hier also noch mal ein paar Infos zu unserer Geschichte.
Ursprünglich haben wir Rusty als Pferd für meine Freundin gekauft, weil ich nicht mehr wollte dass sie meins mitreitet (dressurmäßig wenig geschulte/ ambitionierte Reiterin). Sie wollte ein nettes Pferdchen um etwas Platzarbeit und irgendwann ein paar kleine Sprünge zu machen. Auf der Suche nach einem Zweitpferd sind wir zufällig auf Rusty gestoßen- dreijährig, fett ohne Ende, lies sich nicht berühren oder aufhalftern, konnte kaum laufen und hat gelernt dass er alles bekommt wenn er sich nur entschlossen genug auf die Hinterbeine stellt und mit den Vorderbeinen rudert. Er sollte zum Schlachtpreis abgegeben werden und wir haben ihn genommen. Der Plan war ihn anzureiten, zu schauen wie er sich charakterlich entwickelt und –falls es für meine Freundin nicht passen sollte- ihn ggf. wieder abzugeben. Dass das dumm war, braucht mir heute keiner mehr erzählen…
Nach einiger Zeit vertrauensbildender Maßnahmen, Desensibilisierung, Sozialisierung, Bodenarbeit und ähnlichem haben wir begonnen ihn gelegentlich zu longieren und später auch zu reiten, das vordergründige Ziel dabei war dabei Anfangs dass er für meine Freundin brav und lenkbar wird. Schnell stellte sich aber heraus, dass vielleicht doch nicht alles so einfach wird wie geplant. Wir kämpften mit wechselnden unklaren Lahmheiten, massives stolpern bis zum Sturz, ständiges wegknicken der Hinterbeine, Verspannungen, selbst im Freilaufen extreme Probleme sich zu koordinieren (bremsen, wenden, Gas geben), dazu massive Problemen beim Urin lassen etc. Osteopathen und Tierärzte gingen ein und aus, etwas handfestes gefunden wurde aber von keinem. Die Diagnosen lauteten: Verspannung im LWS/ ISG Bereich, Blockade in der Hüfte, erhöhte Muskelwerte und ähnlich diffuse Dinge. Die Idee (und der Rat) war ihn trotzdem/ deshalb zügig in Arbeit zu bringen, damit sich seine körperliche Situation verbessert.
Anfangs arbeitete ich ihn noch zusammen mit meiner Freundin, im Grundsatz nach den Prinzipien der klassisch-deutschen Lehre. Das körperliche Problem war von Anfang an: das Pferd war massiv schief und konnte nicht vorwärts gehen. Damit meine ich NICHT dass er nicht auf die vortreibende Hilfe reagiert hat, sondern dass er wenn er vorwärts ging mit all seiner Energie auf die rechte Schulter drängte. Beim reiten gab es das Problem dass es unmöglich war gerade/ links zu sitzen, jeder Sattel und Reiter (auch ein FN Bereiter hat sich versucht) rutsche immer wieder nach rechts, man musste sogar zwischendrin absteigen und neu satteln. An der Longe bewegte sich jeder Versuch zwischen „Energie ins Pferd bringen“ und „gegenhalten bis der Arm schmerzt“, und zwar unabhängig davon ob mit oder ohne Ausbinder. Beim reiten kam es bei den ersten Versuchen die Schulter zu mobilisieren (unter Anleitung einer mAn sehr kompetenten Trainerin der EdL) zum Zähneknirschen. Deshalb haben wir ihn ziemlich direkt nach dem anreiten auf gebisslos umgestellt, immerhin lief das Pferd ab diesem Zeitpunkt einigermaßen entspannt und lenkbar unterm Sattel: https://youtu.be/MRYlEtaWk5k
Die oben genannten Probleme verbesserten sich tlw. etwas, andere blieben. Das Video an der Longe welches ich im Beitrag weiter oben schon gepostet habe zeigt ihn 4,5 jährig ( https://www.youtube.com/watch?v=xr81SfHsO2A ), es repräsentiert keine „Arbeitseinheit“ sondern wurde für eine Osteopathin gedreht, hier wegen dem weiterhin bestehenden Problem dass das Pferd nur schwer Urin absetzen konnte (Klinikaufenthalt ohne Befund). Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt mussten wir leider eins unserer beiden Pferde abgeben, weil die Kosten für tierärztliche Behandlungen u.ä. unser Budget überstiegen haben. Dass Rusty bei uns bleibt war klar, ein krankes Pferd zu verkaufen kam nicht in Frage. Ab diesem Zeitpunkt war Rusty also auch „mein“ Pferd und rückte etwas mehr in den Mittelpunkt meiner Bemühungen.
Ab hier begann ich ihn auch intensiver am Boden zu arbeiten, sowie Unterricht bei einer Trainerin der AR zu nehmen. Ihr Vorschlag: das Pferd muss lernen sich zu versammeln, die Hüfte zu winkeln um die Hinterbeine in Richtung Schwerpunkt bewegen zu können. Sie sah in diesem Problem den Dreh- und Angelpunkt der gesamten Problematik. „Manche Pferde müssen erst piaffieren um danach (vorwärts) traben zu lernen“ war ihre Idee. Das ist nun fast 2 Jahre her, in denen ich weitestgehend konsequent so gearbeitet habe, und die gesamte körperliche Problematik des Pferdes hat sich in dieser Zeit verbessert bis aufgelöst. Er hat gelernt sich zu koordinieren und zu bewegen, kann sogar galoppieren, stolpert und knickt nicht mehr weg, keine verhärtete Muskulatur, selbst die Problematik mit dem Urin lassen ist quasi weg. Seine mentale Entwicklung hat einen riesigen Sprung gemacht, vom introvertierten Pferd (zu dem weder Pferd noch Mensch einen Zugang fand, soziale Interaktion lehnte er gänzlich ab), zum aufgeweckten- oft zu lustigen- Spielmatz. Ich habe ein sehr feines Gespür dafür entwickelt mit welchen Dingen ich an seine Grenze komme, was ihm gut tut und was nicht. Er ist sehr sensibel und verkriecht sich sehr schnell wieder in seinem Schneckenhaus, wenn man seine leisen Äußerungen nicht ernst nimmt. Damit meine ich zB die Art wie er seine Augen zukneift, wenn man mal „einen deutlichen Impuls“ am Kappzaum gibt (in der Hoffnung das außen wegbrechen damit korrigieren zu können). Oder wie er sich im ganzen Körper verkrampft wenn man trotz Balanceverlust Impulsion fordert. Das möchte ich für ihn nicht mehr, und auch nie wieder. Seine Geschichte hat mich in meiner Ausbildung und Betrachtungsweise sehr geprägt, und vor allem sehr eng mit diesem Pferd zusammen wachsen lassen. „Die Dressur ist für das Pferd da, nicht das Pferd für die Dressur“ bedeutet für mich, nicht Ziele erreichen zu wollen „weil sie mir so gefallen“, sondern einen Weg zu gehen der dem Pferd auch kurzfristig gut tut und den es gerne mit mir geht. Und „anhaltend Vorwärts mit mehr go“ tut ihm in der Reitbahn eindeutig NICHT gut, egal wie sehr ich mir dieses Bild wünsche.
Wir wissen bis heute nicht so wirklich, woher seine Probleme kommen. Außer dem „schwierigen Exterieur“ (überbaut, steile HH, tief angesetzter Hals, langer Rücken, unterschiedlich lange Beine links/ rechts) kann kein Fachmann eine klare Ursache finden. Aber letzendlich habe ich auch nicht mehr viel Lust mir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, zumal sich die Probleme zunehmend reduzieren und wir demzufolge hoffentlich auf einem guten Weg sind.
Parallel zu dieser Arbeit haben wir ihn im Frühjahr des letzten Jahres vorsichtig eingefahren, mussten über den Winter noch mal eine krankheitsbedingte Pause einlegen (schwere Lungenentzündung des Pferdes und in Folge anhaltende Lungenproblematik), haben aber im Frühjahr diesen Jahres wieder damit angefangen. Vorm Wagen (geradeaus) gibt es weniger Probleme, aber auch da dosieren wir die Belastung vorsichtig, fahren nur gebisslos und ich bin ebenso bemüht mich an den Grundsatz "erst Balance, dann vorwärts" zu halten so gut das möglich ist (Rusty will im Gelände meist viel lieber rennen und Halli Galli machen

Sinsa: Mein Ziel ist es nicht, eine bestimmte Art von reiten repräsentieren oder ausüben zu können. Mein Ziel ist einerseits, das Pferd gesund zu halten / zu machen, andererseits die gemeinsame Zeit in möglichst großer mentaler und körperlicher Harmonie miteinander zu verbringen. Dafür orientieren wir uns an der AR, die sich in ihren Zielen wiederum ans Barockreiten anlehnt. Die WE verwendet vielleicht Elemente daraus, ist aber dennoch nicht so ganz das gleiche. Ich denke ich weiß was du mir verdeutlichen willst: du meinst Stabilität im Sinne von „energisch gerade nach vorn ziehen/tragen können“ (auch auf der Wendung), kann das sein? In der Barockreiterei werden/ wurden i.d.R. keine Verstärkungen gearbeitet- vielleicht liegt hier die Wurzel unserer ganzen Diskussion?
Gruß