Ohne auf den Exkurs der Zäumung einzugehen wollte ich noch mal auf die Ausgangsfrage zurückkommen. Ich bin Freizeitreiter, reite also im Sommer mind. 3-4 mal pro Woche mit meinem Pferd aus, mache mehrtägige Wanderritte und sehe Platzarbeit als notwendige Gymnastik. Damit sage ich nicht, dass es mir und meinem Pferd nicht bei einem guten RL auch Spaß macht, auf dem Platz oder in der Halle was dazu zu lernen, aber Lebensinhalt ist für mich das Gelände mit Pferd zu genießen. Ja, auch dort reite ich phasenweise am Zügel (zur Übung oder weil ich mein Pferd etwas runder machen möchte), aber ich finde es elementar, dass ich theoretisch (und praktisch) auch ohne Zügel Richtung, Gangart und vor allem auch Tempo bestimmen kann. Und ich kann auch mal auf einem Feldweg ohne Zügel ein Schenkelweichen einbauen, weil ich nicht will, dass Abai durch die dicke Pfütze trabt oder galoppiert und mein Hinterreiter hinter lustig gesprenkelt ist. Steigbügel rechts etwas mehr ausgetreten (im leichten Sitz im Galopp) und Pferd wechselt die Spur.
Klar läuft mein Pferd am langen Zügel so nicht aktiv über die Hinterhand, die aktiviere ich auch, indem ich vorne zumindest eine leichte Anlehnung herstelle. Aber ich finde schon, dass er am langen Zügel eine sehr nette "Gebrauchshaltung" einnimmt. Kopf und Hals entspannt getragen, Rücken nicht aktiv aufgewölbt, aber auch mitnichten wegggedrückt oder verspannt. Der Schweif pendelt entspannt, er läuft schwungvoll und sehr gleichmäßig und taktvoll. Und das ist meines Erachtens etwas, was vielen "Sandkastenpferden" fehlt. Reitlehrer (egal ob FN, Western oder Barock, habe schon alles durch) sind oft begeistert von der Lockerheit und wie gerade Abai ist, obwohl ich eben "nur" 1-2mal pro Woche im Sandkasten reite und draußen viel am langen Zügel gehen lasse (nein, ich reite nicht nur Schritt, im Gegenteil, ich reite viel Trab und Galopp).
Was Abai jahrelang nicht richtig konnte, war ein aktives ans-Gebiss-Herantreten, er hielt aufgrund seiner Western-Grundausbildung den Kopf gerne nur hin. Ich will damit nur sagen, dass wir sicherlich nicht sehr weit dressurmäßig sind, trotzdem hat Abai etliche Kilometer auf dem Tacho und wird mit seinen 22 Jahren gerne auch für nen 10jährigen gehalten.
Wenn ich im Übrigen von "Sandkastenreiter" um Hilfe gebeten werde, weil ihre Pferde im Gelände nur Blödsinn machen, dann erschreckt es mich immer wieder aufs Neue, wie verwirrt diese viel weiter als wir ausgebildeten Tierchen sind, wenn man die Zügel einfach mal lang lässt. Da kreiseln die Ohren wie Radarantennen. Und oft schwanken diese im Trab am langen Zügel und brauchen etliche Kilometer Feld- oder Wiesenweg, bis sie ein eigenes Tempo finden, welches nicht vom Reiter per Zügel bestimmt wird. Wenn sie dann aber ihr Tempo gefunden haben und man nimmt dann die Zügel wirklich minimal auf Kontakt, dann ist es ein einfach herrliches Gefühl
So, langer Exkurs, ich hoffe, es versteht jemand, was ich meine. Auf deine Eingangsfrage zurück zu kommen: meiner Meinung nach geht kein Pferd "kaputt", wenn man es immer mal wieder in schöner Selbsthaltung am langen Zügel laufen lässt. Wenn dein Pferd das Tempo ohne Zügelmaß nicht hält oder das Lenken ohne Zügel nicht so funktioniert, wie du es dir wünschst, würde ich das einfach immer wieder üben. Abai kann ich nur mit Hulahoopreifen in der Halle galoppieren, vom Galopp zum Stand durchparieren, Schenkelweichen (ja sogar wirklich parallel, nicht so ein über die Schulterweggelaufe) und auch Rückwärtsrichten. Dafür können wir selbst mit Zügel noch kein Travers und auch am Rechtsgalopp müssen wir noch feilen. Aber es ist immer eine Frage, wo ich als Reiter meinen Schwerpunkt lege. Klar, mein Pferd soll gesund bleiben, aber mir als Geländereiter war es auch wichtig, dass ich bei 4 Stunden Gruppenausritt mit einigen "heißen" Kandidaten nicht ziehen muss (egal ob mit Bizeps oder Trizeps), sondern dass ich Abai einfach am langen Zügel gehen lasse, ein Zupfer, um zu sagen "Ja, die da vorne laufen einfach los, du wartest bitte" und dann wieder Zügel lang. Ein stundenlanges Einrahmen zwischen Schenkeln und Zügeln wäre mir dabei zu anstrengend.