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"Balance vor der Bewegung" mehr Stillstand?

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 13:19
von Josatianma
Ich bin in einem Ausbildungstagebuch auf einige Gedanken gestoßen, zu denen ich gerne mal eure Ideen hören würde.
Rein theoretisch gefällt mir "Balance vor Bewegung" auch besser. Rein praktisch reite ich aber lieber
Und nochmal drüber nachgedacht: Wie soll denn das Pferd in Balance kommen, wenn es nicht mit aktiver Hinterhand an die Hand herantritt? Ohne das kriegst Du es doch gar nicht in eine bessere Balance.
Ich denke, daß ich mit 2/3 Balance und 1/3 (kontrollierter) Bewegung ganz gut fahre (zumal bei nur laienhafter Ausführung des ganzen), denn je mehr Balance, umso mehr kann ich auch auf "saubere" Ausführung von unserer Gymnastik bestehen.
Ich hatte Kursmäßig mal einen Eindruck von der Arbeit in Anlehnung an Baucher mitnehmen können: und dort kam mir genau der Gedanke: es war viel Stillstand drin. Aber andererseits kann ich doch auch in einem frischen V/A schon auf die Balance achten und habe trotzdem Bewegung.

Irgendwie spuckt mein Kopf gerade nicht die richtigen Worte aus, um meine Gedanken zu beschreiben :(

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 16:09
von Bernie
auch, wenn Du der Meinung bist, Du hast nicht die richtigen Wörter "ausgespuckt" - GENAU so sehe ich es auch. Viele Wege führen nach Rom, sprich, zum Ergebnis. Aber manche sind nur wahren Meistern vorenthalten. Da ich keiner bin, gehe ich den für mich gangbaren Weg. Andere Wege mögen funktionieren, aber ich habe aus dieser Richtung noch keine Reiter-Pferd-Paare gesehen, die mich überzeugt haben. Und es zählt nun mal nicht die Theorie, sondern schlussendlich die Umsetzung in der Praxis.

Ich denke, Du bist da schon auf dem richtigen weg. :wink:

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 18:19
von ottilie
Josa hat geschrieben:Aber andererseits kann ich doch auch in einem frischen V/A schon auf die Balance achten und habe trotzdem Bewegung.
Ich glaube, daß genau DA der Teufel im Detail liegt.
Balance vor Bewegung impliziert ja, daß ich die Bewegung beende, wenn die Balance verloren geht. Somit erst die Balance wieder herstelle, dann wieder bewege. Daher auch das Empfinden, viel "Stillstand" zu produzieren, weil dies zuerst einmal der längere Weg ist.
Balance im VA.... nun ja. Mitunter findet man ja auch über Tempo zur Balance, oder? Aber ist das dann dieselbe Qualität von Balance, die wir erreichen wollen? Und können wir wirklich kontrollieren, ob das Pferd sich nicht ein 5. Bein zum Abstützen nimmt, und sei es auch nur minimal kurzfristig?
Sauberer ist sicher der erste Weg - aber auch mit sehr viel Geduld für den Reiter verbunden.

So wie ich es kennengelernt habe, kommt die Balance auch nicht über das aktive Hinterbein, sondern über das Heben des Widerrists. Wäre für mich auch logischer, weil das Hauptgewicht des Pferdes auf der Vorhand liegt und diese sich in Selbsthaltung tragen können muß. Das Hinterbein ist der Motor, aber keine Balancierhilfe.

Interessant wären hierzu fachlich fundierte Aussagen bzgl. Muskelaufbau, da ich denke, daß dieser in der Bewegung schneller geht (da die Muskeln mehr/öfter beansprucht werden). Dafür wird beim ersten Weg von Beginn an mehr Trage- und Haltearbeit vom Muskel gefordert, wobei man streng aufpassen muß, das ungeübte Pferd ja nicht zu überfordern.

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 18:23
von lancia
Wie genau definiert ihr Balance? Woran erkenne/erfühle ich konkret ein ausbalanciertes Pferd?

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 18:30
von Klara
naja, ich hab mehr mit der Definition Bewegung Probleme. Theoretisch bin ich leider noch nicht ganz durchgedrungen.

Für mich in der Praxis bedeutet das, dass ich z.B. mich nur auf das Angaloppieren beschränke bzw, kurze Strecken, weil ich das Gefühl habe, dass sich meine Kleine in der Bahn noch nicht ausbalancieren kann.


Hab ich das Prinzip richtig verstanden?????

Verfasst: Sa, 31. Okt 2009 21:18
von Sunknúni
Ich denke es kommt auch aufs Pferd drauf an und für viele ist ein Mittelweg das Beste, zumal nicht jeder ein Meister ist...

Ich sehe es bei einer bei uns im Stall, die bei Herrn Scheid Unterricht nimmt. Er achtet sehr darauf, dass der Sitz überkorrekt ist und erarbeitet sehr viel im langsamen Schritt und noch langsameren Trab. Persönlich fehlt mir da das Vorwärts und Junito würde bei diesem Stil vermutlich durchdrehen. Sie fährt mit ihrem (etwas älteren) Pferd ganz gut damit (und TROTZDEM fehlt mir auch bei ihr das Vorwärts).

Vorwärts bedeutet bei mir jedoch nicht wegrennen und wenn ich merke, dass mein pferd ins Rennen kommt und dadruch aus der Balance schaue ich zu, dass er diese wieder gewinnt. Manchmal bekomme ich das mit Sitz, Zügel und Stimme wieder hin, manchmal gehe ich wieder eine Gangart zurück. Also kommt durchaus erst die Balance, dann die Bewegung, aber wie Josa denke ich, dass man diese in der Bewegung wieder herstellen kann (nicht immer aber hofenltich immer öfter, denn das ist doch ein Ziel).

Verfasst: So, 01. Nov 2009 11:16
von Josatianma
Balance vor Bewegung impliziert ja, daß ich die Bewegung beende, wenn die Balance verloren geht. Somit erst die Balance wieder herstelle, dann wieder bewege.
Aber hieße das dann nicht, daß alle Pferde, die nicht nach diesem Prinzip geritten werden sich ohne Balance bewegen. Und das ist eben nicht der Fall, finde ich. Und warum muß ich die Bewegung beenden, um die Balance herzustellen?

@Lancia: Unter Balance verstehe ich das Gleichgewicht des Pferdes in der Vorwärtsbewegung, wobei es auch eine seitliche Balance gibt. Daraus ergibt sich für mich, das Pferd darf in der Vorwärtsbewegung seinem eigenen Gewicht nicht hinterherrennen (über Tempo) oder seitlich hin und her schwanken.

Wenn ich mit meinem Pferd eine neue Übung erarbeite, kann es durchaus sein, daß die Balance verloren geht. Wenn ich dann direkt das Erarbeiten beende, um die Balance wiederherzustellen, komme ich bei der Erarbeitung nie zum Ziel. Sinnvoller ist für mich da der Ansatz, daß ich die Übung durchziehe, den Balanceverlust akzeptiere und danach durchpariere und die Balance und die Ruhe wieder herstelle.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 11:55
von emproada
Aber wie soll denn Balance in der Bewegung zustande kommen, wenn ich Bewegung nie übe?!
Ich reite krankheitsbedingt nun schon über einen sehr langen Zeitraum schwerpunktmäßig nur Schritt und darunter hat die Qualtität des Trabes und des Galopps massiv gelitten. Nur Seitengänge im Schritt reichen nun einmal doch nicht aus zum durchgymnastizieren.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 12:51
von Bernie
Ich bin der Meinung, dass es wie sehr oft der Mittelweg ist, der zum Erfolg führt.
Ein praktisches Beispiel: Pferd ist unausbalanciert im Galopp, rennt dem Gleichgewicht nach. Hier also Balance vor Bewegung und somit im Trab gut vorbereiten und oftmalige Übergänge in den Galopp. So wird das Pferd stärker und hat somit auch mehr Balance. Begleitend geraderichtende Übungen im Schritt und Trab.

Bleibt man aber dann auf der Stufe, kommt man nie zu einer vernünftigen Galopparbeit.

Es gibt dann mit Sicherheit den Punkt, an dem man verlangen kann, auch mal eine längere Strecke durchzugaloppieren, mit der Qualität der ersten Sprünge. Dranbleiben.

Dann findet das Pferd auch die Balance in der Bewegung. Weil die Vorarbeit stimmt.

Reite ich von Anfang auf Teufel komm raus Galopp, bringt das dem pferd nix. Bleibe ich auf dem "Umweg" über die Galoppübergänge stecken, wird das Pferd auch nicht lernen, durchzugaloppieren.

Ich wähle meist den Mittelweg. Und pauschalisieren kann man das doch eh nie. In dem einen Trainingsausschnitt benötigt das Pferd ev. mehr Ruhe und Arbeit in der Balance. Ein paar Tage später sitzt das gut, dann ist es sinnvoll, das in der Bewegung zu fordern.

Aber generell ist mein Fokus auf die Bewegung gelegt. Da mir das Risiko der Handreiterei hier minimiert erscheint (für mich selbst).

Denn wer kann von sich behaupten, wenn man sehr viel im Schritt und an der Balance arbeitet, dass das Pferd trotzdem vor dem Schenkel und am Gebiss ist? Über den Rücken? Ich kann das nicht. :wink: Da hilft mir immer wieder ein frisches vorwärts, einfach ein Mittelweg eben.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 15:58
von Muriel
Hi,
ich habe das mal wirklich explizit ausprobiert, nachdem ich das Kerbrech-Buch gelesen habe.

Mein Pony ist generell sehr gerne vorlastig und läuft in den Boden hinein.
Im Halten kann ich seine Balance über dem Boden nach hinten verschieben, indem ich den Hals hebe, das Pferd die Schultern hebt und sich insgesamt etwas über den Hufen mit dem Körper nach hinten verschiebt.
Wenn ich aus dieser Balance im Stehen von hinten aktiviert anreite, ergibt sich eine völlig andere Gleichgewichtssituation gegenüber der, wenn ich "einfach so" losreite, das Pferd beginnt sich nach vorne zu schieben, und dann den ersten Schritt tut um nicht vorneüber zu fallen.
Aus diesem vorlastigen Schritt kann ich ihn auch durch sehr viel nachtreiben nicht mehr herausholen.
ein Videobeispiel dazu:

In dem Moment wo ich merke dass die Kraft nachlässt, um die gute Balance im Schritt zu halten, halte ich wieder an, gebe dem Pferd die Möglichkeit sich neu auszubalancieren und reite wieder an.

Ebenso im Trab, also Trab - Halten - Balance wiederherstellen - antraben.
So ist dann theoretisch von vorneherein jeder Trabtritt in guter Balance, was für das Pferd wiederum eine völlig andere Bewegungsgrundlage sein kann, ebenso im Galopp.

Stellt man sich jetzt ein Pferd vor, das von einem sehr guten Reiter (der ich nicht bin) so geritten wird, ist es also in jedem Zeitpunkt, wo es in Bewegung ist, in guter Balance. Der Reiter wird spüren wenn das Pferd aus der Balance kommt und wieder einen oder mehrere Gänge zurückschalten.
Mit der Zeit verlängert sich dann auch die Zeit, in der man in Bewegung ist. :D
ich habe das damals mal schwerpunktmässig 2 Wochen lang durchgezogen, hat uns enorm weitergebracht.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 16:04
von Josatianma
ich habe das damals mal schwerpunktmässig 2 Wochen lang durchgezogen, hat uns enorm weitergebracht.
Und was hast du dann gemacht?? 8) War die Balance dann soweit gefestigt, daß du nur noch in Bewegung arbeiten konntest?

Verfasst: So, 01. Nov 2009 16:13
von Muriel
nö gefestigt nicht, aber wesentlich stabiler.
Dann haben wir an anderen Baustellen gearbeitet. 8)

Insgesamt wurde aber dem Pferd auch die Möglichkeit klarer, sich auch in der Bewegung in der Balance verschieben zu lassen. Er wurde reaktiver und leichter. :D
Vielleicht habe ich es deshalb danach nicht mehr so eksessiv gemacht.

Aber ich bekam eine Idee davon, wie Baucher es geschafft hat, innerhalb von vier Wochen ein Pferd sehr weit zu bringen. Denn wenn man in jedem Moment die perfekte Balance hat ist alles andere ein Kinderspiel.
Für einen guten Reiter, wohlgemerkt.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 17:59
von Muriel
Hihi,
gerade im Vorbeilaufen aus der Reithalle gehört:
"Lange Seite Schulterherein, und wenn das Pferd nach vorne davonfällt, anhalten".

Reitkurs Ruth Giffels. :D

Verfasst: So, 01. Nov 2009 18:23
von ottilie
Balance heisst für mich, das Pferd ist aufgerichtet (angehobener Widerrist), trägt sich selbst und steht zwischen Zügeln und Schenkeln und ist "am Kreuz", so daß ich jederzeit mit möglichst wenig Aufwand beeinflussen kann, wann welcher Huf wohin fusst.
Soweit die Theorie :roll:
Sunknúni hat geschrieben:Persönlich fehlt mir da das Vorwärts
Oft ist es nicht mehr das VORWÄRTS, das fehlt, sondern der Schwung/Gummi/Impuls - mein Empfinden. Oder natürlich auch alles zusammen. Und wenn wir nicht in Schönheit gestorben sind, ...
Josa hat geschrieben:Aber hieße das dann nicht, daß alle Pferde, die nicht nach diesem Prinzip geritten werden sich ohne Balance bewegen
Ich denke, es gibt Leute, die das durchaus so beurteilen würden.
Josa hat geschrieben:Und warum muß ich die Bewegung beenden, um die Balance herzustellen?
Weil das Pferd dann eben nicht mehr in der Balance ist, sondern sich anderweitig ausbalanciert - zum Beispiel über den Zügel.
Emproada hat geschrieben:Aber wie soll denn Balance in der Bewegung zustande kommen, wenn ich Bewegung nie übe?!
Doch - man übt ja. Und kommt immer einen Schritt weiter. Und noch einen Schritt. Und noch einen Schritt... das ist ja das Verflixte, daß man eben grade am Anfang immens Zeit für "quasi nichtstun" investieren muß.

@Muriel - gut erklärt *unterschreibt*

Ich sehe es allerdings auch so, daß es ganz ganz schwer ist, nur über die Balance zu reiten (weil ich eben nicht gut genug bin, das auch konsequent zu fordern und zu fördern), und wechsle daher auch immer ab (sprich ich lasse einen Balanceverlust zu, um andere Dinge zu erarbeiten, oder reite mal vorwärts) und versuche einen Mittelweg zu finden, der das Pferd nicht völlig durcheinanderbringt.

Und - ohne hier jemandem zu nahe treten zu wollen, bitte nicht falsch verstehen - ich bin nach wie vor der Ansicht, wer hier nicht ganz explizit und persönlich erklärt bekommen hat, um was es geht, wird dies aus Büchern nicht nachvollziehen oder nachreiten können. Das ist ja grade die ganz große Crux an der Sache. Und deswegen wurde Racinet auch so oft mißverstanden, weil die Leute überhaupt nicht gewusst/geahnt/gecheckt haben, auf was er raus will.

Verfasst: So, 01. Nov 2009 18:28
von Muriel
ottilie hat geschrieben:wer hier nicht ganz explizit und persönlich erklärt bekommen hat, um was es geht, wird dies aus Büchern nicht nachvollziehen oder nachreiten können. Das ist ja grade die ganz große Crux an der Sache. Und deswegen wurde Racinet auch so oft mißverstanden, weil die Leute überhaupt nicht gewusst/geahnt/gecheckt haben, auf was er raus will.
Noch mehr - wer es nicht gefühlt hat, wird es auch nicht verstehen können wie gross der Unterschied zwischen einem in sich ausbalanciertem Pferd und einem, das über die Hilfen/Bewegung ausbalanciert wurde, ist.