Hallo Rosana,
wie schön dass du dich noch einmal zu dem Thema hier äußerst!
Mir geht es im Prinzip so wie dir - auch ich kenne keinen Ausbilder, der sein Pferd gebisslos bis zum Schluss ausgebildet hat und somit habe ich auch kein direktes Vorbild.
Zitat: "Nachdem ich aber anspruchsvolleren Reitunterricht bekam und meine Reitlehrer der Meinung waren, für eine klarere, eindeutigere Einwirkung brauche man ein Gebiss (Zitat: "Das Glücksrad heißt so, weil es Glücksache ist, ob die Hilfe ankommt...")
Jaaaaaa, die Meinung, man brauche doch eigentlich für höhere Lektionen zwecks eindeutigerer Einwirkung ein Gebiss, kenne ich... (wobei das Zitat über das Glücksrad für mich neu ist)
Aber: Was genau bedeutet denn "eindeutige Einwirkung"? Ist es wirklich nur die Hilfe, die verständlicher für das Pferd ist - oder ist es einfach für das Pferd schmerzhafter, weshalb es dann eher in die gewünschte Richtung nachgibt??
Das fällt mir soooo oft z.B. als Zuschauer auf Kursen oder auch auf DVDs bei Pferden mit Kandare im Maul auf: JA, sie geben z.B. mit Gebiss gut im Genick nach (und ich sehe auch keinen mit "Hirschhals", den mein Arab ja immer mal wieder versucht...) ABER dafür sehe ich - nicht ausschließlich, aber viele - eingerollte Hälse, feste Rücken, untaktmäßige Gänge, hektisches Gekaue/Klappern mit den Zähnen....
Bleiben wir mal bei meinem Arab:
Der IST-Zustand OHNE Gebiss ist, dass er weitestgehend entspannt und zufrieden über den Rücken läuft - bei schwereren Lektionen wie Seitengängen im Trab/Galopp, Pirouetten, Schulparade oder Piaffe hebt er sich schnell mal heraus. Auch beim Spanischen Schritt und bei der Passage hat er das zu Beginn gemacht, diese Lektionen kann er aber inzwischen auch entspannt und mit schöner Oberlinie zeigen.
Daraus schließe ich, dass neue Lektionen, die für Maroun noch anstrengend sind, solange noch nicht flüssig und mit schöner Silhouette ausgeführt werden können, bis die Lektion als solche verstanden und die notwendige Muskulatur dafür auch verwendet wird (vorausgesetzt sie ist vorhanden, ansonsten muss sie aufgebaut werden - und das dauert...)
Mit Sicherheit könnte ich ihn via Gebiss besser korrigieren, was z.B. die Verwendung seines Unterhalses betrifft und ihn zu einer schöneren Oberlinie bewegen - aber um welchen Preis???
Ich weiß ja, dass er ein Gebiss eklig (schmerzhaft?) findet - er wäre einer von den Pferden, die mit offenem Maul hektisch darauf herumkauen und sich im Rücken dabei festmachen (habe ich ja bei ihm gesehen, als ich ihn gekauft habe...)
Eine schöne Oberlinie auf Kosten der Entspannung (Rücken fest, Gänge zackelig - so etwas sehe ich ständig...(z.B. als Zuschauer auf Kursen/Turnieren/auf DVDs...) und die Reiter versuchen dann über lösende Übungen, ihrem Pferd die Verspannungen zu nehmen, die es u.U. ohne Gebiss gar nicht hätte...
Zitat: "Und was auch nicht zu vernachlässigen ist: Ich denke die Maulhöhle mit ihrer beweglichen Zunge ist ein wesentlich sensiblerer und reaktionsfähigerer Kommunikationspartner, als der statische Nasenrücken."
Stimmt! Des einen Freud ist des anderen Leid... Wie gesagt, es gibt (einige) Pferde, die stört das Gebiss gar nicht - aber die Pferde, die z.B. zu wenig Platz im Maul oder spitze Laden haben oder auch sonst sehr schmerzempfindlich sind, haben durchaus auch ein Problem damit, ein Gebiss im Maul zu tragen - sie können zwar, vorausgesetzt der Nasenriemen lässt ihnen dafür genügend Spielraum, ihr Unbehagen zeigen (Zunge über das Gebiss legen oder sie raushängen lassen oder das Maul aufsperren usw...) - aber ausspucken können sie das Gebiss nicht.

Der Nasenrücken ist m.M. nach deutlich unempfindlicher - das bedeutet, dass viel mehr Zeit dafür investiert werden muss, dem Pferd die gebisslose Hilfengebung zu erklären und es darin zu schulen, auf kleine Signale entsprechend zu reagieren.
Zu deiner Überlegung, ob man wirklich eine korrekte Stellung auch gebisslos erarbeiten kann: DAS ist auf jeden Fall möglich, schon in der Grundausbildung am Kappzaum lässt sich ja gut Stellung/Biegung erarbeiten. Auch ein Nachgeben im Genick bzw. Stirn-Nasen-Linie in Richtung Senkrechte lässt sich problemlos beibringen, nur kann sich das Pferd - wenn es sich dagegen wehrt - ohne große Mühe wieder herausheben, wenn es nur einen weichen Nasenriemen als Begrenzung fühlt - man ist also viel mehr auf die freiwillige Mitarbeit seines Pferdes dabei angewiesen.
Zitat: "Neben der Frage nach der Stellung ist für mich eine weitere große Frage die nach der Anlehnung: Kann man eine stetige Anlehnung, ein an den Zügel nach vorne herantreten, eine wirkliche Verbindung von hinten nach vorne über den Rücken auch gebisslos erarbeiten? Ich hatte dies alles in der "Gebisslos-Zeit" auf jeden Fall (noch) nicht erreicht."
Ich denke, hier ist der Knackpunkt die Definition von "Anlehnung": Ich reite mit Impulsen, die korrigierend eingesetzt werden, ansonsten hängen bei mir die Zügel leicht durch. Dennoch merke ich, dass ich mein Pferd auch am losen Zügel alleine über das Gewicht der Zügel Hilfen geben kann, die auch ankommen, ein Kontakt ist also dennoch vorhanden. Einen stärkeren, gleichbleibenden Kontakt am Zügel strebe ich NICHT an, denn das ist mir zu viel "Dauerdruck".
Dasselbe Prinzip, dass auch beim NHS Verwendung findet, setze ich auch beim Reiten um (betrifft sowohl Zügel- als auch Schenkelhilfen): Impulsgebung, bis die gewünschte Reaktion erfolgt und dann sofortiges Nachgeben/Aussetzen der Hilfen, wobei das Pferd dann selber die vom Reiter gewünschte Haltung/Richtung/Gangart beibehalten soll.
So bringt mir Reiten am meisten Spaß

Ein Pferd, das von hinten über den Rücken nach vorne treten soll, kann dies zum Beispiel auch an der Longe (OHNE Hilfszügel) erlernen...
Mein Fazit ist bisher: Theoretisch ist ALLES gebisslos möglich, es macht aber Sinn, wenn das Pferd (UND der MENSCH!!) für die gebisslose Ausbildung auch in anderen Bereichen (NHS, Grundausbildung an der Longe, Zirkuslektionen (zwecks Kommunikationsbasis) gut geschult sind.