"Nieder mit PK": Wie niedrig ist Augenhöhe?
Verfasst: Di, 30. Mär 2010 08:22
"Nieder mit Philippe Karl" oder: Wie niedrig ist Augenhöhe?
Die Auseinandersetzung der deutschen Reiterwelt mit der Legèrité hat mit der Ausgabe der Piaffe 1/2010 einen neuen intellektuellen Tiefpunkt erreicht. Das „Magazin und Forum für die klassische Reitkunst“ liefert ein geradezu klassisches Beispiel von Meinungsmache in Boulevard-Stil. Doch der Reihe nach.
Zur Einstimmung liefert Chefredakteur Jürgen Kemmler eine krass tendenziöse Darstellung der Veranstaltung „Das Pferd der beste Richter“ vom 21.11.2009 in Verden. Denn tendenziös ist es doch wohl, eine Vorführung, die mit stehenden Ovationen bedacht wurde, den Lesern als "ein kleines Waterloo" für Philippe Karl zu verkaufen. Tendenziös ist es, den Zuschauerschwund zum Ende hin als Indiz der Enttäuschung heranzuziehen, ohne zu erwähnen, dass die Veranstaltung um zwei Stunden überzogen hatte - es gibt Leute, die ihren Babysitter auslösen müssen. Tendenziös bis zur Albernheit ist es zu resümieren: "Dr. Gerd Heuschmann wollte informieren. Monsieur Karl wollte inszenieren und imponieren" - einige Absätze zuvor aber die "Langatmigkeit der Erklärungen" in Philippe Karls Theorievortrag zu beklagen. Reine Propaganda ist endlich die Behauptung, "Viele Fragen blieben leider unbeantwortet". Als Augenzeuge sage ich: Tatsächlich wurde während der gesamten Veranstaltung nicht eine einzige Frage direkt aus dem Publikum an Herrn Karl gestellt!
Da raunt der Chefredakteur lieber von "vielen Experten", denen das Aha-Erlebnis ausgeblieben sei, ohne dass wir eine einzige Andeutung erhalten, wer hier was zu kritisieren hatte. Ich wäre sehr interessiert gewesen - und ich meine wirklich interessiert - die Expertise dieser Fachleute in der Piaffe nachzulesen.
Stattdessen wird das "Top-Thema" Legèrité von Eberhard Hübener bestritten. Herr Hübener war anscheinend nicht in Verden. Er hat auch die Bücher von Philippe Karl nicht gelesen - jedenfalls tauchen sie im Literaturverzeichnis nicht auf. Herr Hübener nimmt auch keinen Bezug auf sie. Dafür verweist er nicht weniger als elf Mal auf eigene Veröffentlichungen. Das hält die Argumentation schlicht:
1. "Nicht die Hand, sondern der Balancesitz..." ist "die wichtigste Einwirkung des Reiters." Weil ohne Balancesitz "die Hände jede Erschütterung die der Reiter durch Bewegungen des Pferderückens erfährt, an das höchst empfindliche Pferdemaul weitergeben..." Na bravo! Hat denn Freizeitreiter Hübener sich nicht einmal zwei bis drei Stunden besonnen? Hätte ihm da nicht einfallen müssen, dass diese Erkenntnis möglicherweise auch schon bis nach Frankreich vorgedrungen ist? Und dass ein Ecuyer des Cadre Noir doch wohl kaum die Bedeutung eines guten Sitzes leugnen wird? Wenn Hübener dann noch die Prinzipien der Legèrité auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, wäre ihm unter Umständen aufgefallen, dass an diesem Punkt die Diskussion selbstverständlich überhaupt erst anfängt: Was tut der Reiter, der Sitzen gelernt hat, mit seinen Händen? Was tut er mit ihnen vor allem in der Ausbildung des Pferdes?
2. "Das z.Zt. wieder eifrig propagierte starke seitliche Biegen des Pferdehalses ... Für die Gymnastizierung brauchen wir es nicht". Weil, ja weil: "In freier Wildbahn wendet das Pferd den Kopf in der Fortbewegung nie nach hinten! Da das Pferd über eine umfassende Rundumsicht verfügt, braucht es sich nicht umzusehen. In der Natur kann von starker, seitlicher Biegung des Pferdehalses keine Rede sein." Wie?! Das Pferd sieht sich nicht um? Ich weiß nicht, welche Spezies der Verteidiger der "Klassischen Lehre" in welcher Bahn beobachtet hat, aber die Exemplare des equus ferus caballus auf unserer Koppel schauen sich alle Tage um. Und zwar tun sie das, weil sie nur im circa 70 Grad weiten Binokularfeld scharf und räumlich sehen können; und sie tun das auch in der Bewegung. Auf der Koppel, wenn die Pferde sich jagen, sehen sie sich um nach dem Gegner und biegen den Hals; die Hälse werden gebogen - und zwar erstaunlich stark -, wenn die Pferde enge Wendungen laufen, wenn sie sich herumwerfen, schnappen, ausweichen. Und wie begründet Philippe Karl die Biegearbeit? Dazu natürlich kein Wort! Kein Wort auch dazu, dass die preußische Reitinstruktion von 1887 ein Biegen des Pferdehalses vorschrieb, bis das Pferd sich vollständig umsah; kein Wort davon, dass der legendäre Peter Spohr die "Handarbeit im Stall" dem Reiter ans Herz legte. Wo bleibt denn da die deutsche Reittradition, Herr Hübener?
3. "Das junge Pferd sollte etwa ein Jahr - solange sich seine Rumpfstrecker und Rumpfbeuger entwickeln - ausschließlich im leichten Sitz vorwärts-abwärts geritten werden...Es geht hier nicht um Body Building, wie da kürzlich von einem französischen Reitersmann behauptet wurde. Es geht vielmehr darum, dass der Rücken des jungen Pferdes zum Tragen des Reitergewichtes befähigt wird..." Da ist der Rabulist wahrhaftig in Hochform! Das kritische Wort gegen die Kraftreiterei und Kilometerrennerei fälscht er um, als wolle Philippe Karl die schonende Gymnastizierung der Jungpferde mit "Tricks" abkürzen.
Philippe Karl? Er ist der Gottseibeiuns. Eberhard Hübener bekommt es fertig, dem Leser seine Vorurteile über die Legèrité auszubreiten, ohne den Namen Philippe Karl auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Dieser ist höchstens „ein französischer Reitersmann“, wird einsortiert unter „all diesen Heilsbringern“ und am Ende versteigt der Eiferer sich zu der Aussage, ihm würde bei dem Gedanken an die Folgen dieser Reitweise „speiübel“. Da kommt es zu Tage, das nackte, peinliche Ressentiment. Bei der deutschen Kavallerie, auf deren Erbe Herr Hübener sich gerne beruft, wäre ein solcher Stil verpönt gewesen.
Da ist die Larmoyanz Gerd Heuschmanns geradezu erholsam. „Betroffen und sprachlos“ sieht er sich der scharfen Kritik Philippe Karls ausgesetzt. Er wolle sich doch nur austauschen, diskutieren, lernen. Das Beharren des Propheten der Legèrité auf der Richtigkeit seines Konzeptes sei „maßlose Selbstüberschätzung“. „Ich versteh das alles nicht.“ Versteht er es wirklich nicht? Monate lang lobt Gerd Heuschmann die Legèrité geradezu überschwänglich, besucht die Stallungen des Meisters, Lehrgänge, sieht die Ausbilder und die Pferde, will mit Philippe Karl die Opposition gegen die FN bilden – und in Verden fällt ihm vor 3000 Zuschauern auf einmal auf, dass das alles nicht taugt? Herr Karl war in Verden nicht der einzige, der dachte: „Heuschmann ist umgefallen.“ Philipp Karl hat Bücher veröffentlicht, Artikel geschrieben, hält Vorträge, Seminare, in denen er mit wissenschaftlicher Präzision, anhand von Anatomie, Bewegungsstudien und Tierpsychologie, seine Kritik am Ausbildungssysten der FN darlegt. Versteht Herr Heuschmann wirklich nicht, dass ein Gespräch hierüber nicht geführt werden kann mit einem bloßen Machtspruch wie: Fehlentwicklungen in der Reiterei hätten „nichts, aber auch gar nichts, mit dem Gedankengut der Klassischen Reitlehre der FN in Wahrendorf“ zu tun?
Die Herausgeberin der Piaffe, Frau Sonntag, spricht am Ende davon, dass bei dem Streit um den richtigen Ausbildungsweg alle den „Reset-Knopf “ drücken und „vorgefasste Meinungen“ weglassen sollten. Zu schnell würde „dem Gesprächspartner mangelnde Kompetenz unterstellt oder quasi aus der Ferne zugerufen.“ „Ich plädiere sehr dafür, etwas mehr Demut einkehren zu lassen und einen respektvolleren Umgang und eine Begegnung auf Augenhöhe zu pflegen und vor allem das eigene Ausbildungsprogramm nicht als das Einzig Wahre zu promoten“; sonst entstehe eine „Lawine der Missachtung, ausgelöst durch die eigene Ignoranz, die den Selbstherrlichen am Ende überrollt.“
Aus der Wortwahl und dem Tenor des gesamten Heftes geht ziemlich klar hervor, dass hier vor allem Einer sich mehr „Demut“ aneignen soll: Der Verfechter der Legèrité. Die Autoren der Piaffe hätten die Gelegenheit gehabt, sich mit den Lehren Philippe Karls mit wissenschaftlicher Methodik, „auf Augenhöhe“, auseinanderzusetzen. Niemand hinderte sie daran, z.B. die Verkleinerung der Stützfläche in der Vorwärtsbewegung des versammelten Pferdes gegen Philippe Karl mittels Bewegungsstudien zu beweisen. Bewiesen wurde in diesem Heft aber nur, dass es in Deutschland niemanden gibt, der die Analysen in „Irrwege der modernen Dressur“ widerlegen kann. Stattdessen werden Beweisführungen des Kontrahenten in bloße Meinungen umgefälscht, gegen die man eigenes Dafürhalten und allerlei Sophismen ungeniert auffährt, getreu dem Motto der Frau Sonntag: „Das Denken mit dem Herzen ist der Schüssel“. Wenn einer über derlei sentimentalen Schmuh nur lachen kann, wird wortreich über Hochmut gejammert.
[i]Dacht' ich's doch! Wissen sie nicht Vernünftiges mehr zu erwidern,
Schieben sie's Einem geschwind in das Gewissen hinein. (Schiller)[/i]
Ein Mann, der durch intellektuelle Brillianz und Präzision hervorsticht, soll herabsteigen – bei Strafe der „Missachtung“ -, er soll die Früchte jahrzehntelanger Arbeit in Theorie und Praxis relativieren und von Anspruch der Wissenschaftlichkeit lassen, damit alle mitsprechen können, damit „Augenhöhe“ hergestellt ist. Nieder also mit Philippe Karl!
[i]Demgemäß lehren Kunst- und Literaturgeschichte durchgängig, dass die höchsten Leistungen des menschlichen Geistes in der Regel mit Ungunst aufgenommen werden... Dies alles nun aber beruht im letzten Grunde darauf, dass jeder eigentlich nur das ihm Homogene verstehn und schätzen kann. Nun ist aber dem Platten das Platte, dem Gemeinen das Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das Unsinnige homogen, und am besten gefallen jedem seine eigenen Werke, als welche ihm durchaus homogen sind...
Zu dieser intellektuellen Unfähigkeit der Menschen, in Folge welcher das Vortreffliche, wie Goethe sagt, noch seltener erkannt und geschätzt als gefunden wird, gesellt sich nun, hier wie überall, auch noch die moralische Schlechtigkeit derselben, und zwar als Neid auftretend. Durch den Ruhm nämlich, den einer erwirbt, wird abermals einer mehr über alle seiner Art erhoben: diese werden also um eben so viel herabgesetzt, so dass jedes ausgezeichnete Verdienst seinen Ruhm auf Kosten derer erlangt, die keines haben. Hieraus erklärt sich, dass, in welcher Gattung auch immer das Vortreffliche auftreten mag, sogleich die gesamte so zahlreiche Mittelmäßigkeit verbündet und verschworen ist, es nicht gelten zu lassen, ja womöglich zu ersticken. Ihre heimliche Parole ist: Nieder mit dem Verdienst! (Schopenhauer)
[/i]
Rainer Pehlke
Die Auseinandersetzung der deutschen Reiterwelt mit der Legèrité hat mit der Ausgabe der Piaffe 1/2010 einen neuen intellektuellen Tiefpunkt erreicht. Das „Magazin und Forum für die klassische Reitkunst“ liefert ein geradezu klassisches Beispiel von Meinungsmache in Boulevard-Stil. Doch der Reihe nach.
Zur Einstimmung liefert Chefredakteur Jürgen Kemmler eine krass tendenziöse Darstellung der Veranstaltung „Das Pferd der beste Richter“ vom 21.11.2009 in Verden. Denn tendenziös ist es doch wohl, eine Vorführung, die mit stehenden Ovationen bedacht wurde, den Lesern als "ein kleines Waterloo" für Philippe Karl zu verkaufen. Tendenziös ist es, den Zuschauerschwund zum Ende hin als Indiz der Enttäuschung heranzuziehen, ohne zu erwähnen, dass die Veranstaltung um zwei Stunden überzogen hatte - es gibt Leute, die ihren Babysitter auslösen müssen. Tendenziös bis zur Albernheit ist es zu resümieren: "Dr. Gerd Heuschmann wollte informieren. Monsieur Karl wollte inszenieren und imponieren" - einige Absätze zuvor aber die "Langatmigkeit der Erklärungen" in Philippe Karls Theorievortrag zu beklagen. Reine Propaganda ist endlich die Behauptung, "Viele Fragen blieben leider unbeantwortet". Als Augenzeuge sage ich: Tatsächlich wurde während der gesamten Veranstaltung nicht eine einzige Frage direkt aus dem Publikum an Herrn Karl gestellt!
Da raunt der Chefredakteur lieber von "vielen Experten", denen das Aha-Erlebnis ausgeblieben sei, ohne dass wir eine einzige Andeutung erhalten, wer hier was zu kritisieren hatte. Ich wäre sehr interessiert gewesen - und ich meine wirklich interessiert - die Expertise dieser Fachleute in der Piaffe nachzulesen.
Stattdessen wird das "Top-Thema" Legèrité von Eberhard Hübener bestritten. Herr Hübener war anscheinend nicht in Verden. Er hat auch die Bücher von Philippe Karl nicht gelesen - jedenfalls tauchen sie im Literaturverzeichnis nicht auf. Herr Hübener nimmt auch keinen Bezug auf sie. Dafür verweist er nicht weniger als elf Mal auf eigene Veröffentlichungen. Das hält die Argumentation schlicht:
1. "Nicht die Hand, sondern der Balancesitz..." ist "die wichtigste Einwirkung des Reiters." Weil ohne Balancesitz "die Hände jede Erschütterung die der Reiter durch Bewegungen des Pferderückens erfährt, an das höchst empfindliche Pferdemaul weitergeben..." Na bravo! Hat denn Freizeitreiter Hübener sich nicht einmal zwei bis drei Stunden besonnen? Hätte ihm da nicht einfallen müssen, dass diese Erkenntnis möglicherweise auch schon bis nach Frankreich vorgedrungen ist? Und dass ein Ecuyer des Cadre Noir doch wohl kaum die Bedeutung eines guten Sitzes leugnen wird? Wenn Hübener dann noch die Prinzipien der Legèrité auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, wäre ihm unter Umständen aufgefallen, dass an diesem Punkt die Diskussion selbstverständlich überhaupt erst anfängt: Was tut der Reiter, der Sitzen gelernt hat, mit seinen Händen? Was tut er mit ihnen vor allem in der Ausbildung des Pferdes?
2. "Das z.Zt. wieder eifrig propagierte starke seitliche Biegen des Pferdehalses ... Für die Gymnastizierung brauchen wir es nicht". Weil, ja weil: "In freier Wildbahn wendet das Pferd den Kopf in der Fortbewegung nie nach hinten! Da das Pferd über eine umfassende Rundumsicht verfügt, braucht es sich nicht umzusehen. In der Natur kann von starker, seitlicher Biegung des Pferdehalses keine Rede sein." Wie?! Das Pferd sieht sich nicht um? Ich weiß nicht, welche Spezies der Verteidiger der "Klassischen Lehre" in welcher Bahn beobachtet hat, aber die Exemplare des equus ferus caballus auf unserer Koppel schauen sich alle Tage um. Und zwar tun sie das, weil sie nur im circa 70 Grad weiten Binokularfeld scharf und räumlich sehen können; und sie tun das auch in der Bewegung. Auf der Koppel, wenn die Pferde sich jagen, sehen sie sich um nach dem Gegner und biegen den Hals; die Hälse werden gebogen - und zwar erstaunlich stark -, wenn die Pferde enge Wendungen laufen, wenn sie sich herumwerfen, schnappen, ausweichen. Und wie begründet Philippe Karl die Biegearbeit? Dazu natürlich kein Wort! Kein Wort auch dazu, dass die preußische Reitinstruktion von 1887 ein Biegen des Pferdehalses vorschrieb, bis das Pferd sich vollständig umsah; kein Wort davon, dass der legendäre Peter Spohr die "Handarbeit im Stall" dem Reiter ans Herz legte. Wo bleibt denn da die deutsche Reittradition, Herr Hübener?
3. "Das junge Pferd sollte etwa ein Jahr - solange sich seine Rumpfstrecker und Rumpfbeuger entwickeln - ausschließlich im leichten Sitz vorwärts-abwärts geritten werden...Es geht hier nicht um Body Building, wie da kürzlich von einem französischen Reitersmann behauptet wurde. Es geht vielmehr darum, dass der Rücken des jungen Pferdes zum Tragen des Reitergewichtes befähigt wird..." Da ist der Rabulist wahrhaftig in Hochform! Das kritische Wort gegen die Kraftreiterei und Kilometerrennerei fälscht er um, als wolle Philippe Karl die schonende Gymnastizierung der Jungpferde mit "Tricks" abkürzen.
Philippe Karl? Er ist der Gottseibeiuns. Eberhard Hübener bekommt es fertig, dem Leser seine Vorurteile über die Legèrité auszubreiten, ohne den Namen Philippe Karl auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Dieser ist höchstens „ein französischer Reitersmann“, wird einsortiert unter „all diesen Heilsbringern“ und am Ende versteigt der Eiferer sich zu der Aussage, ihm würde bei dem Gedanken an die Folgen dieser Reitweise „speiübel“. Da kommt es zu Tage, das nackte, peinliche Ressentiment. Bei der deutschen Kavallerie, auf deren Erbe Herr Hübener sich gerne beruft, wäre ein solcher Stil verpönt gewesen.
Da ist die Larmoyanz Gerd Heuschmanns geradezu erholsam. „Betroffen und sprachlos“ sieht er sich der scharfen Kritik Philippe Karls ausgesetzt. Er wolle sich doch nur austauschen, diskutieren, lernen. Das Beharren des Propheten der Legèrité auf der Richtigkeit seines Konzeptes sei „maßlose Selbstüberschätzung“. „Ich versteh das alles nicht.“ Versteht er es wirklich nicht? Monate lang lobt Gerd Heuschmann die Legèrité geradezu überschwänglich, besucht die Stallungen des Meisters, Lehrgänge, sieht die Ausbilder und die Pferde, will mit Philippe Karl die Opposition gegen die FN bilden – und in Verden fällt ihm vor 3000 Zuschauern auf einmal auf, dass das alles nicht taugt? Herr Karl war in Verden nicht der einzige, der dachte: „Heuschmann ist umgefallen.“ Philipp Karl hat Bücher veröffentlicht, Artikel geschrieben, hält Vorträge, Seminare, in denen er mit wissenschaftlicher Präzision, anhand von Anatomie, Bewegungsstudien und Tierpsychologie, seine Kritik am Ausbildungssysten der FN darlegt. Versteht Herr Heuschmann wirklich nicht, dass ein Gespräch hierüber nicht geführt werden kann mit einem bloßen Machtspruch wie: Fehlentwicklungen in der Reiterei hätten „nichts, aber auch gar nichts, mit dem Gedankengut der Klassischen Reitlehre der FN in Wahrendorf“ zu tun?
Die Herausgeberin der Piaffe, Frau Sonntag, spricht am Ende davon, dass bei dem Streit um den richtigen Ausbildungsweg alle den „Reset-Knopf “ drücken und „vorgefasste Meinungen“ weglassen sollten. Zu schnell würde „dem Gesprächspartner mangelnde Kompetenz unterstellt oder quasi aus der Ferne zugerufen.“ „Ich plädiere sehr dafür, etwas mehr Demut einkehren zu lassen und einen respektvolleren Umgang und eine Begegnung auf Augenhöhe zu pflegen und vor allem das eigene Ausbildungsprogramm nicht als das Einzig Wahre zu promoten“; sonst entstehe eine „Lawine der Missachtung, ausgelöst durch die eigene Ignoranz, die den Selbstherrlichen am Ende überrollt.“
Aus der Wortwahl und dem Tenor des gesamten Heftes geht ziemlich klar hervor, dass hier vor allem Einer sich mehr „Demut“ aneignen soll: Der Verfechter der Legèrité. Die Autoren der Piaffe hätten die Gelegenheit gehabt, sich mit den Lehren Philippe Karls mit wissenschaftlicher Methodik, „auf Augenhöhe“, auseinanderzusetzen. Niemand hinderte sie daran, z.B. die Verkleinerung der Stützfläche in der Vorwärtsbewegung des versammelten Pferdes gegen Philippe Karl mittels Bewegungsstudien zu beweisen. Bewiesen wurde in diesem Heft aber nur, dass es in Deutschland niemanden gibt, der die Analysen in „Irrwege der modernen Dressur“ widerlegen kann. Stattdessen werden Beweisführungen des Kontrahenten in bloße Meinungen umgefälscht, gegen die man eigenes Dafürhalten und allerlei Sophismen ungeniert auffährt, getreu dem Motto der Frau Sonntag: „Das Denken mit dem Herzen ist der Schüssel“. Wenn einer über derlei sentimentalen Schmuh nur lachen kann, wird wortreich über Hochmut gejammert.
[i]Dacht' ich's doch! Wissen sie nicht Vernünftiges mehr zu erwidern,
Schieben sie's Einem geschwind in das Gewissen hinein. (Schiller)[/i]
Ein Mann, der durch intellektuelle Brillianz und Präzision hervorsticht, soll herabsteigen – bei Strafe der „Missachtung“ -, er soll die Früchte jahrzehntelanger Arbeit in Theorie und Praxis relativieren und von Anspruch der Wissenschaftlichkeit lassen, damit alle mitsprechen können, damit „Augenhöhe“ hergestellt ist. Nieder also mit Philippe Karl!
[i]Demgemäß lehren Kunst- und Literaturgeschichte durchgängig, dass die höchsten Leistungen des menschlichen Geistes in der Regel mit Ungunst aufgenommen werden... Dies alles nun aber beruht im letzten Grunde darauf, dass jeder eigentlich nur das ihm Homogene verstehn und schätzen kann. Nun ist aber dem Platten das Platte, dem Gemeinen das Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das Unsinnige homogen, und am besten gefallen jedem seine eigenen Werke, als welche ihm durchaus homogen sind...
Zu dieser intellektuellen Unfähigkeit der Menschen, in Folge welcher das Vortreffliche, wie Goethe sagt, noch seltener erkannt und geschätzt als gefunden wird, gesellt sich nun, hier wie überall, auch noch die moralische Schlechtigkeit derselben, und zwar als Neid auftretend. Durch den Ruhm nämlich, den einer erwirbt, wird abermals einer mehr über alle seiner Art erhoben: diese werden also um eben so viel herabgesetzt, so dass jedes ausgezeichnete Verdienst seinen Ruhm auf Kosten derer erlangt, die keines haben. Hieraus erklärt sich, dass, in welcher Gattung auch immer das Vortreffliche auftreten mag, sogleich die gesamte so zahlreiche Mittelmäßigkeit verbündet und verschworen ist, es nicht gelten zu lassen, ja womöglich zu ersticken. Ihre heimliche Parole ist: Nieder mit dem Verdienst! (Schopenhauer)
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Rainer Pehlke