Wer bildet sein Pferd noch gebisslos aus?

Rund um die klassische Reitkunst

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sapere aude
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Beitrag von sapere aude »

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Zuletzt geändert von sapere aude am Mo, 18. Dez 2017 21:36, insgesamt 1-mal geändert.
skywalker

Beitrag von skywalker »

@ sapere aude: Anschließen würde ich mich theoretisch schon gerne, aber Hessen ist ein bissl weit weg von Wien. Ich wäre shcon froh, wenn ich es einmal zu Dyslis Kursen schaffen würde, geht sich leider heuer zeitlich nicht aus.
Was hier fehlt ist einfach ein Buch "Gymnastizieren mit dem Bosal" oder so ähnlich. Würd ich sofort kaufen ;-). Ich konnte z.B. noch nicht herausfinden, was genau dem Bosal seine hebende Wirkung (von der ich eben schon oft gehört und gelesen habe, auch jetzt von dir wieder) verleiht.

Wie hast du dir dein Wissen und KÖnnen aneignen können? Konntest du von irgendeinem Vaquero direkt lernen (wenn ja, würd mich natürlich auch gleich interessieren, wer das ist/war) :wink: .

Das Problem beim Bosal ist wirklich irgendwie der Mythos, der sich da so drum rankt. Meiner Erfahrung nach gibt es folgende Reaktionen, wenn man sich dafür interessiert:
a) Die (halbwegs) Könner werfen einen sofort in die Schublade: Westernreiter, der zur Zier ein Bosal auf die Nase schnallen will und sich sonst nicht weiter interessiert, und sind daher oft zurückhaltend, ihr Wissen weiterzugeben. Oder manchmal hab ich auch das GEfühl, dass sie denken: die will bzw. kann das ja eh nicht wirklich lernen...
b) Die, die ein Bosal nur für nützlich halten, um den Zahnwechsel reitend zu überstehen und es sonst für überflüssig halten (Zahnwechsel ist bei meinem Zehnjährigen etwas schlechtes Argument *G*). Für die ist oft völlig unverständlich, warum man ein Bosal verwenden sollte, wenn das Pferd das GEbiss schon im Maul kennt und den Zahnwechsel hinter sich hat.
c) Die, die das Bosal tatsächlich nur zur Zier am Kopf haben und der Meinung sind, dass das Bosal nur in Profihände auf einem in höchstem Maße ausgebildeten (auf Trense + Kandare) Pferd gehört. Also die das Bosal für das Endprodukt halten und einen wissend tuend strengsten warnen, das Bosal auf ein Pferd zu schnallen, das eben nicht schon fertig überdrüber ausgebildet ist. Was ja aber, wenn ich es mir richtig angelesen habe, genau das GEgenteil dessen ist, was die Vaquero-Tradition lehrt.

Sorry, falls das hier zu offtopic wird. Vielleicht sollten wir das in eine PN oder eigenen Thread verfrachten... aber ich bin immer so froh, wenn ich wen finde, der Ahnung davon hat.
:D
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

@skywalker
Lieben Dank für das Raussuchen des Threads von 2011, total interessant!!
Da finde ich viele meiner Überlegungen wieder...

Sehr spannend ist dabei auch die Diskussion über den ausgeübten Druck, der mit Gebiss im Maul - versus ohne Gebiss auf den Nasenrücken - ausgeübt wird.
Der verwunderten Meinung, ein (weicher) Leder-Nasenriemen (LG-Zaum ohne Shanks, Contourzaum, Sidepull mit Ledernasenriemen, Lindel...) könne doch nicht ebenso stark drücken wie ein Metallgebiss im Maul, schließe ich mich an...
...Nicht umsonst werden Pferde am HALFTER angebunden und fahren auch mit Halfter Hänger...Warum wohl?

Jetzt interessiert mich natürlich, ob Rosana inzwischen eher gebisslos reitet oder aber lieber mit Gebiss - und ihre Gründe dafür :wink:


@sapere aude
"Was ich mir wünschen würde, wäre, dass Reiter der verschiedenen Richtungen sich offen austauschen würden, so dass man voneinander profitieren könnte."

Sehe ich genauso - und machen wir hier doch auch gerade! :)

Nochmal zur Kandare:
Ich hatte dich so verstanden, dass das Ausbildungsziel letztlich das Reiten auf blanker Kandare sei - also ohne Bosal.
Zu Stahlecker: Er beschreibt, dass selbst am DURCHHÄNGENDEN Zügel bereits Impulse im Maul ankommen. Das ist toll für ganz feine Reiterhände...und muss man wissen. Er meint, dass die kleinste Bewegung des Zügels spürbar ist, "selbst wenn dieser ohne Spannung wie eine Girlande durchhängt" (s. den Versuch mit den verbundenen Augen.)

Meine Freundin reitet ihren Haflinger mit Schenkeltrense nach PK und ich finde, er geht damit schön und zufrieden - er nimmt sowieso gerne alles ins Maul (nicht nur Gebisse) und spielt damit/darauf herum...

Jede(r) muss doch für sich und sein Pferd die passende Reitweise finden, das hängt natürlich zum einem vom Reiter ab - seinem Können und auch seinen Zielen - aber auch von den Pferdetypen und ihrem Charakter bzw. auch anatomischen Voraussetzungen.

Als z.B. die Zahnärztin bei uns am Stall war, um die Zähne zu kontrollieren, meinte sie über meinen Arab, er hätte im Maul fast gar keinen Platz für ein Gebiss - maximal den Platz wie eine kleines Shetty... und war froh, als ich meinte, er würde von mir eh gebisslos geritten werden.
Und dann sollte ich zum Vergleich in des Maul des Hafis schauen, dessen Innenraum sie als "Tanzsaal" im Vergleich zu meinem Arab betitelte...

Ich finde auch, dass es ganz viel Positives gibt, was man aus den unterschiedlichen Ausbildungsmethoden lernen kann und habe daher schon viiiiiiele DVDs angeschaut und auch Kurse unterschiedlicher Ausbilder besucht. Und ohne Ende Bücher gelesen... Das hört auch nie auf, denke ich :)

Theorie ist das eine, Praxis das andere... Es ist manchmal unglaublich, wie groß die Differenz dazwischen ist! Was in der Theorie ganz einleuchtend und harmonisch klingt, sieht bei demselben Ausbilder manchmal in der Praxis völlig anders aus. Daher finde ich das Zuschauen auf Kursen inzwischen ganz besonders wichtig, um sich eine realistische Meinung über eine Reitweise bilden zu können.
Frechi
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Beitrag von Frechi »

ui das ist echt ein spannendes Thema. Mein Pferd wurde vom Züchter ausschließlich mit Bitless Bridle geritten und "Ausgebildet". Funktionlieren tut leider gar nichts(lag aber nicht nur daran)... Ich finde den Gebisslosen Ansatz schon gut, aber ich kam mit dem BB leider garnicht klar, und hab es dann mit Sidepull versucht, war mir aber viel zu unpräzise, und das Knotenhalfter mocht ich auch nicht so richtig.
Und an die sache mit der Alt Kalifornische Reitweise trau ich mich nicht so recht ran, da ich leider keinerlei unterstützung in diese Richtung habe. Und die Literatur ja eher dürftig ist. Eigener Thread dazu wäre cool :wink:
Momentan versuch ich es mit Gebiss, bin damit allerdings alles andere als glücklich und mein Pferd ist offensichtlich auch nicht so zufrieden...
also falls wer ne Eierlegendewollmilchsau kennt immer her damit...
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

Vielen dank für die Einladung per PM zu deinem Thread. Wegen meines eigenen Pferdeblogs bin ich nicht mehr so viel hier im Forum, aber zu dem Thema will ich mich gerne äußern.

Bevor wir Rosana gekauft hatten, war ich ca. zwei Jahre lang aus Überzeugung nur noch Gebisslos (Sidepull, Glücksrad und Kappzaum) geritten. So lag es nahe, beim Einreiten von Rosana auch auf Gebiss zu verzichten. Mich hat auch genau deine Frage interessiert: Gebisslos reiten auf einem Pferd, das mit Gebiss ausgebildet wurde ist auch meiner Meinung nach keine große Kunst. Aber auch ich kannte niemand, der komplett ohne Gebiss weit ausgebildet hat und wo mir das Ergebnis gut gefiel.

Das wollte ich mit Rosana sehr gerne ausprobieren. Es ging alles soweit auch ganz gut, ich habe vor allem das Glücksrad verwendet. Nachdem ich aber anspruchsvolleren Reitunterricht bekam und meine Reitlehrer der Meinung waren, für eine klarere, eindeutigere Einwirkung brauche man ein Gebiss (Zitat: "Das Glücksrad heißt so, weil es Glücksache ist, ob die Hilfe ankommt..."), habe ich mich schließlich doch von der Grundidee abbringen lassen. Letztlich auch mangels guter Vorbilder und kompetenter Anleitung. Die frage war dann für mich letztendlich auch: Warum muss ich es mir unnötig erschweren, wo die ganze Reiterei ja sowieso schon so komplex und schwierig ist?

Neulich habe ich mal wieder zur Abwechslung das Glücksrad drauf gemacht und hatte damit wesentlich weniger Einfluss auf die Genickeinstellung: Sowohl horizontal als auch vertikal. Das liegt natürlich sicher auch daran, dass Rosana inzwischen gelernt hat, auf bestimmte Signale den Kopf zu senken und so ein Signal ist über das Glücksrad eben nicht installiert. Das könnte man sicher aber auch.
Größere Probleme sehe ich bei der Stellung, wie auch andere schon schrieben. Ob man eine korrekte seitliche Genickstellung wirklich gebisslos vermitteln kann, wenn sie nicht vorher mit Gebiss erlernt wurde? Ich weiß es nicht.

Obwohl oder gerade weil ich "aufgegeben" habe, interessiert es mich sehr, wie es anderen mit einer rein gebisslosen Ausbildung geht.

Neben der Frage nach der Stellung ist für mich eine weitere große Frage die nach der Anlehnung: Kann man eine stetige Anlehnung, ein an den Zügel nach vorne herantreten, eine wirkliche Verbindung von hinten nach vorne über den Rücken auch gebisslos erarbeiten? Ich hatte dies alles in der "Gebisslos-Zeit" auf jeden Fall (noch) nicht erreicht.

Und was auch nicht zu vernachlässigen ist: Ich denke die Maulhöhle mit ihrer beweglichen Zunge ist ein wesentlich sensiblerer und reaktionsfähigerer Kommunikationspartner, als der statische Nasenrücken.

Auf keine nFall denke cih, dass der Nasenrücken empfindlicher ist oder leichter abstumpft. Alle drei Pferde, die ich über längere Zeit gebisslos geritten bin (mit Anlehnung!) blieben leicht in der Hand und stumpften nicht ab. Irgendwelche Druckstellen auf dem Nasenrücken konnte ich auch nicht eststellen. Ich denke, das ist wie mit jedem Werkzeug: Mit allem (Sporen, Kandare, Gebiss, Nasenriemen) kann man je nach GEbrauch verfeinern oder abstumpfen bzw. Schmerzen zufügen.
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Amfortas
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Beitrag von Amfortas »

ein sehr interessantes thema!

@sapere aude
vielen dank besonders dir, dass du uns einblick haben lässt, in deine arbeit mit der altkal. reitweise. ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich mit dem bosal bisher überhaupt nicht auseinander gesetzt habe, da es für unsere zwecke nicht das richtige zu sein schien (va mangels der möglichkeit einer steten anlehnung). motiviert durch dich, hab ich jetzt zumindest ein wenig gegoogelt. nach wie vor bin ich der meinung, dass es sich um ein kommunikationsinstrument für expertenhände handelt, aber zumindest weiß ich jetzt ein klein wenig mehr darüber. :D hast du denn zufällig ein video von deiner arbeit (gerne auch via PN)? ich würde sehr gerne mehr über deine arbeit erfahren. videos, die ich bis jetzt auf youtube gefunden habe, waren vor allem von US-westernreitern und haben mir nicht so zugesagt.

ich persönlich hatte den traum, mein pferd ausschließlich gebisslos zu reiten und auch auszubilden. etwa zwei jahre habe ich mich daran versucht, da es bei meiner damaligen trainerin und ihren eigenen pferden ebenfalls ganz gut zu funktionieren schien. ich muss leider sagen, dass ich daran gescheitert bin. mittlerweile glaube ich, dass man für diesen weg ein experte sein muss oder zumindest ein sehr sehr guter reiter. meine fähigkeiten haben dafür nicht gereicht und obwohl mein pferd große schwierigkeiten mit der akzeptanz eines gebisses hat, versuche ich, nun diesen weg zu gehen.
dem pferd etwas mit gebiss zu erklären, erscheint mir wesentlich schneller und einfacher zu funktionieren. ich selbst habe mit LG-zaum gearbeitet (allerdings in sidepull-verschnallung) bzw. verwende diesen noch immer ab und zu für lockere arbeit und immer im gelände. ich habe außerdem die erfahrung gemacht, dass ich gegen ein immer wieder auftretendes büffeln, gemütlich machen auf dem nasenriemen oder abkippen bei steter anlehnung keine nachhaltige handhabe habe. auf trense stellen sich diese probleme kaum oder überhaupt nicht. der schlüssel liegt im sitz, aber dafür scheine ich nicht gut genug zu reiten. das mag jetzt für den großteil der forennutzer keine überraschung sein, aber ich wollte es einmal anmerken, dass diese art der ausbildung eben nichts für den durchschnittsfreizeitreiter ist :D
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

Hallo Rosana,

wie schön dass du dich noch einmal zu dem Thema hier äußerst! :)

Mir geht es im Prinzip so wie dir - auch ich kenne keinen Ausbilder, der sein Pferd gebisslos bis zum Schluss ausgebildet hat und somit habe ich auch kein direktes Vorbild.

Zitat: "Nachdem ich aber anspruchsvolleren Reitunterricht bekam und meine Reitlehrer der Meinung waren, für eine klarere, eindeutigere Einwirkung brauche man ein Gebiss (Zitat: "Das Glücksrad heißt so, weil es Glücksache ist, ob die Hilfe ankommt...")


Jaaaaaa, die Meinung, man brauche doch eigentlich für höhere Lektionen zwecks eindeutigerer Einwirkung ein Gebiss, kenne ich... (wobei das Zitat über das Glücksrad für mich neu ist) :roll:
Aber: Was genau bedeutet denn "eindeutige Einwirkung"? Ist es wirklich nur die Hilfe, die verständlicher für das Pferd ist - oder ist es einfach für das Pferd schmerzhafter, weshalb es dann eher in die gewünschte Richtung nachgibt??
Das fällt mir soooo oft z.B. als Zuschauer auf Kursen oder auch auf DVDs bei Pferden mit Kandare im Maul auf: JA, sie geben z.B. mit Gebiss gut im Genick nach (und ich sehe auch keinen mit "Hirschhals", den mein Arab ja immer mal wieder versucht...) ABER dafür sehe ich - nicht ausschließlich, aber viele - eingerollte Hälse, feste Rücken, untaktmäßige Gänge, hektisches Gekaue/Klappern mit den Zähnen....

Bleiben wir mal bei meinem Arab:
Der IST-Zustand OHNE Gebiss ist, dass er weitestgehend entspannt und zufrieden über den Rücken läuft - bei schwereren Lektionen wie Seitengängen im Trab/Galopp, Pirouetten, Schulparade oder Piaffe hebt er sich schnell mal heraus. Auch beim Spanischen Schritt und bei der Passage hat er das zu Beginn gemacht, diese Lektionen kann er aber inzwischen auch entspannt und mit schöner Oberlinie zeigen.
Daraus schließe ich, dass neue Lektionen, die für Maroun noch anstrengend sind, solange noch nicht flüssig und mit schöner Silhouette ausgeführt werden können, bis die Lektion als solche verstanden und die notwendige Muskulatur dafür auch verwendet wird (vorausgesetzt sie ist vorhanden, ansonsten muss sie aufgebaut werden - und das dauert...)

Mit Sicherheit könnte ich ihn via Gebiss besser korrigieren, was z.B. die Verwendung seines Unterhalses betrifft und ihn zu einer schöneren Oberlinie bewegen - aber um welchen Preis???
Ich weiß ja, dass er ein Gebiss eklig (schmerzhaft?) findet - er wäre einer von den Pferden, die mit offenem Maul hektisch darauf herumkauen und sich im Rücken dabei festmachen (habe ich ja bei ihm gesehen, als ich ihn gekauft habe...)
Eine schöne Oberlinie auf Kosten der Entspannung (Rücken fest, Gänge zackelig - so etwas sehe ich ständig...(z.B. als Zuschauer auf Kursen/Turnieren/auf DVDs...) und die Reiter versuchen dann über lösende Übungen, ihrem Pferd die Verspannungen zu nehmen, die es u.U. ohne Gebiss gar nicht hätte... :wink:

Zitat: "Und was auch nicht zu vernachlässigen ist: Ich denke die Maulhöhle mit ihrer beweglichen Zunge ist ein wesentlich sensiblerer und reaktionsfähigerer Kommunikationspartner, als der statische Nasenrücken."

Stimmt! Des einen Freud ist des anderen Leid... Wie gesagt, es gibt (einige) Pferde, die stört das Gebiss gar nicht - aber die Pferde, die z.B. zu wenig Platz im Maul oder spitze Laden haben oder auch sonst sehr schmerzempfindlich sind, haben durchaus auch ein Problem damit, ein Gebiss im Maul zu tragen - sie können zwar, vorausgesetzt der Nasenriemen lässt ihnen dafür genügend Spielraum, ihr Unbehagen zeigen (Zunge über das Gebiss legen oder sie raushängen lassen oder das Maul aufsperren usw...) - aber ausspucken können sie das Gebiss nicht. :(
Der Nasenrücken ist m.M. nach deutlich unempfindlicher - das bedeutet, dass viel mehr Zeit dafür investiert werden muss, dem Pferd die gebisslose Hilfengebung zu erklären und es darin zu schulen, auf kleine Signale entsprechend zu reagieren.

Zu deiner Überlegung, ob man wirklich eine korrekte Stellung auch gebisslos erarbeiten kann: DAS ist auf jeden Fall möglich, schon in der Grundausbildung am Kappzaum lässt sich ja gut Stellung/Biegung erarbeiten. Auch ein Nachgeben im Genick bzw. Stirn-Nasen-Linie in Richtung Senkrechte lässt sich problemlos beibringen, nur kann sich das Pferd - wenn es sich dagegen wehrt - ohne große Mühe wieder herausheben, wenn es nur einen weichen Nasenriemen als Begrenzung fühlt - man ist also viel mehr auf die freiwillige Mitarbeit seines Pferdes dabei angewiesen.


Zitat: "Neben der Frage nach der Stellung ist für mich eine weitere große Frage die nach der Anlehnung: Kann man eine stetige Anlehnung, ein an den Zügel nach vorne herantreten, eine wirkliche Verbindung von hinten nach vorne über den Rücken auch gebisslos erarbeiten? Ich hatte dies alles in der "Gebisslos-Zeit" auf jeden Fall (noch) nicht erreicht."


Ich denke, hier ist der Knackpunkt die Definition von "Anlehnung": Ich reite mit Impulsen, die korrigierend eingesetzt werden, ansonsten hängen bei mir die Zügel leicht durch. Dennoch merke ich, dass ich mein Pferd auch am losen Zügel alleine über das Gewicht der Zügel Hilfen geben kann, die auch ankommen, ein Kontakt ist also dennoch vorhanden. Einen stärkeren, gleichbleibenden Kontakt am Zügel strebe ich NICHT an, denn das ist mir zu viel "Dauerdruck".
Dasselbe Prinzip, dass auch beim NHS Verwendung findet, setze ich auch beim Reiten um (betrifft sowohl Zügel- als auch Schenkelhilfen): Impulsgebung, bis die gewünschte Reaktion erfolgt und dann sofortiges Nachgeben/Aussetzen der Hilfen, wobei das Pferd dann selber die vom Reiter gewünschte Haltung/Richtung/Gangart beibehalten soll.
So bringt mir Reiten am meisten Spaß :)
Ein Pferd, das von hinten über den Rücken nach vorne treten soll, kann dies zum Beispiel auch an der Longe (OHNE Hilfszügel) erlernen...

Mein Fazit ist bisher: Theoretisch ist ALLES gebisslos möglich, es macht aber Sinn, wenn das Pferd (UND der MENSCH!!) für die gebisslose Ausbildung auch in anderen Bereichen (NHS, Grundausbildung an der Longe, Zirkuslektionen (zwecks Kommunikationsbasis) gut geschult sind.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Ich bin zwar Gebissreiter :wink: , möchte mich aber mal kurz hier einschalten ... :)
maulfrei :o) hat geschrieben:Das fällt mir soooo oft z.B. als Zuschauer auf Kursen oder auch auf DVDs bei Pferden mit Kandare im Maul auf: JA, sie geben z.B. mit Gebiss gut im Genick nach (und ich sehe auch keinen mit "Hirschhals", den mein Arab ja immer mal wieder versucht...) ABER dafür sehe ich - nicht ausschließlich, aber viele - eingerollte Hälse, feste Rücken, untaktmäßige Gänge, hektisches Gekaue/Klappern mit den Zähnen....
Das liegt ja wohl nicht an der Tatsache, dass ein Gebiss verwendet wird, sondern wohl eher am schlechten Reiter auf dem Rücken. :wink:

Ich respektiere die Gründe, warum Du Dein Pferd gebisslos reitest, aber bitte vergleiche nicht schlechtes Reiten mit Gebiss mit gutem gebisslosem Reiten und mache dann das Gebiss dafür verantwortlich. :wink:

Nach meiner Ansicht ist ein Instrument stets nur so gut wie die Hand die es führt. Und ein Gebiss und eine Kandare haben durchaus ihre Berechtigung und können - richtig angewendet (und wenn sie dem Pferd passen) - sehr feine Kommunikationsinstrumente sein. :wink:

So, und jetzt bin ich hier wieder draußen, denn zum gebissfreien Reiten habe ich ansonsten nicht viel beizutragen. Hätte mich auch komplett hier rausgehalten, mich hat aber die Aussage, die ich oben zitiert habe, massiv gestört. Nix für ungut. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

maulfrei :o) hat geschrieben:Ist es wirklich nur die Hilfe, die verständlicher für das Pferd ist - oder ist es einfach für das Pferd schmerzhafter, weshalb es dann eher in die gewünschte Richtung nachgibt??
Danke Max, waren auch meine Gedanken, denn, obwohl ich den Thread hier sehr interessant finde und mitlese und mir schon einiges rausziehen konnte, wird mir teilweise zu sehr in die Richtung Gebiß = grundsätzlich Schmerzen verwiesen.

Ich bin gespannt, ob sich noch jemand findet, der die Ausbildung komplett ohne Gebiß hat durchführen können. Mir stellt sich hierbei die Frage: Man kann dem Pferd mit Gebiß offensichtlich einfacher verdeutlichen, wohin die Reise gehen soll. Und zwar nicht nur durch Anwendung von Schmerzen, sondern durch gefühlvolles Einwirken. Indem ich dem Pferd so wesentlich schneller eine Richtung zeigen kann, umso schneller kann es den Reiter dann auch gesund tragen. Ich meine hier jetzt nicht eine Ratz-Fatz-schnell-in-den-Sattel-Ausbildung, sondern daß man es dem Pferd einfacher macht, eine gesunde Haltung unter dem Reiter einzunehmen. Was ist da besser: Gebißlos und monate-/jahrelanges Probieren, weil sich das Pferd schwerer tut, etwas zu begreifen oder mit Gebiß, womit das Pferd schneller begreifen kann, was man von ihm in seinem Sinne möchte? So à la: Halte ich das Fahrrad meines Kindes anfangs immer nur leicht, bis es eine Ahnung davon bekommen, wie sich Balance anfühlt oder lasse ich es ohne dauernd auf die Nase fallen - ok, wobei der Vergleich ein wenig hinkt, aber vielleicht wird deutlich, was ich meine. :wink:
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
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jannie
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Beitrag von jannie »

ich reite meine mittlerweile 6-jährige Stute auch von Anfang an gebisslos, mit der klassischen Hackamore.
Und hätte ich irgendwo, irgendwann den Eindruck gehabt, dass ich einen wichtigen (Stichwort Gesunderhaltung) Ausbildungsschritt in der gleichen Qualität schneller und einfacher mit Trense erarbeiten könnte - ich hätte auf Trense gewechselt.

Ich bin aber davon überzeugt (und die Überzeugung hat sich seit ich mit Hackamore reite und ausbilde nur ständig weiter gefestigt) dass die Ausbildung mit Trense nicht einfacher und schneller geht als mit der Hackamore.
Zuletzt geändert von jannie am Fr, 10. Mai 2013 10:15, insgesamt 1-mal geändert.
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

[quote="Max1404"]Ich bin zwar Gebissreiter :wink: , möchte mich aber mal kurz hier einschalten ... :)
"Das liegt ja wohl nicht an der Tatsache, dass ein Gebiss verwendet wird, sondern wohl eher am schlechten Reiter auf dem Rücken. :wink: "


Natürlich KANN es auch am schlechten Reiter liegen, und wie gesagt bin ich gar nicht absolut gegen Gebisse, wenn das Pferd damit zufrieden aussieht - aber auch bei SEHR GUTEN REITERN habe ich es schon gesehen.
Bei AB auf der DVD gibt es z.B. einen Schimmel mit sehr hektischem Kauen/ Klappern und Verspannungen, bei dem zumindest ICH den Eindruck habe, dass ihn das Gebiss stresst und die Ursache dafür sein könnte...
Und wenn man das Buch von PK "Irrwege der modernen Dressur" aufschlägt und sich z.B. die Fotos vom Rappen anschaut (der auch auf keiner seiner DVDs zu sehen ist), so sieht der m.M. nach keineswegs zufrieden mit dem Gebiss aus: das Maul ist auf allen Bildern so weit offen, dass die Zähne deutlich zu sehen sind, die Maulpartie (Lippen/ Nüstern) ist angespannt, die Mimik m.M. nach deutlich unentspannt!
Nur mal kurz als Beispiele zum selber nachschauen, wenn man es möchte.
Und ich finde AB und PK reiten sehr gut und nehme ja ab und zu auch Unterricht von einer lizensierten RL nach PK!

Also stimme ich dir insofern zu, als dass es auch tolle Pferd-Reiter-Paare gibt, die mit Kandare unterwegs sind und ein harmonisches, zufriedenes, entspanntes Bild abgeben. :)

Aber es gibt eben auch die andere Seite, bei der sich zumindest mir als Gebisslosreiterin die Frage aufdrängt:
Würde dasselbe Pferd auch gebisslos so verspannt laufen? :wink:

@Jannie
Mir ging es genauso - ich wollte ja eigentlich auch nur gebisslos starten und dann auf Trense wechseln, spätestens wenn ich einen Punkt erreicht habe, an dem ich ohne Gebiss nicht mehr weiterkomme bzw. mir die Trense sinnvoll erscheint.
Nur...der ist nie gekommen :wink:
Zuletzt geändert von maulfrei :o) am Fr, 10. Mai 2013 09:54, insgesamt 1-mal geändert.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

maulfrei :o) hat geschrieben:Aber es gibt eben auch die andere Seite, bei der sich zumindest mir als Gebisslosreiterin die Frage aufdrängt:
Würde dasselbe Pferd auch gebisslos so verspannt laufen? :wink:
Ich wage zu behaupten: Ja. Denn es gibt tausend Gründe, warum sich ein Pferd verspannt, und 999 davon haben nichts mit dem Gebiss als solches zu tun. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Tossi
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Beitrag von Tossi »

Ich gehöre zur Gebissreiterfraktion und bin auch überzeugte Kandarenreiterin (nur in jungen Jahren war ich viel gebisslos im Gelände und bin auch so gesprungen). Trotzdem finde ich die altkalifornische Reitweise interessant und würde mich über weitere Infos und besonders über einen Tipp mit einem guten Video zur aufrichtenden/versammenden Arbeit am Bosal freuen.

In meinem Umfeld gibt es einige Reiter, die gebisslos unterwegs sind:
- entweder nach NHS/Parelli (Ruckeln am Knotenhalfter und Scheuchen mit kreisendem Seil, die Pferde laufen durchwegs mit hohem Kopf und weg gedrücktem Rücken)
- oder die Westernreiter mit Bosal (Kopf extrem tief eingestellt, der Rücken wird mit den langen Sporen unterm Bauch hoch geholt)
Beides möchte ich nicht näher beschreiben, „schön“ ist jedenfalls anders….

Gerade deshalb wäre ein Beispiel für ein am AK-Bosal höher ausgebildetes Pferd wirklich sehenswert.

Als Gebissreiterin bin ich ehrlich gesagt „süchtig“ nach dieser absoluten Durchlässigkeit und Harmonie, die sich meiner bisherigen Erfahrung nach eben nur über den Sitz und die Verbindung Hand-Zügel-Gebiss-Unterkiefer-Genick so genial erfühlen/erleben lässt.

LG Elisabeth
Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet. (David Hume)
padruga
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Beitrag von padruga »

Als Gebissreiterin bin ich ehrlich gesagt „süchtig“ nach dieser absoluten Durchlässigkeit und Harmonie, die sich meiner bisherigen Erfahrung nach eben nur über den Sitz und die Verbindung Hand-Zügel-Gebiss-Unterkiefer-Genick so genial erfühlen/erleben lässt
Schließe mich dem an. Ich finde ein Gebiss bietet einem die Möglichkeit einer noch feineren Kommunikation, das ist wie so eine Telefonleitung, die allerkleinste Signale übermittelt, von beiden Seiten her. An der Art wie die Zunge unter der Trense bewegt wird kann man schon viel früher und viel dezentere Infos vom Pferd bekommen. Man spürt es auch schneller wenn es irgendwo zu Verspannungen kommt, sei es im Körper des Pferdes oder in seinem Gemüt. Und kann schneller und ebenso dezent darauf ragieren. Man spürt auch schneller, aus welcher Richtung die Verspannung kommt, aus dem Maul, dem Genick, den Hinterbeinen... das alles spüre ich persönlich viel weniger wenn ich gebisslos unterwegs bin. Da fehlt mir dieses gemeinsame "leise miteinander murmeln"!
- Ich bin nicht gegen gebisslos ausbilden und finde das Thema bzw. einen Austausch darüber sehr interessant. Experimentiere selber da ebenfalls gerne, auch ganz ohne jede Zäumung. Komme aber da doch immer wieder an meine Grenzen.
Nur habe ich bisher noch kein Pferd gesehen, das gebisslos die höheren Lektionen richtig GUT geht, zumindest halt so nach meinem inneren Bild (bin da bisserl pingelig, gebs zu. Ist ja immer Geschmackssache). Nett anzusehen und oft mit mehr Spaß seitens des Pferdes, aber mir fehlt da immer ein bisschen was, weiß nicht was, die Losgelassenheit, die Durchlässigkeit, die Geschlossenheit, der Ausdruck, die ordentliche Versammlung, Lockerheit der Kiefer und des Genicks...?.. die Summe von allem... ich kann es gar nicht wirklich in Worte fassen. Die Hälse sind mir oft zu steif, die Ganaschen zu eng, die Durchlässigkeit zu wenig... Und immer wenn mich ein gebisslos vorgestelltes Pferd dann doch mal begeistert (und ich mir denke, ah es geht also doch), stellt sich fast immer raus dass es mit Gebiss ausgebildet wurde).
- Die Behauptung Pferde würden Gebisse grundsätzlich nicht mögen stimmt nicht. Mein Junger findet Trensen richtig doof, meine alte Stute hingegen mochte ihr Gebiss. Sie ging "mit" auch wesentlich zufriedener und entspannter, auch deutlich lockerer als ohne.
- Ich finde das Thema trotzdem sehr interessant, denn... vielleicht geht es ja doch???...
Und ja: Mehr Informationen über das Bosalreiten würde mich auch interessieren
Die Frage ist ja immer auch, wozu bildet man aus, was ist das Ziel? Um das Pferd zu befähigen dass es mein Gewicht ohne Schaden gut tragen kann? Das ist sicherlich schon früher möglich und auch gebisslos. Alles andere darüber hinaus dient ja oft doch mehr den eigenen Schönheitsvorstellungen, eingepackt in das Motiv "Gymnastizierung". T. Richter z.B. schreibt in ihrem Buch über eine Studie (?) die gemessen hat, dass die Vorderbeine eines Pferdes in der Piaffe wesentlich mehr Gewicht und Belastung aushalten müssen als ein Pferd im normalen Trab und hoch getragenem Kopf.
Zuletzt geändert von padruga am Sa, 11. Mai 2013 06:08, insgesamt 1-mal geändert.
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

Vielleicht kann Jannie ihren bisherigen Weg mal beschreiben. Wie, wann, wo angefangen, wie weiter ausgebaut, etc.
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
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