Vom "müssen" und "dürfen"...

Allgemeines rund ums Pferd

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Medora
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Beitrag von Medora »

Ich unterscheide bei dieser Frage zwischen verschiedenen Sachen.

Streng bin ich am Boden, z.B. beim Führen. Rempeln, überholen, in den Rücken gehen etc. korrigiere ich immer und sofort. Das ist für mich die Respektbasis, auf der ich überhaupt nachher andere Sachen verlangen kann. Ich sehe so oft, wie Pferde am Boden respektlos sein dürfen, aber von oben dann funktionieren müssen - für mich ist das nicht sinnvoll.

Alles, was über den Grundrespekt, den ich mir als Mensch erarbeiten muss, hinausgeht, ist "Verhandlungssache", denn da entscheide ich sehr individuell, d.h. nach Pferdepersönlichkeit, Tagesform, Grundstimmung, Alter etc. Es fließen so viel Faktoren ein, dass ich für mich nicht sagen kann, ich setze eine angedachte Sache immer durch - warum sollte ich, wenn es keinen Sinn macht?

Von Anthony habe ich hier vor allem das gelernt: Dass ich mir im Vorfeld gut überlegen muss, was wir wirklich durchsetzen kann. Und von Aramis habe ich gelernt, dass ich vor lauter Lektionen mein Pferd nie aus dem Blickfeld verlieren darf.

Entscheidend für die Mitarbeit ist auch für mich die Motivation meines Pferdes. Und wenn mir ein Pferd etwas verweigert, dann frage ich mich inzwischen zuerst, was ich versäumt habe (an Motivation, an Erklärungen, an Vorbereitungen etc.). Ich habe gerade in der Ausbildung von Anthony so oft angedachte Vorhaben abgebrochen, weil einfach nicht der richtige Zeitpunkt war. Das hat sich nicht ein einziges Mal gerächt - im Gegenteil: ich habe diese Sachen irgendwann regelrecht geschenkt bekommen. Wenn ich was erzwingen wollte, ging es fast immer in die Hose.

Viel härter war, den Respekt zu klären - und da war letztlich auch eine große Portion Strenge nötig.

Edit: Anna, wenn Dein Tabs mal keine halbe Schritte machen will, würde ich persönlich das schlicht als Tagesform abbuchen. Nächstes Mal klappt es wieder um so besser.

Tania
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Jen
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Beitrag von Jen »

ich finde die Regel "Vorbereiten und dann gewähren lassen" auch hier noch passend. Das gilt nicht nur für einzelne Lektionen, sondern es gilt auch für den gesamten Umgang. Ich bin extrem pingelig im Aufbau. Ich achte auf details, die anderen Leuten unwichtig sind. Einfach aus dem Grund, weil ich bei meinem eigenen Pferd immer wieder zurück an die Basis ging, um noch etwas und noch etwas und noch etwas zu verbessern und dann ging's plötzlich einfacher weiter. Wenn ich heute Jungpferde im Unterricht habe, dann korrigiere ich da Details, auf die vielleicht andere gar nicht kommen, einfach weil ich weiss, dass es für später einen Sinn hat. Dadurch bereite ich den Boden vor, auf dem ich später auch einen Grundgehorsam verlangen kann. Mein Pferd ist sehr kommunikativ und ich beachte das in gebührendem Masse. Wenn er sich gegen etwas sperrt, dann frage ich schon auch nochmals nach, ich lasse es nicht einfach sein, weil man sich dadurch regelrechten Ungehorsam erziehen kann. Allerdings frage ich dann vielleicht etwas anders nach oder gebe mich mit einem kleineren Schritt zufrieden oder so. Aber grundsätzlich bin ich in den letzten jahren schon viel strenger geworden, weil auch meine RL mich immer wieder zu neuen höchstleistungen (für mich ;) ) angetrieben hat und immer wieder meint, ich sei viel zu "lieb" zu mir und meinem Pferd. Lieb in dem Sinne, dass ich mich manchmal nicht genug anstrenge, auch mal dranzubleiben. Anstrengen nicht im Sinne von körperlicher Kraft, sondern mentaler Kraft. Das ist schon irgendwie anstrengend. Ich habe vorher - auch aus Angst was falsch zu machen - oft Grenzen vermieden. Aber um Grenzen zu überwinden, muss man auch immer mal wieder an sie herangehen und sie versuchen etwas hinauszuschieben. Das provoziert manchmal im ersten Moment Widerstand. Da gilt es fair zu bleiben, ob der Widerstand nur im Kopf oder tatsächlich auch im Körper ist. Seit ich aber mich mit der chinesischen Kampfkunst auseinandergesetzt habe und an meinem eigenen Leib gespürt habe, wie körperlicher Widerstand - aus Müdigkeit, mangelnder kraft - auch überwunden werden kann und man dadurch eine ganz andere Art von Weichheit und stabilität gewinnt, bin ich auch mit meinem Pferd nicht mehr ganz so nachsichtig und bemitleide es nicht so früh ;) und es lohnt sich. Er schont sich nämlich schon auch gerne prophylaktisch ;) Wenn man dressurmässig wirklich weiterkommen will - Versammlung und Hankenbeugung - dann muss man auch immer ein bisschen mehr verlangen. Auch ich strenge mich nicht freiwillig mehr an als nötig, deshalb brauche in eine gute RL, die mich da anspornt. :D
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

DOB hat letzte Woche - bezogen auf Amor und mich - folgendes Beispiel gebracht:

Es gibt grundsätzlich vier Situationen, wenn man reitet:

1. Pferd und Reiter sind motiviert.
2. Pferd ist motiviert, Reiter nicht.
3. Reiter ist motiviert, Pferd nicht.
4. Pferd und Reiter sind beide nicht motiviert.

Und natürlich gibt es dazwischen noch viele Nuancen und während einer Einheit kann sich das auch von 4. nach 1. oder von 1. nach 4. verschieben. Hierbei muß ich dann immer überlegen, was ich falsch oder eben richtig gemacht habe, um es das nächste Mal gleich - noch - besser machen zu können.

Grundsätzlich stehe ich auf dem Standpunkt, daß ich selbst motiviert und konzentriert sein muß, um mit meinem Pferd Spaß zu haben und/oder reiterlich/ausbildungsmäßig weiterzukommen. Bin ich unmotiviert, kann ich nicht im selben Moment das von meinem Pferd verlangen. Also lasse ich das ganze lieber sein oder trete mir selbst in den Hintern.

Bin ich motiviert und kann die nötige Konzentration für eine Einheit aufbringen, in der ich etwas erreichen möchte (bei uns z. Z. ein kurzes Nachgeben im Genick), versuche ich, Amor ebenso zu motivieren. Das ist derzeit bei ihm noch äußerst schwierig, was mir auch erst letzte Woche im Kurs mal wieder knackig vor Augen geführt wurde (Herr Pony hatte keine Lust, war voll motzig und hat mich rodeomäßig abgesetzt). Da muß ich nun durch, muß ihn öfter auch mal den Kopf waschen, indem ich sage: "Hallo, ich will das jetzt aber." DOB meinte dazu, ich solle hierbei an jemanden denken, auf den ich derzeit nicht so gut zu sprechen bin. Das funzt sehr gut! :wink: Außerdem solle ich von der Mentalität abkommen zu denken, was für ein aaarmes Pony ich habe. Nach DOBs Meinung schufte ich viel, um mir diese Hobby leisten zu können. Da muß dann pro (Reit-)Einheit mindestens 1x ein kurzes, tolles Gefühl dabeisein, was mir der Ponymann geben muß.

Gleichzeitig darf ich aber natürlich von meinem Pferd nichts verlangen, was er nicht auch leisten könnte. Insoweit hängt das ganze für mich also von der Einstellung des Reiters, dem Charakter des Pferdes und dem jeweiligen Ausbildungsstand ab. Basics sollten also täglich, auch mal bei nicht so toller Tagesform des Pferdes, abgefragt werden können. Aber "Basics" sind eben bei jedem Reiter/Pferd verschieden.
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
sinsa
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Beitrag von sinsa »

Ich habe einen Freizeitzausel und der ist grundsätzlich Einzelkind und Waldorfschüler. Ich fahre aber auch 40km eine Strecke in den Stall und ich kann mir die Tage nicht immer aussuchen, an denen ich rausfahre. Er ist also ein arbeitender Freizeitzausel :lol:

Das mein Pferd nichts macht, weil es keine Lust hat, oder der Mond in Konjunktur zu Venus steht und deshalb ein schlechtes Karma verbreitet, kommt für mich nicht in Frage.
Mein Pferd muß also, so es keinen Krankenschein hat, immer. Es darf aber bei der Arbeit mitbestimmen. So kann es sein, dass ich Biegearbeit unter dem Reiter geplant habe und dann absteige und stattdessen ein wenig Freispringen mit ihm mache. Reine Wellnesstage haben bei uns eher andere Gründe.
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LucyLou
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Beitrag von LucyLou »

Ich glaube in Jens letztem Beitrag liegt der Schlüssel zu ganz vielen Problemen, die Mensch so mit seinem Pferd hat. :D

Mich beschleicht gerade immer stärker der Verdacht, dass es meine etwas bequeme und zögerliche Grundhaltung ist, die dafür sorgt, dass auch bei meinem ebenfalls eher gemütlichen Pferd nicht die absolute Begeisterung für die gemeinsame Arbeit rüber kommt.
Er lernt schnell, ist brav und macht mir wirklich viel Spaß, aber ich wünsche mir von ihm mehr Enthusiasmus. Nur - woher soll der kommen, wenn ich selber schon zu faul bin, mal Cavaletti in die Bahn zu räumen (macht er richtig super) oder mir vorher ein paar Gedanken zu machen, damit wir unser Repertoir in der Bodenarbeit erweitern. :oops:

Insofern bin ich davon überzeugt, dass unsere Pferde viel mehr spiegeln als momentane Befindlichkeiten. Sie holen im Prinzip alle unsere Stärken und Schwächen ans Licht, auch wenn wir das nicht immer so gerne wahr haben wollen...

Die Frage nach dem "müssen" vermeide ich oft, indem ich mir eine Umweg zum Ziel einfallen lasse.
Beispiel: Erst drei effektive Monate unter dem Sattel fällt ihm der Galopp rechts nicht so leicht wie links. Im Gelände passiert es also, dass er auf die Rechts-Hilfe links angaloppiert. Neulich habe ich dann nach zwei Fehlversuchen einfach mal von der rechten auf die linke Wegseite gewechselt und siehe da - der Rechtsgalopp kam sofort. Ich musste ihn nicht zwingen und hatte trotzdem, was ich wollte. :P

Allerdings gebe ich Jen recht, dass man gerade wenn es an die körperliche Leistungssteigerung geht, auch mal etwas härter gegen sich und sein Pferd sein muss. Dass bedeutet nicht, sich zu schinden, bis Schweiß und Blut fließen. Aber wenn man immer dem eigenen inneren Schweinehund und dem des Pferds nachgibt, dann kommt man tatsächlich nicht sehr weit.
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