horsmän hat geschrieben:Ich finde jedenfalls, einige der "Gegenargumente" in P.K. neuem Buch (die keineswegs auf seinen Entdeckungen beruhen, sondern allesamt auch von klass. Meistern so beschrieben wurden) sind mehr als nur heiße Luft, denn sie sind Regeln der Physik entlehnt, oder in anderen Fällen auch aufgezeigte sprachliche Übersetzungsfehler.
Na dann wird er sich ja vielleicht damit durchsetzen
Mal ehrlich, anders als in einem Internetforum muss man in der Öffentlichkeit schon etwas mehr bieten als einfach nur Behauptungen, wenn man überzeugen will. Es ist schon eine ziemlich eigenartige Annahme zu unterstellen, dass die verantwortlichen Fachleute bei der FN absolut keine Ahnung von physikalischen Abläufen haben. Genau das stört mich bei dieser Diskussion so wahnsinnig. Da werden Thesen und Behauptungen über physikalische Wahrheiten in den Raum gestellt, die als Nachweis dienen sollen, dass die gesamte Reitlehre irrig ist. Wieviel Selbstbewustsein (oder Selbstüberschätzung?) gehört eigentlich dazu, anzunehmen, dass man selbst solche physikalischen Zusammenhänge versteht und die ganzen Tierärzte, Wissenschaftler, Ausbilder und sonstigen Fachleute der FN zu dämlich sind, um das ebenfalls zu verstehen? Genau diese unglaubliche Arroganz ist es doch, die eine ehrliche und sachliche Auseinandersetzung mit solchen Ideen oft unmöglich macht. Wer überzeugen will und die Diskussion damit beginnt festzustellen, dass alle Anderen Volltrottel sind und nicht den geringsten Schimmer von dem haben, womit sie sich ihr Leben lang beschäftigen, kann nicht ernsthaft erwarten, dass er/sie Gehör findet, oder?! Das macht ein Herr Hinrichs wesentlich intelligenter.
Das gleiche gilt für die "Übersetzungsfehler". Die Reitlehre der FN beruht doch nicht darauf, dass man seit Xenophon nur die Literatur studiert und sich dann eine Reitlehre nach gutdünken zusammengeschrieben hat, die leider völlig falsch ist, weil man sich bei der Übersetzung vertan hat?! So ähnlich hören sich hier manchmal die statements an?!
Die Reitlehre hat sich über Jahrhunderte entwickelt, indem man die Schriften der alten Meister, die Erkenntnisse der modernen Lehre und der Wissenschaften sowie die kritischen Beiträge aus den Verbänden analysiert und ausgewertet hat. Auf diese Weise findet zur Zeit vermutlich auch die Auffassung von Herrn Hinrichs Eingang. Aber es ist doch wohl verständlich, dass es nicht genügt, etwas zu behaupten. Man muss sich schon mit den jeweiligen Experten auseinandersetzen und beweisen, dass die Behauptungen Bestand haben, insbesondere dann, wenn man die Grundlagen, die Basis des Verständnisses von guter Dressur völlig auf den Kopf stellen will.
In diesem Zusammenhang interessant und auch passend zum Thema Anlehnung sind die Vorstellungen der Holländer (die ja ursprünglich aus Deutschland kommen) zum Thema Rollkur. Hier hat es diese Auseinandersetzung gegeben, weil mit dieser Methode seit Jahren konstant große Erfolge erzielt wurden. Trotz intensiver Beschäftigung und obwohl die tierärztlichen Befunde sehr widersprüchlich waren, hat die FN und auch der Verband der deutschen Berufsreiter sind von dieser Ausbildungsmethode distanziert. Das zeigt, dass die Grundsätze der klassischen Lehre sehr stark verankert sind und nicht jeder, selbst als Weltmeister und Olympiasieger, daher kommen kann und diese Grundsätze ins Gegenteil verkehren. Daran sieht man, dass die Anforderung an Überzeugungskraft recht hoch sind.
Wenn Herr Carl wirklich davon überzeugt ist, dass sein Ausbildungssytem der Natur des Pferdes eher entspricht und man damit außerdem bessere Ausbildungsergebnisse erzielt, dann soll er weiter daran arbeiten und die Welt mit Ergebnissen überzeugen. Ein Buch allein genügt da nicht. Auch Herr Hempfling hat Bücher über Ausbildung geschrieben. Heute schreibt er wohl Bücher über Naturvölker und Regentanz in Afrika. Damals war er ein vielbeachteter Ausbildungsgott und hat sogar damit begonnen sein eigenes Ausbildungsvermarktungssytem aufzubauen, ähnlich wie es das auch heute überall gibt vom Ritter der akademischen Reitkunst bis zum Trainer PNH oder was es sonst noch für tolle Kreationen gibt. Ich glaube, wie können alle froh sein, dass die FN ihm zwar Gehör geschenkt hat, aber am Ende seinen Empfehlungen nicht gefolgt ist, sonst säßen wir heute vermutlich alle mit Kopfschmuck und ohne Sattel auf dem Pferd und würden den Regengott anrufen.
Ich bin absolut dafür, dass man sich mit allen ernst zu nehmenden Ansätzen auseinandersetzen muss. Keinesfalls bin ich sicher, dass die FN den allein gültigen Weg erkannt hat. Die Reitlehre befindet sich in einer ständigen Entwicklung. Natürlich zweifelt jeder Reiter täglich daran, ob das, was er im Sattel veranstaltet richtig ist. Ich finde darum solche Diskussionen auch gut und hilfreich (sonst würde ich mich ja nicht so intensiv daran beteiligen). Aber man sollte aus meiner Sicht etwas weniger begeistert auf jeden neuen gut formulierten Vorschlag abfahren, insbesondere dann nicht, wenn er unterstellt, dass die über sehr lange Zeit geprüften Grundlagen der Lehre falsch seine. Vielleicht ist die Welt wirklich sind rund, sondern doch eine Scheibe, so wie es die ganz alten Meister mal geglaubt haben, aber wenn das heute wieder jemand behauptet, muss er einfach verdammt gute Argumente haben. Einfach zu sagen, die Anderen sind eben zu doof, um es zu verstehen reicht da nicht mehr aus.
Was ich dagegen sehr schätze, ist die Diskussion über Deteils, z.B. die Bedeutung des Nachgebens des Unterkiefers, die mich 1. zum Nachdenken angeregt hat (schon bei der Lektüre der Oliveira Schriften) und 2. überzeugt.
Ich sehe darin allerdings keinen Widerspruch zur RL der FN, sondern einfach einen sehr wertvollen Hinweis, wie man das Thema Anlehnung besser begreift und worauf man achten muss. So macht eine solche Diskussion auch Sinn.
