nun ja, es sind nun mal zwei grundverschiedene Reitweisen mit unterschiedlichem Ideal. LOGISCH, können sie nicht direkt miteinander verglichen werden.
Die Gebrauchsreitweise will nur über möglichst spärlich-sparsame Impulse das Pferd in entweder möglichst ökonomisch-flachen Gängen oder dann in äusserst reaktionsschnellen Manövern dirigieren. Die Gebrauchsreitweise ist auf stundenlange Arbeit ausgerichtet, wo sich der Mensch möglichst auf das Vieh konzentrieren kann, sprich abgelenkt, beschäftigt ist und das Pferd dabei gut "funktionieren" und ev. selbständig gewisse Aufgaben ausführen soll. Der Reiter
kann da gar nicht in seiner Aufmerksamkeit 100% beim Pferd sein. Dadurch ist er sowohl "innerlich", wie "äusserlich" weiter "weg" vom Pferd. Ich weiss nicht, wie anders formulieren.
Der Dressurreiter, der die Reiterei eben als "Kunst" (ähnlich wie ein Tanz) ausführt, möchte sein Pferd in möglichst ausdrucksstarken, stilisierten Bewegungen dirigieren. Die Aufgaben sind im Prinzip willkürlich zusammengestellt, nach Schwierigkeitsgrad und weniger nach tatsächlichen "Arbeitsalltagssituationen". Der Bewegungsfluss, die Kadenz etc. sind hier spezielle Ausdrucksmittel. Dies beinhaltet eine sehr "nahe" Führung, Pferd und Reiter sollen absolut verschmelzen, in jeder Sekunde beieinander sein. Diese Nähe ermöglicht diese absolut feine Kommunikation, die fast nur durch Denken durch kleinste Muskelregungen kommuniziert werden können. Das hat absolut nichts mit dem Pferd "Schmerzen" durch das Gebiss zufügen zu tun. Diese innige Nähe ist in meinen Augen nur mit einem Gebiss aufgrund der speziellen Anlehnung möglich, die in dieser Form gebisslos nicht hergestellt werden kann. aber natürlich wird diese Anlehnung auch nicht automatisch durch das Gebiss, sondern durch die gute Reiterei hergestellt, sprich in dem Zusammenspiel aller Hilfen. Auch bei der gebisslosen REiterei spielen alle Hilfen eine Rolle. Doch dadurch, dass die Anlehnung anders gestaltet wird, ist es ganz grundlegend auch andersartig.
Im Prinzip ist es doch schlussendlich die gleiche Diskussion zwischen Stierkampfreiterei und Dressurreiterei. Das heisst ja nicht, dass sich nicht gegenseitig bereichern könnte, aber im Kern bleiben die Anforderungen unterschiedlich und deshalb auch die Sichtweisen in Bezug auf die Ausbildung.
Welcher Reiterei man sich als Freizeitreiter eher verbunden fühlt ist - wieder mal

- reine Geschmackssache.
Ganz ehrlich glaube ich, dass bei einem guten Reiter es keine so grosse Rolle spielt, nach welcher PHilosophie sein Pferd ausgebildet wird. Sicher gibt es Pferde(typen), die sich mit der einen Ausbildungsweise oder der anderen leichter bzw. schwerer tun. Aber mE hängt es in den meisten Fällen mehr vom Reiter als vom Pferd ab, mit was sich das Pferd wohler fühlt. Und das ist mE eben auch der Grund, warum sich die gebisslose Reiterei bisher nicht "in den höheren Weihen" durchgesetzt hat. Weil 1. die Dressurreiterei eben eher nicht eine
reine Signalreitweise ist (oh-oh, ich sehe schon die Diskussionen kommen, hihi) und weil 2. ein guter Reiter idR Anlehnungs- und Gebissprobleme, die nicht gesundheitlich begründet sind, in den meisten Fällen über Ausbildung und Erziehung lösen kann. Die Erarbeitung der guten Anlehnung ist ja eines der Herzstücke in der Ausbildung, die sich schlussendlich auch durch die gesamte Ausbildung durchzieht, da in jeder schwereren Lektion, das Pferd lernen muss, immer noch über den Rücken von hinten an die Hand zu treten und durchlässig sein muss, und eben auch den Kanal von vorne nach hinten durchzulassen, sprich in beide Richtungen durchlässig sein. Und ja natürlich, sollte auch ein gebisslos gerittenes Pferd durchlässig etc. sein. Aber die "Anlehnung" bzw. der Kontakt ist ja andersartig und deshalb mE nicht 100% vergleichbar. Und das meine ich absolut
wertfrei! Es ist einfach anders.
Ich denke deshalb (und das mag vielleicht auch eine gewagte Aussage sein, das ist mir schon bewusst), dass für die gebisslose Reiterei/Ausbildung die Gebrauchsreiterei wahrscheinlich näher ist, als die reine, klassische Reitlehre.
Ich persönlich reite mein Pferd auch ab und zu gebisslos. Aber ich habe es mir zu meiner Aufgabe gemacht, mein sensibles, kampfkauendes Pferd in einer guten Anlehnung reiten zu können. Und meine Erfahrung ist, dass je besser mein Pferd und ich "zusammenschmelzen" und je erfahrener das Pferd in den Aufgaben wird, desto ruhiger wird es im Maul (ohne die gewünschte Maultätigkeit zu verlieren). Bei meinem Pferd hat das Kampfkauen zb. ganz eindeutig nervliche Ursachen. Und das kann sein, weil er aufgrund äusserer Umstände nervös ist, oder er nicht einverstanden ist, dass er nun stärker körperlich gefordert wird. Sobald er die Aufgabe soweit verstanden hat und auch "Ja" dazu sagt, hört das Kampfkauen auch auf. Es ist also nicht immer ein körperlicher Schmerz die Ursache (auch wenn das natürlich Ursache sein
kann, aber eben nicht immer
ist). Ich finde, das darf man schon etwas differenzierter sehen.
