maulfrei :o) hat geschrieben:Kandare und Sporen werden mir einfach zu häufig schöngeredet. In erster Linie sind sie ein HilfsmittelVERSTÄRKER, bei deren Erfindung die Gesetze der Physik mit einbezogen wurden - bei der Kandare dient der Hebel als deutlicher Verstärker, bei den Sporen macht man sich den punktuellen Druck zu Nutze - und ich behaupte, dass sämtliche Pferde, die ich bisher gesehen habe und die damit geritten wurden, auch mehr oder weniger irgendwann im Laufe ihrer Ausbildung auf unangenehme Weise Bekanntschaft mit diesen Ausrüstungsgegenständen gemacht haben.
Grundsätzlich sind alle Gegenstände, die ich benutze um mit Pferden umzugehen, Hilfsmittel, die sich (absichtlich oder unabsichtlich) auch missbrauchen lassen. Wollte ich ein Pferd ganz "frei" ausbilden, müsste ich das ohne irgendein Hilfsmittel irgendwo in der Pampa oder der mongolischen Steppe anstellen, wo das Pferd sich allerdings auch einfach von mir verabschieden kann... Da wir aber bei uns nicht über die entsprechenden geographischen Gegebenheiten verfügen, benutzen wir eben verschiedene Hilfsmittel, und sei es nur ein Zaun, der verhindert, dass das Pferd ein bestimmtes Stück(chen) Land verlässt.
Zudem sind die wenigsten von uns so begnadete Pferdemenschen, dass sie ein Pferd allein über ihre Körpersprache ausbilden könnten, daher verwenden wir verschiedene Gegenstände, um mit Pferden umzugehen. Dabei können auch Gegenstände, über die wir in der Regel gar nicht nachdenken, oder die gern als pferdefreundlich verkauft werden, durchaus gegen das Pferd eingesetzt werden. Unangenehm wirken können alle. Einige Beispiele:
Viehhüter: Damit machen die meisten Pferde bei uns mal unangenehme Bekanntschaft, aber solange sie auf der Weide, die damit umzäunt ist, genug zu futtern finden und genug Platz haben, ist der Viehhüter kein Problem. Das selbe Teil die Boxenwand entlang gespannt, damit sich das Tier nicht sein glänzendes Fell an der Wand schubbern kann, ist Tierquälerei.
Knotenhalfter: Dank der Schnüre und Knoten kann ich damit durchaus scharf auf den Kopf des Pferdes einwirken, verwende ich zudem einen Führstrick mit schwerem Bullsnap kann ich dem Pferd letzteren z.B. beim Yoyo-Spiel an den Unterkiefer knallen (so gesehen bei PP himself, und da war es sicher kein Versehen). Nach ein paar solchen Kinnhaken lernt das Pferd dann schnell, auf den kleinsten Fingerzeig rückwärts zu gehen.
Roundpen: Dieses Hilfsmittel benutzen viele Reiter, ohne darüber nachzudenken, das Teil steht ja auch so unschuldig rund in der Gegend rum, das tut ja gar nichts. Allerdings könnte ich in einem Roundpen ein Pferd psychisch und physisch fertig machen, ohne es jemals zu berühren. Während ein Pferd in einer Reithalle noch eine Ecke hat, in der es eine Abwehrposition einnehmen kann, ist dies im Roundpen nicht möglich, da der eben - rund ist. Mal abgesehen davon ist jede Wand eine ausgesprochen starke Hilfe, da sie sich nicht zur Seite schieben lässt. Ein Pferd z.B. in hohem Tempo gegen eine Wand zu wenden kann für das Pferd ausgesprochen stressig sein.
Bei allen Hilfsmitteln, die ich verwende, sollte ich mir über die Wirkung im Klaren sein, die das Teil hat, und mir überlegen, wofür ich es einsetze. Auch aus welcher Reitweise ein Hilfsmittel kommt, spielt eine Rolle, ein Spadebit etwa setzt eine bestimmte Ausbildung des Pferdes voraus, die anders verläuft als in der deutschen Reitweise.
Zu den Sporen: Ich benutze z.Zt. keine, aber wenn ich am Putzplatz ein Pferd dazu bringen will, etwas um die Vorhand zu wenden, drücke ich ihm eventuell mit den Fingern in die Rippen. Ich nehme jetzt mal an, dass du das nicht tust, da du ja Sporen ablehnst (und so ein Finger in den Rippen ist ja für das Pferd auch unangenehm).
Zur Kandare: Ist so viel Zug auf dem Zügel, dass die Kandare im Anschlag ist (d.h. die Kinnkette wirkt, und damit auch der Hebel), kommt mehr Druck auf die Zunge als bei gleichem Zug auf dem Trensenzügel. Im Gegensatz zur Trense gibt mir die Kandare aber im Bereich vor dem Anschlag eine Art "Pufferzone" in der meine Handbewegungen je nach Länge der Bäume nicht verstärkt, sondern verkleinert im Maul ankommen. Eine detaillierte Erklärung, wie die Kandare in diesem Sinn wirkt, findet sich bei Stahlecker:
http://www.hsh-fritz-stahlecker.de/file ... E_1-10.pdf Arbeite ich also im Sinne Stahleckers mit der Kandare, ist sie sehr wohl ein feines Instrument.
Noch allgemein zur Frage, ob etwas für das Pferd unangenehm ist: Sehr viele Dinge, die wir von den Pferden verlangen, sind für sie erst mal unangenehm oder zumindest irritierend: Hufe Raspeln, etwas auf dem Rücken tragen, sich zur Zwangsseite biegen, Hänger fahren, sein Gewicht mit den Hinterbeinen tragen statt es einfach mit den Vorderbeinen zu stützen, sich an einem heissen Tag nicht ins Wasser legen zu dürfen, etc. Gewöhnen wir ein Pferd bedacht und geduldig an diese Dinge, wird es damit auch umgehen können, ohne völlig gestresst zu sein. Im Idealfall merkt es sogar, dass ihm manche Dinge nützen, z.B. sein Gewicht mehr mit der Hinterhand tragen zu können. Für mich sind nicht die eingesetzten Hilfsmittel das Problem, sondern die menschliche Ungeduld und die Vorstellung, mit irgendwelchen Tricks liesse sich die langwierige Ausbildung, die das Pferd braucht, abkürzen. Letztlich spielt es für ein Pferd keine Rolle, ob es mit Hilfe eines Gebisses oder eines Knotenhalfters vermurkst wird...