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Verfasst: Di, 29. Jan 2013 19:32
von Motte
Dummerweise hat Reiten aber verdammt viel mit Gefühl zu tun.
Eine reine "Gebrauchsanweisung" gibt's da nicht.
Liegt einfach in der Natur der Sache.
Weil's bei jedem Pferd durchaus auch slightly different funktioniert.

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 19:38
von horsman
@Motte
das bestreitet ja niemand. Das beschreiben dessen, was ein Reiter erfühlen soll ist wichtig und auch überaus schwierig.

Aber man muss es in der Kommunikation auseinander halten. Und vor allem muss man das Pferd damit nicht behelligen. Das Pferd braucht eine klar verständliche Kommunikation. Es kann sich ja schwerlich in nebulöse Gefühlsbeschreibungen eindenken. Es kennt die Noten zum "Konzert der Hilfen" nicht, es wird nicht damit geboren!

Das reiten dann mit zunehmender korrekten Ausbildung des Reiters und des Pferdes immer mehr zur Gefühlssache wird, hat damit aber nichts tun. Das ist schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass die immer gleiche klare Kommunikation Pferd und Handlungen des Reiter immer weiter kombiniert und verfeinern, aber im Grunde dadurch nicht verändert werden.

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 19:57
von Cubano
horsmän hat geschrieben:@cubano+amara

ja ich weiss, das Bein mit der Wunderwirkung, welches neben dem vortreiben auch das Hinterbein mit dem Schenkel vermehrt "drunter holt". Hat das jemals einer gesehen, ausser dass es ein nur einmaliger Zuckreflex ist (meist sowieso nur auf Sporen oder Gerte), der im Grunde höchstens den Takt stört?
Yep, Horsmän. Das kann man nicht nur sehen, das spürt man im Sattel, wenn man das Bein ganz leicht zurücknimmt und die Hinterkante des Steigbügels belastet, um damit das HB leichter erreichen zu können. Gleichzeitig sitzt man etwas (!) mehr ein. Das ist der Moment, wo mein Renitenzzwerg eindeutig hinten besser drunter kommt und vorn leichter wird. Dafür brauchst Du nicht mal den Unterschenkel, der liegt je eh am Pferd. Und nun sach ja nicht, diese Erklärung sei nebulös. :P

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 21:10
von sinsa
horsmän hat geschrieben:Aber mir ist schon klar, dass man hier an dem Heiligtum der dt. Reitlehre rüttelt und dass dies schlecht zu verkraften ist, wenn es plötzlich ziemlich simpel und für jeden erst mal nachvollziehbar entzaubert wird, und die geheime Wunderwirkung demaskiert ist. :shock: 8)
Hmmm......
Nö!

Hier wird doch nix demaskiert oder entzaubert.
Ich meine, ich kann verstehen, dass man sauer ist, wenn man bei einigen Dingen der Reiterei lange selber auf dem Schlauch gestanden hat. Das passiert wohl allen mal. Aber man darf doch nun nicht davon ausgehen, dass es allen bei den gleichen Dingen auch so gegangen ist.
Der eine hat seinen Aha-Effekt bei dem einen und der andere beim anderen.

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 21:53
von Jen
Horsmän, sorry, aber das ist nicht nebulös! Das hat mit den praktischen Erfahrungen zu tun, die man gemacht hat und dies in Worte versucht zu fassen. Ein grosses Problem hierbei ist, dass ich Worte nur nacheinander reihen kann, aber das Erleben geschieht oft gleichzeitig. Deswegen kann ein Moment des richtigen Gefühls tausend Worte in einen Moment fassen.

Ehrlich gesagt beschleicht mich schon das Gefühl, dass du gewisse Dinge bisher noch nicht erfahren durftest, deshalb diese heftige Reaktion. Kleines Beispiel, welches mir im Unterricht sehr häufig begegnet: Pferd abwenden. Ich erkläre haargenau, wie man seinen Körper einsetzen muss, wie man die Körperdrehung einleitet, wie dadurch der äussere Zügel die Vorhand führt etc. Die unerfahrenen Reiter haben noch kein inneres Bild und noch kein dazugehöriges Gefühl dieser Drehung und dem "mitnehmen" des Pferdes durch den Sitz und insbesondere der Führung vom äusseren Zügel. Also passiert es ganz häufig, dass sie auf dem Sattel drehen und drehen und machen und tun... und das PFerd läuft einfach geradeaus weiter oder wendet ganz zäh. (und dann ziehen sie am inneren Zügel, um abzuwenden *argh* ;) ). Natürlich ist die erste Reaktion Verzweiflung, weil es nicht klappt. Es kam sogar schon vor, dass mir nicht geglaubt wurde, dass es geht. Dann bin ich aufgestiegen und hab's vorgemacht. Ich hab nur einen winzigen Bruchteil der sichtbaren Körperhilfen gegeben und das PFerd wendet problemlos. Warum klappt das? Weil ich weiss, was ich will, weil ich ein klares inneres Bild habe und dadurch ganz klar kommuniziere und dadurch auch überhaupt nicht "laut" sein muss. Die starke, grobe, sichtbare Hilfe des Schülers, welche "rein physikalisch" doch viel wirksamer sein sollte, hat praktisch keinen Effekt. Reiter und PFerd haben noch keine gemeinsame Verständigung. naja... und so kommst du mir eben vor, wenn es um diese "nebulöse" halbe Parade geht.

Das Erlernen dieser gemeinsamen Verständigung zwischen Pferd und Reiter nennt man Ausbildung. Zuerst fängt man ganz einfach, in ganz kleinen Schritten an. Sowohl beim Pferd als auch beim Menschen. Und genau so geht es auch bei der halben Parade. Eine halbe Parade bei einem jungen Pferd ist etwa so aussagekräftig, wie ein Zwei-Wortsatz. Man vereinfacht. Je klarer die Verständigung ist, je besser das Pferd treibende, versammelnde etc. Hilfen versteht, desto feiner kann man diese aufeinander abstimmen, so dass sie richtig dosiert werden. Aus Zwei-Wortsätzen werden ganze Gedichte. Dann können Hilfen sogar gleichzeitig gegeben werden. Je nach Situation, Lektion, Gangart, Problemlage wird mal die eine Hilfe, dann wieder die andere Hilfe in diesem Zusammenspiel vorherrschen. Mal bekommt eine Hilfe ein Solo, dann ist wieder der Chor dran. Je weiter Pferd und Reiter in ihrer Ausbildung sind, desto komplexer kann die Sprache zwischen ihnen gestaltet werden. Aber logisch funktioniert das nicht "einfach so"! Das muss ja zuerst ausgebildet werden! Und zwar bei beiden. Und das ist ja das, was so schwierig in der Reiterei ist. Es gibt keine Rezepte, es ist situations-, Mensch- und Pferdabhängig, was genau wie wann dosiert werden muss. Dann ist das aber überhaupt nicht mehr nebulös, sondern es ist ganz klar. Sonst könnte man ja nicht Unterschiede zwischen versammeltem Trab, Passage, Piaffe, starkem Trab reiten. Wenn man das versucht einem Reit-Laien zu erklären, was man wie wann ein bisschen anders, aber eben doch subtil (Stichwort unsichtbare Hilfen) macht, dann schaut der dich auch nur gekreuzelt an. Oder? ;) Und trotzdem ist es möglich.

Ich mein, für den erfahrenen Dirigenten ist es auch möglich die einzelnen Stimmen aus dem Orchester rauszuhören und zu dirigieren. Für mich ist es einfach "musik". Wenn mal die einen etwas lauter sind, kann ich sie auch erkennen, aber oft ist es einfach zu komplex für mich, dies auseinander zu beineln. Der Dirigent ist wie ein hoch ausgebildeter Reiter bzw. umgekehrt, der Reiter dirigiert seine Körpersprache, wobei jedes Körperteil, jede Spannungsänderung, ja sogar der Atem seine Rolle spielt. Deswegen muss ein guter Reiter über eine unglaublich hohe Selbstkontrolle und präzise Koordination verfügen. Wie ein Schlagzeugspieler. Nur dass sich dessen Schlagzeug eben nicht noch bewegt und ein Eigenleben führt. Wir Reiter haben's eben schon schwer ;)

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 22:05
von Kiruna Karmina
Oh Jen, schreib doch bitte mal eine Reitlehre. Du erklärst immer alles so toll.

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 22:19
von Paula
Jen du solltest wirklich schreiben.Ich freu mich auch immer ueber lange Beitraege von dir.Aber Horsemaen hat trotzdem in einigem Recht was er anprangert finde ich.

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 22:40
von Jen
Paula, natürlich hat er auch mit gewissen Dingen recht, wenn er sagt, man darf nicht einfach alles gedankenlos übernehmen und versucht Brücken zu schlagen (wobei mir das nur in eine Richtung für ihn zu funktionieren scheint?)

Meine Reaktion war v.a. auf das hier bezogen:
horsmän hat geschrieben:(...) Das Pferd braucht eine klar verständliche Kommunikation. Es kann sich ja schwerlich in nebulöse Gefühlsbeschreibungen eindenken. Es kennt die Noten zum "Konzert der Hilfen" nicht, es wird nicht damit geboren!
Das stimmt, es wird nicht damit geboren! Es muss dafür ausgebildet werden. Und deshalb gibt es auch unterschiedliche Sprachen. Ein isländisch ausgebildetes Pferd wird anders funktionieren als ein deutsch ausgebildetes Pferd oder ein rinderpferd wird anders funktionieren als das Springpferd mit entsprechend spezifischer Ausbildung. Und trotzdem sind alles Pferde und trotzdem ist es nicht rasseabhängig. Aber es ist Reitweisen- bzw. eher noch Ausbilderabhängig.
horsmän hat geschrieben: (...) dass die immer gleiche klare Kommunikation Pferd und Handlungen des Reiter immer weiter kombiniert und verfeinern, aber im Grunde dadurch nicht verändert werden.
Doch, meiner Meinung nach wird die Kommunikation verändert. Weil die Kommunikation reichhaltiger an Bedeutung wird. Nur schon die Lage des Schenkels bekommt ganz klar eine jeweils andere Bedeutung beim Dressurpferd, ob der nun wenige cm weiter vorne oder weiter hinten liegt etc, ob man eher mit dem ganzen Bein oder separat mit dem Knie, der Wade oder dem Fersen (Sporn) einwirkt. Der Schenkel bedeutet dann halt eben nicht nur "Gas geben". Während dies beim "Ackergaul" überhaupt keinen Unterschied provoziert, wenn er nicht darauf ausgebildet ist, da rammt man einfach mal beherzt die Fersen in den Bauch und er wird sich dann mal gemütlich in Bewegung setzen. Vielleicht. :lol:

Verfasst: Di, 29. Jan 2013 23:21
von horsman
Jen hat geschrieben:... Das Erlernen dieser gemeinsamen Verständigung zwischen Pferd und Reiter nennt man Ausbildung. Zuerst fängt man ganz einfach, in ganz kleinen Schritten an. Sowohl beim Pferd als auch beim Menschen. Und genau so geht es auch bei der halben Parade. Eine halbe Parade bei einem jungen Pferd ist etwa so aussagekräftig, wie ein Zwei-Wortsatz. Man vereinfacht. Je klarer die Verständigung ist, je besser das Pferd treibende, versammelnde etc. Hilfen versteht, desto feiner kann man diese aufeinander abstimmen, so dass sie richtig dosiert werden. Aus Zwei-Wortsätzen werden ganze Gedichte. Dann können Hilfen sogar gleichzeitig gegeben werden. Je nach Situation, Lektion, Gangart, Problemlage wird mal die eine Hilfe, dann wieder die andere Hilfe in diesem Zusammenspiel vorherrschen.
Da bin ich im Grunde bei Dir. Zunächst ein Buchstabe A, dann zwei Buchstaben A und B, später ein Wort, dann ein Satz. So baut man sich (im übertragenen Sinne) durch zunehmende Kombination die Kommunikation mit dem Tier auf. "A" und "B" usw. steht für eine bestimmte Reaktion des Pferdes, auf eine Aktion des Reiters (nennt man auch "Hilfe"). Sollte im Grunde soweit auch hinlänglich bekannt sein. Reiter die ohnehin keine Reaktion auf eine Hilfe erfühlen, sollten hier erst mal ein geeignetes Lehrpferd samt geeignetem RL aufsuchen, bevor sie sich an SH oder Trabverstärkung machen, oder gar von Haltungsverbesserung mittels hP sprechen.

Das deckt sich soweit völlig mit dem von mir angeführten Verfahren für die Arbeit mit dem "halb halten". Ich spreche ja nicht der Arbeit mit dem "halb-halten" (= halbe Parade) den Wert ab, ganz im Gegenteil.

Und im Grunde tut ja Bemelmans in all diesen Studien, wenn er die Pferde in die Arbeitsphase nimmt nix anders als genau das was ich mit dem verfeinerten "halb-halten" beschrieben habe: Pferd aufs Hinterbein bringen durch verhaltende Einwirkung Rücken plus vornehmlich äusseren Zügel (just so wie man macht, wenn man anhalten will), dabei aufpassen dass das Pferd vorm Bein bleibt - und wenn ich durchgekommen bin wieder raus lassen = Finger öffnen und antreten lassen. Deswegen versteh ich jetzt auch diese grosse Aufregung nicht so ganz. Sie wirkt mir doch auch etwas gekünstelt.

Ich denke, man muss die Dinge nicht verklärt verkomplizieren, da wo es nicht nötig ist. Diese im Grunde doch recht einfache Anweisung und Kombination des "halb-halten" dann korrekt auszuführen ist schon schwer genug, denn man muss den Punkt erfühlen, wo man durch kommt, also "quasi anhalten könnte" aber gerade nur soviel dass man nicht anhält (bzw. das Pferd ausfällt) . Dann muss man erfühlen, ob das Pferd währned dieses Vorgangs vorm Bein bleibt, wenn nicht muss man abbrechen und es erst wieder vors Bein bringen und neu ansetzen und dann muss man fühlen, das Pferd beim öffnen der Finger und raus treten lassen nicht auf die Vorhand zu treiben sondern wenn möglich ein paar Tritte/Sprünge in der neuen Balance zu behalten.

Der ganze komplexe Vorgang zerlegt in recht einfache korrekt trennbare klare Anweisung A - B - C. Mehr nicht. Natürlich hört es sich sehr poetisch an, wenn man vom "Gedicht" und "Konzert" spricht, und ich mag auch die Poesie in der Reiterei, aber als konkrete Handlungserläuterung wird es eben auch nebulös, da es mehr geistige Bilder sind, als klare Anweisungen.

Und natürlich reichert sich die Kommunikation im Laufe der Ausbildung des Pferdes durch Verfeinerung und Kombination an. Aber ein A muss immer ein A bleiben und ein B ein B. Ansonsten gerät man in Erklärungsnotstand und erzeugt bloss Konfusion. Und die ganze Reiterei bis zu den schweren Lektionen sind mE keine ganzen "Konzerte" oder "Gedichte" von Hilfen, sondern vielleicht 6 - 8 klare Anweisungen - und die gebe ich auch nicht alle gleichzeitig, sondern jede wenn ich sie brauche und keine, wenn ich sie nicht brauche - mehr nicht. Die Kunst besteht darin, die Kombinationen nicht zur Konfusion werden zu lassen, die Anweisungen in ihrer Ausführung zu verfeinern und die Kombinationen in ihrer zeitlichen Abfolge zu verfeinern ohne das sie ihre klare Verständlichkeit fürs Pferd verlieren und zu merken welche der 6-8 Anweisungen wann nötig ist und wann welche nicht (vielfach wird hier auch zu viel getan, anstatt das in dem Moment unnötige einfach mal weg zu lassen).

Und wie gesagt, diese geistigen Bilder und Gefühlsbeschreibungen gehören auch zum Muss eines Reitlehrers, aber nicht in die konkreten Handlungsanweisungen. Das muss man auseinander halten beim Erklären, sonst stiftet man Verwirrung. Im besten Fall gelangt der Reiter durch konkrete Handlungsanweisungen zu dem beschrieben Bild, oder auch andersrum das Bild hilft ihm die konkreten Handlungen zu erfühlen.

Und doch, ich durfte schon das eine oder andere schöne aber auch unschöne "Gedicht" auf den verschiedensten Pferden verschiedenster Rassen erfühlen. Das bewegt mich ja zu dem was ich schreibe.

Noch mal konkret zur hP:
Ich kann einem Reiter der halbwegs ordentlich und mit etwas Körperkontrolle im Sattel sitzt die "halbe parade" in 5 Minuten nahebringen indem ich ihm sage "anhalten" und ich sehe er kommt zum anhalten durch sofort auffordere - "jetzt wieder anreiten" und dann frag ich ihn "was hast Du jetzt gemacht, was hast Du gefühlt?". Das wiederholen wir zwei, drei mal und dann sag ich ihm, merk Dir das Gefühl was Du hast, wenn du merkst Du kannst das Pferd anhalten , und mach das selbe, nur peu a peu komm immer weniger zum anhalten und bring das Gefühl des anhalten könnens und das wieder antreten Stück für Stück etwas näher zusammen. Und fertig ist die Kiste, sofern er überhaupt halbwegs etwas erfühlt. Und schon er hat verstanden worum es geht. Das braucht nicht 20 Jahre. - OK, die spätere Verfeinerung, damit ist man niemals fertig, da geht immer noch was.

Sag ich aber er soll das Pferd vermehrt mit den Hilfen einschließen, dabei Gewicht und vortreibende Hilfe überwiegen lassen und anschließend die Hand vorgebenen - das erzeugt doch nur Chaos, sowohl beim Reiter als auch beim Pferd. Und wenn ich ihm dann sage, dass es deshalb nicht klappt, weil er das Konzert der Hilfen nicht richtig beachtet, ja was soll das denn??? Und just diesen Blödsinn erlebe ich ja Tag täglich hier in unseren halle, von hoch honorierten FN-Reitern, weil sie es alle selbst nur so erklärt bekommen haben, verwirren sie weiterhin ganze Generationen von Reitern und Pferden damit.

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 05:09
von sab
Hallo Horsmäm,


nein, das erzeugt kein Chaos, das nennt man reiten....Und wer hat gesagt, dass dieses Orchester der Hilfen einfach zu bedienen sei ?

Und , wie hältst Du denn an wenn nicht in der von Dir so abschätzig beschriebenen Weise ?


Im übrigen möchte ich jetzt mal Goethe zitieren : "Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdets nie erjagen". DAS triftt aufs reiten sehr zu !

LG

Sabine

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 07:47
von Jen
Guten Morgen

Horsi, ich bin ganz bei dir, dass man komplizierte Sachverhalte runterbrechen und konkrete, klare Handlungsanweisungen als RL geben muss. Wie weit man runterbricht und welche Handlungsweisen die aber sind, ist vom Niveau des Reiters und Pferds abhängig. Und WIE der RL es erklärt und die Handlungsanweisungen gibt ist halt sehr RL abhängig. Da gibt es so viele Lehrtypen, wie Lerntypen. Nicht jeder kommt mit dem gleichen Stil gleich klar. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die meisten Bereiter/Ausbilder in ihrer Ausbildung lernen Pferde zu reiten und nicht wie man Menschen unterrichtet.


Klar kannst du die hP so erklären, wie du es tust. Einem Anfänger. Find ich ok. Nur ist das eine grobmotorische "Babyversion" einer hP und in ihrer Wirksamkeit deshalb auch begrenzt. Versammlung ist ja auch nicht einfach langsam reiten. Das muss man ja auch zuerst mal verstehen, was da der Unterschied ist. Wenn du mit dieser grobmotorischen Form zufrieden bist... joa, kannst du ja machen. Aber damit nutzt du das tatsächliche Potential einer hP nur zu einem Bruchteil. Aber wie gesagt, dass muss auch überhaupt erst ausgebildet werden. Ich kann auch nicht aufs nächste Freizi-Gäuli hocken und mal hübsch ne Piaffe reiten. Das Pferd würde mich im nettesten Fall mit tausend Fragezeichen anschauen, im schlechtesten Fall absetzen. Mit der zunehmenden Fähigkeit des Reiters, sich und sein Pferd zu steuern, und aber auch der zunehmenden Fähigkeit des Pferdes, Hilfen zu erkennen und zu differenzieren, um so mehr Aspekte kommen dazu. Immer wieder wird eine Schicht mehr darüber gelegt. Amara hat es ja schon erwähnt, dass ein hP ganz viele Effekte haben kann. Für mich gibt es nicht einfach "eine" bzw. "die" hP. Es gibt sie in ganz unterschiedlicher Form und trotzdem ist es immer als hP erkennbar. Je nachdem, wie ich das "Konzert der Hilfen" (ich mag den Begriff und für mich ist er auch absolut logisch ;) ) dosiere, d.h. die einzelnen "Stimmen" (Sprich Körperteile und ihre Spannungszustände, ev. auch in wechselnder Reihenfolge, siehe Dirigent/Orchester/Chor) dosiere, bekomm ich eine andere Wirkung. DASS der Reiter dies unterscheiden kann und DASS das Pferd dies auch verstehen kann, braucht halt eben AUSBILDUNG, die mehr als eine 5min Erklärung geht. Deshalb ist es ja auch so schwierig! ;)

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 07:49
von Cubano
horsmän hat geschrieben:
Noch mal konkret zur hP:
Ich kann einem Reiter der halbwegs ordentlich und mit etwas Körperkontrolle im Sattel sitzt die "halbe parade" in 5 Minuten nahebringen indem ich ihm sage "anhalten" und ich sehe er kommt zum anhalten durch sofort auffordere - "jetzt wieder anreiten" und dann frag ich ihn "was hast Du jetzt gemacht, was hast Du gefühlt?".
Guten Morgen,
Dein gedankliches Konzept hat einen ganz entscheidenden Fehler, der auch ein völlig falsches inneres Bild der halben Parade erzeugt: Diese reitet man nämlich – und deshalb ist schon der Begriff "halber Halt" irreführend – beileibe nicht nur, wenn man von einer höheren in eine niedrigere Gangart wechseln möchte, sondern auch dann, wenn man z.B. vom Arbeits- in den Mitteltrab oder von der Piaffe in den starken Trab reiten möchte. Von daher trifft die Formulierung des "Haltung des Pferdes verbessern" den Kern der halben Parade deutlich besser.

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 08:02
von Max1404
Horsmän, ich weiß ja, dass Dich die deutsche Reitlehre nicht wirklich anspricht, vermutlich, weil die Beschreibungen und Wörter, die dafür genutzt werden, bei Dir verständnismäßig Verwirrung auslösen. Du findest eben in der französischen Schule Beschreibungen und Worte, die Dich mehr ansprechen. Einverstanden. Aber bitte setze nicht jedes Mal schlechtes Reiten und unverstandene und damit missbrauchte Reitlehren mit FN oder deutscher Reitlehre gleich. Das verdirbt mir persönlich leider sehr viele Diskussionen mit Dir, obwohl ich Deine Beiträge immer gerne lese und sie auch schätze. Ich würde sie noch erheblich mehr schätzen, wenn Du nicht ständig gegen die böse FN sticheln würdest. :wink:

Die Worte, die in der deutschen Reitlehre benutzt werden, sind für viele tausende von Reitern sehr verständlich, weil sie genau das korrekt beschreiben, was diese Reiter fühlen. Mir geht es jedenfalls so. Ich mag wegen einzelner Wörter, die mir nichts geben, aber nicht eine gesamte Lehre verdammen. Übrigens fußt auch die deutsche Schule auf nichts anderem als auf der französischen, die Basis für alle Schulen ist sicherlich bei Pluvinel und Guerinere zu suchen. Schwerpunkte wurden und werden sicherlich in verschiedenen Schulen leicht differenziert gesetzt, aber gewisse Dinge funktionieren einfach universell.

Ich möchte außerdem behaupten, dass Du das Wesen der halben Paraden möglicherweise nicht vollständig verstanden hast, vielleicht weil Dir leider niemals ein deutscher Reitlehrer diese Hife wirklich verständlich erklären konnte - jedenfalls denke ich das nach allem, was Du schreibst und beschreibst. Halbe Paraden sind eines der Herzstücke der deutschen Lehre und richtig (richtig!) ausgeführt und angewendet, eröffnen sie unzählige Möglichkeiten, um das Pferd zu formen. Da braucht es auch keine neuen Wortschöpfungen wie "halber Halt". Ich finde die englische Übersetzung der halben Parade, half halt, sehr begrenzt. :wink: Der französische Arret oder Demi Arret ist (so jedenfalls die Beschreibungen bei PK oder Racinet) erheblich begrenzter einsetzbar als die halben Paraden in der deutschen Lehre. S&P hat das bereits vor einigen Seiten sehr schön und genau beschrieben, und noch jemand auch (Amara?). Und wenn Du mal die Suchmaschine bemühst: ich habe auch vor einiger Zeit mal irgendwo (ich glaube im Fillis-Führung Thread) einen recht langen Aufsatz über das Wesen und die Einsatzmöglichkeiten der halben Paraden in der deutschen Reitlehre geschrieben. :wink:

Ich verstehe weiterhin überhaupt nicht, warum Du das gleichzeitige Einwirken von Hand und Bein (und Gewicht) als nebulös empfindest, denn der Effet d'Ensemble wird von Baucher und seinem Schüler Kerbrech (und auch von Oliveira) sehr exakt beschrieben. Seine höchste Ausprägung findet er in der völligen Unbeweglichkeit des Pferdes, aber davor gibt es zahlreiche Abstufungen, um z. B. die Form des Pferdes zu verändern oder um das Pferd besser ins Gleichgewicht zu bringen. Wie die halben Paraden auch. (Und es ist ganz schön knifflig, die Hilfen so dosiert abzustimmen, damit sich treibende und verhaltende Hilfen tatsächlich aufheben und das Pferd in die völlige Unbeweglichkeit zu bringen.) :wink:

Jedenfalls denke ich, und das hast Du auch an einigen Stellen erwähnt, dass sich französische und deutsche Schule nicht so stark unterscheiden, wie die jüngere Reitliteraturklassik (ab Baucher - Seeger - Steinbrecht) vermuten lassen. Auch mir hat das Lesen der Franzosen die deutsche Reitlehre besser erschlossen oder sie ergänzt. Ich finde es einfach schade, dass Du einseitig nur die deutsche Lehre verdammst (weil sie in den Reithallen oft falsch verstanden wird) und nur die französische Lehre hochjubelst (auch dort gibt es Massen an schlechten Reitern). Warum nur muss das eine immer das andere ausschließen? Ich finde es viel fruchtbarer, wenn man mit der Einstellung daran geht, dass beide Lehren sich ergänzen.

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 08:30
von saltandpepper
Max1404 hat geschrieben:
Ich möchte außerdem behaupten, dass Du das Wesen der halben Paraden möglicherweise nicht vollständig verstanden hast, vielleicht weil Dir leider niemals ein deutscher Reitlehrer diese Hife wirklich verständlich erklären konnte -
Max und auch Jen : DAS ist aber nun mal genau das Problem !
Es wird falsch gelehrt ! Ja, definitiv !
Es gibt sehr, sehr wenige FN- RL, die eine Halbe Parade "richtig"- will sagen : so, daß sie funktionell stimmig wirkt , reiten und dann in Folge auch erklären. Auch sie haben es von ihren Lehrern nicht richtig gelernt !
Ich möchte mal behaupten, daß hier im Umkreis von 2oo km 2-3 Kollegen dies können.
Die Praxis sieht leider GENAU SO aus, wie Horsi es beschreibt - und mit Sicherheit auch mal gelernt hat. Man treibt gegen die Hand. Man "spannt " das Pferd "zwischen die Hilfen" und das wird dann auch mit entsprechenden Bildern versehen- zB. die gerne bemühte Gerte, die gebogen wird- so habe ich selbst das auch lange Jahre - mangels eines bessseren Bildes und mangels des funktionalen Verständnisses gelehrt- wie gelernt von diversen- auch sehr guten Lehrern.

Das ergebnis ist das Zusammenziehen der Pferde, das Absterben der Aktivität und das Krafttraining der Reiter.
Falsch verstandene Reitlehre : REIHENWEISE !!!
Traurig aber wahr und horsi ist, so er es so erfahren hat, doch kein Einzelschicksal?!
Gruß S&P

Verfasst: Mi, 30. Jan 2013 09:56
von Rioja
Traurig aber wahr und horsi ist, so er es so erfahren hat, doch kein Einzelschicksal?!
Nein, leider nicht. Habe jahre- /jahrzehntelang ebenfalls damit gehadert und bin schlußendlich gewechselt zu einer Interpretation der alten Meister, die ich verstehe und nachvollziehen kann. Komme daher endlich auch zum Reiten.