Die Sache mit dem Schub

Rund um die klassische Reitkunst

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Fliehendes Pferd
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Beitrag von Fliehendes Pferd »

Oliveira ohne Schub ? Haben wir dieselben Bücher gelesen ?
esge
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Beitrag von esge »

Silence: SEHR interessant, grins!
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Janina
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Beitrag von Janina »

@Fliehendes Pferd: Ohne die Art von Schub, die ein "deutscher Klassiker" oder meinetwegen auch "FNler" (oder...) bei diesem Begriff vor seinem inneren Auge hat...
Fliehendes Pferd
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Beitrag von Fliehendes Pferd »

Ich bin ein FNler und ich glaube nicht, dass Oliveira eine andere Art Schub oder Schwung meint als ich oder meine Reitlehrer, die durch die Bank FN sind und waren. Was meinst Du denn, was ein FNler vor seinem inneren Auge hat ?
esge
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Beitrag von esge »

Magst du versuchen, es uns zu beschreiben?

Die Lehrer, die mich in den letzten Jahren maßgeblich prägten, waren alle sehr auf einen locker schwingenden Rücken, eine gedehnte Oberlinie und auf Versammlungsbereitschaft eines vorwärtsgängigen Pferdes aus. Schub war einfach so gar kein Thema. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass man es zu einem Thema machen muss. Racinets Ausspruch passt da sehr gut. Schub - das haben Kutschpferde.

Hier mein Versuch, mein Gefühl zu beschreiben: Wenn ich auf einem Pferd sitze und sage "JAAA, DAS ist es", dann schwingt dessen Rücken locker, ich habe Kontakt zu einem lebendig kauenden Pferdemaul aber je nach Pferdetyp im Grunde keinen Zug in der Hand, alle Gelenke des Pferdes federn durch, das Pferd trägt sich und ist jederzeit bereit, sich in alle Richtungen bewegen zu lassen. DAS Gefühl ist federn. Nicht schieben.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

esge hat geschrieben:Racinets Ausspruch passt da sehr gut. Schub - das haben Kutschpferde.
.
So, so, schmunzel…
Tja, das sehe ich dann doch etwas anders als der gute Mann das gesehen hat; Ohne Schubkraft wird man in meinen Augen nie die Tragkraft entwickeln können, die es braucht, damit die versammelnden Lektionen nicht müde und trippelig, sondern dynamisch und fließend werden. Denn Schubkraft ist u.a. verantwortlich für Schwung. Und ohne Schwung von hinten nach vorn gibt es keine Kadenz…
Bernie
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Beitrag von Bernie »

alles, was ich korrekt versammeln kann, kann ich auch korrekt zulegen lassen. Das ist einfach ein Fakt. Dann kommt die Komponente Pferd dazu, das natürlich in einem Bereich Stärken und woanders Schwächen hat.

Als Beispiel mein Pferd, der ein unglaubbliches Talent für Hankenbug hat. DAS ist seine Arbeit, da geht er drin auf, das fällt ihm leicht. Aber er entzieht sich auch gerne darin. Darüber hinaus bin ich kein Freund darin, ein talentiertes Pferd, das noch dazu jung (war) ist, nur im Talentbereich auszubilden.

Ich möchte doch die Schwächen des Pferdes stärken. Und ich möchte eine grundsolide Basis, in der ich sowohl Zugriff auf die Schubkraft und (wenn ausgebildet) die Tragkraft habe. Da geht es MITNICHTEN um einen perfekten Mitteltrab oder eine Piaffe, um das mal zu verdeutlichen.

Da mein Pferd sich gerne auf der Hinterhand entzieht - und glaubt mir, das fühlt sich megagenial an, denn genau das ist es doch, was wir alle wollen? Ein total bewegliches, ausbalanciertes, wendiges Pferd mit aktiven Hanken) musste und muss ich vorwärtsreiten. Viel vorwärtsreiten, so schnell vorwärtsreiten, wie ich noch nie vorwärtsgeritten bin (für meine Verhältnisse ;)).

Warum? Darum: ein Pferd muss vor dem Schenkel sein. Und den Weg dorthin gibt das individuelle Pferd vor.

Lapidar gesagt: ich will beim Reiten vorwärts kommen und das ist nur MIT Schubkraft möglich. ;)

Deshalb bin ich überhaupt nicht glücklich über diese (oftmalige) Einklassierung in "Schulen", da und dort wird es so und so gehandhabt. Ich mag keine Schemata, wir arbeiten mit einem Lebewesen.

Nein. Der klassische Weg zeigt mir den Weg für dieses spezielle Pferd auf. Und wenn dieses Pferd zwar über genug Schubkraft von Natur aus verfügt, aber sich verhält (das war eben jetzt ein Beispiel für Ausbildung der Schubkraft, tätige Hanken, lösen der Hanken!), dann muss ich wohl oder übel die Schubkraft ausbilden. Bewusst. Obwohl ich doch eigentlich ein Anhänger der klassischen Reiterei bin - aber genau das ist es auch.

Individuell auf das Pferd bezogene Ausbildung. Reell und pferdegerecht.
esge
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Beitrag von esge »

Ehe Missverständnisse entstehen: Nicht Racinet hat das über die Kutschpferde gesagt. Das habe ich provokativ in den Raum gestellt.
Und nicht, dass wir uns missverstehen: Ich will unbedingt vorwärtsgängige Pferde und ja Bernie: Was man versammeln kann, kann man auch wieder verstärken. Aber für mich eben unbedingt in dieser Reihenfolge.
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Nakim

Beitrag von Nakim »

ja aber ohne vorwärts keine echte Versammlung. Damit kommen wir doch wieder zu Steinbrechts berühmten Satz vom vorwärtsreiten. Das eine ist ohne das andere nicht möglich.
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Janina
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Beitrag von Janina »

Fliehendes Pferd hat geschrieben:Ich bin ein FNler und ich glaube nicht, dass Oliveira eine andere Art Schub oder Schwung meint als ich oder meine Reitlehrer, die durch die Bank FN sind und waren. Was meinst Du denn, was ein FNler vor seinem inneren Auge hat ?
Offenbar häufig etwas anderes, sonst würden sich nicht viele so negativ über z. B. Oliveira (oder auch Beran, weil sie hier schon genannt wurde) äußern. Ich glaube einfach, dass man von den deutschen Warmblütern ein ganz anderes Grundbild von Schwung und Schub im Kopf hat...
Ansonsten ist es definitiv so, dass man sehr wohl (je nach Veranlagung des Pferdes) entweder das eine oder das andere haben kann. Trotzdem sollte, wie Bernie schrieb, ja nicht Ziel der Ausbildung sein nur das zu fördern, was dem Pferd eh leicht fällt, sondern es in sämtlichen Punkten zu verbessern.

edit: Und meiner Meinung nach muss man auch noch mal unterscheiden zwischen tatsächlichem Vorwärtsreiten und der Erziehung des Pferdes zu der Bereitschaft immer vorwärts zu gehen. Letzteres benötigt man für echte Versammlung, ersteres (meiner Meinung nach) nicht zwangsläufig, zumindest nicht so ausgeprägt, wie es teilweise gerne betrieben wird.
Nur mal als Bsp.: Mein Spanier "schiebt" lieber, als das er trägt, neigt aber generell eher dazu sich zu verhalten, also hinter die Hilfen zu kommen. Den muss(te) ich in kurzen Reprisen ordentlich vorwärts schicken, um überhaupt halbwegs die HH aktiv zu bekommen.
Unserem Luso fällt die Hankenbeugung deutlich leichter, den braucht man nicht unbedingt über "mehr Vorwärts" zu arbeiten, einfach weil er permanent einen "Vorwärtsdrang" hat. Allerdings hilft auch bei ihm z. B. der Wechsel zwischen Vorwärts und Versammlung, um eine bessere HH-Aktivität zu erhalten, ist aber eben nicht grundsätzlich Voraussetzung.
Zuletzt geändert von Janina am Mo, 01. Feb 2010 11:31, insgesamt 1-mal geändert.
Bernie
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Beitrag von Bernie »

esge, aber jetzt in meinem konkreten Fall, mein Pferd hat sich aktiv versammelt, aber rein psychisch und auch physisch wäre er damit massiv überfordert gewesen.

Um ein Jungpferd jungpferdetypisch auszubilden, ist Schubkraft notwendig. Da es ja nicht möglich ist, nur einen Teil alleine auszubilden, hat man natürlich auch die Arbeit an der Tragkraft von Beginn an dabei, aber der Schwerpunkt für ein angerittenes Pferd oder auch junge und alte Remonte sehe ich absolut in der Schubkraftentfaltung. Es ist eine Hilfe, die Hanken tätig zu machen.

Und wenn es in der Halle, im Viereck nicht möglich ist, dann raus mit den Jungen, gerade aus und vorwärts reiten, nicht übereilt, sondern vorwärts, Hand weg.

das heißt überhaupt! nicht, dass ich jetzt da stunden- und jahrelang herumschrubbe, um dann mit einem 10jährigen Pferd "Versammlung" zu lernen, überspitzt ausgedrückt.

Aber ich wollte mit meinem Beispiel aufzeigen, dass es nichts hilft, sich einer Schule zugehörig zu fühlen (das tue ich übrigens ;)) und sich ein Barockpferd zu kaufen, das über ausreichend Talent verfügt (das habe ich), sondern dass eben das jeweilige Tier und der jeweilige Ausbildungsstand individuelle Wege benötigen. ;)

Was ich nicht verstehe: warum sieht man die Schubkraft nicht ebenso als natürliche Kraft an, warum wird sie von vielen so negativ besetzt? Negativbeispiele kennt jeder genug, aber die muss man doch nicht dafür heranziehen?

lg

Bernie
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Beitrag von esge »

Vermutlich ist es eher eine Frage des Vokabulars. "Vorwärts" - und zwar unbedingtes, nicht hinterfragtes Vorwärts auf leise Hilfen ist für mich unabdingbar und erstes Ausbildungsziel. Aber das ist für mich nicht Schub.
Pferde mit viel Schub haben für mich ihre Bewegungen in der Regel überhaupt nicht unter Kontrolle. Es läuft so mit ihnen, nenne ich das. Und das ist für mich absolut kein Ausbildungsziel.
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Nakim

Beitrag von Nakim »

ich glaube das negative Bild der Schubkraft kommt aus der "falschen" FN geduldeten Reitweise. Schubkraft an sich ist nicht negatives. Sie wird es nur dann wenn die Pferde hinten raus schieben. Richtige Schubkraftentwicklung ist auf dem Weg zur Versammmlung meines Erachtens unverzichtbar.
Bernie
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Beitrag von Bernie »

esge hat geschrieben:Vermutlich ist es eher eine Frage des Vokabulars. "Vorwärts" - und zwar unbedingtes, nicht hinterfragtes Vorwärts auf leise Hilfen ist für mich unabdingbar und erstes Ausbildungsziel. Aber das ist für mich nicht Schub.
Pferde mit viel Schub haben für mich ihre Bewegungen in der Regel überhaupt nicht unter Kontrolle. Es läuft so mit ihnen, nenne ich das. Und das ist für mich absolut kein Ausbildungsziel.

ah, ok, jetzt verstehe ich es. Dann sind wir da sowieso einer Meinung, denn auch ich will eben dieses unbedingte, nicht hinterfragte Vorwärts, nenne es aber Schubkraft, denn mE ist es doch nichts anderes?

Nein, Pferde, die ihrem Gleichgewicht hinterherrennen, weil sie so übereilt nach vorne geschickt werden, sind def. kein Ausbildungsziel.
Fliehendes Pferd
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Beitrag von Fliehendes Pferd »

Auch nicht bei der FN. Es gibt ebensowenig ein "geduldetes" Übereilen.
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