverlagerung
Ein gutes Gleichgewicht ist für Pferde überlebenswichtig, was es dem Reiter ermöglicht, Pferde über Gewichtsverlagerungen zu "steuern", denn das Pferd wird immer versuchen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Daher bedeutet es eine beträchtliche Lernleistung für das Pferd, sich im Dilemma "beweg dich nach rechts, um dein Gleichgewicht zu erhalten" und "Zügel zieht nach links", gegen die instinktive Bewegung nach rechts zu entscheiden. Allerdings wird es sich bei einem solchen Manöver wahrscheinlich verkrampfen statt loslassen.

Ja, ich kann mein Pferd so auf mehr oder weniger sinnvolle Signale konditionieren, dass es trotz meines schlechten Sitzes in etwa das tut, was ich will, doch gutes Reiten ist das nicht, und ich werde mein Pferd eher verreiten als auch nur in die Nähe dessen zu kommen, was sich Reitkunst nennt.

Tanja Xezal

PS: Manche "Wunderheilung" bei einem Reitkurs hat wahrscheinlich damit zu tun, dass der Kursleiter den Pferdebesitzer endlich mal richtig hinsetzt und darauf das Pferd "plötzlich" etwas kann, woran der Besitzer wochenlang vergebens rumgeknorzt hat.
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Draussen bin ich 4:0 unterwegs, in der Halle 3:1, manchmal 1:3.
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Cat_85
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Beitrag von Cat_85 »

@Gawan:
Tatsache ist, das ich das Pferd z.B. für den Galopp auf so ziemlich alles Konditionieren kann, was ich will. Gerade Filmpferde hören oft auf Zeichen ihrer Ausbilder und nicht auf den Reiter. Ob das fürs Pferd nun angnehmen ist, ist ja eine andere Sache.
Die Verbindung aus richtigem Lehren und dem Wissen, was anatomisch für das Pferd angenehm ist (z.B. Sitz des Reiters), ist für mich dann ein wichtiges Element der Kunst des Reitens. Dem Tier das ganze also möglichst leicht zu machen und verständlich.
**Rubin**
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Beitrag von **Rubin** »

Mensch, das ist ja ein sehr spannendes Thema hier! Da möchte ich meinen Senf auch loswerden ;)
Cat_85 hat geschrieben: Wie gesagt, Pferde haben einen guten Orientierungssinn. Er wird die Tore der Weide sicher gut kennen. Wenn nicht, hätte er vielleicht gesucht und dann durch "Versuch und Irrtum" rausgefunden wo ein Tor zu dir ist. Aber ich weiß auch, das nicht alle Pferd so schlau sind und dann da stehen und hilflos wiehern. Da gibt es wie bei Menschen sicher auch Unterschiede in der Intelligenz. Jetzt könnte man überlegen, ob die Denkleistung "einen Umweg gehen" schon kognitives Lernen ist oder nicht, da es schon eine gweisse Übersicht über die Situation erfordert. Was meint ihr? :kopfkratz:
Hm, das wurde auch vorher schon gesagt, aber ich wiederhole es einfach nochmal: Das ist keine kognitive Denkleistung sondern hat, eben wie mit der Ratte im Labyrinth, tatsächlich was mir Ursache-Wirkung zu tun. Der direkte Weg geht nicht, also sucht das Pferd einen anderen Weg. Hat der einmal geklappt, wird dieses im Prinzip zufällige Verhalten (zufällig wenn das Pferd vorher NICHT weiß, dass da ein Tor ist) wiederholt (auch wie z.B. die Katze die im Käfig sitzt und eine zufällige Bewegung macht, die die Tür öffnet - das zufällige Verhalten wird das nächste mal schneller oder sofort gezeigt)
gimlinchen hat geschrieben: heißt: die pferde reisten zum rennen mit einer bärenkondition, aber nicht mit der nötigen schnellen arbeit über kurze strecken und den daraus resultierenden muskeln. die pferde kamen beim rennen fein weit hinten an und: am nächsten tag hatten sie einen wahnsinnsmuskelkater.
man konnte das kaum mitansehen.... bei den nächsten rennen waren diese armen viecher alle völlig im ausnahmezustand. bei einigen blieb das so übers leben, bei vielen hat sich das nach ein positiveren erfahrungen gelegt.
Wurde auch schon gesagt: Ich würde vermuten, dass die Pferde während des Rennens schon so angestrengt o.ä. waren, dass sie mit dem Rennen und dem gesamten Ablauf etwas negatives empfinden und das nichts mit dem Muskelkater am Tag danach zu tun hat, es sei denn der fügt sich über viele viele Widerholungen in den zeitlichen Ablauf mit ein. Ich denke aber auch eher, dass das eine zu große Zeitspanne ist um es direkt zu verknüpfen. Also nicht mit Rennen - Muskelkater sondern mit der ganzen Prozedur, auf die unabdingsbar am nächsten Tag der Schmerz folgt.
lusitano-fan hat geschrieben: Ich finde Lernpsychologie sehr interessant, gerade da ich letztes Semster eine Vorlesung zum Thema Verhaltenstherapie besuchen konnte...die Grundlage für die Verhaltenstherapie ist die Konditionierung...im Grunde kann man sich jegliches menschliche Verhalten als erlernt und zum größten Teil konditioniert herleiten...so ist zum Beispiel eine Phobie alleinige Konsequenz eines oder mehrerer schlechter Ereignisse (oder Verkettung von Ereignissen) (und oftmals dann verstärkt durch ein Vermeidungsverhalten)...die VT arbeitet sehr viel mit Konfrontationstherapien (lustig, wir gehen mit einem Schlangenphobiker ins Schlangehaus, Schlangen streicheln etc...)


Liebe Grüße
Gesa
Also ich habe gelernt, dass das nur eine Erklärung für die Entstehung von Phobien ist (zumindest hab ich das gelesen). Allerdings habe ich keine Vorlesung zum Thema Verhaltenstherapie oder so, sondern nur über Lernen usw. in allgemeiner Psdychologie gelernt ;)
Sheitana hat geschrieben:
Irgendwann hatte ich dann vergessen die Decke anzuziehen. Es war nicht kalt oder nass, sie hätte sie also nicht gebraucht. Georgia kam dann zu mir, schaute mich an, drehte sich zu der Decke, zog daran, drehte sich wieder zu mir und schaute mich wieder an. Ich zog ihr also die Decke an und sie ging fressen.
Ich glaube ernsthaft, dass sie genau weiß, sie wird nicht dreckig, wenn sie die Decke an hat, denn natürlich ist ihr das unangenehm.
Ich glaube nicht, dass sie mit der Decke "nicht dreckig werden" verbindet, sie aber einfach so sehr zu ihrem Tag gehört und der Ablauf eigentlich immer der gleiche ist, dass sie verwirrt ist, wenn du ihr die Decke mal nicht auflegst und sie dich dann daran "erinnert".
Hestur hat geschrieben:So, jetzt will ich auch mal wieder :mrgreen:
Was für mich ganz klar zu erklären ist, ist wieso er das angelernte herkommen und Hals geben in der neuen Box nicht mehr gemacht hat: Pferde lernen sehr ortsgebunden. Was in der einen Box klappt, kann dem Pferd in einer anderen völlig fremd vorkommen.
Auch Menschen lernen sehr stark situationsgebunden, auch wenn man es nicht so recht glauben mag...
lalala hat geschrieben: Kannst du doch auch. Es gibt doch jede Menge Pferde-/Reiterpaare die so eingespielt sind, dass das Pferd auch völlig wirre Hilfen versteht. Wenn du deinem Pferd auf "Bratwurst" das galoppieren beibringst ists doch auch okay. Aber grundsätzlich konditionierst du doch das Pferd nur auf deine Signale.
Jo klar, du kannst dem Pferd alles so ankonditionieren. Ob es das dann aber anatomisch korrekt ausführt wenn es dabei mit einem schlecht sitzenden Reiter etc. zu kämpfen hat, sei dahingestellt. Wenn du nur "Bratwurst" sagst, galoppiert das Pferd z.B. an, gibst du aber die korrekten Hilfen dazu, trägt es sich selbst und hebelt sich nicht raus etc. Genau so wie du jegliche andere hohe Dressur ankonsitionieren kannst. Diagonal im Stand die Beine heben ist eben noch keine korrekte Piaffe, sieht aber so ähnlich aus...
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