Leitsaetze : Reite dein Pferd vorwearts und richte es gerade

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saltandpepper

Leitsaetze : Reite dein Pferd vorwearts und richte es gerade

Beitrag von saltandpepper »

Dieser - für mich wirklich grundlegende - Leitsatz wird gerne und oft bemüht.

Aber was genau sagt er aus, was bedeutet er in und für die tägliche\-n Arbeit mit dem Pferd ?

Oft für meinen Begriff massiv fehlinterpretiert und nach meinem Empfinden falsch umgesetzt, wäre es interessant, zu erfahren, was jeder einzelne hier damit verbindet und welche Vorstellung er von der Umsetzung hat.

Ein Thema, an dem man immer wieder in verschiedenen Abschnitten der reiterlichen Entwicklung vorbeikommt und das mich in einer Phase von "back to the roots" gerade wieder einmal intensiv beschäftigt.
Lilith79
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Beitrag von Lilith79 »

Also für mich als relativer Laie und Durchschnittsreiter verstehe ich den Satz so:

a) Wähle ein angemessenes Grundtempo, das wäre dann in der Regel wohl eher nicht das "Wohlfühltempo" des Tempos, sondern eventuell einen Ticken fleißiger (oder bei einem eiligen Pferd ruhiger). Ein Tempo in dem das Pferd taktmäßig und losgelassen gehen kann, ohne faul zu sein und ohne dahin zu dümpeln, aber auch ohne davon zu rennen. Ein Tempo in dem das Pferd seine vertikale und horizontale Balance überhaupt finden kann und wo der Rücken zum schwingen kommen kann.

b) Arbeite ständig kontinuierlich daran, dass das Pferd mit der Zeit auf beiden Händen gleichmäßiger wird, sich zu beiden Seiten gleichmäßig stellen und biegen lässt und lernt spurig zu laufen, also dass die Hinterhufe in die Spur des jeweiligen Vorderhufes treten, egal ob auf der Geraden oder in der Biegung.

Das war jetzt mal nur die theoretische Interpretation des Satzes zur Praxis schreibe ich was, wenn ich mehr Zeit habe.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Dieser wunderbare Leitsatz beschreibt die Lebenzeit eines gerittenen Pferdes und die tägliche Arbeit.

Jeden Tag muss ich mir Gedanken machen, welche gymnastischen Übungen meinem Pferd nutzen, um aus der natürlichen Schiefe ein in sich auf beiden Seiten geschmeidiges Und somit gerdaegerichtetes Pferd "entstehen" zu lassen.

Da dieses nicht an sieben Tagen :wink: Geschehen kann, braucht es viel Zeit und Geduld und hinschauen und hinfühlen, um dieses Ziel zu erreichen.

LG
Ulrike
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Meg
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Beitrag von Meg »

Lilith79 hat geschrieben:Also für mich als relativer Laie und Durchschnittsreiter verstehe ich den Satz so:

a) Wähle ein angemessenes Grundtempo, das wäre dann in der Regel wohl eher nicht das "Wohlfühltempo" des Tempos, sondern eventuell einen Ticken fleißiger (oder bei einem eiligen Pferd ruhiger). Ein Tempo in dem das Pferd taktmäßig und losgelassen gehen kann, ohne faul zu sein und ohne dahin zu dümpeln, aber auch ohne davon zu rennen. Ein Tempo in dem das Pferd seine vertikale und horizontale Balance überhaupt finden kann und wo der Rücken zum schwingen kommen kann.

b) Arbeite ständig kontinuierlich daran, dass das Pferd mit der Zeit auf beiden Händen gleichmäßiger wird, sich zu beiden Seiten gleichmäßig stellen und biegen lässt und lernt spurig zu laufen, also dass die Hinterhufe in die Spur des jeweiligen Vorderhufes treten, egal ob auf der Geraden oder in der Biegung.



Das war jetzt mal nur die theoretische Interpretation des Satzes zur Praxis schreibe ich was, wenn ich mehr Zeit habe.
Sehr schön beschrieben!
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Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Nachdem ich gerade einige Tage Trainingslager hinter mir habe, auf dem ich anderer Leuts bestens und reell ausgebildete Pferde reiten und mich schleifen lassen durfte, ist mir die Bedeutung der beiden Dinge wieder ganz stark in den Fokus gerückt. So lange ich mein Pferd nicht gerade und "vor mir" habe, ist eigentlich alles Murks. Und wenn ich´s gerade und vor mir habe, geht so Vieles ganz von selbst. Aber BIS ich´s da habe ... uff 8)
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Hallo,

na dann versuch ichs noch mal 8)

Unter "vorwärts" verstehe ich es, in jedem Ausbildungsstadium darum bemüht zu sein die Hinterbeine des Pferdes weit nach vorn in Richtung seines Schwerpunktes greifen zu lassen. Je weiter die Hinterbeine vorwärts unter die Masse treten können, desto mehr Last können sie aufnehmen, desto mehr wird sich das Pferd versammeln können. Ich sehe "Vorwärts" im Verhältnis zum Schwerpunkt des Pferdes und keinesfalls als Bodengewinn. Ich verstehe unter "vorwärts" also den Vorgriff des Hinterbeins mit immer weniger Rückschub. Vorwärts im Sinne von "mit viel Raumgewinn nach vorn reiten" ist meinem Verständnis nach nicht damit gemeint, jedoch leider oft so verstanden.

Ich habe ein stark überbautes Pferd mit sehr langem Rücken und steiler Hinterhand. Seine Hinterbeine sind so kurz, dass egal wie sehr ich ihn vorwärts ritt, er immernoch sehr weit entfernt von seinem Schwerpunkt war. Die Hinterbeine bewegten sich nur wenig nach vorn, blieben in sich sehr gerade und schliffen über den Boden. Einige Zeit dachte ich mit "vorwärts abwärts" dem genannten Leitsatz zu folgen, ritt mein Pferd jedoch nur immer mehr auf die Vorhand mit zunehmender Verschlechterung der Rittigkeit. Erst als ich oben beschriebenes verstanden habe stellte sich ein zunehmende Verbesserung seiner Balance ein. Der Schlüssel für uns war die vorsichtige aber bestimmte Arbeit an der Versammlung- und zwar mit gezielter Verbesserung des Vorgriffs, ohne dass sich das Pferd dabei auf die Vorhand bzw. mit dem Hinterbein hinten raus schiebt. Dafür habe ich sehr viel weniger nach vorn (im Sinne von Bodengewinn) gearbeitet, sondern vielmehr wohldosiert im Wechsel zwischen "Gewicht nach hinten" (in unserem Fall mit Hilfe der Schulparade) und "vor treten lassen der Hinterbeine" diese Schritt für Schritt biegsamer und kräftiger gemacht. Heute hat sich die Bewegungsmechanik seiner Hinterhand ganz wesentlich verbessert, er tritt locker 5 Hufbreit weiter nach vorn in Richtung seines Schwerpunktes als zu Beginn unserer Arbeit. Und das ganz ohne ihn "mit Tempo" nach vorn gearbeitet zu haben.

Unter "richte es gerade" verstehe ich es mein Pferd über die Arbeit auf gebogenen Linien und in Seitengängen so zu gymnastizieren dass es zu beiden Seiten nahezu gleiche Bewegungsfähigkeit erlangt. Das heißt die Muskulatur gleichmäßig gedehnt, beide Hinterbeine gleichmäßig stark und biegsam.

Gruß
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Hm, Rusty, ist das, was du im ersten Absatz beschreibst, nicht eher Lastaufnahme/Versammlung? In Abgrenzung zum Schub?
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Da kann ich Rusty verstehen, "Vorwärts" Ist auch für mich kein Bodengewinn sondern z.B. auch das verstärkte Untertreten und nach vorne ziehen, NACH einer stellenden oder biegenden Lektion!

Das können nur ein paar wenige Tritte sein, die zeigen dann aber, das das davor richtig war.


LG Ulrike
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Für mich ist das Vorwärts zuallererst einmal eine innere Haltung. Der Wille, sich auf Anfrage hin nach vorne zu bewegen. Das kann also bereits im Stehen stattfinden, die Idee, die innere Bereitschaft das Losgehen nach vorne zur Verfügung zu stellen. Auch im RR muss das gewährleistet sein- sprich das Pferd im Vorwärts begriffen sein. Oder auch in allen Sitengängen- die nur einen sinnvoll - gymnastizierenden Wert haben, wenn sie im Vorwärts begriffen sind.

Und genau diese innere Haltung brauche ich m.E. noch lange, bevor ich dann die Bewegung formen kann- denn wo keine Bewegung, da keine Ausformung derselben. :wink:

Das Vorwärts ist darüber hinaus eine Balancesituation, denn es ergibt sich erst in einer reiterlich wertvollen Form, wenn eine Grundbalance damit einhergeht. - Ich denke, Ulrike meinte ungefähr dasselbe, oder ? Also ein Gleichgewicht zwischen Schub und Durchschwung, sowie "des Transportes des Körpers durch die Gliedmaßen in ausgewogener Form". Sprich, die Schubphase der HH muss zumindest in einer Grundform unter den Rumpf verlagert werden. Ich denke, das meint Rusty in etwa....

Das Gerade ist zum einen ein rein körperlicher Zustand. Das Pferd sollte in der Lage sein, sich auf beiden Seiten nahezu gleichförmig in seiner Bewegung und Körperhaltung ausformen lassen.

Es ist aber auch eine Form der mentalen/psychischen Entspannung, denn die natürliche Schiefe eines Pferdes kommt immer mehr zum tragen, je angespannter ein Pferd ist. Die innere Anspannung steht also der Formbarkeit entgegen. Zwanglosigkeit ist für mich die erste Form von Vorwärts und Geraderichtung und aus ihr resultierend der erste Punkt der SdA, der "Takt" nämlich.

Geraderichtung ist ebenfalls eine Balancesituation, erfordert sie doch ein ausgewogene Balance im gesamten Körper auch und mit vor allem, der Hals -Schulterbalance.
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Ja, das was ich beschreibe ist Versammlung. Je mehr ich mein Pferd versammel kann, desto mehr können seine Hinterbeine vorgreifen- ohne dass es dabei an Tempo zulegt. Ich wollte damit darstellen inwieweit ich das "vorwärts" im Sinne des Zitats vom "vorwärts" im Sinne von Bodengewinn/ Schub abgrenze. Vorwärts wie ich es verstehe betrifft vor allem den Vorgriff des Hinterbeins, und nicht das nach vorn gehende Pferd. Ein Pferd kann auch nach vorn "zünden", dabei jedoch nicht/ wenig den Vorgriff vergrößern sondern nur den Rückschub (vor allem bei stark bergab gebauten Pferden zu beobachten). Dies ist dann aber mAn nicht das vorwärts welches im Zitat gemeint ist.

Wichtig ist die Idee vom vorgreifenden Hinterbein, aber nicht vom "vorwärts kommen". Das war für mich selbst lange Zeit sehr schwer zu verstehen bzw. umzusetzen.

Die impulsive Reaktion am Schenkel in Verbindung mit ständiger Dehnungsbereitschaft ist im Zusammenhang damit natürlich auch wichtig und dringend notwendig- aber ich denke nicht das was mit dem Zitat gemeint ist.

Gruß
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Das Vorgreifen alleine aber bringt nichts, sondern das Wie. Ein Pferd kann superweit vor greifen, wenn es vollständig auf der Schulter stützt. Siehe die gen vorderer Einbeinstütze verschobenen Trab- oder Galoppphasen eines Renners. Die greifen sogar weit and den noch stützenden Vordergliedmaßen seitlich vorbei vor, Werden dann allerdings fast gerade nach hinten durchgezogen um den Rumpf möglichst weit vor zu katapultieren.

Wichtig ist vielmehr, das es dabei die Gelenke beugt und tatsächlich den Rumpf mit stützt/trägt und dass der Schub unter den Rumpf zurück verlagert wird= vorne wie hinten.
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Ja, das sehe ich genauso. Gut zu sehen ist das am zurück bleiben des Vorderbeines unter dem Rumpf des Pferdes, wie es zB auf Fotos vom starken Trab zu sehen ist. Dabei greifen zwar die Hinterbeine weit vor ("X Hufbreit über die Spuren der Voederhufe"), jedoch bleibt gleichzeitig das Vorderbein lang am Boden weil das Pferd seine Schulter nicht anhebt- sondern vor sich her schiebt.

Gruß
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Es ist auch so, dass ein versammeltes Pferd nicht weiter vor greift, sondern durch die Beugung den Hankengelenke und der damit verbundenen Verkürzung des Hinterbeinen weniger weit. Aber der Winkel zum Rumpf unter den es schwingt, ändert sich . Auch ist es so, das die Schulter im massiven Schub extrem weit angehoben und vorgeführt werden muss, denn der katapultierte Rumpf muss ja tragend empfangen werden. Nur findet dies Heben und vorführen auf einer horizontalen Ebene statt. Der Steigungswinkel der Flugbahn ist schlicht flacher.
Würde das Pferd die Schulter vor sich her schieben, was anatomisch unmöglich ist, würde das Pferd umfallen.
Es geht darum, den Schub der Hinterhand und auch der Vorhand mehr nach oben zu kanalisieren. Es geht um Auftrieb .
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Damit wären wir wieder bei der Frage was unter "Vorgriff" (= Vorwärts?)zu verstehen ist. Für mich bedeutet es "weit vor unter dem eigenen Körper". Also nicht den Raumgewinn beim Vorgriff im Verhältnis zum Boden betrachtet, sondern im Verhältnis zum Schwerpunkt des Pferdes.

Natürlich wird die Schulter nicht wirklich geschoben. Aber eben mehr nach vorn bewegt als auf den Hinterbeinen getragen, sichtbar am zurück bleibenden Vorderbein. Wenn es lang unterm Körper zurück bleibt trägt es auch Gewicht. Wenn die Vorhand Gewicht trägt kann dieses nicht auf der HH liegen.

Gruß
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Trotzdem finde ich, dass das "Vorwärts" doch immer noch das (schlichtere) "Vorwärtsdenken und -gehen" des Pferdes ist, also z.B. in Abgrenzung zum Verhalten oder Stocken oder Klemmen. Dass sich das nicht zwingend auf den Raumgewinn bezieht ist klar - auch eine Piaffe oder Pirouette kann und muss vorwärts sein im Sinne von "in Vorwärtsbewegung begriffen und jederzeit tatsächlich in die solche zu versetzen".

Das Vorfußen der HH ist allerhöchstens ein (kleiner) Teil davon
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