skywalker hat geschrieben:Das mit dem Durchreiten der Ecke hab ich auch nicht ganz verstanden, ob es so ist, oder ob es so sein soll . Hab mal zum Spaß gezählt (am langen Zügel dahinschlurfend), und tatsächlich warens 3 Tritte. Wobei es ein bisschen drauf ankommt, wie man den Beginn und das Ende der Ecke definiert - tw. gehts ja dann um Zentimeter.
Dann kam mir natürlich auch die etwas kläglich-zaghafte Frage: Wozu?
Die Beschreibung der Ecke ist nicht meine Erfindung, sondern sie wurde mir von einem ehemaligen Oberbereiter der Spanischen Reitschule gelehrt, der seinerseits von einem Schueler von Oberbereiter Meixner ausgebildet wurde. Ob die Ecke in Wien heute noch genauso wie frueher geritten wird, weiss ich nicht.
Die Ecke beginnt mit dem Tritt, in welchem das Pferd die lange Seite verlaesst (Beginn der Wendung) und sie endet mit dem Tritt, in welchem das Pferd an der kurzen Seite wieder geradeaus geht (Ende der Wendung) bzw. umgekehrt.
Man muss die Ecke nicht so reiten. Die meisten Reiter machen es anders und schaffen es dennoch irgendwie in die hoeheren Klassen zu kommen. Es foerdert das Gleichgewicht und die Biegsamkeit des Pferdes jedoch ungeheuer, wenn man der Methode der alten Spanischen Reitschule folgt. Es erleichtert dem Pferd seine Aufgabe und es macht die Ausbildung aeusserst effizient.
Im Zweifelsfall rate ich immer dazu, alle Moeglichkeiten, die zur Debatte stehen einmal auszuprobieren. Man hat dabei nichts zu verlieren und man stellt bald fest, welche Moeglichkeit bei dem jeweiligen Pferd die besten Resultate liefert. Solche Experimente sind sehr wichtig und sehr aufschlussreich.
Ich moechte das, was ich beschreibe, nicht als Dogma verstanden sehen. Es ist immer eine Frage davon, was das beste Ergebnis bringt. Was ich in meinem Buch beschreibe sind Erfahrungswerte. Sie haben sich in der Praxis mit vielen verschiedenen Pferden der verschiedensten Typen und Rassen bewaehrt. Das heisst aber nicht, dass es nicht auch Pferde gibt, bei denen man aus irgendeinem Grund anders verfahren muss. Der Reiter muss sich bei aller Prinzipientreue immer seine Flexibilitaet bewahren.
Ich muss dazu auch sagen, dass die Reitweise, die mir von meinen Lehrern beigebracht wurde und die ich in meinem Buch beschreibe, recht hohe Ansprueche an den Reiter stellt. Sie wird daher wahrscheinlich auch in erster Linie fuer solche Reiter von Interesse sein, die den Ehrgeiz haben, bis in die hoeheren Klassen vorzudringen und ihre Kommunikation mit dem Pferd so effektiv und differenziert wie moeglich zu gestalten.
Die Reiter der alten Spanischen Reitschule pflegten das Reiten als Denksport zu bezeichnen. Freilich kann man auch ohne Nachzudenken, ohne theoretisches Studium, nur aus dem Gefuehl heraus reiten. Allerdings wird man ohne theoretisches Studium in der Regel auch nicht so weit kommen wie mit diesem Studium.
Ein weiterer Gesichtspunkt, den man nicht vergessen darf, ist, dass ich selber viele Jahre gebraucht habe, um mir dieses Wissen zu erarbeiten. Es waere ganz und gar unrealistisch zu glauben, man koenne in wenigen Tagen das erlernen, was mich viele Jahre gekostet hat. Es gehoert sehr viel Zeit und Muehe dazu, diese Dinge in der Theorie zu verstehen und dann in der Praxis zu meistern. Das ist nicht jedermanns Sache. Es muss auch nicht jeder Reiter in die hoeheren Klassen vordringen. Viele Reiter sind auch in den unteren Klassen gluecklich und zufrieden. Das ist voellig ok.
Aufstrebende Reiter, die sich ueberfordert fuehlen, muessen einfach Geduld haben und immer weiter an sich und an den Grundlagen arbeiten. Dann werden sie irgendwann diese Dinge auch verstehen und umsetzen koennen. Der Student im Grundstudium waere im Doktorandenkolloquium auch ueberfordert. Aber nach einigen Jahren Studium kann er dort mit den anderen Teilnehmern ohne weiteres mithalten und profitiert davon.
Ich erinnere mich noch gut, dass mir bestimmte Buecher vor vielen Jahr(zehnt)en auch noch zu hoch waren. Nach und nach erwarb ich mir aber den noetigen Sitz, das Gefuehl, das Verstaendnis und das Koordinationsvermoegen, und was anfangs sehr kompliziert erschien wurde im Laufe der Zeit immer klarer und einfacher.
Ich muss allerdings ganz klar sagen, dass gute, anspruchsvolle Reiterei niemandem in den Schoss faellt. Man muss sie sich ERARBEITEN. Das kostet Zeit. Das kostet Muehe. Das kostet Schweiss, und es kostet Traenen. Nur wer bereit ist, diesen Preis zu bezahlen, wird tief in die Materie eindringen koennen.
Thomas Ritter