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Verfasst: Do, 18. Aug 2011 07:24
von esge
Sehr allgemein: Man sagt oft von Dingen, dass sie "nicht gehen", einfach weil man nicht weiß, wie. Wenn man von der Art, wie man mit Gebiss reitet darauf schließen möchte, wie man ohne Gebiss reiten muss, führt das vermutlich in eine Sackgasse. Aber nur, weil man den Weg nicht weiß, muss das ja nicht bedeuten, dass es nicht geht. 10 Mio andere Fliegen fliegen halt immer rechtsrum zum Misthaufen. weil 100 mio Fliegen vor ihnen das auch schon so gemacht haben.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 07:49
von Tossi
sabrell hat geschrieben:...
Natürlich hat die Kandare Vorteile. Vermutlich allein schon der, öhm, physikalischen (sic!) Hebelwirkung wegen.
Ich würde den Satz ein wenig umstellen: die Kandare wirkt nicht WENIGER rückwärts - im Gegenteil, die Bauart bedingt eben genau DAS - sondern man muss sich mit ihr nur nicht so anstrengen, das Pferd zum Nachgeben zu kriegen.
Es gibt genau EINEN EINZIGEN Grund dafür, dass der Reiter in der Lage ist, mit der Kandare "leichter" einzuwirken - die Potenzierung jedes Fingerzuckens durch den Hebel. Besonders deutlich wird das bei der beidhändigen Führung auf blanke K.
Mal wieder der klassische Denkfehler.
Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall. Bei der Einwirkung auf die Trense wird der Anzug des Zügels 1:1 auf das Pferdemaul übertragen, d.h. 5 cm "Zügel annehmen" bedeuten 5 cm Zug auf dem Gebiss.
Bei einer Kandare mit dem Verhältnis Unterbaum : Oberbaum von z.B. 2:1 kommen bei 5 cm Zügelanzug am Oberbaum nur 2,5 cm an (an der Stange sogar noch weniger, da sie den Drehpunkt darstellt). Noch besser wird das Verhältnis bei einer 3:1 Kandare, da sind es bei 5 cm Anzug sogar nur noch max. 1,6 cm an der Kinnkette und am Maul. Dies bedeutet ganz "physikalisch (sic!)" zuerst einmal, dass jedes "Fingerzucken" je nach Kandare zumindest halbiert wird.
Ich verweise wie immer in Kandarenfragen auf die Ausführungen des Herrn Stahlecker (
http://www.hsh-fritz-stahlecker.de/Kandare.28.0.html)
LG Lisa
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:10
von skywalker
saltandpepper hat geschrieben:
Man kann nicht den Stoßreflex und damit das Öffnen des Genicks auf die Maulwinkel erwirken
Kannst du mir das genauer erklären, ich verstehe dich nicht ganz. V.a. Stoßreflex, was meinst du? DAs "Abstoßen am GEbiss" (haben wir das eigentlich zu Anfang geklärt, was genau darunter zu verstehen ist? *nachlesen gehen muss*).
und die gesamte Einwirkung funktioniert dadurch nur durch ein Ausweichen des Pferdes auf Druck hin und nicht, wie beim Gebiß möglich, auch über ein gezieltes Beeinflussen des Pferdes in Richtung Zug nach vorne.
Das weiß ich nun nicht genau... erstens ist der normale Reflex auf Druck eher Gegendruck, nicht Ausweichen - das muss man den Pferden erst mal beibringen. Und warum sollte man ihnen nicht beibringen können, Zug in Richtung nach vorne auszuüben.
Ehrlich gesagt ist das das einzige, was bei uns momentan so halbwegs verlässlich klappt am Glücksrad - dass das Pferd Zug nach vorne nimmt.
Grade mit dem Glücksrad bin ich nicht sicher, ob man wirklich nur nach rückwärts einwirken kann?
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:12
von Gast
Tossi hat geschrieben: ..dass jedes "Fingerzucken" je nach Kandare zumindest halbiert wird.
Richtig - was den WEG des Oberbaumes angeht. Und wenn man die Kinnkette weg lässt.
Abhängig von der Einstellung der Kinnkette (ob strotzend, korrekt oder durchfallend) potenziert sich die WIRKUNG an der Stange.
Achja .. WEG ist nicht gleich WIRKUNG. Stahlecker hin oder her.
Im Übrigen wurden die seltsamen Berechnungen des Herrn Stahlecker bereits widerlegt, wenn ich das wiederfinde, schick ich das mal.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:25
von Tossi
sabrell hat geschrieben:
Achja .. WEG ist nicht gleich WIRKUNG. Stahlecker hin oder her.
Natürlich ist Weg nicht gleich Wirkung, aber eine "Potenzierung des Fingerzuckens" verursacht eine Kandare garantiert nicht.
sabrell hat geschrieben:
Im Übrigen wurden die seltsamen Berechnungen des Herrn Stahlecker bereits widerlegt, wenn ich das wiederfinde, schick ich das mal.
Das würde mich sehr interessieren, denn für mich Physik-Halbgebildeten sind seine Berechnungen sehr einleuchtend (und ich bin überzeugter "Kandaren-Genuss-reiter").
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:34
von Gast
Bei der Gelegenheit .. der klassische Kandarentest:
Trense ans Schienbein geschnallt und mit 1 Kilo Kraft dran gezogen. Der Proband soll sich den Schmerz merken, wir kommen darauf zurück.
Dann die Kandare ans Schienbein geschnallt und mit 1 Kilo Kraft dran gezogen. Trotz des geringeren Weges des Oberbaumes beginnt der Proband bei 386 g Zugkraft mit nachhaltigem Jammern.
Ok, dieser Test ist physikalisch nicht untermauert. Brauchts aber auch nicht :)
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:45
von skywalker
Ich wollte grad vorschlagen: Sowas kann man ja ganz einfach selbst testen...
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:49
von saltandpepper
skywalker hat geschrieben:
... erstens ist der normale Reflex auf Druck eher Gegendruck, nicht Ausweichen -
Genau mit diesem Satz erklärst du die andersgeartete Einwirkungsmöglichkeit mit einem Trensengebiß selbst :
Mit der Trense kannst du den Druck sowohl nach oben in Richtung Maulwinkel , als auch nach hinten in Richtung U-Kiefer ausüben.
Wenn das Pferd also den Gegendruck dagegensetzt ( eine normale Reaktion auf eine ruhige stanft stetig zunehmende Druckeinwirkung), kann man über das gezielte "nachgeben" diesen Druck/ Zug des Pferdes sehr genau über die eigene Einwirkungsrichtung kanalisieren.
Will sagen, je nachdem, in welche Grundrichtung ich meinen Einwirkug richte, kann ich das Pferd damit veranlassen, das Gebiss in die Gegenrichtung zu nehmen.
Mit einer Zäumung, die auf die Nase wirkt, habe ich hingegen keine Möglichkeit, nach oben Zug so aufzubauen, daß das Pferd einen Gegenzug setzt. Deswegen kann ich hiermit z.B. nicht effektiv eine Dehnung ins V/A "provozieren".
das muss man den Pferden erst mal beibringen. Und warum sollte man ihnen nicht beibringen können, Zug in Richtung nach vorne auszuüben.
Ehrlich gesagt ist das das einzige, was bei uns momentan so halbwegs verlässlich klappt am Glücksrad - dass das Pferd Zug nach vorne nimmt.
Ja eben, aber nur in Richtung Vorne. Nicht in Richtung vorne unten. Jedenfalls nicht so präzise, wie ich das mit einer Trense anleiten kann.
Grade mit dem Glücksrad bin ich nicht sicher, ob man wirklich nur nach rückwärts einwirken kann?
Auch das Glücksrad wirkt auf den Nasenrücken so ein ( und das versetzt eingeschnallte sogar über den Umlenkhebel mit noch mehr Druck ) , daß das Pferd, so es diesem nachgibt, den Kopf zum Hals hin bewegt und dabei das Genick schließt. Auf den Hals selbst hat man nur über diesen Umweg Einfluß.
Mit der Trense hingegen kann man nach oben in die Maulwinkel einwirken und damit unter Umgehung des Genicks auf die Halsposition beeinflussen. Man kann mit der Trense weitaus differenzierter einwirken, weil man es direkt kann.
Bei einer Gebißlosen Zäumung muß man sehr viele indirekt Wege gehen. Was nicht bedeutet, daß man dies nicht kann, aber es ist in mancherlei Hinsicht eben anders.
Es kommt halt drauf an, wie man seine Schwerpunkte legen möchte.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:50
von Jolly
@sabrell, es ging aber doch um das Fingerzucken ... dafür taugt dein Beispiel nicht wirklich, da müsste man dann nicht mit 1kg ziehen, sondern in beiden Fällen einen Zentimeter und die Wirkung dann vergleichen ...
Wenn es interessiert, dort gibt es noch eine ganz interessante Betrachtung zu Martingaleinsatz in Verbindung mit Hebelgebissen (diese Kombination taucht im Spring oder Distanzsport ja öfter mal auf):
klick
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:52
von Tossi
sabrell hat geschrieben:Bei der Gelegenheit .. der klassische Kandarentest:
Trense ans Schienbein geschnallt und mit 1 Kilo Kraft dran gezogen. Der Proband soll sich den Schmerz merken, wir kommen darauf zurück.
Dann die Kandare ans Schienbein geschnallt und mit 1 Kilo Kraft dran gezogen. Trotz des geringeren Weges des Oberbaumes beginnt der Proband bei 386 g Zugkraft mit nachhaltigem Jammern.
Ok, dieser Test ist physikalisch nicht untermauert. Brauchts aber auch nicht

Der Test hat genau soviel Aussagekraft wie wenn der berühmte „Nussknackereffekt“ mit der Trense am Unterarm des Probanten demonstriert wird.
Aber elegante Schleife zurück zum gebisslosen Reiten: bei dem Kandarentest wirkt der Hebel auf die höchst empfindliche Knochenhaut des menschlichen Schienbeins, m.E. nicht vergleichbar mit der Einwirkung auf Zunge/Laden und Kinnkettengrube des Pferdes, sondern eher mit der Einwirkung gebissloser Zäume auf den blanken Knochen des Nasenrückens...
Außerdem bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich bin von 5 cm Zügelanzug ausgegangen, da liege ich im Gramm- und nicht im Kilobereich.
LG Lisa
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 08:55
von saltandpepper
Jolly, ich nehme einfach mal an, daß Sabrell hier im Hinterkopf den Gedanken hat, daß wenn das Pferd die Wirkung der Kandare kennt- und weiß, wie viel Macht am Ende der Einwirkungsskala steht, es sehr gerne bereits auf ein Fingerzucken reagieren wird. Für den Reiter ist das sehr entspannend, weiß er doch daß das Pferd sehr konzentriert darauf ist so früh wie möglich zu reagieren ( um einen zunehmenden Druck zu vermeiden) .
Tossi, ich beziehe das in keiner Weise auf dich- bitte nicht falsch verstehen. Aber ich kann Sabrells Zynismus hier ausnahmsweise mal sehr gut nachvollziehen.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 09:00
von Gast
Ok, Tossi, jetzt versteh ich das .. der Druck, den die Stange auf Zunge/Lade ausübt, ist ein völlig anderer, als der, den sie auf das Schienbein ausübt. Alles klar.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 09:01
von Tossi
@ s&p
Hatte ich auch nicht so verstanden.
@ sabrell
Der Druck ist der selbe, aber das auch das Schmerzempfinden das selbe ist wage ich zu bezweifeln (keine Ahnung, wieso Fußballspieler ausgerechnet Schienbeinschoner tragen....?)
LG Lisa
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 09:01
von horsman
Weshalb ich sagte, dass die Kandare bauartbedingt erst mal weniger rückwärts wirkt als die Trense:
Die Trense kann, mal abgesehen von einer Einwirkung auf die Mundwinkel mit hoher Hand, auf die Lade/Zunge eigentlich nur nach hinten in Richtung Reiterhand wirken (einfache Physik).
Beim Anzug der Kandare aber stützt sich die Kraft die durch den Zügelanzug auf den Unterbaum wirkt über die Kinnkette an der Kinngrube ab. Gefühlvoll eingesetzt kann man also auf Zunge/Lade einwirken wobei dann ein Teil der Kraft nicht nach rückwärts (Richtung Reiterhand) wirkt , sondern über die die Kinnkette auf die Kinngrube abgeleitet wird. So war es mal gedacht, was eine Kandare auf Daueranschlag auch völlig aus schließt! Bürger spricht in seinem Buch davon, " den Unterkiefer zwischen Stange und Kinnkette balancieren".
Natürlich kann man falsch angewendet über den Hebel auch starke Kräfte missbrauchen. Das ist mE mehr oder weniger immer dann der Fall, wenn der Kandarenzügel auf Daueranschlag steht.
Verfasst: Do, 18. Aug 2011 09:01
von Cubano
Tossi hat geschrieben: Ich bin von 5 cm Zügelanzug ausgegangen, da liege ich im Gramm- und nicht im Kilobereich.
LG Lisa
Vor ein paar Jahren war ich in Spanien mal mit einer Freundin auf einem Turnier. Die sollte den kandarengezäumten Hengst ihres RL mal eben kurz halten. Als dieser einen Schritt (wohlgemerkt, kein Stürmen) nach vorn machte, griff sie versehentlich nach dem Kandaren- anstelle des Trensenzügels. Ich stand daneben und sie hat weder geruckt, noch gerissen, lediglich den Zügel schnell angenommen. Und zwar definitiv nicht viel mehr als 5 cm. Resultat: Das Pferd setzte sich auf den Hintern. Und zwar buchstäblich. Seitdem stehe ich allen Berechnungen zur Leichtigkeit der Kandare ein wenig skeptisch gegenüber – auch wenn sich natürlich die Einwirkung von oben nicht 1:1 mit der von unten vergleichen lässt. Zumal die Kinnkette in meinen Augen eine größere Rolle spielt als die Länge des Unterbaums und ihr Verhältnis zum Oberbaum