Zügel- bzw. Handhaltung

Rund um die klassische Reitkunst

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horsman
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Beitrag von horsman »

nunja, damit die hand nicht krampfig wird (was dem Gefühl abträglich ist) sollte sie nicht nach unten abgewinkel werden. Der Handrücken bildet mit dem Unterarm in etwa eine gerade Linie. Dann Hand nicht stark nach außen und auch nicht zu sehr nach innen abrunden. leichtes abrunden nach innen würde ich befürworten.

Die Grundpositon eine handbreit auseinander und eine handbreit über dem WR ist soweit schon ganz i.O.

Wenn die Schulter gut zurück genommen sind und die Oberarme daraus dann locker hängen, dann haben die Hände von alleine in Etwa diese Grundposition.
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
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Jen
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Beitrag von Jen »

Man kann nie nur einen Körperteil isoliert sehen, denn jeder Körperteil ist ein "Zahnrädchen" in einer ganzen Maschinerie und jedes Zahnrad greift in ein anderes und wenn man an einem dreht, dann drehen die anderen immer mit. Ich finde das ein ganz wichtiger Aspekt, denn der Körper muss ganzheitlich betrachtet werden. Wir Menschen neigen sehr dazu, unsere Aufmerksamkeit sehr zu fokussieren und uns dadurch auch - im wahrsten Sinne des Wortes - auf etwas zu versteifen.

Die Handhaltung wird vom Ellenbogen und der Schulter und diese vom Oberkörper beeinflusst. Oberkörper heisst gesamte Wirbelsäule inkl. Hals und Becken. Oberkörper meint aber nicht nur hintere Rückenlinie, sondern auch vordere Bauchlinie. Um möglichst aufgerichtet zu sein, müssen BEIDE Linien möglichst LOSgelassen sein. Das heisst, die Muskeln müssen in einer Dehnungsbereitschaft sein. Spannt man die Muskeln an, dann verkürzen sie sich und die Länge (=Aufrichtung) geht verloren. Äusserst wichtig ist dabei die Kopfhaltung. Der Kopf muss auf der Wirbelsäule balanciert werden, weder nach hinten gezogen noch nach unten gekippt. Zieht man den Kopf zurück, staucht man die gesamte Wirbelsäule hinten nach unten, der Rücken wird verkürzt und steif. Kippt man den Kopf vorne runter, kippt das Brustbein und damit der gesamte Brustkorb vorne runter und man verkürzt die Bauchlinie.

Dies alles beeinflusst die Schulterhaltung. Die Schultern dürfen NICHT zurückgenommen werden. Denn dies versteift den Schultergürtel, die Nackenmuskulatur, zieht den Kopf nach hinten und macht den Rücken "zu". Das Hohlkreuz ist nicht weit weg, der untere Rücken wird steif und das Mitschwingen mit der Hüfte blockiert, das Becken oft "Entenpopo-artig" nach hinten raus und vorne runter gekippt.

Die Schultern sollten breit, voneinander weg gedacht werden. Man kann dies nicht aktiv "machen". Man kann sie nur gehen lassen. die Schulter und Nackenmuskulatur entspannen ohne im Brustkorb zusammensinken. Den oberarm sich "breit" denken, d.h. er darf nicht an den Oberkörper geklemmt werden, weil er sonst die Rippenbewegung verhindert und diese ist ja wiederum wichtig für das Atmen. Beim Einatmen weitet sich der Brustkorb, die Rippen gehen fächerartig auseinander, beim ausatmen gehen sie wieder zusammen. Die Rippen sind ja nicht starr! Sondern durch elastischen Knorpel am Brustbein festgemacht und durchaus in einem gewissen Mass beweglich. Das Brustbein muss offen und getragen sein, die Schlüsselbeine dürfen von den Schultern nicht verdeckt werden (dies lässt einen vorne zusammensinken), die Schulterblätter dürfen aber auch nicht zusammengezogen werden (dies macht den Rücken hinten zu)

Wenn nun der Oberarm locker runterhängt und die Schultern breit auseinander voneinander weg gelassen werden, kommt der Ellenbogen automatisch in die richtige Lage. Er muss nur noch etwas angewinkelt werden und die Hand wird getragen.

Das handgelenk sollte ganz locker sein. Die Faust weich geschlossen. Sehr oft will eine halboffene hand ein festes handgelenk kompensieren (meine "Spezialstelle" *nerv* ;) ). Meist geht dies mit einer verdeckten Handhaltung einher.

Das Problem der verdeckten Handhaltung: sie dreht die ganzen Arme nach innen und die Schultern runden sich nach vorne! Folge: einsinken im Brustkorb, Kopf hängt runter, blick nicht frei, Atmung behindert. Deshalb ist es ja so wichtig, dass die der Daumen nach oben gedreht wird, so dass er oben aufliegt. Weil diese Drehung soll sich im lockeren Arm weiter bis zur Schulter "fortpflanzen" und die Schlüsselbeine öffnen und die Vorderlinie breit halten.

Der Zügel wird zwischen kleinem Finger und Ringfinger gehalten. Das macht absolut Sinn! Denn der kleine finger ist die Verbindung in den Rücken! Daumen-Zeigefingerlinie geht auf der Oberseite des unterarms in die Brustmuskulatur -> verdeckte Hand -> Zusammengezogene Brustmuskulatur! Die kleine Fingerlinie über die Unterseite des Unterarms geht in den Rücken und DA muss Anlehnung entstehen: im Sitz.

Deshalb muss der Rücken offen sein, die Brustlinie offen sein, die Schultern breit, die Hand weich geschlossen getragen, mit dem Daumen nach oben und das Handgelenk entspannt gerade. Die Verbindung vom Zügel, kleinen Finger, Handgelenk, Ellenbogen darf nicht durch einen "Knick" unterbrochen werden, weil dann wird der kreislauf der Anlehnung in den Rücken unterbrochen, es "fliesst" nicht mehr (was wiederum kompensiert wird, zb. durch ein öffnen der Hand). Die "ideale Handhaltung" macht biomechanisch perfekt Sinn! Nicht nur Biomechanik des Pferdes ist wichtig, auch des Reiters. ;)
Liebe Grüesslis, Jen
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Excalibur

Beitrag von Excalibur »

@ Jen: danke, dass hat mich ein ganzes Stück weiter gebracht.

Genau das Problem mit dem kleinen Finger habe ich und ich drehe die Hände ganz leicht nach innen.
Immer wenn ich versuche, die Hände korrekt zu tragen, habe ich genau das Gefühl, welches du beschreibst. Meine Schultern werden fest und ich verkrampfe im Handgelenk und werde unflexibell.

Reite meinen aktuell deshalb extra schon Gebislos. Er ist sehr sensibell und wenn ich mich in der Hand-Rücken Linie festmache, verkriecht er sich hinter dem Zügel.

Irgendwelche Tipps, die helfen locker dabei zu bleiben?
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Jen
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Beitrag von Jen »

hach ja, ich kenne das! :( ;) Ich habe selber viel ausprobiert, das meiste ist leider nur von kurzer Dauer und "Symptombekämpfung". Wirklich weitergebracht hat mich nur die Alexander Technik, weil nur diese wirklich diesen Gesamtzusammenhang schult. Ohne Lehrer keine Chance. Ich musste wirklich lernen meine GESAMTKOORDINATION zu verbessern (bzw. bin immer noch dran, das ist auch wie Reiten ein "neverending"-Prozess ;) ). Es ist durchaus sinnvoll zuerst ohne Pferd in Alexander Technik-Unterricht gehen. Da merkt man erst, wieviele kleine, unbemerkte Gewohnheiten man mit sich trägt und wie diese einen behindern können. Mir hat es unglaublich viel gebracht und hat mir echt einen weiteren Riiieeesen-Horizont eröffnet. Finde es unglaublich spannend. :) Bin aber deshalb mittlerweile sehr skeptisch von "normalen" Sitzschulungen und Gymnastikübungen, weil diese zwar Beweglichkeit erhöhen, aber oft sehr spezifisch sind und nicht das neue Körpergefühl und die Koordination des Körpers in diesem umfassenden Sinn schulen.
Liebe Grüesslis, Jen
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hanska
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Beitrag von hanska »

Ich habe das Problem mit meinen Händen ja auch (hatte hierzu auch einen Thread).
Am besten kriege ich mittlerweilen eine bessere Hand-, Armhaltung hin, wenn ich mir , und jetzt nicht lachen, im Kopf ein Bild denke, ich hätte mein Pferd "vor" mir, dh. es tritt schön unter, der Rücken schwingt und der Hals wölbt sich auf; auch wenn das dann nicht gleich der Fall ist. :oops: Dann werde ich komischerweise lang, sitze viel tiefer ein, mein Rücken wird gerade und meine Handhaltung wird besser. (Manchmal hilt mir auch das innere Bild einer stolzen Reiterin in der Passage :lol: ).
Sobald ich an all die Dinge denke, die Jen korrekterweise aufzählt, wie Kopfhaltung nicht nach hinten ziehen, noch nach unten kippen, Schultern entspannen, Oberarm locker runter hängen... wird alles nur noch schlimmer. :? Das musste ich aber für mich zuerst auch mühsam erkennen.
Fliehendes Pferd
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Beitrag von Fliehendes Pferd »

Warum sollte man darüber lachen ? Das ist doch ein ganz gängiges Erklärungsmodell. Unser RL benutzt das oft. Mit gutem Erfolg.
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