Wer bildet sein Pferd noch gebisslos aus?

Rund um die klassische Reitkunst

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Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

skywalker: Genau - das Navi funktioniert in einem exakt vorgegebenen Rahmen, kann aber nur genau das wiedergeben, was ihm einprogrammiert wurde. Du verstehst, was es sagt, aber das ist auch alles, kein Gespräch, kein Dialog. Es ist starr, unkreativ und begrenzt. Wenn eine Straße da ist, die es noch nicht kennt, ist es verratzt. Ein Gespräch mit einer realen Person ist lebendig, überraschend, spannend, vielseitig, individuell, situationsbezogen.

Und: Nein, wir haben nicht schreiben gelernt, indem wir Schriftzeichen abmalen, sondern wir haben lediglich die Grundvoraussetzungen (=Alphabet) dadurch kennengelernt. Damit daraus Leesen und Schreiben wird, braucht man aber einen Gesamtzusammenhang (=Sprachsystem), in dem die Elemente logisch aufeinander aufbauen. Losgelöste Einzelbuchstaben sind noch kein Wort und schon gar kein nuanciert ausgedrückter bedeutungsschwangerer Satz.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Rapunzel: Heute ist echt Dein Tag der erstklassigen Formulierungen. Wo ist der "gefällt-mir-Button"? :P
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
esge
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Beitrag von esge »

sapere audi: Ja, ich favorisiere auch einen gewissen Rahmen und Haltung auch im Gelände. Und ein ideales Wanderreitpferd ist für mich eines, was genau soviel Körperspannung, wie es selbst braucht, von sich aus aufbringt, um sich gut über den Tag zu bringen. Vergessen wir auch nicht, dass Pferde für Arbeitsreitweisen dafür auf eine gewisse Form und Körpertonun hin selektiert wurden. Nicht ohne Grund haben Pferderassen, die primär für Arbeitsreitweise gezüchtet wurden kleinere Stockmaße, kürzere Rücken und Kruppenformationen, die zur "Selbstversammlung" einladen.
Da sind wir aber wieder bei dem Thema, dass man sich tunlichst ein pferd aussuchen sollte, das zu den gesteckten Zielen passt. Wenn dann aber aus dem praktischen Allroundworker plötzlich ein Dressurtreter werden soll, kommt man nicht um Anlehnung, Bogenspannung und Schwung erzeugen rum. Das Ergebnis wird dann immer unter dem eines Pferdes liegen, das schon für diesen Zweck gezüchtet wurde. Genauso wie so ein geborenes Dressurpferd auf einem Wanderrit vermutlich ziemlich anstrengend für den Reiter sein wird und vielleicht auch gar nicht dafür geeignet sein wird, 9 Stundne ohne Anlehnung über Stock und Stein zu laufen. Um den Bogen zum Thema zurück zu schlagen: Gebisslose Ausbildung ist in diesem Falle vielleicht auch einfach nicht geeignet.
Wohingegen ich mir vorstellen kann, ein Camargue-Pferd oder kleines Quarterhorse durchaus gebisslos für seinen Dienst als Wanderreit- oder Arbeitspferd auszubilden. Nur die Freunde des Schwoing werden da niemals nich auf ihre Kosten kommen.
Loslassen hilft
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Melli
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Beitrag von Melli »

Sehr spannende Diskussion.

Ich hatte vor einer Weile auch mal den Ehrgeiz, die weitere Ausbildung meines Pferdes rein gebisslos (mit Knotenhalfter) zu vollbringen. Nach zwei Jahren habe ich das aber aufgegeben, aus dem Grund, dass es viel zu wenige Leute gibt, die dir damit brauchbaren Unterricht geben können. Und die "Zügelbedienung" ist eben schon deutlich anders.

Heute reite ich zu etwa 10-30% gebisslos, habe aber gewisse Arbeitsweisen aus dem gebisslosen Reiten auf das Reiten mit Trense übernommen.
Ich erarbeite heute neue Übungen oft zuerst frei oder am Halfter und arbeite die Übungen später auf Trense nach und vertiefe und verfeinere.

Ich kann den Punkt, dass es irgendwelche Gesunderhaltungs-/Körperhaltungs-/-balance- oder sonstirgendwelche Probleme gibt, wenn man nicht mit Gebiss "beizäumt" und "in Anlehnung reitet", aber überhaupt nicht nachvollziehen.

Ich sehe zum einen keinen qualitativen Unterschied zB in einer freien Levade und einer, bei der ein Reiter mit den Zügeln einen steten Kontakt zum Pferdemaul hält.
Und damit auch keinen zu der gebisslosen Variante, die für mich eine Art Zwischenposition einnimmt.

Für mich ist es Ziel, dass mein Pferd sich unter dem Reiter (und auch in der Arbeit vom Boden aus) in hervorragender Selbsthaltung und mit dem richtigen Maß an Körperspannung bewegt UND dabei konzentriert, aufmerksam und durchlässig für alle reiterlichen Einwirkungen ist.
Für mich kein Widerspruch.
Ich sehe wie gesagt bei identischer Haltung oder Bewegung den Mehrwert eines ständigen Maulkontaktes nicht.


Das Beispiel mit den Buchstaben und dem echten Gespräch finde ich sehr gut, denn genau so sehe ich die Arbeit mit dem Pferd.
Ich zerlege jede Aufgabe in leicht verdauliche Happen, die nach und nach Teil einer flüssigen Kommunikation werden.
So lernen erwachsene Menschen Fremdsprachen! Strukturiert, anfangs mit auswendiggelernten Phrasen und Grammatikpauken, und erst daraus wächst die Basis für "Sprachgefühl", eigene Analogien und Verknüpfungen und Querverbindungen und das echte Verstehen eines anderssprachigen Gegenübers ohne bloßes suchen nach einzelnen Wortbrocken.
Mit dem Pferd im "Abspulmodus" hängen zu bleiben und kein gemeinsames Sprachgefühl zu entwickeln, ist schade, aber menschlich.

Esge, ich stimme (falls du das wirklich so meintest) nicht zu, dass Ästhetik immer auch nützlich/zweckdienlich/sinnvoll ist.
Ich habe schon Jungs gesehen, die mit ihrem (Subjektiv für extrem! ästhetisch empfundenen) tiefergelegten Auto nicht mal von der Garage bis auf die Straße kamen, ohne auf der Bordsteinkante aufzusetzen 8)
Und ich fürchte, dass die Ergebnisse der Rollkur von ausgesprochen vielen menschen als ästhetisch empfunden werden.

--

Ganz wichtig finde ich die Bemerkung von sapere aude über die möglichen "Ausflüchte" über das Beugen eines gar nicht angesprochenen Gelenks. Menschen tun das auch, wenn sie können, vor allem, wenn Muskeln ermüden, und zwar völlig unbewusst.

Ein Pferd, das einen Augenblick unaufmerksam ist, kurz spannig wird, kann ich über Nachgeben im Kiefergelenk und/oder Genick ganz leicht dazu bringen, seine äußere Form beizubehalten. Dass dann jedesmal wirklich konstant bis zum letzten Schweifrübenwirbel alles genauso weich und nachgiebig durch die Wirbelsäule fließt, glaube ich nicht. Ich bin keine superduper Reiterin, aber ich reite viel ohne Sattel, und es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich der Rücken arbeitet bei gleichmäßiger Kopf-/Hals-Haltung und völlig weichem, aber beständigem Gefühl in der Hand.
Ich glaube, dass genau daher auch der oft disharmonische Eindruck beim gebisslosreiten entsteht, wenn ein Pferd bei kurzem Verbindungsverlust sich z.B. sofort nach oben heraushebt, weil da nix "zusammengehalten" wird. Ist eine Disharmonie da, wird sie sofort sichtbar.

Für mich ist gebissloses Reiten damit nach wie vor "ehrlicher", weil völlig ungefiltert. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, irgendwas zu beschönigen (ich rede von Hackamore, Knotenhalfter, Kappzaum....keine Spezialverschnürungen).

Trotzdem kann ich mit Trense präziser arbeiten.
Ich nehme auch in Kauf, dass ich über viele Disharmonien wegreite, weil ich den Vorteil sehe, dass ich nach einem kurzen Kontaktverlust sofort weiterarbeiten kann. Ohne die Balance komplett zu verlieren, die ganze Lektion zu vermurksen.

Soweit erstmal mein Brainstorm.
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Tossi
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Beitrag von Tossi »

Das kam zufällig heute auf FB: https://www.facebook.com/photo.php?fbid ... =1&theater

(weiß nicht, ob ich die Zeichnung direkt hier rein kopieren darf - deshalb leider nur für FB-Nutzer)

Das ist zwar stilisiert, trifft aber genau mein inneres Bild vom Reiten in Anlehnung mit Gebiss.
Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet. (David Hume)
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ich glaube niemand hat geschrieben, dass es zur Gesundheit eines Freizeitpferdes in jedem Fall eine Anlehnung oder ein Gebiss braucht. Oder hab ich das verpasst?? Es braucht auch kein Pferd Grand Prix Niveau, um gesund zu bleiben. Genauso, wie auch kein Mensch Marathon laufen muss oder Leichtathletik auf höchstem Niveau, um geesund zu sein. Es reicht auch der regelmässige Spaziergang, nech ;)

Man muss sich einfach überlegen, was man will! Was für eine Reitweise gefällt mir? Was passt zu mir, was zu meinem Pferd, was zu uns als Paar? Wenn ich das beantworten kann, dann kann ich auch nach geeigneter Ausrüstung fragen. Ich finde, es macht nur bedingt Sinn, das wild durcheinander zu würfeln. Man macht es sich bzw dem Pferd nicht zwingend leichter. Wenn ich nun hohe Lektionen in der klassischen Reitweise anstrebe, dann macht das aus genannten Gründen wohl eher Sinn, mit als ohne Gebiss auszubilden. Aber wenn ich einfach gemütlich den Wald durchstreifen will, dann reichen relativ rudimentäre Gymnastizierungsansätze, da braucht es keine Pirouetten und Passagen.

Nur noch ein kurzes Wort zu dem ominösen Energiefluss. Das ist nix esoterisches. Das kann in einfachen kcal gemessen werden, wieviel Energie verbraucht wird. Ich kann vom Pferd verlangen, es soll mehr oder weniger Energie für eine Sache aufwenden. So einfach ist das.
Liebe Grüesslis, Jen
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Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

Nach vielen Turbulenzen zu Hause (Mann krank, Kind verletzt, musste ins KH :cry: komme ich jetzt erst wieder dazu, ins Forum zu schauen...
Wie toll, viele neue spannende Beiträge! :)
Ich versuche mal schnell, meine Gedanken in Worte zu fassen:

@skywalker: Ich teile deine Überlegungen und habe mir ähnliche Fragen auch schon oft gestellt.
Ich bin der Meinung, dass es kein "Trick" ist, dem Pferd eine bestimmte Haltung bzw. auch eine Lektion auf Kommando beizubringen - denn um es dem Pferd überhaupt beibringen zu können, ist eine sehr gute Kommunikationsfähigkeit mit dem Pferd bzw. eine klare, für das Pferd verständliche Hilfengebung seitens des Reiters die Grundvoraussetzung. Und ich sehe das Beispiel mit der Levade (war das auch von dir?) genauso: Eine korrekte Levade beansprucht dieselben Muskeln, egal ob mit Gebiss, ohne Gebiss oder ganz frei ausgeführt. Das gilt aber auch für sämtliche anderen Lektionen wie Piaffe, Seitengänge, Passage....
Solange die Haltung und die Qualität der Ausführung gleich sind, ist es doch egal, ob das Pferd ein Gebiss trägt oder frei herumläuft - denke ich zumindest...

@Rapunzel: Ich sehe es so ähnlich - und doch genau anders herum wie du :wink:
Ich habe auch schon oft überlegt, was es eigentlich genau bedeutet, wenn ein Pferd eine Lektion frei zeigt...
Ich nehme mal Rapunzels Vergleich: Angenommen wir bezeichnen unsere Kommunikation mit dem Pferd als Sprache und möchten gerne eine Lektion reiten, die wir natürlich zunächst in kleinere Einzelelemente zerlegen bzw. für die das Pferd diverse Hilfen (Wörter) kennen muss, um die ganze Lektion (Satz) ausführen zu können.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann bist du der Meinung, dass nur ein Pferd, das während der Ausübung der Lektion an den Hilfen bleibt, die Sprache verstanden hat und sich daher während der Ausführung in einem Kommunikationsprozess befindet, während ein Pferd, das die Lektion auf Kommando quasi als "Trick" ausführt, lediglich einen auswendig gelernten Satz runterspult - ohne zu kommunizieren und quasi ohne den Inhalt verstanden zu haben.
Aber ich sehe das genau anders herum: Ich denke, dass ein Pferd, das eine Lektion auf Kommando "runterspulen" kann (z.B. eine Piaffe auf einen bestimmten Laut oder anderes Signal hin zeigt) die Lektion als solche VERSTANDEN hat - es braucht nicht mehr die einzelnen Wörter vorgesagt zu bekommen (also die Reiterhilfen für jeden einzelnen Piaffe-Tritt), sondern es kann bereits den ganzen Satz auf einmal.
Nach meinem Verständnis ist es auch falsch zu denken, dass die Lektion dann quasi isoliert bzw. sinnentleert von irgendwelchen Reiterhilfen ausgeführt wird, denn auch wenn das Pferd diese Hilfen nicht mehr braucht, so hat es sie doch beim Lernprozess benötigt - und umsetzen können, es kennt und versteht also die Reiterhilfen.

Mein Ziel beim Reiten ist es, die Reiterhilfen sooft wie möglich aussetzen zu können, ohne dass mein Pferd dabei seine Haltung/Gangart/Bewegungsqualität/ Richtung ändert. Am tollsten fände ich es, nur eine Lektion einzuleiten und dann mein Pferd selber machen zu lassen :) Handelt es sich dann um Trickreiten? Ich finde nicht, im Gegenteil...
Vermutlich gibt es andere Reiter, die lieber permanent Hilfen geben und es nicht zum Ziel haben, sie für einen längeren Zeitraum auszusetzen.

Das kann ja zum Glück jeder für sich entscheiden :)
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Esge und Jen stimme ich zu den letzten Posts jeweils zu.

@Maulfrei:
ob und wie lange man die Hilfen aussetzen kann (und überhaupt will) ist ein Punkt, der nicht unentscheidende andere aber nach wie vor: was will ich eigentlich reiten!?
Siehe dazu Esges Post hinsichtlich rassetypischer Eignung für bestimmte Dinge etc.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Für mich kommt es bei der Dressur immer auf das "Wie" an, niemals auf das "Was".

Natürlich kann man einem Pferd durch Dinge wie Stöckchen wedeln, Zungenschnalzen, Kopfstand im Sattel oder ein lustiges Wortkommando die Piaffe oder ähnliche Lektionen beibringen.
Aber das ist eben nicht das, was ich anstrebe.
Auch ein "Kopf runtermachen und hinstellen" hat in meiner reiterlichen Welt nichts, aber auch wirklich gar nichts, mit einer guten Anlehnung zu tun.
Eine Levade, wie sie von den Wienern an der Hofreitschule gezeigt wird, hat eine andere Ausführungsqualität, als ein Steigen, das auf Handzeichen beigebracht wurde.
Äußerlich kann beides jedoch sehr ähnlich aussehen, trotzdem haben die ausgeführten Aktionen nichts miteinander gemeinsam.
Das meine ich wertfrei, nur ich denke, wir sollten uns in diesem Austausch bewusst sein, dass Unterschiede existieren, auch wenn wir in weiten Bereichen die gleichen Wörter verwenden.

Das hat nichts damit zu tun, dass man als jemand, der wie ich im klassischen Sinn Dressur reiten möchte, das Pferd unter ein Dauerfeuer der Hilfen setzt, sondern auch hier wird angestrebt, die Hilfen so oft und so lange wie möglich aussetzen zu lassen und das Pferd so lange wie möglich alleine arbeiten zu lassen. Aber es besteht einfach ein sehr starker fühlbarerer Unterschied in der Ausführung der Lektionen, die klassisch dressurmäßig erritten wurden und solchen, die auf andere Art und Weise beigebracht wurden. Ich befürchte nur, man muss ihn gefühlt haben, um zu verstehen, worin er liegt. Und es ist sicherlich eine Sache des persönlichen Geschmacks, in welche Richtung man tendiert. Auch das meine ich wertfrei.

@Melli: Ich glaube, wenn wir beide von Disharmonien sprechen, reden wir von unterschiedlichen Dingen. Wenn ich von kleineren Disharmonien oder Dissonanzen spreche, ist mein Pferd noch immer zu jedem Zeitpunkt voll bei mir. Ich spüre lediglich eine feine kleine Verspannung, die ich dann wieder auflösen möchte. Einen Kontaktverlust habe ich nicht. Auch in Übergängen - welcher Art auch immer - ist mein Pferd immer bei mir, es geht mir rein um die Verbesserung der Qualität des Übergangs (z. B. weicher, fließender, geschmeidiger, gesetzter o. ä.), und da denke ich einfach, dass man das auf Trense in Verbindung mit den anderen Hilfen besser erreichen kann. Du sprichst hingegen in Deiner Beschreibung davon, dass Du einen kurzen Kontaktverlust hast (z. B. durch herausheben beim Übergang?), über den Du mit Trense schneller hinwegreiten kannst als gebisslos. Ich vermute daher, dass wir zwar das selbe Wort verwenden, aber etwas anderes meinen. Wie siehst Du das? Habe ich Dich falsch verstanden?

Ich möchte an dieser Stelle aber gerne nochmals betonen, dass es bei der Lockerung des Unterkiefers nicht darum geht, das Pferd durch Aktionen mit der Trense in eine erzwungene Haltung zu bringen oder über etwas hinwegzureiten, sondern darum, den Kaureflex anzuregen und damit Entspannung anzustoßen. Und hier interessiert mich, ob es gebisslos Möglichkeiten dazu gibt. Esge hat hier den Bügeltritt vorgeschlagen.

Maulfrei: gute Besserung für Deine Familie!
Zuletzt geändert von Max1404 am Sa, 18. Mai 2013 10:55, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüße
Sabine
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ich bin da auch bei Max. Es geht immer um den Kontext, in welchem eine Lektion ihren Sinn hat. Natürlich kann man einem 4jährigen als Zirkustrick eine Piaffe beibringen. Diese ist aber für sich alleine als Lektion herausgestellt und nicht in einem Kontext. In einer klassischen Dressurausbildung gibt es einen groben Leitfaden, wo man dem Pferd verschiedene Bausteine beibringt und diese dann nach und nach zusammensetzt. So sind die Lektionen dann Resultate dieser Zusammensetzung verschiedener Hilfen und nicht einfach "nur" Lektionen. Bildet man eine Lektion als "Trick" aus, so ist sie in ihrer Form immer etwas starr. Bildet man eine Lektion als Resultat von zusammengesetzten Hilfen aus, so ist man in ihrer Ausführung flexibel und kann sie dem Ausbildungsstand, den persönlichen Schwierigkeiten oder dem Exterieur des Pferdes anpassen. Die Ausführung kann sich dann in fortschreitender Ausbildung auch verändern. Das nennt man Gymnastizierung. In der klassischen Ausbildung ist das Reiten der Lektion nach dem "Büchlein" ein angestrebtes Ideal, aber es ist nicht Sinn die Lektion immer nur gleich zu reiten. So kann zb. ein Schulterherein mit mehr oder weniger Abstellung, mit mehr oder weniger Biegung, mit mehr oder weniger Versammlung, mit Tempiunterschieden etc. geritten werden. Eine Piaffe mit mehr oder weniger Vorwärts, mit oder ohne Biegung, mit höherer oder weniger Aufrichtung geritten werden. Je nachdem zu welchem Zweck man die Lektion reitet. Und all das nimmt man sich, wenn man die Lektion um der Lektion willen als Trick ausbildet. Dann ist die Lektion sinnfrei und aus dem Kontext heraus genommen. Lektionen haben aber alle einen tieferen Sinn in der Ausbildung und erst dann entfaltet sich auch der gymnastische Nutzen.
Liebe Grüesslis, Jen
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

... um mal das Beispiel mit den Wörtern und dem Satz aufzugreifen und Jens Erklärung zwischen dem Unterschied von Tricklektion und klassisch errittener Lektion anders zu umschreiben:

Bei einer Lektion, die als Trick beigebracht wurde, sind die Wörter im Satz, deren Reihenfolge, die Grammatik und die Aussage immer gleich. Wie ein auswendig erlernter Satz, den ich in einer Fremdsprache aufsagen kann, ohne diese gelernt zu haben, womöglich sogar ohne zu wissen, wie er geschrieben wird: "Ich freue mich, Sie kennenzulernen". Trotzdem beherrsche ich die Fremdsprache nicht, und ich bin bereits nicht mehr in den Lage, den Satz zu verstehen, wenn einzelne Wörter oder die Grammatik verändert werden, auch wenn die Grundaussage erhalten bleibt, z. B. "Schön, dass wir uns kennenlernen".

Bei einer Lektion, die im klassischen Sinn erritten wurde, bleibt die Grundaussage zwar immer erhalten, der Satz kann aber immer wieder aus verschiedenen Bausteinen/Wörtern/Grammatik usw. neu zusammengesetzt werden, um damit z. B. verschiedene Schattierungen, Nuancen und Färbungen usw. zu erhalten. Weil die Sprache in Wort und Schrift beherrscht wird, habe ich sehr viel mehr Möglichkeiten, um mich auszudrücken. Und wenn diese Grundlagen da sind, ist es leicht, neue Worte in den Sprachgebrauch aufzunehmen und im richtigen Kontext zu verwenden.
Viele Grüße
Sabine
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esge
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Beitrag von esge »

Jen hat geschrieben: Bildet man eine Lektion als "Trick" aus, so ist sie in ihrer Form immer etwas starr. Bildet man eine Lektion als Resultat von zusammengesetzten Hilfen aus, so ist man in ihrer Ausführung flexibel und kann sie dem Ausbildungsstand, den persönlichen Schwierigkeiten oder dem Exterieur des Pferdes anpassen. .
Hm. Jein. Man kann manche Dinge erstmal als "Trick" beibringen und sie dann nach und nach mit zusammengesetzten Hilfen verfeinern, ausfeilen und letztlich zu einer echten lektion machen.
Dieser "umgekehrte" Weg ist bei solchen Pferden sinnvoll, die sonst nie zu einer Lektion, die ihnen jedoch ungemein weiterhelfen kann, kommen würden. Die Piaffe ist da das beste Beispiel. ich kenne Pferde, die erst über eine "Zirkuspiaffe" überhaupt ein Gefühl für Gleichgewicht bekommen haben. Im Laufe von Jahren wurde dann eine "echte" Piaffe herausgearbeitet, sprich mit Übergängen in und aus der Piaffe, mit verschiedenen Kopf-Halspositionen und auch kleiner oder größer getreten. Auch andere Lektionen können erstmal als "Trick" beigebracht und dann ausgearbeitet werden.
Klar, die Puristen werden das ablehnen. Aber ich erlebe immer wieder, wie förderlich und motivierend auch dieser Weg für Pferde und auch Reiter sein kann.
Geschlossen Halten in X sehe ich übrigens bei unseren Turnieris weit häufiger "andressiert" als jede andere Lektion...
Loslassen hilft
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

Es ist so schwer, die eigenen Gedanken in passende Worte zu übersetzen, aber ich versuche es einmal weiter:

Ich sehe es genauso wie Jen, dass eine Lektion das Ergebnis von einzeln zusammengesetzten Bausteinen ist und stimme auch völlig mit Max überein, dass es immer um das WIE geht - der Weg also entscheidend ist, nicht das Ziel (die Lektion an sich) :)

Natürlich zerlege ich ebenfalls eine Lektion in kleine Einzelelemente, die ich dann auch lektionunabhängig abrufen kann.
Beispiel Piaffe:
Als erstes habe ich versucht, in meinem Arab eine Idee dafür zu erwecken - diagonale Tritte fast auf der Stelle - Haltung (zunächst) egal, es ging mir nur um die Idee.
Und dann kamen nach und nach die Einzelelemente hinzu, die ich auch für andere Lektionen verwende:
- Aufrichtung mit Nachgeben im Genick
- Gewicht Richtung Hinterhand verschieben können
- unter den Schwerpunkt treten
- Hankenbeugung
- mehr Vorhandaktion
Für alle diese Teilelemente habe ich eine bestimmte Gertenposition sowie ein Stimmkommando - alle Elemente zusammengesetzt ergeben die Piaffe.

Ich stelle mal 2 Bilder von meinem Arab ein, die veranschaulichen sollen, was ich meine:
Das erste Bild ist von Anfang 2011 und zeigt die allererste Idee von diagonalen Tritten. Mir ging es beim Start nur um eine Idee, auf die Haltung habe ich mit Absicht zunächst keinen Einfluss ausgeübt - daher fasse ich auch nicht in die Zügel, Maroun ist frei!!

Das zweite Bild ist von Anfang 2013. In der Zwischenzeit haben wir die einzelnen Elemente geübt und Stück für Stück zusammengefügt.
Das etwas rückständige Vorderbein versuche ich durch den Wechsel zwischen den Lektionen Schulparade und Piaffe zu verbessern - und es wird auch immer besser, in kleinen Schritten...
Ich finde schon, dass die Piaffe auf dem zweiten Bild einen gymnastischen Wert hat. Auch dann, wenn sie "nur" auf ein Stimmkommando hin ausgeführt werden kann :)
Und da sämtliche Teilelemente auch einzeln abrufbar sind, kann ich auf die Ausführung der Lektion jederzeit Einfluss nehmen: Mehr vorwärts, mehr Aktion vorne, mehr Gewicht nach hinten usw...

Hier stimme ich also voll und ganz mit Jen überein:
"Bildet man eine Lektion als Resultat von zusammengesetzten Hilfen aus, so ist man in ihrer Ausführung flexibel und kann sie dem Ausbildungsstand, den persönlichen Schwierigkeiten oder dem Exterieur des Pferdes anpassen."

@esge: Stimme mit deinem letzten Beitrag komplett überein! :)
OT: Danke Max, Familie geht es heute besser, Zeit zum Durchatmen :)
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Piaffe verstanden, wir arbeiten an Feinheiten.PNG
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Piaffe - eine erste Idee entsteht....PNG
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esge
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Beitrag von esge »

Aber das ist doch beim "andressieren" letztlich genauso. Auch hier muss ich dem Pferd Schrittchen für Schrittchen erklären, was ich haben möchte. Der einzige Unterschied besteht im Grunde nur darin, dass ich mehr auf das geistige Verstehen des Pferdes baue als auf seine körperlichen Voraussetzungen. Im Grunde behandelt der "echte" reiterliche Weg das pferd viel mehr wie eine geistlose Ansammlung von Muskeln, Knochen und Sehnen, die es halt zu trainieren gilt. Den Zusammenschluss beider Wege, Körper und Geist halte ich für den richtigen. somit ist dann jede Lektion ein bisschen "erritten" und ein bisschen "andressiert". Die übergänge sind doch fließend. Mir scheint immer, dass hier alles, was nicht die Ochsentour A, L, M, S gegangen ist, als "dressiert" angesehen wird, egal wie fein vielleicht das Verständnis des Pferdes für die Lektion ist.

Aber wir kommen vom Thema Gebisslos ab.
Loslassen hilft
maulfrei :o)

Beitrag von maulfrei :o) »

Stimmt, esge, die Grenzen sind fließend!
Ich finde aber, dass wir hier genau beim Thema gebisslose Ausbildung sind.
Ganz am Anfang der Diskussion auf Seite 1 schrieb sapere aude:
"Pferdeausbildung mit der Hackamore ist ein gentlemen's agreement zwischen Reiter und Pferd, es basiert auf gegenseitigem Vertrauen, Zwang ist nicht möglich."
Das finde ich schön formuliert und dieser Satz gilt für meinen Conour-Zaum genauso.
Folglich bin ich in der Ausbildung ganz besonders darauf angewiesen, meinem Pferd die Dinge, die ich von ihm möchte, gut erklären zu können, denn die freiwillige Mitarbeit des Pferdes ist dafür zwingend erforderlich.
Der Ansatz ist also etwas unterschiedlich und daher tendiere ich dazu, weniger Elemente zu "erreiten" als vielmehr zunächst an der Hand zu erklären. Was für einige mit andressieren = Trick gleichgesetzt wird, für mich aber einfach nur ein möglicher Ausbildungsweg ist.

OT: SORRY, so ein Mist, ich bin eben statt auf den button "Antworten" auf das Ausrufezeichen gegangen - sprich "Beitrag melden!" Frust, wer lesen kann ist klar im Vorteil - an wen muss ich mich jetzt wenden??
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