Home Clinic bei Bent Branderup

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Moderator: Josatianma

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chica
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Home Clinic bei Bent Branderup

Beitrag von chica »

Ich gönnte mir dieses Jahr die Home Clinic bei Bent Branderup zum Thema Alte Reitmeister. Los gings für mich am Freitag - Abfahrt 10:10 Uhr in Forchheim. Wider Erwarten glänzte die Deutsche Bahn mit Pünktlichkeit und flüssigen Abläufen. In Fulda stieg eine Bekannte zu, die ebenfalls zum Seminar fuhr. Das machte die Reisezeit seeeehr kurzweilig :-)
In Hamburg kam dann eine weitere Bekannte hinzu und wir stiegen zu dritt in den ICE, der uns dann per Fähre nach Dänemark brachte (DER Satz dieser Fahrt: "Faszinierend - jetzt ist der GANZE Zug im Schiff!"). Ankunft war gegen halb sieben Abends - leider hatten wir nicht alle drei Zimmer in derselben Unterkunft bekommen. Ich bin dann also alleine Richtung Jugendherberge marschiert, dort gut gelandet und habe ein sehr schlichtes, aber sauberes und warmes Zimmer bezogen.

Samstag morgen das erste Abenteuter - Taxi fahren. Da ich kein dänisch kann und der Taxifahrer NUR dänisch, war die Kommunikation etwas schwierig. Ich zeigte ihm die Adresse, er guckte komisch, fuhr aber in die richtige Richtung los. In Toreby guckte er dann noch komischer, hielt an und schaltete das Taxometer aus. Er wußte also nicht, wo es ist. Na prima dachte ich, das fängt ja gut an. Wir sind dann dort ein bisschen rumgefahren (echt schöne Landschaft dieses Dänemark) und haben eher durch Glück als durch Können Bents Haus und Hof gefunden.
Dort gab es dann erstmal allgemeines Eintrudeln diverser Nationalitäten und ein hervorragendes gemeinsames Frühstück von 9 - 10 Uhr. Mir kamen das Haus und die Einrichtung vor wie ein lebendiges Museum. Wer hat schon Degen im Flur stehen, die auch offensichtlich regelmäßig benutzt werden - auch den Leuchter mit echten Kerzen im Esszimmer fand ich bemerkenswert. Jedenfalls war die Atmosphäre sehr gemütlich und familär.

Um 10 Uhr startete der erste Theorieteil mit einer Einführung und allgemeinen Informationen zu Xenophon, Pluvinel, Newcastle, Gueriniere und Steinbrecht. Wann lebte wer und wie waren die Lebensverhältnisse zu dieser Zeit. Weiterhin war geplant, dass wir uns am Samstag vor allem der Hilfengebung durch die Hand widmen und am Sonntag der Hilfengebung von Sitz und Bein. Wir betrachteten in Reihenfolge, welcher der alten Meister was über Zügelführung, Ausrüstung und eine "gute" Reiterhand geschrieben hat. Bent hatte dazu gefühlte 2349235 Markierungen in seinen Büchern und las auch immer wieder Textpassagen vor, die er anschließend mit eigenen Ausführungen ergänzte und natürlich gab es Fragen ohne Ende. Hauptsächlich wurde englisch gesprochen, bei Unklarheiten kam es aber häufig zu niederländischen, schwedischen, dänischen und deutschen Ergänzungen.

Interessant war vor allem, dass die Grundsätze, die man aus den Texten lesen konnte, bei allen Autoren letztlich die gleichen waren: Alle weisen mehr oder weniger darauf hin, dass die Pferde leicht am Zügel und in den Hanken gebeugt sein sollen. Die beschriebene Verwendung der Hilfen hat bei allen Autoren die gleichen Ziele. Alle schreiben über das Nachgeben der Hand, eine feine Hilfengebung und alle zeigen sehr pädagogische Ansätze im Umgang mit dem Pferd. In einigen Texten wird zwar beschrieben, wie man Pferde auch mit Gewalt zwingen kann, nur um dann anschließend darauf hinzuweisen, dass diese Methode abzulehnen ist. Das zog sich auch später noch durch die weiteren Themen durch. Spannend fand ich auch, dass z.B. Xenophon sehr kurz und knapp geschrieben hat und die Texte der anderen Autoren immer ausführlicher wurden, je weiter wir in der Geschichte Richtung heute kamen.

Um die Zügelführung und Hilfengebung der Hand dann auch praktisch nachvollziehen zu können, sind wir zur Mittagszeit in die Reithalle gewechselt und Bent hat uns an verschiedenen Pferden erläutert, was wir vorher theoretisch durchgesprochen hatten. Er fing mit seinem jüngsten Pferd an, gefolgt von einem fortgeschrittenen Pferd und abschließend zeigte er uns sozusagen die Arbeit mit dem "Profi". Er zeigte uns bei allen Pferden die Formgebung im Stehen (Stellung, Biegung, Parade) und vor allem bei den beiden älteren Pferden Timing und Ausführung von Paraden, Richtungswechseln etc.

Besonders eindrucksvoll fand ich die Schulparade (dies ist eine ganze Parade zur Vorbereitung der Levade. Dabei soll das Pferd die Hanken senken und sich soweit setzen, dass das innere Vorderbein den Boden nicht mehr berührt), die er mit Zarif gezeigt hat, weil man hier wirklich sehen konnte, wie die Parade der Hand durch das Pferd auf die Hinterbeine ging und so die Hankenbeugung entsteht.

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Nach diesem praktischen Teil gab es ein sehr leckeres Mittagessen und am Nachmittag haben wir uns vor allem mit geschichtlichen Zusammenhängen befasst. Wer kannte wen, wer war wessen Schüler, welche Zwecke bedienten die alten Meister in ihrer jeweiligen Zeit bis hin zu Ausschweifungen welche Könige wann wo regierten und wie Europa politisch zu verschiedenen Zeiten aussah (ich wußte z.B. nicht, dass Neapel bis ins 19. Jahrhundert spanisch war - aber ich bin auch keine Geschichtsleuchte).
Offiziell war am Samstag um 17:30 Uhr Schluss, aber die Gespräche, Fragen und Diskussionen zogen sich dann doch bis 19:30 Uhr hin. Erwähnte ich bereits, dass man vermutlich einfach tagelang so hätte weitermachen können?
Wir haben uns dann gegen 20 Uhr verabschiedet und sind noch zu fünft nach Nykoebing gefahren, um Essen zu gehen (wir hatten ein Geburtstagskind).
Nach einigem Suchen fanden wir eine nette, kleine Pizzeria, die sogar für dänische Verhältnisse sehr günstige Preise hatte.
Ich bin dann gegen 23 Uhr in mein Jugendherbergsbett gefallen.

Natürlich erwischte ich Sonntag morgen erneut einen Taxifahrer ohne Ortskenntnisse und vor allem auch ohne Kenntnisse zur Bedienung seines Navigationssystems. Da auch dieser Fahrer nur dänisch sprach, war das Ergebnis, dass ich Bent anrief, der meinen Fahrer dann gelotst hat. Ich verbuche das unter "Reiseerlebnisse".
Sonntag waren die Themen Sitz und Bein. Wir sind wie am Samstag vorgegangen und haben uns Textpassagen angehört und über diese dann gesprochen. Sehr spannend für mich war vor allem, wie fein und differenziert Pluvinel, Newcastle und Gueriniere die Hilfengebung des Beines betrachten. Die Beschreibungen zu Oberschenkel, Knie, Wade, Ferse des Reiters und zur Verwendung des Sporn sowie des Bügeltritts fand ich sehr aufschlussreich. Auch die Verwendung von Stimme und Gerte sind wir durchgegangen.

Auch hier gabs nach der Theorie des Vormittags vor dem Mittagessen noch eine praktische Vorführung. Zunächst Oberkörper, Becken und Bein des Reiters und die jeweilige Hilfengebung. Anhand von Tyson in den Pilaren hat Bent uns dann gezeigt, wie er Stimme, Körperposition und Gerte verwendet.
Es gab dann erneut ein sehr leckeres Mittagessen und zum Abschluss nochmal eine Diskussionsrunde, wo alle noch vorhandenen Fragen angesprochen werden konnten. Gegen 16 Uhr sind wir dann aufgebrochen, um die Heimfahrt anzutreten. Gleiches Spiel rückwärts Zug, Fähre, Zug - um 1:40 Uhr war ich in Nürnberg - völlig kaputt aber glücklich.

Zusammenfassend hat mir vor allem gefallen, dass das Seminar nicht so aufgebaut war, dass Bent festgelegt hat, wie die Texte der alten Meister zu verstehen sind, sondern dass sich teilweise wirklich gute und tiefe Diskussionen ergeben haben, wie der eine oder andere eine bestimmte Formulierung versteht und was der Schreiber damit gemeint haben könnte. Nichtsdestotrotz hat Bent ein unglaublich breites und fundiertes geschichtliches Wissen zum Thema Pferde und Reitkunst und ich habe für mich zahlreiche Punkte mitgenommen, die mich inspirieren oder zu denen ich weitere Nachforschungen anstellen möchte und mein eigenes Wissen vergrößern will. Ich habe also sowohl Dinge mitgenommen, die einfach interessant und spannend sind, Dinge, die ich in der Praxis umsetzen werde und theoretische Dinge, an denen ich selbständig weiter arbeiten möchte. Und nicht zuletzt hat mich es wahnsinnig motiviert, in dieser Richtung mehr Wissen anzuhäufen.

Autorin: Phanja
LG Ines
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"Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart."
(Noël Pierce Coward)
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-Anja-
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Beitrag von -Anja- »

Klingt nach einem tollen Wochenende :D

Vielen Dank für den ausführlichen Bericht!
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

Von mir auch vielen Dank!
Da wäre man wirklich gerne dabei gewesen. Durfte ihn noch live in Hamburg auf Hellerholz erleben und hatte damals schon festgestellt, daß das Zuhören wirklich viel Spaß macht :D
Es grüsst ottilie
~~~~~~~~~
Wo die Kraft anfängt, hört das Gefühl auf (Moshe Feldenkrais)
Krümel
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Beitrag von Krümel »

Hallo Phania,

klasse Bericht! Hört sich super an! Garnicht neidisch bin!

LG

Tina
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Henry
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Beitrag von Henry »

Hallo,

vielen lieben Dank für deinen tollen Bericht!

LG
Birgit
"Tue das was du tust"
(Tai Chi Chuan Weisheit)
horsman
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Beitrag von horsman »

Schön dass es solche Leute gibt, die die Kultur und Geschichte der Reiterei lebendig halten
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
minou
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Beitrag von minou »

Da wär ich auch gerne dabei gewesen. Als Zuschauer auf seinen Kursen hätte ich ihm immer stundenlang zuhören können. Der B. ist schon was Besonderes :D .
******
Indem uns das Pferd sein Vertrauen schenkt, fordert es uns zu einer disziplinierten Reitweise auf. Charles de Kunffy
chantesse
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Beitrag von chantesse »

toller Bericht. Herzlichen DAnk!
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Abeja
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Beitrag von Abeja »

Wow! War sicherlich wahnsinnig interessant - toller Bericht!
Liebe Grüße Birgit
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Klara
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Beitrag von Klara »

Toller Bericht :D .
LG
Maren
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Babou
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Beitrag von Babou »

Ein sehr schöner Bericht, vielen Dank.
Das werde ich mir auch mal gönnen.

lg
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Danke für den tollen Bericht!

Ich gestehe, das Thema würde mich erstmal nicht reizen, mir dazu zwei Tage Seminar zu vorzustellen, aber BB kann hervorragend erklären, berichten, mitreißen, da fällt die Vorstellung leicht, dass es wahnsinnig interessant und begeisternd war!
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Das klingt nach einem total interessanten Seminar! :D
Ich finde es immer spannend, verschiedene Autoren zu lesen und Gemeinsamkeiten zu endecken.
Viele Grüße
Sabine
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Excalibur

Beitrag von Excalibur »

Ach ja, da wäre ich auch sooo gerne gewesen, *neidich* vor allem da ich weiß was der Spass gekostet hat. (Hatte auch damit geliebäugelt) Für mich leider auch in näherer Zukunft nicht gönnbar. :cry: Um so größeren Dank an den tollen Bericht, der einem (zumindest) das Gefühl schenkt dabei gewesen zu sein.

Thanks!
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

Toller Bericht! Kann mir vorstellen, daß da der Kopf dann schon ordentlich voll war.

Kam man denn mit der hauptsächlich englischen Konversation gut zurecht? Ich stell mir das ein bissele schwierig vor, zumal ja viele geschichtliche und reiterliche Details besprochen wurden.

Was hat es denn gekostet (ich war noch nie in Dänemark...)? 8) :wink:
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
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