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Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 10:13
von Steffen
Zitat Colloid: "wink: Originalzitat aus einem beliebigen Reitstall: "Was für ein super ausgebildetes Pferd! Der geht L!!!!" "Boah, Wahnsinn!!" "Toll!" "

Genau das scheint mir ein Problem. Wenn ein Pferd wirklich sauber L geht, hat der Reites es geschafft, zumindest einmal die Basisarbeit inklusive Außengalopp zu erarbeiten. Ich finde das eine gute Leistung. Ein großes Problem vieler Barockreiter ist ja gerade, dass sie versuchen, mit ihren Pferden Piaffe, Passage und Seitengänge zu reiten, aber die Basis eben nicht sauber beherrschen, insbesondere, weil sie das Prinzip der Anlehnung nicht verstehen.

Zitat Colloid: Also grade Schwung und HH Aktivität hängen meiner Meinung nach vom Gleichgewicht des Pferdes unter dem Reiter ab."

Und insbesondere umgekehrt. Schwung und HH Aktivität kommen nicht von selbst aus dem Himmel gefallen. Die natürliche Reaktion wäre es, sich dem Reitergewicht zu entziehen! Gymnastik macht ein Pferd (und wohl auch kein anderes Lebewese) nicht von alleine. Das zu glauben ist ziemlich naiv. Das Pferd muss zuerst lernen, wie es mit diesem Gewicht im Rücken umgeht.

Zitat Colloid: "Ich habe schon vielen Reitern mal einen Zügel in die Hand gedrückt, das andere Ende in meiner Hand und sie aufgefordert mir zu zeigen, was sie unter Anlehnung verstehen...
Dann habe ich den Spieß umgedreht und erntete hochgezogene Augenbrauen :mrgreen:....kurz darauf erschien in Leuchtschrift auf der Stirn des anderen Reiters: "Die schmeißt die Zügel weg"
:wink: "

...das zeigt leider nur, dass Du den Sinn der Anlehnung nicht verstanden hast, oder jedenfalls ein anderes Ausbildungssystem verfolgst, dessen Ergebnis mir allerdings nicht ganz klar ist. :wink:

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 10:22
von Jen
Steffen hat geschrieben:
Jen hat geschrieben:Aber die entscheidende Frage ist ja, WAS IST DAS ZIEL? Was ist die Idealvorstellung? Und da glaube ich - mittlerweile -, ist das Ziel eben nicht mehr bei allen gleich!
Und genau das sehe ich völlig anders. Das Ziel ist - zumindest bei denen, die sich bisher an diesem Thema beteiligen - grundsätzlich gleich. ALLE wollen ein Pferd, das sich unter dem Reiter im Gleichgewicht und in Selbsthaltung befindet. Alle wollen mit möglichst wenig sichtbaren Hilfen das Pferd möglichst selbständig und freudig arbeiten lassen. ALLE wollen, dass Pferd und Reiter Spaß haben und dass das Ganze den großen Vorbildern, die jeder im Kopf hat, möglichst nahe kommt.
Und wenn sich nur schon die Vorbilder unterscheiden? Ich glaube nicht, dass zb. wir zwei so unterschiedliche Vorstellungen vom idealen Reiten haben. Aber wenn ich mir die Sportreiter sonst so anschaue, dann komm ich gewaltig ins Grübeln. Und da spreche ich auch "die guten" Sportreiter an. Ich bin selber mit diversen Sportreitern im Stall, die im grossen und Ganzen wirklich sehr pferdefreundlich ausbilden. Aber deren Idealvorstellung vom Pferd und meine Idealvorstellung scheint sich irgendwie nicht mehr zu decken, hab ich das Gefühl. Wenn ich die WM-Ritte anschaue, dann seh ich - auch bei den guten Ritten - vor allem kurze, festgestellte Hälse in einer Aufrichtung, die aufgepfropft erscheint. Der Rahmen passt sich nicht dem Gang an. Der Hals/Kopf bleibt so unbeweglich, dass das ganze schon richtig verkrampft wirkt. Die ganze Form des Pferdes gefällt mir nicht. Ich kann nun verstehen, warum Laien Dressur schrecklich finden und es als "künstlich" empfinden. Es sah für mich wirklich sehr unnatürlich aus! Da gefallen mir die Bilder, welche ich im Reitkurs jeweils sehe besser, auch wenn die Pferde da meist keine derartigen Lektionen gehen.
Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir das zunächst einmal jedem zugestehen und nicht immer unterstellen, dass diejenigen, die eine etwas andere Meinung haben, am liebsten nur ihre Pferd verprügeln, vorne ziehen und hinten drücken. So etwas mag es geben, aber zumindest in den Beiträgen hier konnte ich solche Leute nicht feststellen.


Warum immer so schwarzweiss?! Es hat niemand unterstellt, dass eine "Anlehnung" mit Prügel einhergeht. *kopfschüttel* GEnausowenig solltest du aber unterstellen, dass Leichtigkeit mit Rückhältigkeit und Angst vor der Hand einhergeht! Ja, das sieht man sicher häufig, genauso häufig, wie sich Pferde bei Anlehnung auf den Zügel stützen! Reiten ist nun mal verd... schwierig und je höher die Ansprüche sind, desto weniger wird man die Bilder sehen, die man sich vorstellt. Während man früher nach einem verknorzten Schenkelweichen fast vor stolz geplatzt ist, weil man endlich eine Lektion reiten kann *räusper* ist man heute nicht mal mehr mit einer unperfekten Volte zufrieden! Die Ansprüche ändern sich ;)

Der Grund, warum wir hier teilweise so leidenschaftlich streiten, ist keinesfalls das Ziel, sonder der WEG dorthin. [/quote]

ich empfinde das nicht als STreit :) nur als Diskussion! Ich glaube auch, dass wir im Grunde genommen gar nicht so weit voneinander entfernt sind ;)
Was die Übersetzung von Oliveiras Schriften angeht: Natürlich kann bei einer Übersetzung vom portugiesichen ins Französiche und vom Französischen ins Deutsche einiges verloren gehen. Allerdings geht es mir auch nicht um Begriffe. Ein Streit über Begriffe führt nur wenig weiter. Es geht um das Verständnis der Ausbildung.


Das sehe ich anders. Bei den Begriffen fängt das Verständnis zur Ausbildung an! Was nützt es, wenn wir miteinander sprechen, aber eine ganz andere Vorstellung von den Begriffen haben, die wir benutzen? Wir müssen doch einander VERSTEHEN. Wenn man etwas lernt, dann muss man es erst verstehen, bevor man es anwenden kann. Wie oft höre ich Reiter irgendwelche Floskeln runterleiern, aber ich mir ziemlich sicher bin, dass die wirklich keine Ahnung haben, von was sie eigentlich sprechen. Es wird einfach nachgeplappert, ohne dass man eigentlich so ganz genau weiss, was es bedeutet. Bestes Beispiel: "Vom Gebiss abstossen". Wer weiss schon was das wirklich heisst? Wer kann es schon erklären? Ominöses "Kreuz anspannen". Wie genau macht man das? Dominanz, was ist das? gibt noch zig hundert Beispiele dafür. Ging mir ja nicht anders! Geht mir z.T. heute noch so! Ausser dass ich versuche solche Begriffe zu vermeiden und es eher zu umschreiben versuche. Genau aus diesem Verständnisproblem! Ich arbeite in der Wissenschaft. Da sind die Begriffe ganz genau definiert bzw. müssen definiert werden, weil das sonst einfach nicht geht. Aber diese Begriffe werden z.T. in der Alltagssprache benutzt und bedeuten da manchmal etwas ganz anderes.

Was wir hier diskutieren ist ja eben dieses Verständnis! Ohne das Verständnis geht es einfach nicht.
Feines Reiten entsteht nicht durch "Nichts Tun" und es entsteht nicht durch "Ziehen und Drücken". Feines Reiten entsteht durch eine systematische Ausbildung. :wink:
Natürlich! das habe ich auch gar nie anders behauptet ;)

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 10:28
von Alix_ludivine
Steffen hat geschrieben:Zitat Colloid: Also grade Schwung und HH Aktivität hängen meiner Meinung nach vom Gleichgewicht des Pferdes unter dem Reiter ab."

Und insbesondere umgekehrt. Schwung und HH Aktivität kommen nicht von selbst aus dem Himmel gefallen. Die natürliche Reaktion wäre es, sich dem Reitergewicht zu entziehen! Gymnastik macht ein Pferd (und wohl auch kein anderes Lebewese) nicht von alleine. Das zu glauben ist ziemlich naiv. Das Pferd muss zuerst lernen, wie es mit diesem Gewicht im Rücken umgeht.
Und um zu lernen wie das Pferd mit dem Gewicht auf dem Rücken sich bewegen soll, braucht es eine neues Balancegefühl, dass ihm der Reiter beibringen muss. Du kannst ein Pferd erst tanzen lassen (Schwung und HH-Aktivität), wenn es im Gleichgewicht ist, nicht umgekehrt. Alles andere ist Gerenne und hat mit HH-Aktivität und Schwung nicht wirklich was zu tun (und einige Pferde sehen selbst da noch sehr gut aus..)
...das zeigt leider nur, dass Du den Sinn der Anlehnung nicht verstanden hast, oder jedenfalls ein anderes Ausbildungssystem verfolgst, dessen Ergebnis mir allerdings nicht ganz klar ist. :wink:
Was soll das denn?
Bist Du Dir sicher, dass Du verstanden hast, was sie Dir damit sagen wollte?
Sie hat den Sinn der Anlehnung durchaus verstanden - ich habe es live erleben dürfen - ihren "Test"..

LG Alix

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 10:53
von Steffen
Jen hat geschrieben:Nur ist die Frage, wann ist denn der "bestimmte" Ausbildungsstand erreicht, wo man dies so handhabt. Möglichst früh oder möglichst spät? Und ich tendiere eher zu früher als zu später.
...ich würde sagen: Nie, die Ausbildung beginnt irgendwann, enden wird sie erst, wenn das Pferd in den wohlverdienten Ruhestand geht.
Wir ein Ausbildungsniveau früher "erreicht", als dies bei reeller Ausbildung möglich wäre, ist es meist fehlerhaft, benötigt man länger, kann das viele Ursachen haben. Sehr häufig muss man auch mal einen Schritt zurück gehen. "Früher" ist daher keinesfalls besser "Später". :wink:

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:03
von Colloid
Steffen hat geschrieben: Genau das scheint mir ein Problem. Wenn ein Pferd wirklich sauber L geht, hat der Reites es geschafft, zumindest einmal die Basisarbeit inklusive Außengalopp zu erarbeiten. Ich finde das eine gute Leistung. Ein großes Problem vieler Barockreiter ist ja gerade, dass sie versuchen, mit ihren Pferden Piaffe, Passage und Seitengänge zu reiten, aber die Basis eben nicht sauber beherrschen, insbesondere, weil sie das Prinzip der Anlehnung nicht verstehen.
:roll: Witzig... Viele hätten übrigens schon bei A aufhören sollen... In Aachen konnte man gut sehen, wie die Basis aussieht...da gehen die Leute "Piaffen" (kann man wirklich nur in "" setzen) und Galopppirouetten, aber durch die Ecken gehen die Pferde wie ein Brett...ich hätte spontan die Volte als Lektion wieder eingeführt...
Und insbesondere umgekehrt. Schwung und HH Aktivität kommen nicht von selbst aus dem Himmel gefallen. Die natürliche Reaktion wäre es, sich dem Reitergewicht zu entziehen! Gymnastik macht ein Pferd (und wohl auch kein anderes Lebewese) nicht von alleine. Das zu glauben ist ziemlich naiv. Das Pferd muss zuerst lernen, wie es mit diesem Gewicht im Rücken umgeht.
Du willst mich missverstehen, oder? Ich habe nirgends behauptet, daß das Pferd schon balanciert ist und der Reiter es nur nicht stören soll...Im Gegenteil, erst wenn das Pferd sein Gleichgewicht unter dem Reiter wiedergefunden hat, kann es Schwung und HH Aktivität entwickeln. Selbstverständlich muss ein Pferd erst lernen, den Rücken aufzuwölben und das muss der Reiter ihm zeigen, aber Anlehnung ist dazu nicht nötig :P ... Mir zu unterstellen, ich würde mich einfach draufsetzen, nichts tun und abwarten das das Pferd über den Rücken in Balance geht, ist schlicht lächerlich.

...das zeigt leider nur, dass Du den Sinn der Anlehnung nicht verstanden hast, oder jedenfalls ein anderes Ausbildungssystem verfolgst, dessen Ergebnis mir allerdings nicht ganz klar ist. :wink:
*selten so gelacht*
Ich dachte wir diskutieren...
Zum streiten habe ich keine Lust.

Alix: :wink:
Jen: *nicken*
Zum Thema Ziel: Für die Einen ist ein bestimmter Ausbildungsstand Ziel (L,M,S..), die entsprechenden Lektionen reiten zu können. Mein Ziel ist das Pferd zu gymnastizieren, wofür Lektionen nur das Werkzeuge sind, weshalb mir auch diese Leistungskategorien völlig egal sind (ihre Sinnigkeit sei mal dahingestellt). Ich würde nie von vorneherein einplanen, daß dieses Pferd mal L,M,S... geht, sondern im Laufe der Gymnastizierung entscheiden, welche Lektion dem Pferd als nächstes helfen kann.
LG
Colloid

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:11
von Steffen
Alix_ludivine hat geschrieben:Bist Du Dir sicher, dass Du verstanden hast, was sie Dir damit sagen wollte?
Sie hat den Sinn der Anlehnung durchaus verstanden - ich habe es live erleben dürfen - ihren "Test"..
Nur sagt dieser Test nichts über den Sinn der Anlehnung aus, weil das simulierte "Pferd" nicht auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht unter dem Reiter ist und die simulierte Hand nicht über treibende Hilfen verfügt. Anlehnung kann man - wenn überhaupt - nur in einem sehr komplexen Versuch simulieren. Das Ergebnis eines solchen Tests sagt leider nur sehr wenig (um nicht zu sagen gar nichts) zum Thema Anlehnung aus. Wer Anlehnung so überprüft, geht in der Tat davon aus, dass Anlehnung und Ziehen das Gleiche ist. Gerade Jen als Wissenschaftlerin wird bestätigen, dass Simulationen nur dann verwendet werden können, wenn sie das Problem auch abbilden. :wink:

@ Jen: Vermutlich sind wir gar nicht so weit auseinander. Jeder konzentriert sich eben auf die Probleme, die ihm/ihr besonders auffallen und versucht entsprechend gegen an zu wirken. Das kann aber leider dazu führen, dass man die Linie der klassischen Ausbildung verläßt. Mir ist es ja selbst so ergangen und ich habe einige Jahre aus Abneigung gegen Ziehen und Drücken versucht, ohne Anlehnung zu reiten. Die Erfolge waren allerdings sehr zweifelhaft. Zwar zeigte mein Pferd scheinbar einige Lektionen, aber bei genauem Hinsehen bzw. im Laufe der fortgeschrittenen Ausbildung habe ich festgestellt, zu welch fehlerhaften Ergebnissen man kommt, wenn man einige Grundprinzipien aus falschem Verständnis über Bord wirft. Die Systematik der Dressurausbildung hat einige Tausend Jahre Tradition und Zig Millionen von Pferden wurden ausgebildet um diese Erkenntnisse zu bestätigen oder weiter zu entwickeln. Diese Erkenntnisse völlig in Frage zu stellen bedarf einfach etwas mehr an wirklichen Ergebnissen als nur schöner Worte und der Wunschvorstellung eines ganz von allein in Selbsthaltung laufenden Dressurpferdes. :wink:

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:17
von Janina
Steffen hat geschrieben:Das Ziel ist - zumindest bei denen, die sich bisher an diesem Thema beteiligen - grundsätzlich gleich.
Da kann ich dir absolut nicht zustimmen. Ich denke, jeder formuliert sein Ziel sehr ähnlich, aber im Kopf haben wir teilweise ganz unterschiedliche Idealvorstellungen. Ähnlich wie Jen geschrieben hat, geht es auch mir so, dass ich selbst bei sehr guten "FN-Reitern" nicht denke, dass ich gerne so reiten würde, jetzt nicht bezogen auf das "Niveau" (soll heißen, dass ich nicht abstreite, dass sie hervorragende Reiter sind), sondern auf die Art und Weise.
Steffen hat geschrieben:Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir das zunächst einmal jedem zugestehen und nicht immer unterstellen, dass diejenigen, die eine etwas andere Meinung haben, am liebsten nur ihre Pferd verprügeln, vorne ziehen und hinten drücken.
Dann aber auch nicht umgekehrt, was du immer so gerne machst. Du scheinst jedem, der den Begriff "Anlehnung" ablehnt, vorzuwerfen, dass er selbiges Prinzip einfach nicht verstehen würde (vgl. dein Kommentar zu Colloid, den ich zieml. deplaziert fand, sowie der Seitenhieb gegen "Barockreiter", wobei ich mich gerade frage, ob du jetzt meinst, dass diese grundsätzlich mit zu wenig Anlehnung reiten oder mit zu viel, denn eigentl. wird doch klischeemäßig gerade diesen ein mit Kandare zusammengezurrtes Reiten vorgeworfen oder kann für dich ein "Barockreiter" per se das Prinzip der Anlehnung nicht verstanden haben :roll: ).
Steffen hat geschrieben:Der Grund, warum wir hier teilweise so leidenschaftlich streiten, ist keinesfalls das Ziel, sonder der WEG dorthin. Und da gibt es allerdings sehr große Meinungsverschiedenheiten. Während die eine Fraktion der Meinung ist, dass das Pferd auch unter dem Reiter sich von vorneherein bereits im Gleichgewicht befindet und der Reiter im Grunde nur vorsichtig oben drauf sitzt und das Pferd nicht stört, ist die andere Fraktion der Meinung, dass das Pferd unter dem Reiter ein neues Gleichgewicht finden muss.
Ich gehöre zu einer dritten Fraktion, die der Meinung ist, dass das Pferd unter dem Reiter ein neues Gleichgewicht finden muss UND dass der Reiter dabei mögl. vorsichtig oben drauf sitzen sollte, um es so wenig wie möglich zu stören (meine sowas auch mal bei Oliveira gelesen zu haben).
Steffen hat geschrieben:Darum ist es auch keinesfalls ein Widerspruch, wenn man zunächst Anlehnung fordert, um sie gleich darauf wieder - nämlich wenn das Pferd den entsprechenden Schwung entwickelt - aufzugeben, wie es beim Überstreifen der Zügel auch bei der FN gefordert wird.
Aber das ist es doch "eigentlich", was die meisten von uns auch sagen. Man hält Kontakt, so lange es nötig ist, kann diesen aber auch reduzieren, sobald es möglich ist. Einziger Diskussionspunkt: WANN und wie lange ist es nötig! Und da bleibe ich bei meinem vorherigen Posting und sage, dass das vom jeweiligen Pferd abhängt. Für mich wäre allerdings das Erscheinen eines bestimmten Buchstabens an der Bande kein Kriterium dafür ;)
Stefen hat geschrieben:Natürlich kann man vorne Ziehen und hinten Drücken in vielen Reitställen beobachten und natürlich ist das falsch. Aber wer hätte das je bestritten?!
Aber meinst du denn, dass besagte Reiter behaupten würden, sie würden vorne ziehen und hinten Drücken? Bestimmt nicht! Sie würden sagen, sie haben vorne die Anlehnung und geben Paraden und da diese laut RL nicht ohne treibende Schenkelhilfen gegeben werden sollen, wird hinten getrieben. Für mich oder uns oder wie auch immer sähe es aber trotzdem noch wie vorne ziehen, hinten stechen aus...
Steffen hat geschrieben:Feines Reiten entsteht nicht durch "Nichts Tun" und es entsteht nicht durch "Ziehen und Drücken". Feines Reiten entsteht durch eine systematische Ausbildung. :wink:
Und was genau sagt dieser Satz aus? Niemand wird etwas gegen systematische Ausbildung haben, die Frage ist doch dann, was ist eine systematische Ausbildung und reicht es wirkl. ein System zu haben? Denn dieses will ja auch umgesetzt werden und wie usw. (also bitte einen neuen Thread eröffnen :P ) Du hast damit nur gesagt, was feines Reiten NICHT ist, aber das war den meisten wohl auch so klar...
Wenn ich das richtig sehe, diskutieren wir über zwei Punkte.
1. Wie stark darf oder soll die Anlehnung sein (wie der Titel des Threads ja auch sagt) und
2. wie lange soll sie andauern? Permanent? Oder darf sie auch aufgegeben werden und wenn ja, wann oder AB wann?
Den ersten Punkt könnte man wirklich nur über´s fühlen klären, sich da gegenseitig per Internet vorzuwerfen, man hätte einfach nicht das richtige Verständnis halte ich nicht für den richtigen Weg.
Und beim zweiten Punkt ist es so, dass "die FN" grundsätzlich eine stete Anlehnung fordert. Das Zügelüberstreichen wird zwar mal in der Prüfung gefordert, ist aber kein zentrales Ausbildungsthema. Ziel ist nicht ein am losen Zügel gehendes Pferd (sollte das doch irgendwo in den RL formuliert sein, so bitte ich um Korrektur)!
Dagegen haben viele klassische Reiter eben dies als Idealvorstellung, wobei es auch hier wieder die Möglichkeit gibt, dass man sich vornimmt, ein Pferd sehr weit auszubilden und dann erst die Anlehnung zu reduzieren oder teilw. aufzugeben oder dass man dies von Anfang an, auch oder vllt. sogar gerade bei einem jungen Pferd anstrebt.
Ich habe hier noch von niemandem gelesen, dass er sein Pferd komplett ohne Zügeleinwirkung ausbildet, auch Colloid habe ich so verstanden, dass ihre "Anlehnung" oder eben lieber Kontakt nur viel feiner ist, als das wohl die meisten Reiter gewohnt sind.
Finde ich persönlich erst einmal positiv, aber ein wirkliches Urteil kann zumindest ich mir über´s Internet nicht bilden.
Liebe Grüße,
Janina

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:23
von Steffen
Colloid hat geschrieben:*selten so gelacht*
Ich dachte wir diskutieren...
Zum streiten habe ich keine Lust.
ich auch nicht, war nicht böse gemeint, sorry :oops:

Aber was passiert mit dem Schwung, wenn vorne nichts ist, wo sich das Pferd abstößt? DAS ist doch die Frage. Dann wird das Pferd Eilen. Auch Übergänge werden am Anfang ohne jede Anlehnung nur sehr schwierig von hinten nach vorne zu reiten sein. Es wird immer so schön behauptet, man benötigt Anlehnung nicht, dass sei ja nur eine Stütze, ja aber wo soll er denn hin der Schwung und die Aktivität von Hinten. Warum empfehlen alle Ausbilder (einschließlich Oliveira und sehr deutlich Barbier) junge Pferde beim Longieren auszubinden? Nichts anderes macht die Anlehnung.


Ich finde auch, dass Lektionen nur Mittel zum Zweck sind. Ein Turnier auf dem jeweiligen Niveau ist dann nichts anderes als die Überprüfung der Ausbildung. Wie weit man kommt hängt von so vielen Einflüssen ab, dass man dies in der Tat vorher kaum bestimmen kann.

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:26
von Colloid
Steffen hat geschrieben: Nur sagt dieser Test nichts über den Sinn der Anlehnung aus, weil das simulierte "Pferd" nicht auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht unter dem Reiter ist und die simulierte Hand nicht über treibende Hilfen verfügt. Anlehnung kann man - wenn überhaupt - nur in einem sehr komplexen Versuch simulieren. Das Ergebnis eines solchen Tests sagt leider nur sehr wenig (um nicht zu sagen gar nichts) zum Thema Anlehnung aus. Wer Anlehnung so überprüft, geht in der Tat davon aus, dass Anlehnung und Ziehen das Gleiche ist. Gerade Jen als Wissenschaftlerin wird bestätigen, dass Simulationen nur dann verwendet werden können, wenn sie das Problem auch abbilden. :wink:
In dem Fall bildet dieser Test nur ab, wieviel Druck auf dem Zügel ein Reiter für gute Anlehnung hält, ob diese durch den Reiter vorgegeben wird, oder vom Pferd ausgeht, sei mal dahingestellt. Und hier gibt es schon deutliche Unterschiede :wink:
Janina: :wink:
LG
Colloid

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:35
von Colloid
Steffen hat geschrieben: ich auch nicht, war nicht böse gemeint, sorry :oops:
Verziehen...

Aber was passiert mit dem Schwung, wenn vorne nichts ist, wo sich das Pferd abstößt? DAS ist doch die Frage. Dann wird das Pferd Eilen. Auch Übergänge werden am Anfang ohne jede Anlehnung nur sehr schwierig von hinten nach vorne zu reiten sein. Es wird immer so schön behauptet, man benötigt Anlehnung nicht, dass sei ja nur eine Stütze, ja aber wo soll er denn hin der Schwung und die Aktivität von Hinten. Warum empfehlen alle Ausbilder (einschließlich Oliveira und sehr deutlich Barbier) junge Pferde beim Longieren auszubinden? Nichts anderes macht die Anlehnung.
Ahh, jetzt diskutieren wir. 1. Ich lehne Ausbinder (grade) für junge Pferde ab. Ausbinder bieten keine Anlehnung (s. den sehr schönen Thread in Bodenarbeit). 2. Man kann doch Schwung erst entwickeln, wenn die Balance des Pferdes unterm Reiter hergestellt ist, dazu würde ich ein junges Pferd eher untertourig arbeiten, also erstmal auf Schwung verzichten, zugunsten der Balance. Hat das Pferd die Balance gefunden, muss es sich nicht abstoßen, es trägt sich selbst undkann dann Schwung entwickeln.

Ich finde auch, dass Lektionen nur Mittel zum Zweck sind. Ein Turnier auf dem jeweiligen Niveau ist dann nichts anderes als die Überprüfung der Ausbildung. Wie weit man kommt hängt von so vielen Einflüssen ab, dass man dies in der Tat vorher kaum bestimmen kann.
Das war mal der Sinn und Zweck eines Turniers...ist das heute wirklich noch so? Ich glaube dazu gewinnen dann doch zuviele zusammengezogene Pferde...wie gesagt, viele hätten bei A schon aufhören sollen.
LG
Colloid

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:38
von Jen
Steffen hat geschrieben:
Jen hat geschrieben:Nur ist die Frage, wann ist denn der "bestimmte" Ausbildungsstand erreicht, wo man dies so handhabt. Möglichst früh oder möglichst spät? Und ich tendiere eher zu früher als zu später.
...ich würde sagen: Nie,
ähm, Steffen, hast du da gerade den Faden verloren...? Es ging darum, as Pferd vom Gebiss abstossen zu lassen. In dem Fall arbeitest du ein Leben lang quasi an der Anlehnung und lässt das Pferd "nie" vom Gebiss abstossen? Dann ist das alles nur graue Theorie und wird gar nie zur Praxis? Ich glaub kaum, dass du das so gemeint hast... oder?

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:39
von horsman
@steffen
Als Alternative zu
a) ziehen und drücken
b) reiten ohne Anlehung, wie Du es nennst

empfehle ich Dir mal : Reiten mit Kontakt, Impulsion und Versammlung, Beizäumung und der Idee(!) des Aussetzens der Hilfens (das bedeutet nicht Nichts zu tun!)

Ob Du das nun FN, klassisch oder französich, alt-klass., alt-deutsch oder sonst wie nennst, ist doch wurtscht

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:39
von Manfred
stromboli20 hat geschrieben:Ich denke, es ist wichtiger,mit einem Pferd so zu arbeiten, dass es Spass dabei hat als es in eine Form zu pressen. Und dann hat es auch eine Ausstrahlung, die man sieht und spürt. Das betrifft auch die Anlehnung. ... Daher finde ich es manchmal so schade, dass viele sog. klassische Reiter zwar Leichtheit und liebevoller Pferdeumgang so betonen und sich trotzdem wegen 5 cm mehr oder weniger Zügellänge in die Haare kriegen. Jedes Pferd ist anders, jedes hat andere Talente - das gilt ja auch für Reiter.
Danke für diesen Beitrag, genau so sehe ich das auch! :P

LG
Manfred

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:46
von Steffen
Janina hat geschrieben: Für mich wäre allerdings das Erscheinen eines bestimmten Buchstabens an der Bande kein Kriterium dafür ;)
für mich schon..., bei der Ausbildung geht es eben darum, dass der Reiter in der Lage sein soll, die verlangte Lektion beim Pferd abzurufen. Es geht nicht darum, irgendwie zu reiten und dann darauf zu warten, dass das Pferd an einem Ort seiner Wahl sich vielleicht dazu entschließt, die Lektion zu zeigen. Gerade in diesem Punkt ist der Oliveira Schüler Barbier völlig kompromisslos. Er empfiehlt, sich bei einem gewünschten Punkt eine tiefe Schlucht vorzustellen, wenn das Pferd nicht genau am Punkt anhält. Genaues Reiten ist nichts anderes als der Nacheis, dass die Kommunikation funktioniert. Auch an Instituten wie Wien, wird auf diese Genauigkeit allerhöchster Wert gelegt.
Janina hat geschrieben: Wenn ich das richtig sehe, diskutieren wir über zwei Punkte.
1. Wie stark darf oder soll die Anlehnung sein (wie der Titel des Threads ja auch sagt) und
2. wie lange soll sie andauern? Permanent? Oder darf sie auch aufgegeben werden und wenn ja, wann oder AB wann?
...
Und beim zweiten Punkt ist es so, dass "die FN" grundsätzlich eine stete Anlehnung fordert. Das Zügelüberstreichen wird zwar mal in der Prüfung gefordert, ist aber kein zentrales Ausbildungsthema.
das ist deine Sicht der Dinge. Das Nachgeben ist absolut das zentrale Ausbildungsthema in der klassischen Dressur und auch bei (guten) FN Ausbildern. Allerdings nicht - und das ist der Unterschied - unter Inkaufnahme des Verlusts von Schwung und Aktivität der Hinterhand.

Sobald das Pferd über den Rücken schwingt, kann man die Anlehnung aufgeben, sofern man spürt, dass das Vorwärts der Hinterhand zu einen höheren Grad der Versammlung führt. Eine Prüfung ist aber nichts anderes als das Aneinanderreihen vieler verschiedener Lektionen. Meist werden diese gezeigt, wenn das Pferd sie gerade erst gelernt hat.

Um deine Frage zu beantworten: Wenn das Pferd sein neues Gleichgewicht unter dem Reiter gefunden hat, benötigt es keine Anlehnung mehr. Der Unterschied zwischen unseren Auffassungen ist lediglich, dass dies nach meiner Auffassung nur in wenigen Augenblicken gelingt und erst bei zunehmender Versammlung (Niveau M - S) häufiger der Fall ist und Du offensichtlich glaubst, dass dieser Zustand von Anfang an überwiegt. Reite mal eine L-Dressur-Prüfung, in der in 5 Minuten 20-30 Lektionen gezeigt werden mit einem Pferd, das noch nicht M-reif ist und dann überprüfe mal, wie oft Du es schaffst, dieses gemeinsame Gleichgewicht zu erhalten, ohne Schwung und Vorwärts zu verlieren. Im Grand Prix bei Piaffe und Pirouette wird das wesentlich häufiger gelingen, wenn das Pferd wirklich so weit kommt und entsprechend vorbereitet ist.

Verfasst: Mi, 11. Okt 2006 11:54
von Jen
Steffen hat geschrieben:Eine Prüfung ist aber nichts anderes als das Aneinanderreihen vieler verschiedener Lektionen. Meist werden diese gezeigt, wenn das Pferd sie gerade erst gelernt hat.
Ja, da hast du recht, das sehe ich auch als problematisch bei der heutigen Turnierszene. Möglichst schnell an eine Prüfung... Wenn ich an Prüfungen interessiert wäre, dann würde ich wohl immer eher eine Stufe tiefer starten, als dass ich gerade mein Pferd am ausbilden bin. Mir kommt es aber oft vor, als wäre es genau umgekehrt... :roll: