Also ich will mich nicht verstecken, denn ich war auch Teilnehmer am Racinet Seminar in Sprockhövel, also schreib ich mal meine Eindrücke und stell sie zur Diskussion.
Do. und Fr. mit eigenem Pferd, Samstag gar nicht, und So. bis mittags als Zuschauer.
Hatte dafür extra das schwierigere meiner beiden Pferde mit genommen. Das Pferd verliert noch leicht die Balance (schnell vorderlastig) und ist auch im Maul oft „launisch“ und zieht manchmal, bzw. bewegt das Maul manchmal gar nicht trotz Leichtheit oder legt sich langsam aber zunehmend wieder auf den Zügel.
Auch bei mir werfen sich viele Fragen auf. Allerdings ist zu sagen, dass man jederzeit die Möglichkeit hatte Mons. Racinet bzw. Pascale mit seinen Fragen zu behelligen, und immer (wenn es der Kurzverlauf zu ließ) nahm man sich sehr viel Zeit für Erklärungen.
Ich kannte seine Arbeit ja schon von einem Seminar vor 2 Jahren in Sachsen und wusste in Etwa worum es geht und wie es abläuft. Zudem habe ich recht intensiv seine beiden dt. Bücher gelesen.
Die richtige Nachgiebigkeit im U-Kiefer ist DAS zentrale Element für die Herstellung von Gleichgewicht und die Bewegung wird erst und nur solange zugefügt, sofern das Gleichgewicht hergestellt ist. Soweit die Eckpfeiler der Theorie. (Zumindest habe ich es so verstanden - man korrigiere mich, wenn ich daneben liege).
Auch auf meine Stute setze sich Herr R. dann ziemlich schnell. Ich habe nix dagegen und wurde auch höflich danach von ihm gefragt. Die Tätigkeiten die er dann aufnahm zielten darauf ab, korrekte U-Kiefer-Flexionen zu erhalten und in den gemessenen Schritt zu kommen. Wer seine Bücher kennt weiß, dass dies zentrale Grundlagen seiner Schule sind.
Dazu machte er auch einige Halsabbiegungen/Aufrichtungen im HALTEN. Ich denke, dass Du diese Dinge für provozierend hälst, denn es sind z.T. starke Überzäumungen oder starke Kopfaufrichtung (wie gesagt im Halten!) z.T . mit deutlichen Zügeleinwirkungen.
Sie haben wohl den Zweck, Verspannungen im Hals/Genick/Kieferbereich zu lösen um eine korrekte U-Kiefer-Flexion zu ermöglichen (Zweck s.o.)
Als dies nicht so funktionierte, wie er sich das vorstellte, saß er ab und fing an mit osteopathischen Anwendungen Wirbelblockaden im Atlasbereich und damit einhergehend im Lendenwirbelbereich zu bearbeiten. Er meinte, dass hierin die Ursache für das ziehen gegen den Zügel zu suchen seien. Mir schien auch deutlich sichtbar, dass er damit durchaus Erfolg hatte, denn zu Anfang wich die Stute seinen Fingerdrücken deutlich aus, zum Schluss entspannte sie sichtlich.
Danach sass er wieder auf und ritt ein wenig und es gab durchaus auch sehr ansehnliche Trabtritte in Selbsthaltung (wenn auch nur kurz), wobei er seine Trabarbeit wohl immer als selbstkadenzierten Trab anlegt, und das heißt für Pferde die noch am Anfang dieser Schule stehen, dass es sehr langsam und schwunglos aus sieht. Soweit ich verstanden habe ist es das Ziel, die Pferde eben zum selbstständigem Traben in Haltung und Schwung zu erziehen. Dazu darf man eben
NICHT tempoerhaltend mit den Beinen nachtreiben.
Ich gebe zu, dass mir dieses langsame Trabtempo auch zu „schwunglos“ erschien, denke aber, dass echter „Schwung“ sich erst entwickelt wenn die Selbstkadenzierung weiter voranschreitet und nicht mit bloßem höherem Tempo verwechselt werden darf (was ohne Schwung eben wieder droht abzusterben, wenn man nicht dann und wann nachtreibt, was gerade nicht Ziel dieser Reitweise ist). (Übrigens ist dies m.E. auch die richtige Def. von Schwung im Sinne der dt. Ausbildungsskala) Und obwohl ich seit Jahren kein „Dauertreiber“ mehr bin, frage ich mich doch, ob es tatsächlich effektiver ist, den Trab/Galopp bis zum Schritt zurück kommen zu lassen und wieder neu anzutraben (so wie Racinet es anscheinend machte), oder den Trab schon bei geringem Verlust von Tempo im Trab wieder aufzufrischen (so wie es bisher gehandhabt habe).
In einem speziellen Theorieteil hatte er am Do. (und Samstag?) auch einige der Grundzüge seiner Schule angesprochen. Zudem gab es immer wieder sehr ausführliche Theorieabschnitte während oder nach den Reitlektionen, z.B. über den Gebrauch der Hände+Zügel usw.
Der zweite Tag lief für mein Pferd und mich eigentlich sehr ähnlich ab, wobei er diesmal auch auf seinen Sattel zurück griff. Wieder Blockaden durch osteo. Anwendungen lösen, dann gemess. Schritt und selbstkad. Trab suchen. Dann ein paar Übungen für das Angaloppieren. Auch hier: nur Galopp wenn das Pferd zuvor in gutem Gleichgewicht (samt Kiefer-Flexionen). Die Linien die er dabei wählte konnte ich auch nicht nachvollziehen, wobei eben alles nur ein Ziel verfolgte: verbessertes GW herstellen, erst dann Trab bzw. Galopp hinzufügen. Die Gangart dann nicht durch treibenden Schenkeleinsatz erhalten.
Pferde die an erhaltende Hilfen gewöhnt sind, fallen dann eben schnell wieder aus.
Meine Stute vermittelte mir dann nach seiner Arbeit durchaus ein gutes Gefühl. Um selbst zu handeln (die osteo. Anwend. mal ausgenommen), hätte ich aber mind. noch 2 Reitstunden mehr haben müssen aber dass hätte leider mein Budget gesprengt (oder mit anderen Worten, ich war zu geizig

).
Mein Fazit:
Theoretisch deckte sich das allermeiste mit dem mir bekannten und auch von mir angestrebtem Ziel. Auch die dringende Notwendigkeit eines nachgiebigen U-Kiefers pflichte ich bei.
Die Kiefer-/Hals-Flexionen und Halsaufrichtungen sind mir zwar bekannt und ich verwerfe sie keinesfalls, würde sie aber mangels Erfahrung selbst nicht so, oder zumindest nicht so deutlich anwenden.
Die Forderung Gleichgewicht vor Bewegung lebt er sehr konsequent. Auch das kannte ich zuvor nicht so konsequent, und weiß auch aus eigener Erfahrung, dass sich Gleichgewicht durchaus auch während der Bewegung herstellen lässt. Ich pers. habe z.B. mehr Seitengänge in langsamen Schritt vermisst, denn an einen gymnastischen Wert für die Hanken glaube ich durchaus nach wie vor. Zudem glaube ich nach wie vor daran, dass sich Halshaltung und Maul durch Arbeit der Hanken in Bewegung (i.W.Seitengänge) verbessern lassen und nicht ausschließlich durch Arbeit an Maul und Hals.
Das Pferd hat eben zwei Enden, vorn und hinten, und die gehören untrennbar zusammen.
Racinet bestreitet dies übrigens keinesfalls. Im Gespräch mit Ihm, sagte er mir sinngemäß, dass im Grunde alles was das GW verbessert gut und richtig sei und es kein System dafür gibt.
Das Problem wenn es kein System gibt ist aber, dass es nicht konzeptlos werden darf.
Manchmal sah es nämlich danach aus, was m.E. daran lag, dass man die einzelnen Übungen nicht in einen höheren Gesamtzusammenhang stellen konnte. Diesbezüglich hätte es mehr Erklärungen bedurft um einen roten Faden zu behalten.
Letztlich ist es aber unmöglich diese Art zu reiten (und sei es jetzt „nach“ Racinet, oder nach Karl oder nach Oliveira oder nach sonst wem) in wenigen Stunden zu erlernen und dabei gleich sein Pferd völlig neu einzustellen. Das kann man Mons. Racinet und auch der Reitweise nicht vorwerfen, macht einen aber schon ein wenig unbefriedigt, zumal man nicht weiß, wie man jetzt weiter arbeiten könnte.
Hierfür wäre es einmal sehr hilfreich, wenn man mal die tägliche Arbeit von Racinet mit verschiedenen Pferden sähe und wie sie sich über einen längeren Zeitraum von sagen wir mal 2-3 Jahren erstreckt, um sich ein Bild von der täglichen Arbeit und dem mittel- bis langfristigen Ergebnis machen zu können.
Gruss
horsmän