Re: Was bedeutet bzw beinhaltet klassisch Reiten?
Verfasst: Mi, 12. Mär 2008 20:32
ja, diese Frage ist gar nicht so einfach, wie sie scheint. Zeigen ja auch die diversen Diskussionen in den verschiedenen Foren.GingerCC hat geschrieben:Ok, die meisten die wohl hier sind sagen (so habe ich den Eindruck) sie reiten Klassisch.
Blos was heißt das genau?
Für mich ist klassisches Reiten im engeren Sinne schon an die zeitliche Epoche bzw. an wenige grosse Namen gebunden. Ich hoffe, ich erzähle da nun keinen historischen Quark, da jetzt nur aus dem Kopf: Guérinière ist sozusagen der Wegbereiter für das "klassische Reiten" und der Klassiker an sich für mich ist dann Gustav Steinbrecht. Alles was danach kommt bezieht sich zwar auf die "Quelle" des klassischen Reitens, allerdings hat es durchaus auch modernen Touch. Wenn wir zb. die FN-Richtlinien von den Anfangszeiten zu heute vergleichen (siehe dazu den excellenten Artikel von esge in den Dressurstudien *schleichwerbungmach*) so hat sich nur schon in den letzten knapp 100 Jahren sehr viel verändert. Deshalb kann ich jetzt nicht sagen, dass das was die FN heute als ihre Richtlinien hält *das* klassische Werk ist. Es ist ein modernes Werk, was auf der Klassik beruht. Aber es ist nicht *die* Klassik. Da ist für mich zb. ein Branderup, welcher sich explizit auf Guérinière und Steinbrecht bezieht "klassischer".
Nun kommt sicher die berechtigte Frage: ja und Baucher? Der ist ja Zeitgenosse von Steinbrecht. Hm. Ja, aber er hat eine starke Wende ausgelöst und viele Neuerungen in die Reitkunst eingebracht. Ich habe mich zuwenig mit ihm beschäftigt, weshalb ich nichts zu seinen Vorbildern sagen kann. Bezieht er sich denn auch auf Vorbilder? Wenn ja, welche? Wenn nein, dann kann ich das eigentlich nicht im gleichen Sinne als "klassisch" benennen. Oder?
Natürlich gibt es auch noch andere Linien in der Reiterei, mit anderen Quellen und anderen Vorbildern. Jedoch würde ich diese nicht als klassisch bezeichnen.
Dies möchte ich einfach mal wertungsfrei feststellen. Das hat nichts mit "gut" oder "böse", "richtig" oder "falsch" zu tun.
So, und was reite ich jetzt selber? Ehrlich gesagt, ich weiss nicht, wie ich "meinen" Reitstil nennen soll und komme auch immer wieder in Verlegenheit, wenn ich dazu gefragt werde. Meist sage ich einfach: Freizeitreiten mit Schwerpunkt auf der Dressur(-mässigen Gymnastizierung).
Ich probiere mich sowohl auf "alte Weisheiten" verschiedenster Richtungen zu stützen, grob gesagt: wie und was man macht (man muss ja nicht immer wieder das Rad neu erfinden) gleichzeitig aber auch moderne Erkenntnisse der Biomechanik, des Bewegungsapparates, sowie der Lern- und Verhaltenspsychologie miteinzubeziehen, grob gesagt: warum und wieso man was macht, mit den nötigen Anpassungen an das "wie" man's macht.
Ausrüstung, Kleidung etc. definieren kein Reitstil. Allerdings kann es vielleicht gewissen Personen zur Identitätsfindung verhelfen, wer weiss. Es ist ja heutzutage nicht ganz einfach, in dem Wust an Reitphilosophien/Lehren und was es alles so gibt. Ich verurteile niemanden, der sich gerne speziell kleidet. Für mich steht jedoch bei der Ausrüstung die Nutzbarkeit im Vordergrund. Sprich: Wie ich mein Pferd zäume kommt darauf an, was ich damit bezwecken will, also ob Kandare oder Trense oder gebisslos oder.... Der Sattel orientiert sich auch am Verwendungszweck: will ich hauptsächlich im Gelände reiten, will ich Dressurreiten, will ich springen, will ich Rinder treiben etc. Also wähle ich den Sattel, der dazu passt, denn es hat einen tieferen Sinn hinter der konstruktionsweise der jeweiligen Stilrichtungen, das ist ja nicht nur die Ästhetik.Reite ich mit den entsprechenden Geräten (Sättel und Zäumung) wie damals die Reiter?
Oder lehne ich mich an die Reiterei von damals an, egal welches Equipment (Zäumung, Sattel) ich benutze?
Wollen wir Kostümreiten?
Wollen wir wirklich versuchen in Orginal-Kleidung Spanisch / Portugiesisch oder a la Wiener Hofreitschule reiten? Aber nicht nur die Kleidung, sondern auch die Art und Weise.
Regelwerke sind doch nur da, um in ein paar Jahren wieder veraltet zu sein... aber scheinbar können es die Menschen nicht ohne. Ich hätte lieber "Handbücher", "Nachschlagewerke" und "Lexika" oder ähnliches, statt Regelwerke.Wollen wir ein Bundesweites bzw Grenzüberschreitendes Regelwerk a la FN?
Als ich anfing mich seriös mit Reiten zu befassen, standen natürlich auch Turniere im Vordergrund. Dann jedoch hat sich meine Einstellung vom Wettkampf weg geändert und ging mehr in Richtung Ausbildung und Gymnastizierung. Früher hat man zu einem bestimmten Zweck ausgebildet. Sei das für den Nahkampf, für die Kavallerie, für die Arbeit am Vieh etc. Ausbildung war Mittel zum Zweck und nicht der Zweck an sich, so wie es heutzutage eigentlich ist. Wir haben unseren Zweck in dem Sinne verloren und ich vermute auch, dass dies mit ein Grund für die grosse Orientierungslosigkeit bei den Reiter/innen sein könnte. Wir wissen gar nicht mehr für was eigentlich wir ausbilden. Und lassen uns darum auch sehr schnell von aussen beeinflussen. Aber wie immer gibt es nicht nur Schattenseiten: es hat doch auch etwas Gutes, nämlich, dass das Pferd nicht mehr für die Dressur(sprich Arbeit) da ist, sondern die Dressur v.a. auch für das Pferd. Deshalb bin ich dann mehr zu der Linie "der Weg ist das Ziel" gelangt und geniesse den Weg mit meinem Pferd. Und gerade erst gestern (da war's noch nicht so stürmisches Wetter wie heuteWollen wir Vergleichbare Turniere machen bzw Teilnehmen?
Oder wollen wir nur ein besseres Verständnis zwischen Reiter und seinem Pferd und wenn wir nur ins Gelände gehen?

Das sind jetzt einfach ein paar philosophische Gedanken von mir, ich habe nicht allzulange darüber nachgedacht, sondern einfach geschrieben, was mir gerade in den sinn kam
