Wer bildet sein Pferd noch gebisslos aus?

Rund um die klassische Reitkunst

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esge
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Beitrag von esge »

Zum Thema Schwung und Verstärkungen mit oder ohne Gebiss:
Je mehr Veranlagung ein Pferd für natürlichen Schwung und auch für verstärkte Tempi mitbringt, desto leichter ist das natürlich auch ohne Gebiss zu erreiten. Es sind eher die minderbegabten Pferde, die die Rahmengebung durch Reiterhand und Gebiss benötigen könnten, um sich dadurch zu tragen. Vor allem bei allen Pferden, die vom Gebäude her einen Hang haben, in den Boden zu laufen, sehe ich gebisslose Ausbildung eher als schwierig bis unmöglich an. Alles was eine gewisse Selbsthaltung mitbringt kann ich mir eher ohne Gebiss vorstellen.
Dass ein Le Noir kein Gebiss braucht, um sich weiter in Selbsthaltung zu tragen, ist in meinen Augen eher selbstverständlich - gute Ausbidung immer vorausgesetzt!!! (die ich auf gar keinen Fall absprechen will!!!!) Trotzdem reden wir hier einfach von einem Top-Team
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jannie
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Beitrag von jannie »

@loisachqueen
nein, natürlich braucht ein Pferd kein Gebiss im Maul um zu kauen. Aber darum geht's ja auch gar nicht, sondern darum dass man es ohne Gebiss nicht wie mit dem Gebiss über einen Reflex gezielt dazu bringen kann, jetzt gerade und in diesem Moment zu kauen.
ohne Gebiss fehlt die Möglichkeit, die man mit Gebiss eben hat, diesen Reflex auszulösen.
loisachqueen
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Beitrag von loisachqueen »

Ich dachte bis jetzt eigentlich immer, das Kauen (auch mit Gebiss) ein Resultat einer gewissen Losgelassenheit im Genick und Rücken ist. Das Kauen wird ja mit durch die Ohrspeicheldrüse ausgelöst (ja, diese ist verbunden mit Reflexpunkten im Pferdemaul), aber wenn das Pferd auf einen anderen Weg locker wird, braucht's das nicht.
sapere aude
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Beitrag von sapere aude »

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esge
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Beitrag von esge »

Mit Gebiss hat man halt ein Ende mehr, an dem man anfangen kann, lösend auf das Pferd einzuwirken. Nicht mehr, nicht weniger.
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Jannie, vielen Dank für die Antwort.
Was ist jedoch, wenn die Verspannungen nicht aus physischen oder reiterlichen Gründen entstehen, sondern aus psychischen? Wie würdest Du damit umgehen?
Stell Dir vor, Du leitest Mitte der kurzen Seite die Vorbereitung zum SH ein, kommst aus der Ecke, fängst mit SH an, alles ist perfekt und fluffig, und plötzlich raschelt irgendwo was, oder ein Vogel fliegt plötzlich auf (oder sowas) und das Pferd verspannt sich im Unterkiefer. Mit Gebiss habe ich die Möglichkeit, diese leichte Verspannung unauffällig und während der Ausführung zu beheben, ohne abbrechen zu müssen. Wie würden Reiter gebisslos ein solches Problem angehen? Denn ich sehe - egal mit welcher gebisslosen Zäumung - rein technisch keine Möglichkeit, hier zu korrigieren. Oder gibt es sie doch? Das fände ich spannend.

Loisachqueen und Sapere Aude, natürlich kauen meine Pferde auch mit Hackamore oder beim Longieren auf Kappzaum. Darum geht es nicht, und das ist nicht mit Lockerung des Unterkiefers gemeint. Es geht nicht ums Abkauen in dem Sinn, in dem Ihr es beschrieben habt. Ich vermute, dass einige hier Baucher nicht gelesen haben, er hat dieses Prinzip erstmalig ausführlich beschrieben, und es ist hochinteressant, auch aus heutiger biomechanischer Sicht. Nicht nur in der Theorie, auch in der Praxis (falls das hier jemand bei mir anzweifeln sollte :wink: ) Ich gehe gerne heute Abend ausführlicher darauf ein, wenn dieser Exkurs gewünscht ist. Bitte also kurze Info, ob ich dazu ausführlicher werden soll oder nicht, denn ich möchte hier nicht zu weit weg vom Thema kommen.

Esge, zum Thema gebisslose Ausbildung von Pferden, die von Natur aus weniger "bergauf konstruiert" sind, sind wir uns wieder einig! :wink:
Trotzdem bestehe ich darauf, dass Jeff Sanders ebenfalls in der Top-Liga spielt. :wink:

Sapere Aude, magst Du bitte noch etwas zum Thema Mitteltrab sagen?
Viele Grüße
Sabine
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sapere aude
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Beitrag von sapere aude »

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Jen
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Beitrag von Jen »

Ich will einfach nur kurz darauf hinweisen, dass ich mit Schwoing keinen Mitteltrab meine, sondern eine Grundqualität in allen Gangarten und Tempi. Auch im versammelten Trab kann ein Pferd schwoingen. ;) Schwung, Kadenz, Ausdruck, Raumgriff, Vorderhandfreiheit, Versammlung... alles im Schwoing möglichst drin enthalten. Egal, welche Lektion, welche Gangart, welches Tempi. Dabei geht es eben nicht mehr "nur" um Balance, sondern auch um Energie, die für einen Bewegungsablauf verwendet wird. Natürlich ist der Schwoing äusserst aufwändig für ein Pferd, weshalb sich schwoingen und Gebrauchsreitweise sich gegenseitig auch ausschliessen, weil man das Pferd ja in der Arbeit am Vieh nicht unnötig auspowern will. Logisch. ;)
Liebe Grüesslis, Jen
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sapere aude
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Beitrag von sapere aude »

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Phanja

Beitrag von Phanja »

Jen hat geschrieben:Ich will einfach nur kurz darauf hinweisen, dass ich mit Schwoing keinen Mitteltrab meine, sondern eine Grundqualität in allen Gangarten und Tempi. Auch im versammelten Trab kann ein Pferd schwoingen. ;) Schwung, Kadenz, Ausdruck, Raumgriff, Vorderhandfreiheit, Versammlung... alles im Schwoing möglichst drin enthalten. Egal, welche Lektion, welche Gangart, welches Tempi. Dabei geht es eben nicht mehr "nur" um Balance, sondern auch um Energie, die für einen Bewegungsablauf verwendet wird. Natürlich ist der Schwoing äusserst aufwändig für ein Pferd, weshalb sich schwoingen und Gebrauchsreitweise sich gegenseitig auch ausschliessen, weil man das Pferd ja in der Arbeit am Vieh nicht unnötig auspowern will. Logisch. ;)
Ich denke, ich kann schon nachvollziehen, was du mit Schwoing meinst, Jen. Ich verstehe nur nicht, warum man diese Energie nur über die Hand kontrollieren können soll.
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Jen
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Beitrag von Jen »

es geht nicht darum, die Energie über die Hand zu "kontrollieren", sondern eine Verbindung zwischen Hinterhand und Maul herstellen, die einen geschlossenen Kreislauf ermöglicht, der in beide Richtungen läuft (quasi wie eine Strasse mit Gegenverkehr, beide Spuren blockieren sich gegenseitig nicht, der Verkehr läuft flüssig). Man ist mehr im Pferd und näher dran, man hat das Pferd als "Ganzes" unter sich. Ich bin früher ja auch mit viel weniger Anlehnung geritten und der Kontakt war leichter, dadurch aber auch nicht so schön konstant. Dadurch auch nicht angenehmer. Heute bin ich näher dran, habe mehr eine elastische Verbindung und der Energiefluss ist konstanter, elastischer, ich muss noch viel weniger machen, die Übergänge sind auch immer besser/fliessender/in sich geschlossener. Diesen Unterschied muss man wohl einfach mal fühlen. Ich hab's früher ja auch nicht geglaubt. ;) Aber wie gesagt, man "muss" nicht so reiten. Man kann auch anders glücklich sein. Das ist einfach Geschmackssache. Und ein bisschen vom Pferd abhängig. Ich habe im Kundenkreis durchaus auch ein paar Pferde, die mit einer zu leichten Anlehnung ganz schlecht fertig werden. Die dadurch sehr schreckhaft und unsicher sind und sich wohler fühlen, besser zum loslassen kommen, wenn der Reiter besser die Führung übernimmt. Das hat nix mit harter Hand zu tun oder ständiger Hilfengebung, sondern mit Konstanz in der Anlehnung, die kann weicher oder fester sein, solange sie elastisch und durchlässig ist, blockiert es das Pferd nicht und stört dadurch auch nicht.
Liebe Grüesslis, Jen
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Dr. Ritter hat hierzu was geschrieben:
http://www.artisticdressage.com/article ... auf_p.html
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Jen hat geschrieben:und der Energiefluss ist konstanter
Guten Morgen,
persönlich denke ich, genau das ist das entscheidende Wort: konstanter. Im Gegensatz zur gebisslosen Impulsreitweise besteht halt bei der Anlehnung im klassisch-deutschen :wink: Sinne, die Möglichkeit, den Energiefluss tatsächlich konstant zu halten, ihn also nicht zu unterbrechen.
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
Phanja

Beitrag von Phanja »

Ich denke, das Problem ist - je leichter die Anlehnung ist, desto schwieriger ist es, diese Verbindung gleichmäßig zu halten. Ist sie etwas fester - wie von Jen beschrieben - fallen kleine Unregelmäßigkeiten nicht so ins Gewicht. Für mich bedeutet halt durchhängender Zügel nicht gleichzeitig, dass keine Anlehnung vorhanden ist.
So reite ich gerne mit Hackamore ins Gelände, der Zügel hängt durch, aber es gibt trotzdem eine gleichmäßige Verbindung. Die Hand spürt trotzdem, was das Pferd tut und auch das Pferd nimmt über den durchhängenden Zügel Signale an.

Vielleicht muss man das Wort Impuls auch näher diskutieren. Impulsreiterei heißt jetzt für mich nicht, dass man einen Impuls gibt und danach alles wieder wegschmeißt.
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Spielnase
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Beitrag von Spielnase »

Auch einen schönen guten Morgen von mir ;-)

Habe ebenfalls etwas an passendem Lesestoff gefunden. Bea Borelle bildet ihre Pferde in den ersten Jahren wohl auch gerne gebisslos aus und hat sich zu dem Thema Anlehnung Gedanken gemacht:

http://www.bea-borelle.de/Document/PR06 ... iten-1.pdf

PS: Sehr spannender Thread hier, vielen Dank für die tollen asuführlichen Gedanken dazu!! Macht Spaß zu lesen :D
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