Wie bringe ich ein Pferd ins Gleichgewicht?

Rund um die klassische Reitkunst

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ottilie
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Wie bringe ich ein Pferd ins Gleichgewicht?

Beitrag von ottilie »

Inspiriert durch einen Gedankenaustausch in diesem Fred wollte ich das Thema gerne separieren, weil ich es sehr spannend finde und es sicherlich einen eigenen Fred wert ist.
Hier noch ein paar Anfangsgedanken:
ottilie hat geschrieben:
Morimur hat geschrieben:Wenn man immer ein auf der Vorhand gehendes Pferd als das Normalbild vor seinem inneren Auge hat, dann stört einen das Bild eines im Gleichgewicht gehende Pferd enorm
Ich möchte den Satz noch einmal herausstellen und behaupten, daß viele gar nicht sehen können, wann ein Pferd im Gleichgewicht ist - weil sie es nie gezeigt bekommen haben.
Carmen hat geschrieben:
sinsa hat geschrieben:und gleich noch ein Kalauer:
Carmen hat geschrieben:Noch schlimmer: Die meisten fühlen / sehen nicht, wann ein Pferd nicht im Gleichgewicht ist. Wie sollen sie es da ins Gleichgewicht bringen können? Wie eigentlich überhaupt, so ganz ohne Handeinwirkung (aufwärts)?
Freut mich, dich zu amüsieren. Ich hab's allerdings ernst gemeint und stehe dazu.
horsmän hat geschrieben:da geb ich Carmen auch Recht.
Wie will man ein Pferd ohne Handeinwirkung ins GW bringen? Das heben der Hände ist dabei nur eine Technik. Mit den Händen wird ja noch viel mehr bewirkt. Die Position der Hände (Höhe und seitl. Abstand zum Widerrist) ist ganz entscheidend für das GW. Das hat nichts damit zu tun das Pferd falsch mit der Hand von vorne nach hinten zu reiten, solange die Hände dabei in ihrer jeweiligen Position nicht rückwärts wirken. Das Wissen um die Wirkung der versch. Positionen der Hände ist aber wichtig und das vermittelt man nicht indem man zB bloß sagt: vergesset eure Hände.
Es grüsst ottilie
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

Ich hab das letztes Jahr im Februar auf einem Kurs mit Desmond gesehen. Er bat die Reiterin, im Stand die Hände höher zu nehmen und zu spüren, wann das Pferd sein GW nach hinten verlagert. Das Pferd sollte stehen bleiben, aber das Gewicht nach hinten nehmen. Konnte man schön beobachten.
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
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Jen
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Beitrag von Jen »

für mich stellt die Gewichtsverlagerung nach hinten durch Heben der Hände eine recht "grobe" Hilfe dar. Ein hilfe, die bei einem äusserst stark vorderlastigen Korrekturpferd oder vielleicht einem völlig grünen Jungpferd als hilfe beim Rückwärtsrichten gegeben werden kann. Aber ansonsten finde ich es schöner und sinnvoller das Gewicht mit dem Sitz nach hinten zu verlagern. Das kann man zb. üben, indem man mit dem Sitz rückwärtsrichtet, statt mti den Händen. Ich mache das so, dass ich die Beine etwas öffne und dabei leicht zurückstreiche und meinen Schwerpunkt etwas zurückverlagere. Wenn das Pferd dies gelernt hat und ich versammeln möchte, dann streiche ich die Beine etwas zurück und verlagere meinen Schwerpunkt leicht nach hinten aber aktiviere die HH gleichzeitig. Damit das pferd nicht nach vorne stürmt oder nach vorne kippt, darf ich nur soviel treiben, wie das Pferd im Gleichgewicht ist. Die hand bietet dabei nur die Grenze nach vorne, wenn das Pferd Tempo machen will. Bei einem feinen und schon weiter ausgebildeten Pferd reicht es, die Hand zu schliessen. Bei einem Pferd, das sich noch richtig nach vorne schmeissen würde, dann würde ich ev. einen Aufwärtsarret geben, aber dann habe ich vom Pferd in dem Moment zu viel verlangt und es konnte es nicht umsetzen, also war das mein Fehler. Damit das ganze aber nicht in schlaffes geschlurfe ausartet muss ich das Pferd so auf den Schenkel sensibilisieren, dass es eben auch auf feine Hilfen zündet und reaktiv ist. Das sind für mich verschiedene Baustellen, die ich immer mal wieder zusammensetze und schaue, inwiefern sich das Pferd schon am schwerpunkt zurücknehmen lässt und sich "treiben" lässt, ohne Aktivität mit Tempo zu verwechseln. Und dabei ist eben wieder das Timing wichtig, d.h. ich treibe dann, wenn der Hinterhuf abfusst, um ihn zu einem reaktiveren und flinkeren abfussen zu bekommen. Idealerweise hat das Pferd dies schon ganz zu anfang an der Longe am Kappzaum gelernt: Touché mit Peitsche in Schenkellage zum richtigen Zeitpunkt = flinkeres abfussen und Hinterbein weit vorschwingen (und nicht einfach mehr Tempo machen). so fügt sich das wieder zusammen.
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esge
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Beitrag von esge »

Na ja, aber zum Lernen brauchst du doch auch die Hand, oder?

Ich richte die Pferde anfangs mit der Hand auf, um ihr Gleichgewicht fürs Rückwärts nach hinten zu verlagern. Dazu lasse ich die Unterschenkel am Pferd rückwärts gleiten und schnalze, um Bewegung zu initiieren.
Im Laufe der Zeit brauche ich keine Hand mehr, sondern die Pferde treten auf Umlegen der Schenkel rückwärts, bzw. versammeln sich. Aber es fängt an mit der Hand. Und ob man nun sein Pferd "gegen die Hand" treibt, um das Rückwärts zu beginnen oder die Hand hebt - sorry: Rückwärtsrichten ganz ohne Hand muss mir noch erst jemand (in der Lernphase!) zeigen.

Aber etwas allgemeiner zum Thema Gleichgewicht:

Ich kann das gerade so wunderbar an meinen beiden sehr verschiedenen Pferden sehen:

Saltim: Ein nach abwärts orientiertes Pferd, das mit dem ihm eigenen Speed am liebsten permanent in den Boden rennen würde. In meinen Augen völlig chancenlos, so ein Pferd ohne (hebende) Hand ins Gleichgewicht zu setzen.
Vento: Ein eher hohlrückiges Aufwärtspferd, dem man den Weg in die Tiefe zeigen muss. Hier braucht man kaum Hand, dafür viel Bein und Geschick, um diesem Pferd die Mitte hochzubringen. Gleichgewicht hat dieses Pferd von allein, sobald es im seelischen Gleichgewicht und im Rücken entspannt ist.

Wenn man nun von der "normalen" Reitlehre ausgeht und dann auf ein Pferd wie Saltim trifft, sieht das immer höchst gewöhnungsbedürftig aus, doch recht häufige und deutliche Handeinwirkungen zu sehen. Dies vor allem in den ersten Jahren, später sollte es weniger werden. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass man es irgendwann gar nicht mehr braucht. Genauso könnte man davon ausgehen, dass das Hohlrückenpferd irgendwann kein vw-aw mehr braucht zur Rückenentspannung.
Handeinwirkungen zur gleichgewichtsfindung benutzt man letztlich bei allen PFerden - in die eine oder die andere Richtung.

Aber ob hohe oder tiefe Hand: Gleichgewicht und Balance sind immer ein andauernder Prozess in der Ausbildung eines Pferdes. Und je schlechter das natürliche Gleichgewicht eines Pferdes ist, desto aktiver muss der Reiter in jeder Phase der Ausbildung darauf einwirken. Begnadet die Pferde, die ein sehr gutes Gleichgewicht mitbringen. Bei den anderen: Manche Ausbilder sagen, dass es sich gar nicht lohnt, solche Pferde auszubilden. Weil zu mühsam und immer mit zweifelhaftem Erfolg.
Ich helfe mir dann doch lieber mit hebender Hand, ehe ich ein Pferd ganz abschreibe.

Die Hand allein macht es aber bei keinem der beiden Pferdetypen. Kein Pferdeausbilder ist von systematischem Reiten von Übergängen, Seitengängen, sinnvoll aufeinander aufbauenden Lektionsabfolgen, die die Gleichgewichtsverschiebung und -findung unterstützen, befreit. Ohne tausendfache Wiederholung von Übergängen zwischen Vorwärts und rückwärts, respektive Schneller und Langsamer, großen und kleinen schritten, Tritten, Sprüngen, Dehnung und Zusammenschieben, kommt kein Pferd zu einer sinnvollen, gleichgewichteten Versammlung.
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Jen
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Beitrag von Jen »

Hallo Esge

ich habe nicht gesagt, ich brauche die Hand gar nicht! wie oben beschrieben: bei einem stark vorderlastigen Korrekturpferd oder einem grünen Jungpferd, da hebe ich auch die Hand für das Rückwärtsrichten. Aber das HEBEN ist ja meist wirklich nur in der Anfangsphase nötig, das kann man schnell mal weglassen, wenn das Pferd begriffen hat, worum es geht. und es reicht ein Schliessen der Hand. Mir werden solche groben Hilfen in der Allgemeinheit viel zu lange und zu stark gegeben, das finde ich bei den meisten Pferden gar nicht nötig. und gerade bei den "Abwärts-Pferden" ist es ja umso wichtiger, sie vor das Bein zu bekommen, damit die HH zu tragen kommt. Deshalb ist es mir ja so wichtig, dass das Pferd lernt Aktivität = flinkes Hinterbein und nicht = Tempo. Ich weiss, wie schwer das ist, reite selber auch mehrere solcher Pferde. Das ist zb. etwas, was ich bei bisher gesehenen PK-Reitern und auch das, was ich bei PK selber gesehen habe, ankreiden würde: da ist das Vorwärts sehr oft ein hastiges vorwärts-gerenne, die Pferde werden fast vorwärtsgejagt. So ist es klar, dass vorwärts und besonders das vorwärts-abwärts total nach vorne runterkippt. Das ist für mich falsch verstandenes vorwärts bzw. vorwärts-abwärts, denn vorwärtsreiten hat für mich überhaupt nichts mit Tempo zu tun.
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esge
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Beitrag von esge »

Ich habe es lange aufgegeben, für (oder gegen) PK zu schreiben. Ich habe sein System ausgiebig genossen, habe große Vorteile für mein Pferd und viele andere Pferde daraus gezogen und versuche, es in anderes Wissen zu integrieren.
Ich kann auch nicht sagen, wie PK es heute macht, wie es auf seinen Kursen aussieht oder diverse seiner SChüler reiten. Ich habe lange keinen Kurs von ihm gesehen und momentan auch keinerlei Neigung dazu.

Ich kann nur sagen: Hand ohne Bein, Bein ohne Hand - da gibt es Phasen, die irritierend aussehen können. Mich irritieren andere Sachen, die andere Leute normal finden, auch. Z.B. ein verkrochenes PFerd durch gegenhalten und Nachtreiben vor die Senkrechte bringen zu wollen. (kerin Seitenhieb auf dich, Jen, sondern ein Beispiel aus dem alltag)
Habe ich ein faules PFerd, verzichte ich tatsächlich aufs Gleichgewicht, bis das Pferd die vortreibende Hilfe gänzlich verstanden und akzeptiert hat. Da kann tatsächlich ein "vorwärtsjagen" entstehen. Vorübergehend! Damit ich mich über das Thema Vorwärts anschließend nie mehr mit dem Pferd unterhalten muss.
Habe ich ein Pferd, das auf der Vorhand davonrennt, verzichte ich vorerst aufs Bein, hebe und bremse mit der Hand. Wenn das Pferd das begriffen hat, kommen meine Schenkel wieder ins Spiel.
Habe ich ein relativ gut gleichtgewichtetes PFerd von mittlerem Temperament, können Hand und Bein mehr oder weniger sofort zusammenspielen. Auf das Level muss ich aber die beiden Pferde davor erstmal bringen.

Die PK-Pro-contra-Diskussion hängt mir einfach zum Hals heraus. Können wir vielleicht EIN Thema mal abseits von PK führen? Hohe oder tiefe Hand gab es schon immer. Können wir beim Thema Gleichgewicht bleiben?
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Jen
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Beitrag von Jen »

ja du hast recht, die Diskussion über PK hängt mir eigentlich auch zum Hals raus ;) Ich war da gedanklich noch zu stark mit dem anderen Thread beschäftigt, aus dem dieses Thema hier hervorgegangen ist.

Ich persönlich habe einfach etwas gegen die hohe Hand als Hilfe wenn sie als allgemeine Hilfe und nicht als Korrektur eingesetzt wird. Und ich glaube auch überhaupt nicht, dass sie - wie so oft beschrieben - so viel pferdefreundlicher und feiner etc. als die stehende Hand ist (natürlich nicht zurückwirkende, steife oder blockierende Hand). Das Pferd hat im gesamten Maulbereich und besonders in den Lefzen sehr viele Nerven und ist sehr empfindlich. Die hohe Hand ist ein sehr machtvolles Instrument, weil es dem Pferd bedingungslos das maul öffnet und so den Widerstand bezwingen (ich benutze extra dieses Wort) kann. Es ist aber auch eine träge, langsame Hilfe, da der Weg verhältnismässig weit ist. Ich verlange vom Pferd prompte Reaktionen, also muss ich auch prompt reagieren. Ich denke, wir haben da viele Gemeinsamkeiten, wie wir es angehen, esge ;).

zb. wie im ersten beitrag geschrieben, will ich prompte, zündende Reaktion am Bein. Wenn das nicht kommt, übe ich das auch separat, egal ob das pferd im kreuzgalopp davonholpert, wenn es ein sehr träges exemplar ist :lol: Das ist aber Schenkelakzeptanz und nicht vorwärts oder das Pferd wirklich "an den hilfen vor dem Bein" haben. mir ist es sehr wichtig zu betonen, dass für mich das reiterliche vorwärts wirklich gar nichts mit Tempo zu tun hat, sondern eher mit Richtung. Sei es Bewegungsrichtung, sei es das VORschwingen des Hinterbeins, sei es die Energierichtung, die von der Hinterhand nach vorne durchgeht, die Nase, die die Bereitschaft hat, nach vorne zu folgen etc. Deshalb ist das vorwärts so wichtig für das Gleichgewicht, weil sich das Pferd nur zurück nehmen kann, wenn alles andere vorwärts arbeitet. ;)

(vom seitlichen gleichgewicht und der natürlichen schiefe mal abgesehen, da dies noch ein langatmiges thema ist :) )
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Jen hat geschrieben:Und ich glaube auch überhaupt nicht, dass sie - wie so oft beschrieben - so viel pferdefreundlicher und feiner etc. als die stehende Hand ist (natürlich nicht zurückwirkende, steife oder blockierende Hand). Das Pferd hat im gesamten Maulbereich und besonders in den Lefzen sehr viele Nerven und ist sehr empfindlich. Die hohe Hand ist ein sehr machtvolles Instrument, weil es dem Pferd bedingungslos das maul öffnet und so den Widerstand bezwingen (ich benutze extra dieses Wort) kann.
Das unterschreibe ich voll und ganz. Und deshalb ist – um es mal sehr plakativ auszudrücken – die Gewichtsverlagerung beim Anheben der Hand für mich mit mit der Gefahr des Ausweichens vor dem Gebiss verbunden. Genau das, was ich nicht möchte.
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Beitrag von esge »

Ja, natürlich ist "Vorwärts" nicht gleich "tempo".
Am meisten Vorwärts braucht ein Pferd in der Piaffe oder Pirouette - also Übungen, wo es nicht mehr vom Fleck kommt. Umgekehrt entpuppen sich "Renntiere" häufig als eher faul, wenn es um reelle Arbeit geht.

Ich hatte gerade eben ein Wochenende lang mal ausnahmsweise mit überwiegend guten Pferden zu tun. Ich kann da immer nur staunen, wie einfach die eigentlich zu reiten sind. Hier funktioniert die Standardreitlehre "Hand ruhig ans Maul stellen und von hinten herantreten lassen" wunderbar. (Umso verwunderlicher, dass gerade diese Pferd so oft durch rückwärtswirkende Hände zusammengezogen werden. Sie treten soooo einfach ans Gebiss heran, wenn man sie nur lässt. Aber das ist ein anderes thema).

Aber ich habe es halt im normalen Alltag überwiegend mit "den anderen" zu tun. Und eben sehr oft mit Pferden , die vorhandlastig sind und/oder über eine schwache Hinterhand, wenig Takt und kaum natürlcihen Schwung verfügen. Bei dieser Sorte PFerd kann ich mir die hebende Hand nicht mehr wegdenken. Es ist richtig, dass die hebende Hand sehr zwingend ist, bzw. sein kann. Hier ist die Frage, was schlimmer ist: Das Pferd übermäßig lange in einer eklatant ungleichgewichteten Form laufen zu lassen, oder es durch die hebende Hand relativ rasch in ein Gleichgewicht zu bringen, das eine feinere Hilfengebung dann erst möglich macht. Denn ein Pferd, das auf der Vorhand hängt, ist feiner Hilfengebung nicht zugänglich. Stimmst du mir da zu?
Kompromiss ist für mich dann, dass die hebende Arbeit im ruhigen Schritt durchgeführt wird (damit sie trotz allem fein und leicht gestaltet werden kann), dass es viele Pausen gibt und dass gleichzeitig oder davor eine gezielte Arbeit zur Oberliniendehnung vorgenommen wird.

Das ganze steht für mich in keinerlei Widerspruch zu einer prompten, zündenden Reaktion am Bein. Da verstehe ich den Zusammehang nicht.

Insgesamt ist es doch in der Regel so, dass man auf ein Pferd trifft und einen ganzen Sack Probleme auf einmal am Hals hat. Da man sie unmöglich alle gleichzeitig lösen kann, muss man sich eine Prioritätenliste erstellen und diese systematisch abarbeiten. Dabei akzeptieren, dass erstmal etliche Probleme schlicht auf der Strecke bleiben. Nur vergessen sollte man sie halt nicht.
Der dauerflüchtende, vorhandlastige, starrrückige, maulüberempfindliche, schwunglose, taktunsichere Hektiker setzt mir eine andere Prioritätenliste als der gehunlustige, schwachrückige, langschultrige, maulunaktive, von seiner eigenen Hinterhand überholte Introvertierte.
Nach hundert Jahren Ausbildung sollten dann beide fleißig ohne zu eilen, schwingend, im Gleichgewicht, am Gebiss, vor dem Bein auf der Hinterhand Last aufnehmen, sich versammeln wie verstärken können und aufmerksam auf leiseste Hilfen sein, ohne nervös zu werden. :roll:
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Jen
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Beitrag von Jen »

haha, ja v.a. ohne nervös zu werden... hach ja, seufz... ;)

ich habe es ja auch überwiegend mit der zweiteren Sorte Pferd zu tun. Und da handhabe ich es so, dass ich es halt ganz langsam angehe, so dass die ReiterInnen (meist auch nicht die erfahrensten) v.a. zuerst mal Sitzschulung machen und erstaunlich ist, wie viele Probleme sich dabei fast von alleine massiv verringern. Ich gebe diesen Reitern kein Heben der Hand mit, weil es meist nicht nötig ist und es sowieso zum falschen Zeitpunkt falsch eingesetzt wird. Im Gegenteil, meist trainiere ich es den Leuten sogar wieder ab, weil sie es viel zu häufig, meist unbewusst, automatisch und falsch einsetzen und damit mehr stören als helfen. Ich selber nutze es, wie gesagt nur in ausnahmefällen als Korrektur. ich verlange aber dann auch vom Pferd nicht gleich wahnsinns Leistungen. So dass das Pferd auch Zeit hat, sich an die neue Form und den neuartigen Bewegungsablauf zu gewöhnen und ihn zu üben. Rezepte kann ich keine geben, da handhabe ich es wie du: ich nehme das, was ich das Gefühl habe, ist im Moment gerade am besten. Da ist auch viel Bauchgefühl dabei, weil ich kann nur das nehmen, wovon ich denke, dass der Reiter dies dann auch umsetzen kann. Bis jetzt bin ich damit gut gefahren. Wenn ich die Pferde nur alleine arbeiten würde, dann würde ich vielleicht auch anders handeln, die Pferde mehr fordern. Schwer zu sagen. Ein starker Reiter könnte sicher in kürzerer Zeit viel mehr rausholen. Aber was würde das bringen? Die Besitzer müssen es nachreiten können!

Was ich aber auch denke, ist, dass viele Reiter (damit meine ich nicht dich, esge) die Macht des Sitzes unterschätzen, gerade was das zurücknehmen des Pferdes anbelangt. Geht jedoch nur, wenn der Reiter seinen ganzen Rücken (und dazu gehört das Becken dazu) in einer Einheit benutzt und viele Leute knicken im Kreuz ab (=Hohlkreuz) und kippen mit dem Oberkörper nach hinten, wenn sie das Pferd aufnehmen wollen und das funktioniert nicht, also kommen die Hände zur Hilfe. Aber es funktioniert nur nicht, weil der Sitz nicht durchkommt, gar nicht durchkommen kann. Das öffnen der oberschenkel dabei ist so schwierig, ich übe es jeden Tag und immer noch fällt es mir schwer, v.a. in besonderen Situationen. Aber wenn es funktioniert, dann spüre ich es deutlich! Das ist ein Gefühl, als ob man auf der Hinterhand sitzt und durch diese das ganze Pferd steuert. Das ist das Gefühl, das ich suche. Die Hand ist dabei in der Hierarchie der Hilfengebung weit unten und wirkt eher empfangend - seitlich führend - rahmengebend - nachgebend-korrigierend als dass sie prominent für die Formung des Pferdes zuständig ist. Sie ist eher das feintuning, was noch nötig ist, was vom Sitz noch nicht geformt werden kann. Deshalb komme ich auch immer mehr von der zwar angenehmen, aber zu leichten anlehnung weg, weil ich die Hinterhand im Sitz UND in der Hand spüren möchte. Auf keinen Fall ein drauflehnen oder ein stützen. Aber ein konkreter kontakt mit der sofortigen Dehnungs-Bereitschaft der nachgebenden Hand zu folgen. Mein eigenes Pferd hat ja die Tendenz zu leicht zu werden, besonders in der Versammlung. Das sieht zwar super aus IN der Lektion, fühlt sich auch toll an. Aber die Übergänge... tja, da rächt sich das dann... nicht umsonst heisst es, erst der Übergang zeigt die Qualität der Lektion an. ;) Ganz bewusst wurde es mir beim Piaffe-Trab übergang, und dass sich das Pferd dabei nicht nach oben heraushebt, also weniger mit dem hals, sondern mit einem kleinen Hüpfer, sich in den Trab wirft. Ich finde das momentan etwas vom schwierigsten was es gibt einen weichen, fliessenden übergang von der Piaffe in den Trab... uff...

Ich bin am suchen, am lernen. jeden Tag. niemals würde ich sagen: das ist meine abschliessende meinung und so wird es für immer und ewig sein. Irgendwann kommt man an ein Pferd, wo man gezwungen ist, weiterzulernen und weiterzudenken. :D
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morimur
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Beitrag von morimur »

Für mich ist Beachtung des Gleichgewichts des Pferdes mittlerweile existenziell geworden. Das Fluchttier Pferd ist immer darauf bedacht, sein Gleichgewicht zu behalten, das Gleichgewichtsorgan im Innenohr ist bei Pferden sehr groß ausgebildet. Ein Pferd, das das Gleichgewicht verliert, fängt an zu rennen. Das Rennen ist bei dem Fluchttier Pferd immer ein Ausdruck von Angst, denn das Wegrennen ist seine angeborene Art, Probleme zu lösen. Durch das Reitergewicht wird das Pferd aus seinem natürlichen Gleichgewicht gebracht und es muß erst lernen, sein Gleichgewicht wieder herzustellen.
Ein Großteil der Probleme beim Reiten entstehen doch dadurch, daß der Reiter weder fühlt, daß sein Pferd die Balance verloren hat, noch in der Lage ist, diese wieder zu korrigieren. Und diese Korrekturen sind für das Pferd häufig einfach zu verstehen, wenn sie über die Hand erfolgen.
Hierbei ist allerdings zu differenzieren: Solange weder das Pferd noch der Reiter gelernt haben, wie das funktioniert, geschieht das zwangsläufigerweise in einer grobmotorischen Ausführung und ist nicht hübsch anzusehen. Sobald einer von beiden kapiert hat, was gemeint ist, dann kann der andere von ihm lernen und über das Hineinfühlen in das Maul (mit der Hand durch den Zügel, der quasi wie einen Telefonleitung fungiert) und über das Popometer, das unabdingbar die Veränderungen in der Körperposition des Pferdes, in der Wirbelsäule, den Schultern und der HH erfühlen muß.
Lernen funktioniert immer erst von der Grobform zur Feinform. Bevor man tanzen lernt, muß man erst mal laufen lernen und das ist nunmal mit Hinfallen verbunden. Man sollte sowohl Mensch als auch Pferd, aber vor allem Mensch zugestehen, daß er das alles mühsam lernen muß und das er dabei Fehler macht und das das Pferd das ausbaden muß. Das ist total doof für das Pferd, aber wie, bitteschön, soll ein Mensch lernen, seine Hände und sein Popometer( das übrigens in der Lernphase mindestens genauso viel Unheil anrichten kann, wie eine Hand) zu kontrollieren und zu benutzen, wenn er das nicht ausprobieren und keine Fehler machen darf? Leichter wäre es, wenn man ein supergeschultes Schulpferd im eigentlichen Sinne des Wortes hätte und einen Schüler, den man erst durch umfassende gymnastische Übungen geschmeidig genug macht.
Das ist aber wohl Illusion, bei uns in der Gegend gibt es schon keine ordentlichen Schulpferde.
Zurück zum Gleichgewicht:
man schaue sich bitte mal Photos alter Reitmeister an. Die dort gezeigten Gleichgewichtszustände weichen von den in den heutigen Medien veröffentlichten Bildern vollkommen ab. Und das, obwohl die Reiter damals auf eher schlechten (verglichen mit heute) Pferden unterwegs waren, die mit Sicherheit die von Esge genannten Problemkombinationen aufwiesen. Und im Gegensatz dazu die heutigen Warmblüter einfach abartig gut sind. Wahrscheinlich zu gut, denn sie zwingen den Reiter nicht mehr, korrekt zu arbeiten. Wenn man beispielsweise einen typischen kurzhalsigen vorderhandlastigen Energiesparnorweger so traktiert, wie man das üblicherweise mit einem perfekt ausbalancierten, taktsicheren und schwungvollen Warmblut tut, dann befindet man sich umgehend auf einem Traktor mit Vollgas ohne Lenkung und mit durchgeschnittener Bremsleitung. Diese Situation (Verlust des Gleichgewichts nach vorne-unten plus Einzwängen mit den Zügeln plus hinten treiben) stellt für das Pferd einen enormen Streß dar. Da Norweger diesbezüglich sehr intolerant sein können, gehen sie einfach nach Hause.
Hebt man diese Pferde aber vorne, zeigt ihnen den Weg, die Schultern und den Widerrist zu erheben, macht sie flexibel im Hals und das alles mit der bösen bösen Hand, dann hat man sehr schnell ein Pferd, das versteht und das über das widergefundene Gleichgewicht innerlich zur Ruhe kommt. Und diese innere Ruhe ist die Grundvorausetzung dafür, daß das Pferd zum Mitdenken kommt. Erst wenn der Fluchtreflex ausgeschaltet ist, ist das Pferd in der Lage zu denken.
Das ist einer Gründe, weshalb ich Norweger so schätze: sie zwingen einen dazu, 100% korrekt zu arbeiten, denn sie sind so intolerant gegenüber Fehlern. Hat man einen Norweger aber durch korrekte Arbeit überzeugt, dann hat man ein wunderbar arbeitendes Pferd, daß durchaus sehr reaktiv und mit Leichtigkeit und Stolz seine Arbeit macht.
Gerade bei solchen Pferden zeigt sich die Priorität des Gleichgewichts sehr deutlich. Das Gleiche gilt meiner Erfahrung nach auch für Araber, Haflinger, PREs, Lusis, Friesen, ähm, ja eigentlich allem, was kein SuperWB ist. Halt normale Pferde....
Ach ja, ich habe PK mal so ein SuperWB in einem Kurs reiten sehen. Gleichgewicht nach oben korrigiert und in den starken Trab abgeschossen. Es hatte nicht viel gefehlt und das Pferd wäre einfach durch die Hallendecke in den Himmel geflogen. Das WAR eine Bergaufbewegung. Und durch das Publikum ging nur noch ein lustvolles Stöhnen....
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Beitrag von chica »

Hm, wenn ein Pferd STEHT, gehe ich davon aus, dass es im Gleichgewicht ist, sonst würde es umfallen. In der Bewegung habe ich in meinem letzten Kurs genau das gespürt, worauf es mir ankommt: Arbeite ich am "Motor" sprich der Hinterhand, kommt der Rest (Gleichgewicht, Takt, Losgelassenheit, Anlehnung...) ganz von selbst. Da war eine Einwirkung der Hand nicht notwendig. "Nur" ein lockerer, möglichst wenig störender und effizienter Sitz. Das geht bis hin zur Versammlung. Ohne Aufwärts-Rückwärts- oder was auch immer für Paraden der Hand :?
LG Ines
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Beitrag von ottilie »

Morimur hat geschrieben:die Schultern und den Widerrist zu erheben
Über diesen Punkt haben wir hier ja schon in zahlreichen Freden diskutiert.
Für mich gehört das Anheben des Widerrists unabdingbar zu einem im Gleichgewicht laufenden Pferd (wobei ich dafür keine "wissenschaftliche" Erklärung liefern kann, aber wenn man einmal den Unterschied sehen durfte, kann man es vielleicht nachvollziehen). Und dieses Anheben wird man nicht ohne Einsatz der Hand erreichen, das kann man nicht erreiten - hab ich zumindest noch nie gesehen/gehört/gelesen. Sinn und Zweck der Übung ist ja, daß das Pferd lernt, mit angehobenem Widerrist zu laufen, genauso wie es einmal im vorgegebenen Tempo bleiben sollte. Das kann man übrigens schon am Boden vorbereiten und verlangen, aber auch hier wird man ohne entsprechende aufwärts-weisende Zügelhilfen kaum auskommen.
Und ja - der Sitz spielt eine große Rolle. Wenn ich das Pferd förmlich mit falsch gekipptem Becken "nach unten drücke", werde ich nie eine solche Aufrichtung erreichen. Leider wird allgemein viel zu wenig Augenmerk auf den Sitz gelegt, die Pferde machen ja trotzdem oft, was man von ihnen erwartet - und wenn der Reiter noch so schief sitzt.
Es grüsst ottilie
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Beitrag von horsman »

neben der Gleichgewichtsbeeinflussung durch die Hand nach oben mit dem Zweck des Anhebens des WR (wie in euren obigen Beiträgen gut beschrieben) gibt es da ja auch noch die Geraderichtung Linie: Schulter -Kruppe, die das GW in der Bewegung beeinflusst und zwar sowohl das laterale als auch das horizontale GW. Auch hierfür benötigt man die Hände (seitliche Verschiebung) um die Schultern immer wieder aufmerksam vor die Hüften zu placieren und um das seitliche ein- oder ausstellen der Kruppe zu "beantworten". Ebenso diffizil kann sich eine leichte Handeinwirkung (zu nah oder zu weit vom WR entfernt) auf der falschen Seite in ein seitliches Abweichend der Kruppe äußern. Auch dies gilt es zu erfühlen und durch Feindosierung der Hände abzustellen.

Alles Dinge, die die Hand tun (oder lassen) muss, natürlich ohne dabei grob oder rückwärts zu wirken und ohne große Bewegungen zu machen damit es nicht zu Störungen kommt. Auch das Abstellen von Störungen, die durch die hand verursacht werden, beeinflusst das GW. Dazu muss man diese Störungen der Hand auch erkennen. Die Hände einfach zu vergessen ist deshalb eine denkbar schlechte Aufforderung, zumindest, wenn man sie wörtlich nimmt.


@chica
Nein! Natürlich hat ein Pferd welches steht ein GW, weil es nicht umfällt.E benso, wenn es läuft und nicht umfällt. Das Ziel des Reiters ist es aber, dieses GW in einer für die reiterlichen Anforderungen geeigenten Weise positiv zu verändern. Es geht nicht bloß darum, dass das Pferd umfällt oder nicht umfällt.
Zuletzt geändert von horsman am Di, 06. Apr 2010 12:49, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitrag von chica »

horsmän hat geschrieben:@chica
Nein! Natürlich hat ein Pferd welches steht ein GW, weil es nicht umfällt.E benso, wenn es läuft und nicht umfällt. Das Ziel des Reiters ist es aber, dieses GW in einer für die reiterlichen Anforderungen geeigenten Weise positiv zu verändern. Es geht nicht bloß darum, dass das Pferd umfällt oder nicht umfällt.
Das ist mir klar! Ganz so unterbelichtet bin ich dann doch nicht. Mir ging es aber darum, dass dies auch allein und nur allein durch einen effizienten Sitz möglich ist, ohne konkrete Handeinwirkung außer nachgeben. Mir ist das bisher hier beschriebene einfach zu handlastig.
LG Ines
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