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Verfasst: Di, 30. Okt 2012 07:34
von padruga
... müssten wir doch zu dem Ergebnis kommen, dass "Perfektion" beim Reiten schlicht nur Ziel ist, nicht aber erreicht werden kann... oder?
Gottseidank! Denn wie heißt so schön der Spruch: "Perfektion zerstört die Anmut"
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 07:37
von Cubano
Guten Morgen,
@Finchen: Ich denke, Esge hat schlicht gemeint, dass bei dem Stierkampfvideo der Takt nicht oberste Priorität hat. Was auch richtig ist bei derartigen Manövern. Was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass das Pferd bei der ganz normalen Arbeit keinen Takt zeigen würde.
Und zur Perfektion: Das wird schwierig. Beispiel: Ein Video, was ein BBler als "perfekt" oder "annähernd perfekt" bezeichnen würde, würde bei mir durchfallen. Auch dann, wenn ich durchaus positive Elemente darin sehen würde. Umgekehrt würde vielleicht ein Video von Uta Gräf, was ich als annähernd perfekt bezeichnen würde, bei anderen Usern durchfallen. Die würden z.B. Spanntritte sehen, wo ich nur ein dynamisches Vorwärts erkennen könnte. Dazu sind die inneren Bilder zu verschieden, die man von Perfektion hat.
Nachtrag: Es gibt allerdings Schnittmengen. So z.B. die Videos der alten Wiener, die fast durchgängig als "nahezu perfekt" bezeichnet werden. Und vor dem Hintergrund muss ich gerade über den Satz "Perfektion zerstört die Anmut" ein wenig schmunzeln.

Denn: ein wirklich gut (oder sogar perfekt) ausgebildetes Pferd hat Anmut ohne Ende. Weil die Ausbildung es schöner, beweglicher, graziler und stolzer macht.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:06
von padruga
ein wirklich gut (oder sogar perfekt) ausgebildetes Pferd hat Anmut ohne Ende. Weil die Ausbildung es schöner, beweglicher, graziler und stolzer macht.
Das stimmt, auf jeden Fall. Aber leider ist zu beobachten, dass viele Pferde diese auch danach wieder verlieren durch das beständige Streben des Reiters nach "noch vollendeter und korrekter". Ich fürchte aber fast, dass das ein typisch "deutsches Leiden" ist.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:11
von Junito
Vielleicht auch, weil dann irgendwann die Sache mit dem Spaß flötengeht? Nur noch verbissener Ernst?
Ich finde, auch die Fähigkeit, mal über kleinere Unvollkommenheiten hinwegzusehen, ist etwas, was auch wertvoll sein kann.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:12
von esge
Nein, ich habe gemeint, dass Takt nicht immer am Anfang der Ausbildung steht, weil manche Pferde aufgrund sehr hoher Beweglichkeit einfach keinen haben. Das hat dann auch nichts mit gut oder schlecht sitzenden Reitern zu tun. Das Thema Takt hat dann zwar hohen Zielsetzungswert, aber ist nicht das ERSTE Ausbildungsziel das ich bei so einem Pferd habe und vor allem kann ich Takt nicht benutzen, um andere Punkte zu erarbeiten, sondern umgekehrt wird der Takt sich allmählich einstellen, wenn andere Punkte bearbeitet werden. Ganz anders als viele mittelgute bis gute WBs denen Takt einfach in die Wiege gelegt wird, und der Reiter ihn nur nicht zerstören darf. Wenn ich in Kursen WBs reite, bin ich immer völlig fasziniert, was man sich als Reiter im Sattel alles erlauben kann, ehe man diese Metronome im Takt stören kann. Vor allem der Trab ist ja praktisch unkaputtbar, verglichen mit vielen Iberern. Der Gegenpol ist dann immer, wenn ich mal auf Gangpferde komme. Höhö, dagegen sind dann wiederum die Lusos toootal stabil, grins.
Dass es bei einem Stierkampfpferd in Action nicht auf Takt ankommt, dürfte klar sein.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:15
von Medusa888
Esge, Du hast jetzt eben relativ viel geschrieben, aber mit keinem einzigen Wort erwähnt, was für Dich dann anstelle des Taktes an erster Stelle kommt.
Das würde mich dann doch sehr interessieren.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:16
von Cubano
padruga hat geschrieben:ein wirklich gut (oder sogar perfekt) ausgebildetes Pferd hat Anmut ohne Ende. Weil die Ausbildung es schöner, beweglicher, graziler und stolzer macht.
Das stimmt, auf jeden Fall. Aber leider ist zu beobachten, dass viele Pferde diese auch danach wieder verlieren durch das beständige Streben des Reiters nach "noch vollendeter und korrekter". Ich fürchte aber fast, dass das ein typisch "deutsches Leiden" ist.
Das wiederum stimmt – zumindest teilweise. Hierzulande kommt vielen Reitern leider Gottes der Spaß an der Sache abhanden. Da wird dann das Streben nach Perfektion ganz schnell verbissen. Und das wiederum zerstört dann tatsächlich die Anmut, sondern macht die Pferde zu "Automaten" ohne Ausstrahlung. Hach, ideal wäre die Mischung aus spanischer Lebensfreude beim Reiten und deutscher Gründlichkeit bei der Arbeit. Seufz…

Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:21
von padruga
Genau das meinte ich

Verfasst: Di, 30. Okt 2012 08:56
von horsman
Zwar ist es kein klass. Dressurreiten, aber der Ritt mit diesem Uriano zeigt doch einige sehr qualitätvolle Eigenschaften: Gleichgewicht, sehr hohe Durchlässigkeit und Impulsion. Und bei aller Rasanz dieses Vortrags wirkt das Pferd nicht unnatürlich aufgestachelt oder angstvoll hektisch.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 09:43
von amara
... und was die alten Videos der Wiener betrifft:
DAS ist mal elegant un-per-fekt. Wenn man mit Detail-Sucher-Fehler-Blick diese Videos anguckt, ja... jaaaa....... HMMMMMMMM...............
Aussagen wie "es gibt kein Video das mir gesamt gefällt" lassen tief blicken, in eine unendliche Geschichte der Fehlerguckerei. Das ist irgendwie typisch deutsch verbissen. Und typisch „ja aber…“.
Spaß am Reiten/am Umgang/an gemeinsamer Zeit, Freude fürs Tier und (!) für den Menschen, Lockerheit und Leichtheit im Kopf, in den Gedanken, in der Art eine Ausbildung und einen Weg zusammen mit dem Pferd anzugehen, Neugierde auf das andere Lebewesen, ein Gefühl für das Geschenk, mit einem Pferd etwas erarbeiten zu dürfen und zu können, Lust auf Neues und Lust den eigenen Kopf und den eigenen Körper sowie beides vom Pferd zu erfassen, zu lenken, kennenzulernen... - das gehört für mich an erste Stelle. Vor dem Takt. Vor dem Sitz. VOR der Ausbildungsskala.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 09:46
von Phanja
amara hat geschrieben:
Spaß am Reiten/am Umgang/an gemeinsamer Zeit, Freude fürs Tier und (!) für den Menschen, Lockerheit und Leichtheit im Kopf, in den Gedanken, in der Art eine Ausbildung und einen Weg zusammen mit dem Pferd anzugehen, Neugierde auf das andere Lebewesen, ein Gefühl für das Geschenk, mit einem Pferd etwas erarbeiten zu dürfen und zu können, Lust auf Neues und Lust den eigenen Kopf und den eigenen Körper sowie beides vom Pferd zu erfassen, zu lenken, kennenzulernen... - das gehört für mich an erste Stelle. Vor dem Takt. Vor dem Sitz. VOR der Ausbildungsskala.
Das hast du wunderbar auf den Punkt gebracht und ich möchte das vollumfänglich unterschreiben
Und leider fehlt genau das häufig, wenn man sich das eine oder andere Video anschaut - schade.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 09:51
von xelape
Amara: Toll geschrieben und wirklich DAS trifft es gut!
So will ich es auf jeden Fall...
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 09:51
von Cubano
amara hat geschrieben:... und was die alten Videos der Wiener betrifft:
DAS ist mal elegant un-per-fekt. Wenn man mit Detail-Sucher-Fehler-Blick diese Videos anguckt, ja... jaaaa....... HMMMMMMMM...............
Klar. Das findet man bei jedem Ritt. So man denn will.
Aber Perfektion bedeutet nicht automatisch "ohne Fehler". Das gibt es in meinen Augen ohnehin nicht, was Reiter und Pferd angeht. Für mich ist Perfektion ein durch und durch stimmiges Gesamtbild mit anmutigen Pferden, die die Ausbildung leicht, feiner und elegant gemacht hat.
Videoschauen mit Stoptaste oder Geodreieck finde ich persönlich nicht nur albern, ich finde das auch nicht ganz ungefährlich: Das reduziert Pferde nämlich auch zu Automaten, die jederzeit den fehlerfreien Bewegungsablauf etc. zeigen sollen. Das liest sich vielleicht gut, mit Realität hat das aber nix zu tun.
Verfasst: Di, 30. Okt 2012 10:16
von amara
Danke!
@Cubano: Eben, das sehe ich genau wie du. Das ist irre gefährlich, und es führt letztendlich zum Krampf. Mindestens zum geistigen Krampf.

Man muss auch mal JA ohne das ABER sagen können.

Verfasst: Di, 30. Okt 2012 11:01
von Kiruna Karmina
Amara, DAS:
"Spaß am Reiten/am Umgang/an gemeinsamer Zeit, Freude fürs Tier und (!) für den Menschen, Lockerheit und Leichtheit im Kopf, in den Gedanken, in der Art eine Ausbildung und einen Weg zusammen mit dem Pferd anzugehen, Neugierde auf das andere Lebewesen, ein Gefühl für das Geschenk, mit einem Pferd etwas erarbeiten zu dürfen und zu können, Lust auf Neues und Lust den eigenen Kopf und den eigenen Körper sowie beides vom Pferd zu erfassen, zu lenken, kennenzulernen... - das gehört für mich an erste Stelle. Vor dem Takt. Vor dem Sitz. VOR der Ausbildungsskala."
... ist für mich ein Gänsehaut-Statement.
Danke!!!