Susanne hat geschrieben:Mir fällt an mir und auch an anderen auf, daß sich gerne auf das Haar in der Suppe gestürzt wird. Oft könnte ich diese Suppe aber selbst nicht mal ansatzweise kochen

. Und da habe ich mir in letzter Zeit öfter überlegt, ob man sich und anderen damit nicht das Leben unnötig schwer macht, wenn man immer und zu jedem Zeitpunkt Perfektion erwartet.
Man macht sich und anderen das Leben sicherlich oft schwerer als nötig.

Oft wird halt auch nicht die Vorgeschichte berücksichtigt bzw. meistens weiß man sie auch nicht genau. Trotzdem wird an jedem Detail herumkritisiert, das von der Idealvorstellung abweicht.
Susanne hat geschrieben:Wenn jemand Geige lernt, dann gesteht man diesem Schüler auch zu, daß es erst einmal grausig klingt. Oder wenn jemand eine Ballettausbildung macht, dann erwartet man ebenfalls keine sofortige und dauerhafte Perfektion, sondern arbeitet jahrelang darauf hin. Nur beim Reiter sollte prinzipiell der Sitz immer korrekt sein - sonst krittelt man. Das Pferd sollte immer glücklich aussehen - sonst gibt's Mecker. Das Pferd sollte auch immer in der "perfekten" Haltung laufen, Nase immer vor der Senkrechten usw...
Was vermutlich auch viel ausmacht, ist die Tatsache, dass der Reiter mit einem Lebewesen "zusammenarbeitet". Und da spielen einfach mehr Emotionen mit rein als bei einer Geige. Der Geige tut es nicht weh, wenn man ihre Saiten quält.
Big Mama hat geschrieben:Ich kritisiere andere Reiter nicht. Dafür kann ich selber zu wenig und ich würde auch nur ganz grobe Fehler sehen, mir fehlt da das Auge dafür.Und ich trau mich das einfach nicht, eben weil bei mir noch viel im Argen liegt.
Da geht's mir ähnlich. Ich mach das zwar manchmal für mich im Stillen, aber eigentlich nur, um mein Sehen zu schärfen.
Ich war voriges Jahr bei uns im Ort auf einem kleinen Turnier und ich hab mich hingesetzt und wirklich mal nur darauf geachtet, was mir auffällt. Ich bin ja noch nicht so lange Reiter und muss noch viel sehen lernen. Mir ist einiges aufgefallen und fast hab ich mich darüber gefreut, als ich erkannte, dass viele Pferde einen passigen Schritt hatten.

Ich hab mich schon gefreut, weil ich
überhaupt daran gedacht habe, da mal drauf zu schauen.
Erzählen hätte ich das, was ich zu bemängeln hatte, aber niemandem wollen.
Irgendwann später ist mir dann aufgefallen, dass ich wahrscheinlich trotzdem den gleichen unsympathischen Eindruck vermittle wie die, die sich mit Argusaugen auf Fehler stürzen und sowieso alles besser können.
Bernie hat geschrieben:Wenn man den Ball flach hält, wird wohl auch von den wenigsten das Haar in der Suppe "gesucht".
Hm… Das glaube ich nicht. Ich kann mich noch an ein Video erinnern, das hier eingestellt wurde und da wurde ganz schön viel herumkritisiert (und jetzt sind wir ja wirklich ein sehr nettes Forum – da gibt's ganz andere Kaliber

) und die eigentliche Frage der Threaderstellerin ging immer mehr unter.
Mir fällt manchmal an Kursen auf, dass die Zuschauer 'murren', weil der Ausbilder das und jenes am Reiter nicht kritisiert hat und das hat er auch durchgehen lassen und wieso hat er denn deswegen nicht stärker reagiert. Hm… Ein guter Lehrer holt Reiter und Pferd da ob, wo sie stehen und garantiert jeder murrende Zuschauer möchte gemäß seiner bisherigen Ausbildung gefördert und nicht todkritisiert werden, wenn er selbst auf dem Pferd sitzt. Trotzdem sitzen sie oft an der Bande und 'sticheln'.
Dr. Dörr sagte mal auf einem Kurs über einen Teilnehmer: "Klar hätte ich tausend Dinge kritisieren können, aber das bringt doch nichts. Wichtig ist, erstmal Ruhe reinzubringen und das wurde doch schon sehr gut geschafft."
Wir wollen, dass das Pferd gut und fair behandelt, nicht überfordert wird und motiviert bei der Sache ist. Ich finde, das sollten wir auch so den Reitern zugestehen.
Ich hab grad Bürger's "Vollendete Reitkunst" neben mir liegen und da schreibt er im Vorwort folgendes:
"Das Wissen steht immer vor dem Können. Zu glauben, man wisse etwas, was man tatsächlich nicht weiß, ist ein verhängnisvoller Fehler, zu dem wir alle neigen.
Wir Reiter mehr als andere Menschen."
Darüber sollten wir nachdenken.

Immer mal wieder. Und ich nehm mich davon nicht aus.