Immer nur "lieb, lieb"

Rund um die klassische Reitkunst

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bubi9191
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Immer nur "lieb, lieb"

Beitrag von bubi9191 »

Hallo zusammen,

mir schießt seit Fragen immer wieder eine Frage durch den Kopf.

Vorweg: Ich reite seit 1997, habe in einem klassischen "Schulstall" gelernt und dann seit über 10 Jahren (seitdem ich eigene Pferde besitze) nach FN geritten. Immer mal wieder mit klassischem Einfluss, hab immer mal wieder Kurse besucht / Trainer gehabt, aber nicht regelmäßig und nicht grundsätzlich.

Mir ist das Miteinander und die Harmonie sehr wichtig, genauso, wie ich "im Maul zerren" gar nicht leiden kann.
Ich möchte meine Pferde möglichst ohne großartige Hilfsmittel (wie scharfes Gebiss o.Ä.) reiten können und möchte, dass mein Pferd gerne mit mir arbeitet und ich es nicht zwingen muss.

Ich merke, wie mir mehr und mehr die klassische Schiene einfach zusagt und wie ich mehr und mehr (Trainer, Kurse, Einstellung) und diese "Schiene" wechsle, oder wie man das nennen möchte.
Denn Turniere möchte ich weiterhin bestreiten.

So, jetzt komme ich in einen Zwiespalt:
Oftmals ist im klassischen Bereich (möchte das jetzt nicht verallgemeinern, vielleicht drücke ich mich auch falsch auch) immer nur "lieb, lieb" an der Tagesordnung.
Ich möchte auf die Internetseite "Wege zum Pferd" anspielen. Ich arbeite selber nach dem Longenkurs und finde die Einstellung klasse.
Aber:
Dort wird immer NUR lieb, lieb gemacht. Das Pferd wird immer gefragt, sagt es zu etwas nein oder ist skeptisch, dann wird was anderes gemacht, hier ein bisschen geclickert, da ein bisschen gekrault.

Das ist ja alles ganz schön, aber ist das nicht an der Realität vorbei? Geht es wirklich immer nur mit lieb, lieb?
Was, wenn mein Pferd mir unter dem Sattel wegrennt? Versuche ich dann wirklich Runde für Runde mit Stimme und Gewicht abzufangen oder mit Schenkeln in eine Volte "vorsichtig" zu lenken und reite danach wochenlang nur Schritt, bis mein Pferd es gelernt hat?

Oder darf ich dann eben doch mal die Hand als Bremse benutzen, vielleicht kommt mein Pferd dann kurz hinter die Senkrechte, aber ich kann es danach normal weiterreiten?
Oder meinem Pferd fallen Seitengänge schwer, er nölt, etc.
Darf ich dann nicht auch mal mit der Gerte kommen und sagen "Ich möchte das jetzt aber?" Muss ich da wirklich auf mein Pferd hören und sagen "okay, das kann er nicht, versteht mich nicht, was auch immer, nochmal 100 Schritte zurück oder ganz sein lassen".

Versteht ihr so ein bisschen was ich meine?

Pferde sind große Tiere, durchaus gutmäutig, aber auch stark und auch teilweise willensstark. Natürlich möchten die auch ihren Willen durchsetzen und ich weiß nicht, warum ich mich bei Pferden nicht mal "durchsetzen" darf.

Ich stelle das absichtilich übertrieben dar!

Freue mich auf Meinungen :)
Kiruna Karmina
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Beitrag von Kiruna Karmina »

Wie Du, Bubi, sehe ich das auch. Manchmal muss man einfach eine Grenze setzen, denn einige Kandidaten sind Meister darin, auszutesten, was sie sich erlauben können.
xelape

Beitrag von xelape »

ui, das wir eine spannende Diskussion werden.

Ich denke wie so oft macht es die Mischung aus beidem.
Mein Pferd mit 700KGs Lebendgewicht, ist sehr gut erzogen. Da bin ich sehr konsequent mit dem Ergebnis dass wir bestens miteinander auskommen.
Er weiss einfach "steh" heisst steh und bei nicht befolgen schieb ich ihn wieder zurück.
Immer so praktiziert führt das zu einem guten Grundgehorsam der auch beim Reiten zu spüren ist.
Was dazu führt, dass man kleine 11 jährige Mädchen auf ihm mit zum Ausritt nehmen kann, weil man weiss, Pferd reagiert auf mich, auch wenn ich nebenher auf einem Pferd reite.

Ganz anders ist es beim Dressurreiten, wenn es da richtig anstrengend wird. Da wird schonmal hinterfragt.. und wenn, um bei Deinem Beispiel zu bleiben, er nicht ordentlich seitwärts gehen will, ich ihn schon mit der Gerte antippe.
ABER : leider sitzt das Problem meist oben... und ich überlege mir sehr genau, mein Fehler, ich zu wenig Energie, oder drehe ich mich falsch mit... usw.

Wenn ich aber das Gefühl habe, Pferd ist nicht gut drauf, zu heiss, zu kalt oder wirklich gar keine Lust..wie auch immer, nehme ich Rücksicht und mache Piano Programm und gehe gemütlich ausreiten..
bubi9191
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Beitrag von bubi9191 »

Ist es denn okay, dann auch mal die Gerte einzusetzen oder auch mal energisch anzuhalten?

Wie lösen oder würden die "Meister" BB, Hinrichs, Oliviera und Co. diese Dinge lösen?
Kommt das bei Ihnen gar nicht erst auf?
Warum?


Auf die Frage kam ich bei meiner letzten Stute, die, wie einige mitbekommen haben, sehr "frech" war. Ich versuchte wirklich viel. Bodenarbeit, Clickern, Durchsetzen, viel Abwechslung. Nichts half. Ich hatte das Vertrauen in dieses Pferd verloren und egal was ich versuchte - sie widersetzte sich. Ich stecke mehrere 1000 € in die Untersuchung dieses Pferdes - sie war/ist kerngesund.
Sie ging soweit, dass es wirklich gefährlich war. Plötzliches Steigen auf einem normal Trab, hinten rüber werfen, beim Führen nach vorne ausschlagen, ansteigen, gezielt treten - das volle Programm.

Ich habe sie verkauft. Der neue Reiter kommt sehr gut mit ihr klar. Sie versucht es auch hin und wieder, aber er ist da "konsequenter" oder man mag es "brutaler" nennen. Mir tut sie nicht Leid. Vielleicht auch, weil ich weiß, was ich alles probiert habe über knapp ein Jahr.


Und dann war ich am Wochenende beim CHIO, da kam diese Frage erneut auf. Thema Totilas. Vorab: Ich halte NICHTS von Rollkur, Zusammenziehen, etc. pp.
Aber: Haben nicht auch MAR und Gefolge versucht dieses Pferd pferdeschonend zu reiten? Was kam dann dabei rum? Ein komplett überforderter MAR auf einem rebellierenden Hengst.
Und heute? Neuer Trainer, umstrittene Trainingsmethoden (die auch ich eben kritisiere). Aber: Totilas bringt Leistung, ist konzentriert. Er wirkt nicht "unterworfen" oder nach dem Ritt am langen Zügel komplett verängstigt.

Alle die Totilas kennen sprechen über ihn als "sehr dominanten" Hengst. Und Rollkur ist sicher eine Methode sich ein Pferd zu unterwerfen. Ich meine jetzt nicht, dass man Rollkur bei dominanten Pferden anwenden muss, auf keinen Fall, aber, dass es durchaus Pferde gibt, die man nicht mit solchen Samthandschuhen anfassen kann.

Aber auch solche, die das durchaus zu schätzen wissen und das dankbar annehmen und nur "funktionieren" wenn sie immer "lieb, lieb" behandelt werden.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Hallo bubi,


da ich nur für mich sprechen kann und mich auch in keiner Weise mit einem Reiter/Pferd Gespann wie Totillas und andere, bleibe ich mal bei mir:


LIeb, lieb ist mir sehr wichtig, auch wenn es so etwas abwertend klingt.

Auf eine gut ausgeführte Lektion folgt bei mir IMMER ein Lob, das ist sicher, falls mein Pferd mit mir Mist bauen will, muss ich konsequent vorgehen, bis es das sein lässt, dann bin auch ich wieder lieb.

Diese Sprache verstehen Pferde sehr gut.

Der feine Unterschied liegt wohl zwischen Konsequenz und Gewalt.

Sehr wohl kann oder muss ich auch mal grob einwirken, mir persönlich ist das ein Gräuel und meine Arbeit ist so eingeteilt, das ich nicht grob werden muss.

Ist ein Pferd nicht in der Lage, die Aufgabe auszuführen, dann wird sie halt in kleineren Teilstücken geübt.

Gewalt beginnt dann da, wo ich ohne Grund zu viel verlange, zu hart einwirke und nicht nachlasse, obwohl das Tier überfordert ist.
Gewalt ist auch da, wo ich extra noch mal einen "draufdonnere", weil ich sauer bin.

Konsequenz arbeitet angemessen an der Aufgabe und endet, wenn alles so gelaufen ist, wie ich mir den nächsten Schritt geplant habe.


Konsequenz sollte mit einem Lob enden, dann ist es auch lieb, lieb.



LG Ulrike
rouxa
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Re: Immer nur "lieb, lieb"

Beitrag von rouxa »

bubi9191 hat geschrieben: So, jetzt komme ich in einen Zwiespalt:
Oftmals ist im klassischen Bereich (möchte das jetzt nicht verallgemeinern, vielleicht drücke ich mich auch falsch auch) immer nur "lieb, lieb" an der Tagesordnung.
Ich möchte auf die Internetseite "Wege zum Pferd" anspielen. Ich arbeite selber nach dem Longenkurs und finde die Einstellung klasse....
Aber:
Dort wird immer NUR lieb, lieb gemacht. Das Pferd wird immer gefragt, sagt es zu etwas nein oder ist skeptisch, dann wird was anderes gemacht, hier ein bisschen geclickert, da ein bisschen gekrault....

Das ist ja alles ganz schön, aber ist das nicht an der Realität vorbei? Geht es wirklich immer nur mit lieb, lieb?...

Freue mich auf Meinungen :)
Ganz ehrlich? Ich glaube, das ist einzig und allein eine Gewissensfrage des Pferdehalters. Es gibt keine Legitimation durch die Pferde. Die machen alles mit. Von Tüddelditü und Schischiwaschi bis zur Rollkur und Isolationshaft in Höhlenhaltung zwischen ausschließlich Box und Halle. Es geht nur um Dein Statement als Mensch. Eigentlich nur um Deine Entscheidung, wer Du im Zusammensein mit Deinen Pferden sein willst.

Will heissen: Beatworte Dir selber die Grundfrage, wie Du Deine Pferde halten und trainieren willst.

Was nützen Dir tausend Meinungen, wenn Du Dich selber danach nicht mehr im Spiegel anschauen kannst? Oder nicht glücklich damit bist? Reiten und Pferdehalten ist enorm zeit- und kostenintensiv. Solange Du das aber im besten Wissen und Gewissen tust, wird sich für Dich diese Frage nie stellen. Dass sie es tut, zeigt nur, wie unsicher Du in Deinem Weg bist. Diese Unsicherheit solltest Du aber nicht damit zu beantworten versuchen, ob Pferde nun diesen oder jenen Weg zur Problemlösung brauchen oder nicht. Sondern ob Du glücklich bist, mit dem, was Du mit Deinen Pferden tust.

By the way: Deine Frage zielt ja dahin, ob ausbildungstechnische Schwierigkeiten auch mal mit einem klaren, körperlichen Statement Deinerseits beantwortet werden dürfen oder nicht. Meiner Meinung nach dürfen sie das klar, sofern Dein Sitz, Deine Hilfengebung und Deine Heranführung des Pferdes an die Fragestellung optimal und klar sind... Nur: Bei wem sind sie das schon? *grins*
Gruss, Simone
charona
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Beitrag von charona »

Ich denke persönlich, dass die Diskussion um Totilas und wie die eigene Seele für den erfolg verkauft wurde (meine unmassgebliche Meinung) hier den Rahmen sprengen würde.

Um noch mal auf Deine Kernfrage zurückzukommen: lieb, lieb, am liebsten versus halt's Maul und mach was ich will -vielleicht ein wenig überspitzt sehe ich das Ganze wie folgt:

Meiner Meinung nach gibt es eine nämlich nur zwei möglichkeiten: gute, pferdegerechte Ausbildung/ Reiterei oder nicht und nicht die Unterteilung nach Klassisch und FN, Cowboy, Doma Vaquera etc, etc.

Ein guter Ausbilder weiss, was er dem Pferd abverlangen kann und wann er es mal Piano angehen lassen sollte. Beispiel: Pferd klemmt in den Seitengängen. Dann kannst Du dem Tier natürlich die Gerte über den Pelz ziehen, aber weisst Du, ob der Fehler nicht vielmehr beim Reiter zu suchen ist? keine gute Vorbereitung, zuviel abverlangt, evtl. ist das Pferd noch gar nicht so weit? Wenn Du nur eine der og. Situationen mit Ja beantworten kannst, dann hilft es nichts, streng zu sein.

Wenn ein Pferd allerdings rumnölt und Anweisungen aus einer Launa ignoriert, dann darf man es durchaus mit einem Klaps auf den Poppes zurecht weisen. Und wenn ein Pferd durchgeht, aus welchem Grund auch immer, dann versuche ich es auch resulut wieder einzufangen.
horsman
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Beitrag von horsman »

Klass. RL (auch Legerete) und Disziplin auf seiten von Pferd und Reiter schließen sich nicht aus, ganz im Gegenteil. Aber man sollte vermehrt versuchen zu erkennen, warum ein Pferd möglicherweise "rebelliert" , sich wehrt, oder sonst wie nicht mitmacht. In den allermeisten Fällen liegt das am Unvermögen des Reiters, das was er möchte dem Pferd verständlich klar zu machen oder etwas vom Pferd zu verlangen, was es noch nicht geben kann oder Reaktionen des Pferd gar nicht zu erkennen bzw. richtig einzuschätzen. Diesen vermeintlichen "Ungehorsam" darf man dann dem Pferd nicht ankreiden - dies wäre eine Ungerechtigkeit, die ein charakterstarkes Pferd nur veranlassen würde sich nur noch mehr aufzulehnen. Hier verfügen echte Könner wie zB NO eben über sehr grosse Erfahrung und ein entsprechend vielfältiges Repertoir mit Diplomatie an sein Ziel zu gelangen und das Pferd dabei auf seiner Seite zu behalten.

EIN Beispiel welches die Komplexität mE gut aufzeigt:
Natürlich kann (und sollte) man auch die Gerte einsetzen, wenn das Pferd nicht auf den vorwärtstreibenden Schenkel reagiert. Zunächst natürlich noch freundlich, danach ggf. auch stärker aber niemals zornig.
ABER: Zunächst muss man sich fragen:
1)wie reagierte das PFerd beim Longieren ohne Reiter mit Ausbindern? Ging es da schon frisch voran mit Kontakt an die Ausbinder??? Wenn nicht fehlt hier schon die Grundlage. 1b) Wie ging es an der Longe mit Reiter und Zügelkontakt?
2) Hat der Reiter womöglich den Vorwärs-Impuls den das Pferd mal gab nicht gespürt oder sogar durch eine rückwärts wirkende Hand wieder selbst kaputt gemacht. Stichwort "Hand ohne Bein - Beine ohne Hand".
Hat sich der Reiter die Reaktion auf den vortreibenden Schenkel durch Dauereinsatz von Wade oder sogar Sporen zerstört?

Da wo jedoch echter Ungehorsam zu erkennen ist (aber vorsicht vor einer Vorverurteilung!) da sollte man mE auch mal deutlich ggü. dem Pferd werden. Das heißt aber nicht zu brutalen Mitteln zu greifen !
Zuletzt geändert von horsman am Mo, 21. Jul 2014 12:53, insgesamt 5-mal geändert.
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
Phanja

Beitrag von Phanja »

Ich denke, dass der grundlegende Umgangston sehr individuell von Pferd und Reiter abhängig ist.

Ich für mich persönlich unterscheide gedanklich zwischen
- dem Verhältnis zwischen Pferd und mir in der jeweiligen Situation
- dem Lernverhalten des Pferdes
Sprich: Benimmt sich das Pferd MIR gegenüber respektlos, rempelt, beachtet mich gar nicht, überholt mich stürmisch oder zeigt andere Verhaltensweisen, die auch gegenüber einem anderen Pferd respektlos wären, strafe ich das durchaus auch mal. Die Härte der Strafe hängt dabei vom Pferd ab. Denn eins ist sicher: Was das eine Pferd bereits als Strafe empfindet, fasst das andere Pferd vielleicht grad so als Hinweis auf. Solange auf der Verhältnisebene kein Einverständnis herrscht, fange ich mit Arbeit im Sinne von Aufgabenstellung an das Pferd gar nicht an.

Anders gehe ich vor, wenn ich dem Pferd eine Aufgabe stelle und es die Aufgabe an sich nicht prompt oder korrekt ausführt, sein Verhalten mir gegenüber aber völlig in Ordnung ist. Dann versuche ich tatsächlich auch über eine andere Aufgabenstellung oder andere Signalgebung Motivation zu wecken. Im Bereich Lernen und Aufgaben stellen sehe ich es als meine Hauptaufgabe, das Pferd positiv motiviert zu halten. Bei mir gibt es kein "du musst jetzt genau das machen, sonst setzt es was". Ich setze z.B. ein Schulterherein nicht mit Zwang durch, wenn ich es durch schlichte Anfrage vom Pferd nicht bekomme.

Das ist übrigens auch der Ansatz von Bent Branderup. Er sieht das Pferd als seinen Schüler und natürlich kann man Schüler dazu bringen, Aufgaben zu lösen, wenn sie keine andere Wahl haben. Man kann aber auch Schüler dazu bringen, das Lernen zu mögen. Das ist eines der Hauptziele in der Akademischen Reitkunst. Man soll aus dem individuellen Pferd einen guten, motivierten Schüler machen. Und das hängt nur davon ab, wie gut man selbst als Lehrer fungiert.

Ich denke, man kann die Sache wie so vieles nicht pauschal beantworten. Besonders schwierig ist es immer dann, wenn man z.B. ein Pferd mit schlechten Erfahrungen und wenig Motivation hat und dazu einen Menschen, der gerne Befehlsgeber ist (ich meine das nicht so negativ, wie es klingt, aber es gibt einfach Menschen, die immer folgsame Aufgabenerledigung vom Pferd erwarten). Oder die Konstellation sehr motiviertes Pferd, das alles anbietet und dazu einen Menschen, der dann wirklich alles annimmt und gar nichts vorgibt.

Da wir alle mehr oder weniger Ausbilder unserer Pferde sind, sehe ich die Frage nach dem Umgang als eine sehr pädagogische an. In dieser Hinsicht haben eben viele Menschen auch gar kein Zielbild. Wie stelle ich mir die Arbeit mit dem Pferd vor? Will ich, dass das Pferd sich äußert, wenn es etwas nicht mag? Oder will ich ein Pferd das schlichtweg funktioniert?

Ich persönlich gehe z.B. weder auf Turniere, noch auf sonstige Veranstaltungen, wo ich zuverlässig wirkliche "Arbeit" abrufbar haben muss. Von daher kann ich es mir sehr gut leisten, dass meine Pferde sagen dürfen, wenn sie auf eine Übung keine Lust haben. Das heißt natürlich nicht, dass sie alles dürfen (siehe über den Haufen rennen, rempeln, etc.). Aber sie dürfen sich äußern und ich gehe darauf ein, indem ich versuche, eine Übung zu finden, die ihnen Spaß macht. Wenn ich das Pferd mit Dingen, die ihm Spaß machen gut motiviert habe, kann ich anschließend auch sehr gut an Dingen arbeiten, die für das Pferd eher schwierig sind oder die es eigentlich nicht so gerne macht. Und solche Dinge belohne ich dann auch stärker als Übungen, die das Pferd von sich aus gerne mag (auch eine Übung an sich kann eine Belohnung für das Pferd sein!).
Ein weiteres Beispiel wäre: Der Mensch möchte antraben, gibt dabei aber z.B. mit Sitz und Hand widersprüchliche Signale. Das Pferd weiß nicht, was es soll und der Mensch straft es, weil es nicht antrabt. Man sollte sich also auch bei jeder Aufgabenstellung fragen, warum das Pferd nicht so reagiert, wie man gerne hätte. Es liegt nicht immer an mangelnder Motivation, sondern es kann eben auch an mangelnder Kommunikation liegen.

@bubi
Zu Totilas.
Das Pferd wirkt nicht unterworfen, das Pferd wirkt auf mich seelisch tot. Soviel zum Thema Motivation ... :roll:

@rouxa
Super Beitrag! Danke! :D
xelape

Beitrag von xelape »

Rouxa-- danke für Deinen Beitrag, denn ich wirklich unterschreiben würde.
Das ist des Pudels Kern!
bubi9191
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Beitrag von bubi9191 »

Phanja hat geschrieben:Ich denke, dass der grundlegende Umgangston sehr individuell von Pferd und Reiter abhängig ist.

Denn eins ist sicher: Was das eine Pferd bereits als Strafe empfindet, fasst das andere Pferd vielleicht grad so als Hinweis auf. Solange auf der Verhältnisebene kein Einverständnis herrscht, fange ich mit Arbeit im Sinne von Aufgabenstellung an das Pferd gar nicht an.
DAS finde ich ganz toll und ganz wichtig und habs nochmal aufgegriffen.



Thema Totilas sprengt sicher den Rahmen.
Vielleicht bin ich da jetzt einfach etwas sensibler, weil ich eben so ein "dominantes" Pferd (ehrlich gesagt nenne ich es gefährlich. Für mich war es gefährlich. Es geht einfach nicht, dass ein Pferd, welches mich umrempelt, dem ich nur einen Klaps an die Schulter gebe mit dem Handrücken [welches es also wirklich kaum gemerkt haben kann] dann gezielt mit dem VOrderbein nach mir auskeilt) hatte.
Ich bereue es keine Sekudne dieses Pferd abzugeben. Ich war damit nicht glücklich, das Pferd genauso wenig.
Erstaunlicherweise war sie in der Herde alles, aber nicht dominant. Also ging ich von Unsicherheit aus. Ich tat alles, aber ich hatte keine Chance.
Sie war übrigens 1,76m fünfjährig und ein ganz schönes Kaliber.

Ich möchte auf keinen Fall, dass hier irgendwie das "lieb, lieb" wie ich es nenne verteufelt wird oder jemand sagt "Pferde brauchen Schläge".
Wie ich bereits schrieb, ich bin selber jemand, der nichts mit Gewalt lösen möchte.
Ich sitze aber ein bisschen zwischen den Stühlen. Mein Pony hat niemals irgendwas abbekommen. Kein Schreien, kein Klopfen, keine Gerte, nichts. Und das ging 10 Jahre ohne Widersetzlichkeiten oder Sonstiges. Der tat in 95% aller Fälle genau das, was ich von ihm wollte. Und ich brauchte es nur zu denken. Und wenn das mal nicht der Fall war, habe ich über meinen "kleinen Sturkopf" gelacht.

Und auch jetzt habe ich wieder ein sehr braves Pferd.

Ich wollte das nur mal so allgemein diskutieren.


Ein weiteres Beispiel:
Pferd tritt immer gegen den Putzkasten beim Putzen, weil es das lustig findet.
Variante 1: Putzkasten wegstellen, Problem umgangen
Variante 2: Strafen für jedes Putzkasten treten
Variante 3: Loben für jede Minute wo es still steht (ob es den Zusammenhang wohl lernt?
Variante 4: ...

Ehrlich gesagt würde ich schon fast Variante 1 wählen, gleichzeitig aber irgendwann schon damit konfrontieren. Ich möchte etwas vor mein Pferd stellen können, ohne dass es das zerstört.
Vielleicht bin ich da egoistisch, aber ich sehe an diesem Beispiel z.b. nicht ein, warum ich mein Pferd ewig loben soll, wenn es nicht tritt.
Es hat meine Sachen nicht zu zerstören.
Natürlich haue ich nicht sofort drauf. "Nein", kürzer anbinden, zurückschieben. Das reicht ja bei den meisten Pferden schon.
Was aber, wenn ich ein beratungsresistentes Pferd habe.

Das sind einfach so kleine Beispiele die mir einfallen, wo ich mir dann oft in so Foren wie hier oder in einem anderen Forum als "Außenseiter" vorkomme oder gar sogar denke "bin ich schlecht zu meinem Pferd", weil ich es eben nicht erclickere oder Ähnliches...


edit:
Dass Pferde alles mitmachen halte ich für ein Gerücht.
Mein Pony, dem brauchtest du nicht ankommen mit "du musst". Da war sofort dicht. Aber der hat ALLES für mich getan, niemals gesagt "lass mich erst überlegen", der war immer und sofort mit Feuer und Flamme dabei. Er war hypersensibel, aber nach außen wurde er immer von allen alles "super braves Anfängerpferd" beschrieben. Bis ich dann mal eine Woche im Urlaub war oder die, die wussten wie er war als er kam.

Meine Stute die war gebrochen. Durch und durch. Erlernte Hilflosikeit. Die ließ also durchaus alles mit sich machen. Die wurde bei uns zu nem anderen Pferd, das war toll zu sehen.

Die andere Stute, da ging gar nichts mit "bitte bitte" und "lieb". Wirklich, ich habe es probiert. Die hat mir den Stinkefinger gezeigt. Glaube die hat mich richtig ausgelacht...
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Ich sehe das ähnlich wie rouxa. Wieviel "lieb, lieb" oder " Eiteitei" jeder macht, muss derjenige selbst entscheiden. Und ob jemand mit Verhalten, das für den einen bereits ein "fauler Kompromiß" und für den anderen noch eine "gestattete Freiheit" ist, zurecht kommt oder nicht, ist eine Frage des Gefühls des Einzelnen.
Die Grenzen sind fließend und der Graubereich groß. Die ultimativen Grenzen ziehen sich für mich ganz klar bei der Gefährdung des Menschen und bei physischen und/oder psychischen Schmerzen des Pferdes.
Im Entscheidungsfall- also entweder Verletzung des Menschen ODER aber körperlicher Schmerz für das Pferd, geht die Gesundheit des Menschen für mich vor. Im Zweifel z.B. zerre ich sehr grob am Zügel, bevor ich auf der Autobahn lande oder ich schlage auch mal um mich, wenn das Pferd befindet, dort gehen zu müssen, wo bereits durch mich besetzt ist.
"Klassisch" ist allerdings für mich nicht mit "lieb-lieb" besetzt, sondern eher "alternativ".
Inakzeptabel sind für mich körperliche oder seelische Maßnahmen gegen das Pferd , geboren aus Ehrgeiz, Geltungssucht, Grausamkeit, Machtgedanken und Agression.
Der Bereich " Ehrgeiz" spielt sowohl im Sport, als auch in der "Klassikszene" leider häufig eine nicht unerhebliche Rolle.
Und ein alter, sehr wahrer Satz : " Gewalt fängt da an, wo Können endet!"
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marquisa
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Beitrag von marquisa »

Genau Ulrike,diese Einstellung teile ich auch!

Das überwältigende Gros der Pferde ist ihrem Menschen sehr zugetan und möchte ihm gefallen.Die Ausbildung sollte so aufgeteilt werden,das bei Einleitung einer neuen Lektion die vorbedingende bereits sitzt.
Um es anders zu sagen: Ich bringe mein Pferd vorab in eine Situation (sei es Balance,eine gute ruhige Stimmung,etc.) aus der heraus es mein Vorhaben überhaupt erfüllen kann.

Und daran scheitert es doch in der regel schon im Vorfeld,sprich;

Der limitierende Faktor sitzt im Sattel.

Ich hab mal einen bösen Satz gesagt,nämlich das fast jeder Anfänger "sein" Pferd schon viele Male unbewusst böse malträtiert hat.

Das Bewusstsein dafür,zu welchem Zeitpunkt ich mein Pferd überfordere oder mit falschen Hilfen nicht unterstütze sondern noch in Schwulitäten bringe ist ein Prozess,der erst mit Reifung des reiterlichen Werdegangs allmählich eintritt.

Jegliches Strafen für nicht verstandene oder unzulänglich verstandene Hilfen muss absolut unterbleiben,ansonsten stört dieses massiv die Bindung zwischen Reiter und Pferd.

Bei guter Förderung statt Überforderung sind die meisten Pferde gerne bereit,ihr letztes Hemd zu geben,wobei dort die Toleranzgrenze eben unterschiedlich gelagert ist.

Von lediglich streicheln und Leckerchen reinschieben ist noch kein Pferd auf ein weiteres Level gekommen,geritten und gymnastiziert worden.

Ein motivierendes: Komm! Du schaffst noch einen Sprung,drei Tritte in SH oder weiß der Teufel was auch immer im moderaten Maße,finde ich legitim und notwendig für den Fortschritt.Immer ein klein wenig mehr,damit aus den Grundrechenarten irgendwann mal höhere Algebra wird.

Wenn ich jetzt einem Kind schwimmen beibringe,schmeiß ich es ja auch nicht direkt ins tiefe Wasser und döpp noch mal nach,wenn es nach Luft jappst.Aber wenn es schon gut schwimmen kann,dürfen auch mal drei Bahnen drangehängt ,oder nach Ringen getaucht werden.

Viele Pausen,loben,sobald etwas gut geklappt hat oder ein guter Wille angenommen werden kann.

Wo ich persönlich aber absolut die Grenze ziehe und durchaus rabiat werden kann ist in Situationen,wo das Pferd sich derart verselbständigt,dass es Gefahr für mein oder sein eigenes Leben bedeutet.

Ein durchgehendes Pferd werde ich versuchen,auf schnellstem Wege (wohl möglichst ohne Überschlag) zu stoppen, und da überleg ich auch nicht,ob ich jetzt im Maul ziehe.

Oder wenn zwei eineinhalbjährige Junghengste mich morgens auf zwei Beinen begrüßen und schon mal alleine zur Weide vorlaufen wollen.
Dann hole ich nicht die Klangschale,sondern den Hexenbesen und ziehe denen damit einen sinnbildlichen Scheitel.


Ich denke,man sollte da einfach mal mit dem gesunden Menschenverstand rangehen.Die meisten Widersetzlichkeiten sind in irgendeiner Art und Weise hausgemacht.

Es gibt allerdings wie bei uns Menschen auch Exemplare,die wirklich nicht wollen oder zu dusselig sind.
Da hilft dann nur,den Einsatzbereich für dieses Exemplar zu modifizieren.
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marquisa
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Beitrag von marquisa »

Meine Güte,in der Zwischenzeit,wo ich getippt habe,sind schon zig neue Beiträge entstanden!
Also ein fesselndes Thema!
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Fortissimo
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Beitrag von Fortissimo »

Warum sollen Pferde so großartig anders "funktionieren" als Menschen? Es gibt durchsetzungsstarke Menschen, Menschen mit stoischer Gelassenheit und ängstliche Häschen.

Meine Pferde sind so der Inbegriff des Gegensatzes. Speedy ist meist stur wie ein Panzer, braucht auch schon mal nen Rüffel oder nen Klaps vor den Bug. Schockiert, beleidigt oder verängstigt ist er deshalb noch lange nicht. Beim Reiten ist er gerne mal stinkfaul. Hier wirkt ein kleiner Klaps mit der Gerte Wunder. Aber es darf wirklich nur ein Klaps sein, für richtige Strafen hat er dann kein Verständnis.

Der Schimmel ist meist ängstlich, hysterisch. Ein kräftiger Klaps vor den Bug wäre fatal. Dennoch testet er mich immer mal wieder - eigentlich viel mehr als Speedy. Aber da reicht eine kurz erhobene Stimme oder ein leichtes Wegschieben und er hat begriffen.

Ich beobachte immer wieder, wie die Pferde miteinander umgehen und versuche einige Details in meinen täglichen Umgang einzubauen. Die Pferde respektieren das voll und ganz! Rüpeligkeit und Frechheiten lasse ich mir nicht bieten! Da ist mir das Leben zu viel Wert. Wenn 600 kg frech und gefährlich ungehorsam werden, dann knallt es auch mal. Und wenn mir ein Pferd durchgeht, quatsche ich auch keine Oper - da packe ich durch. Ich habe bereits mehrere Pferde vor Autos gesehen. Das brauche ich nicht noch einmal.

Aber nichtsdestotrotz, ein schlagender Pferdebesitzer bin ich definitiv nicht - nur relativ konsequent.
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