Zur Diskussion gestellte Ritte die gefallen

Rund um die klassische Reitkunst

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Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Tess hat geschrieben: Stellt sich mir die Frage: wenn er das im Viereck in der direkten Prüfungssituation schafft. Warum schafft er das dann nicht auch auf dem Abreiteplatz?
Die Frage hatte ich auch schon gestellt.

Bisher kam keine Reaktion...


LG
Ulrike
Zuletzt geändert von Ulrike am Fr, 21. Nov 2014 08:54, insgesamt 1-mal geändert.
Motte
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Beitrag von Motte »

Ich versuche mal ne Antwort:

Abreiten bedeutet ja, den Körper und den Kopf auf die Prüfungssituation vorzubereiten. Ein Aufwärmen, wie es das in jeder Sportart gibt.
Die Aktionen während des Aufwärmens sind aber nicht unbedingt identisch mit dem, was dann in der Prüfung gezeigt wird. Sie haben einfach einen anderen Sinn und Zweck.
Ein Fußballspieler, der sich aufwärmt, macht auch putzige Verrenkungen, die er SO, absichtlich, während er den Ball führt, wohl eher nicht macht.

Zum anderen: wichtig beim Pferd ist doch, dies erst mal mental auf "Wohlfühlmodus" zu bekommen. Dass also die Geräusche, die fremde Umgebung, die anderen Pferde etc nicht als störend empfunden werden. Und da hängt es nun mal vom Pferd ab, was das braucht, um in diesen Wohlfühlmodus zu kommen. Manche brauchen 20 Minuten "Schuckeltrab", wo man dann neben steht und sich fragt, was für ein halb totes Pferd denn da rum läuft, manche brauchen erst mal 15 Minuten Galopp im leichten Sitz, manche brauchen 45 Minuten nur Schritt reiten, und es gibt auch Pferde, die ne super Prüfung laufen, wenn man sie vorher nur etwas im Gelände spazieren reitet, dann 5 Minuten auf dem Abreiteplatz kurz arbeitet und dann in die Prüfung reitet. Das ist einfach ne sehr individuelle Geschichte, und es zeugt von hohem reiterlichem Verständnis, wenn man das fühlt, berücksichtigt und darauf eingeht.
Beim Abreiten zum S-Springen hüppen die ja auch nicht andauernd über 1,60 Oxer.
Und bei dem Pferd, in der Phase des Abreitens, scheint es wohl so zu sein, dass der genau DAS wohl braucht: ein unaufgeregtes Leichttraben, ohne dass der Reiter da groß was drauf macht. Und ja, der geht in der Phase nicht lehrbuchmässig. Das heißt ja nicht, dass der grundsätzlich NUR so läuft. Ich bin mir sicher, der Steffen Peters kann das sehr gut einschätzen und weiß genau, wann er was macht (oder auch mal nicht macht) und warum.
Tess
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Beitrag von Tess »

o.k. .... dann brauchen wohl auch die Rollkurpferde diese Art von Abreiten für ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden im Viereck. Der Zweck heiligt die Mittel ... sollte ich also hinnehmen und entschuldigen ....

Soll ich das deswegen jetzt schön finden?

Nö - ich finde, sowas hat dann - wenn man klassisch korrekt sein möchte - im Viereck auch nichts zu suchen, weil es nicht auf dem korrekten Weg da hin gebracht wurde.
Dann müsste einer wie der Peters mit seinem tollen Pferd halt zurück zur Basis gehen und zusehen, dass er das Pferd so korrigiert bekommt, dass er es auch sinnvoll abgeritten bekommt, bevor er sich damit in der Öffentlichkeit zeigt - zumindest wenn er Aushängeschild für eine korrekte Reitweise sein möchte.
Aber vielleicht möchte er das ja gar nicht. Sondern lieber gewinnen.
Würde ja auch eher Sinn machen, wenn man beruflich drauf angewiesen ist.
Fiorella
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Beitrag von Fiorella »

Hi,

Ich würde eine Erklärung für die unterschiedlichen Bilder Prüfung/Abreiteplatz ja eher mal so versuchen:

In einem Dressurwettbewerb will man heute die Pferde möglichst ausdrucksvoll-spektakulär sehen. Mit nett und brav gewinnt man keinen Wettbewerb mehr, da das als ausdrucklos und langweilig gilt.

Das heisst, die Pferde sollen sich platt gesagt in der Prüfung zeigen und bewegen, als stünden sie unter Hochspannung, dabei sollen sie aber gleichzeitig 100% igen Gehorsam zeigen und ihren Gleichmut behalten, und all das auch in schwierigsten Lektionenfolgen.

Hinzu kommt die Sondersituation des öffentlichen Auftritts in einer Prüfungssituation. Auch der geübteste Profi fühlt sich auf einem Turnier wohl kaum so lässig wie zuhause in der eigenen Reithalle, und das dürfte für Mensch und Pferd gelten.

Es besteht also durchaus die Gefahr, dass auch einem starken Reiter so ein Pferd dann mal bei ein bischen zuviel Druck mitten in der Prüfung von der Fahne geht. Das will man nicht, vor allem dann nicht, wenn das Ganze kein nettes Hobby ist, sondern man davon lebt.

Um möglichst wirksam gewährleisten, dass dies nicht so passiert, kann es hilfreich sein, das Pferd auf dem Abreiteplatz nachhaltig daran zu erinnern, dass es hier und jetzt bitte absolut nichts tun soll, was sein Reiter ihm nicht ausdrücklich erlaubt.

Und dazu eignet sich ein ,,nennen wir es, "errittenes Rückwärts-Abwärts" nun mal sehr gut.

Ich will das hier an dieser Stelle bewusst nicht werten. Ich finde nur, man sollte es dann auch so wie es ist benennen, und davon absehen, es romantisch zu verklären.


Gruss, Fio
Motte
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Beitrag von Motte »

Hmm. Ich bin da ja durchaus pragmatisch und weniger romantisch verklärend veranlagt, und irgendwie kommt mir gerade der Spruch
"Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis weit höher als in der Theorie" in den Kopf.... :wink:

Tess - der Unterschied ist doch eigentlich offensichtlich, oder? Herr Peters reitet doch sein Pferd nicht in "Rollkur-Manier" - sprich: er drängt das Pferd doch nicht in diese Haltung....
Sicherlich (und da bin ich mir ziemlich sicher!) wird er schon probiert haben, es in der Phase des Abreitens (!) korrekter zu reiten. Aber er wird seine Gründe haben, das Pferd in der Phase weitestgehend "in Ruhe" zu lassen und so laufen zu lassen, wie es nun mal läuft. Das bedeutet ja nicht, dass der den NUR so reitet!

Dazu fallen mir 2 Beispiele aus der Praxis ein:
eine gute Freundin von mir, die wirklich auf reelle Arbeit hohen Wert legt, ist mit ihrer Stute auf Turnieren immer mehr oder weniger "unter ferner Liefen" abgeschnitten. Zu Hause lief das Tier wie geschnitten Brot, aber auf Turnieren war die immer verspannt, festgehalten, glotzig und zeigte einfach lange nicht das, was zu Hause ohne Probleme abrufbar war.
Auf dem Weg zu einem Turnier hatte man dann eine Reifenpanne, was dazu führte, dass man fast zu spät auf dem Turnier aufschlug. Es blieb noch Zeit um Abladen, Sattel druff, Trense druff, 1 Runde auf dem Abreiteplatz außen rum und schwupps, rein in die Prüfung. Und was war? Die Stute lief wie ein Glöckchen! Und hatte die Prüfung gewonnen.
Aus der Erfahrung entstand Methode, also sparte sich meine Freundin im Großen und Ganzen den Abreiteplatz-Stress. Höchstens 5 Minuten außen rum und dann in die Prüfungen rein. Und was war? Das Pferd ist noch hoch erfolgreich bis M gelaufen.
DAS ist nun auch nicht klassisch, oder?
Was machst du da als Reiter? Denkst du dir: Puh, muss aber richtig gehen, also HAT die Stute mit dem Abreiteplatz zu leben? Oder sagst du dir: was soll ich dem Pferd den Streß antun, Pferd verkrampft total, es sieht immer unschön aus, das spare ich mir -wenn's auch anders funktioniert?

Oder: ein international reitender VS-Reiter, dessen eines Pferd er grundsätzlich für die Dressurprüfung 2 Stunden abreiten musste, damit das Pferd kopfmässig damit klar kam, dass "Dressur" angesagt war.
Auch nicht klassisch!
Und du kannst mir glauben - der Reiter hätte sich das auch anders gewünscht, wer reitet schon gerne 2 Stunden für eine 8 minütige Prüfung ab? Aber das Pferd tat es halt nicht anders - was machst du da als Reiter?
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Motte,


die Frage ist ja nicht, wie lange reite ich ab, sondern wie reite ich mein Pferd durchlässig, den feinen Grat zwischen Genie und Wahnsinn mal ausser Acht lassend, wundere ich mich, das so feines Reiten, wie in dem einen Video, auf dem Arbeitsplatz keinen Vorlauf erfahren hat.

Damit meine ich nicht unbedingt unruhige Schenkel sondern eine ganz andere Art der Zügelführung.

Wenn ich mein Pferd in der Prüfung so vorstellen möchte, und es auch kann, wieso kann ich es dann nicht mit ähnlich feinen Hilfen vorbereiten?


Da geht es mir auch kaum um das Niveau des Reiters sondern das ist eine allgemeine Frage.

Wenn ich fein reiten will, dann will ich das doch auch in der Aufwärmphase.

Natürlich muss ich da auch mal deutlicher werden, aber es ist ein Unterschied, ob ich auf dem Arbeitsplatz z.B. mit dem inneren Zügel eine Wendung einleite und dann in der Prüfung oder Schau, die Hände hübsch zusammenlasse und den äusseren Zügel nutze.
Warum macht er das nicht schon auf dem Arbeitsplatz?

Für mich ist dann so ein Reiter enttäuschend, nicht, weil er es nicht könnte sondern, weil er es nicht tut.


LG Ulrike
Tess
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Beitrag von Tess »

@ Motte: im Idealfall überlegen, wo meine Schwerpunkte und Ideale bleiben. Und im Zweifelsfall überlegen, ob es das richtige ist was ich tue und ob es das richtige Pferd ist mit dem ich es tue.

Aber ich bin halt auch keine Berufsreiter.

Wäre ich Berufsreiter müsste (?) ich wahrscheinlich meine Ideale an den Nagel hängen.
Dann müsste ich aber auch damit Leben, dass solche Videos von mir nicht gut gefunden werden (und das kann er sicherlich auch ...)

Trotzdem muss ICH mir das jetzt nicht schönreden, nur weil Theorie schnöde Theorie und Praxis harte Praxis ist (den brutalen Unterschied kennt wohl jeder aus seinem Pferdealltag ... *seufz*).

Ich finde einfach, dass man zumindest versuchen sollte bei jedem die gleichen Maßstäbe anzusetzen (wobei es mir bei Profis ehrlich gesagt schwerer fällt, die Messlatte nicht höher zu legen, denn a) sind sie Profis und können es sicherlich besser (sollten sie zumindest) und b) sind es Profis und haben somit eine große Verteiler- und VOrbildfunktion.

Mich stört einfach ein wenig die "Schönrederei" hier, wenn man versteht, was ich meine :wink:


@ Fiorella und Ulrike: danke, das meine ich.
Motte
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Beitrag von Motte »

Tess, ich verstehe vollkommen, was du meinst.

Eine Auflösung wäre wohl wirklich nur möglich, wenn man den Reiter echt mal fragen würde/könnte: WARUM tust du das gerade so und nicht anders... :wink:
Das wäre sicherlich spannend!

Mich stört halt dieses "einmal ein nicht-perfektes Bild abgegeben = grottenschlechter Reiter".
Das ist so der Punkt, wo ich ein bisschen empfindlich reagiere.
Generell, und bei Steffen Peters in dem Fall im Speziellen, weil ich den für einen sehr sehr guten Reiter halte! Es gibt irgendwo im Netz eine Folge von "clinics", wo er in USA unterrichtet. Das ist toll und hochinteressant.
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Ich fühl mich missachtet. *schmoll*
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Ich denke Motte, es geht eher darum, ob ein Pferd systematisch tief und rund geritten wird und mal eben nur "für die Prüfung" hochgeholt wird ( "korrekt" im Sinne der Reitlehre ) . Oder ob es systematisch "korrekt" im Sinne der Reitlehre gearbeitet wird und nur ab und an mal korrektiv oder versehentlich "zu tief" kommt...

@Rapunzel, Armes !!!
Fiorella
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Beitrag von Fiorella »

Hallo Motte

dieser Spruch ist nicht neu, dennoch sicher wahr.

Aber jeder kann sich für die Prioritäten setzen.

Wenn ich also weiss, dass es vorkommen kann, dass mein Pferd in der praktischen Prüfungssituation unter Stress mal aushaken kann, muss ich mir eben überlegen, was mir wichtiger ist, meine Überzeugung oder der Pragmatismus.

D.h.: Packe ich dann auch mal zu, um mich abzusichern, riskiere ich, das nicht zu tun weil ich es eben nicht will, obwohl ich deswegen vielleicht die Prüfung versemmeln werde, oder lass ich es einfach.

Das zu entscheiden obliegt jedem selbst.

Nur wenn ich zupacke, oder jemanden zupacken sehe, oder etwas sehe, dass für das geübte Auge mit hoher Wahrscheinlichkeit als das Ergebnis vorherigen Zupackens erkennbar ist, dann nenne ich das eben auch Zwangshaltung, und nicht Wohlfühlhaltung.

Soviel Ehrlichkeit darf einfach sein.

Ich ganz persönlich fühle mich nämlich schlicht für dumm verkauft, wenn man mir so was wie das Peters-Abreitevideo als eine Art Wellnessevent fürs Pferd verkaufen will.

Gruss, Fio
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Fiorella: Wo bitte packt der denn zu?
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Na ja er tut es nicht im Clip, Rapunzel, ich vermute vielmehr, Fiorella setzt voraus, dass ein Pferd nur in diese Haltung kommt, wenn man "zupackt". Korrigiere mich, wenn ich irre Fiorella.
Allerdings weiß ich, dass es nicht so ist. Pferde nehmen durchaus auch mal diese Haltung ein, wenn ich sie das tun lasse, die Frage ist halt, lasse ich sie das MAL tun oder nutze ich es systematisch, dass sie das tun- was ich persönlich strickt ablehnen würde...
Das Für und Wider zur Nutzung einer solchen Haltung, haben wir doch aber schon bis zum Exzess durchgekaut.... :roll:
Fiorella
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Beitrag von Fiorella »

Ja,

ich setze in der Tat voraus, dass kein Pferd, das irgendwie noch Leben in sich hat, von sich aus länger, beständig, und konsequent in dieser Haltung über den Abreiteplatz eines internationalen Turniers schlappt, ohne jemals zu gucken, aufzumerken oder sich sonst wie aus dieser Haltung zu rühren, wenn es nicht ganz genau weiss, das "rund gehen" erwünscht ist, und Abweichungen ggf. sanktioniert werden.

Und schon gar nicht denke ich, dass so etwas ein Pferd tut, dass sich in der Prüfung wie von Zauberhand plötzlich ganz anders zeigt.

Glaubt jetzt irgendwie hier ernsthaft jemand das Gegenteil? :?

Gruss, Fio
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

"Wie von Zauberhand" sicher nicht. :wink: aber mit einer anderen Hilfengebung.
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