Schulterherein ab wann?

Rund um die klassische Reitkunst

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Gawan
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Schulterherein ab wann?

Beitrag von Gawan »

Bei einem Gespräch mit einer Reitkollegin kam die Frage auf, ab wann man mit einem Pferd das Schulterherein üben kann / soll. Was spricht dafür, schon früh mit dem Schulterherein anzufangen, was dagegen? Oder anders formuliert: Muss sich ein Pferd schon versammeln können, bevor man ans Schulterherein geht, oder ist das Schulterherein ein Mittel, dem Pferd die Versammlung nahezubringen?
(Ich setze jetzt mal voraus, dass der Reiter kein blutiger Anfänger ist, und auf ausgebildeten Pferden gelernt hat, wie ein Schulterherein sich anfühlt und zu reiten ist.)

Tanja Xezal

PS: Bitte keine endlosen Diskussionen, welcher Reitstil das Schulterherein nun richtig bzw. falsch anwendet. Es geht mir bei meiner Frage um biomechanische und "didaktische" Überlegungen, nicht um die "richtige Ideologie".
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

SH soll das innere Hinterbein verstärkt zum Tragen bringen und ist damit eines der Mittel, um die Versammlung zu fördern.

Wenn das Pferd auf einem exakt gerittenen Zirkel im Trab in korrekter Biegung und korrekter Belastung des jeweils inneren Hinterbeins (viele Pferde laufen über das Hinterbein oder über die Schulter weg) mühelos taktrein und fließend läuft und 10 Meter Trab-Volten in genau dieser Art ohne Schwungverlust funktionieren, dann kann meiner Meinung nach mit Trab-SH begonnen werden. Mitunter kann es sinnvoll sein, einem Pferd zuerst das SH im Schritt nahezubringen, manche Pferde tun sich aber im Trab leichter, weil die Fußfolge nicht so komplex ist wie im Schritt.

Mögliche Vorgehensweise: Volte in der Ecke, daraus einige wenige Tritte SH, wieder geradestellen und den möglicherweise etwas verlorenen Schwung auf gerader Linie wiederherstellen. Danach wieder Volte und einige Tritte SH. Das ist anstrengend für die Pferde und sollte anfangs nicht übertrieben werden. Eine weitere mögliche Korrektur gegen Schwung- oder Stellungsverlust ist das erneute Abwenden auf eine Volte. Auf keinen Fall sollte in zu frühem Stadium während des SH korrigiert werden. (Das wäre jetzt eine Vorgehensweise nach "deutscher" Lehre, mit der ich bisher immer sehr gut gefahren bin).
Viele Grüße
Sabine
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Klara
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Beitrag von Klara »

Im Schritt fällt uns das SH sehr viel leichter. Die Voraussetzungen hat Max ja schon beschrieben. Ohne grundsätzliches Führenlassen wird es schwierig. Wir haben ganze Bahn begonnen und danach SH auf dem Zirkel abgefragt. Auch das stellte sich erst als schwierig heraus. Hier kann man dann sehen, wie weit es mit dem Führenlassen tatsächlich ist. :wink: Nun versuchen wir uns mit dem SH im Trabe. Das klappt noch nicht wirklich. Ich hoffe doch aber, dass ich auch da "bald" positiv berichten kann. :P
LG
Maren
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horsman
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Beitrag von horsman »

Wenn man kann, kann man das Einüben von SH schon in der Anlongier- und Anreitphase an der Hand mit dazu nehmen. Wenige Tritte selbstverständlich und erst A, dann B, usw. Brauchbare Vorübung wäre Übertreten auf einer Volte. Muss man aber Wissen und Gefühl für haben, was geht und wenn was nicht geht, wie man Schritt für Schritt dahin kommt. Kein Kampf - logisch !

Reagiert das Pferd dann nach dem korrekten Anreiten gut auf den treibenden Schenkel und lässt sich damit gut vorwärts schicken, klemmt also nicht und nimmt leichten Zügelkontakt und lässt sich gut abwenden, geht im Trab einen runden Zirkel, kann man, wenn man kann, Konter-SH und später SH alsbald dazu nehmen. Selbstverständlich sind die ersten SH-Übungen noch kein lehrbuchmäßig korrektes SH, aber nach einigen Wochen wird´s dann peu a peu. Immer nur wenige Tritte, zuerst immer im Schritt, loben und wiederholen usw.

la Gueriniere sagt: SH ist die erste und die letzte Übung. Will heißen, sie zieht sich vom Anfang der Ausbildung bis zu Ende der Reitkarriere des Pferdes (mit 28 :wink: ) als wichtige Übung durch.

Meines Erachtens erarbeitet man sich mit dieser Übung "Versammlungsfähigkeit", sodass man nicht erst "versammeln" sollte und danach mit SH anfangen würde. Aber da gibt es sicherlich auch andere Sichtweisen und Vorgehensweisen.

In den Dressurstudien gab es mal dieses Thema (mal 3-4 jahren?), wo unterschiedliche Leute ihre Erfahrung und Meinung dazu geäußert hatten.
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Firli
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Beitrag von Firli »

Bei meinem Jungpferd habe ich (unter Anleitung meiner RL) unter dem Sattel mit dem Schultervor begonnen, als sie etwa dreiviertel Jahr dressurmässig gearbeitet wurde (vorher noch einige Monate nur im Gelände geradeaus). Vom Boden aus kannte sie das Schulterherein schon gut.

Für meine RL waren das die Voraussetzungen, um das Schultervor unter dem Sattel beginnen zu können:
- Verständnis der "Bremse" über den Sitz
- Verständnis der biegenden Hilfen
- Verständnis der seitwärtstreibenden Hilfen
- Weitgehend alle Bahnfiguren im Schritt losgelassen und ohne Taktprobleme in einigermassen konstanter Anlehnung.

Wenn das alles gegeben war, dann war es auch wirklich möglich, so ein Schultervor im Schritt zusammenzusetzen, das von Anfang an mehrheitlich korrekt war, wenn auch noch etwas wackelig (also mal zuviel Abstellung, mal Biegungsverlust, mal mit Taktverlust oder Spannung, aber immer sofort korrigierbar).

Da mein Pferd nicht immer gleich gut drauf ist, und ich nicht immer gleich gut reite, sind natürlich die Voraussetzungen nicht immer gleich gut. Es lohnt sich, so bin ich überzeugt, da nichts zu forcieren, sondern an den Grundlagen zu arbeiten, und nur dann am Schulterherein/Schultervor zu arbeiten, wenn der Rest geht. Nur wenn das erfüllt ist, hat das Schultervor auch positive Wirkungen, sonst ist das einfach ein Gebastel.

Ah ja, zunächst im Schritt, weil da (für uns) die oben genannten Voraussetzungen einfacher zu erfüllen sind. Und ja, ansonten traben und galoppieren wir durchaus (also alle Gangarten von Anfang an, aber zum Erlernen neuer Dinge ist bei uns Schritt am geeignetsten).
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

Ich lese gerade das neue Buch von Kirsten Jung - sie unterscheidet darin zwischen einem "freundlichen Schulterherein", mit dem sie sehr früh beginnt und dass der ersten Geraderichtung (Schulterkontrolle) dienen soll.
Das "versammelnde Schulterherein" kommt bei ihr dann erst wesentlich später, wenn diverse Voraussetzungen (z.B. Hinterbeine treten gleichmäßig unter Schwerpunkt) erfüllt sind.
Fand ich für mich sehr interessant bosenders auch diese "Unterteilung" des Geraderichtens in Schulterkontrolle und Hinterhand!
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lalala

Beitrag von lalala »

Ich frage mich, warum nicht auf Schulter-vor oder Reiten-in-Stellung zurück gegriffen wird. Warum muss es denn direkt SH sein ? Sowas ähnliches wird doch wohl auch mit "freundlichem SH" gemein sein (und schon wieder die Unsitte, dass jeder neue Bezeichnungen vergibt)
skywalker

Beitrag von skywalker »

Rosana hat geschrieben:Ich lese gerade das neue Buch von Kirsten Jung - sie unterscheidet darin zwischen einem "freundlichen Schulterherein", mit dem sie sehr früh beginnt und dass der ersten Geraderichtung (Schulterkontrolle) dienen soll.
Das "versammelnde Schulterherein" kommt bei ihr dann erst wesentlich später, wenn diverse Voraussetzungen (z.B. Hinterbeine treten gleichmäßig unter Schwerpunkt) erfüllt sind.
Fand ich für mich sehr interessant bosenders auch diese "Unterteilung" des Geraderichtens in Schulterkontrolle und Hinterhand!
Wie unterscheiden sich die beiden SH-s voneinander?

Das Buch fehlt noch in meiner Bibliothek :roll:
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Firli
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Beitrag von Firli »

Ich frage mich, warum nicht auf Schulter-vor oder Reiten-in-Stellung zurück gegriffen wird. Warum muss es denn direkt SH sein ?
Ja, das finde ich auch wichtig.

Was ich in meiner Auflistung nicht erwähnt habe - bevor wir ans Schultervor dachten, war erst mal das Thema "Pferd gerade-biegen" dran, d.h. die Vorhand auf die Hinterhand einstellen. Wenn das schon nicht geht, dann muss ich nicht weitermachen wollen und Schultervor reiten wollen; Schultervor und schliesslich Schulterherein sehe ich einfach als Fortsetzung dieses Prozesses.
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Beitrag von Max1404 »

Nochmal zur Erklärung: das hier auf dem Bild verstehe ich unter einem korrekten Schulterherein. Natürlich gibt es Vorstufen und schulterhereinartige Übungen, das korrekte SH sieht aber so aus wie auf dem Bild. Um dies so korrekt ausführen zu können, benötigt man die Voraussetzungen, die ich schon weiter vorne beschrieben habe.
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Viele Grüße
Sabine
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horsman
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Beitrag von horsman »

Nunja, viele Wege führen nach Rom. Logischerweise ist das SH eines 16-jährigen voll durchtrainierten Pferdes von anderer Qualität, als das des 5-jährigen Jungsspundes.

Was mich zu dem Boldt-Foto etwas wundert: es sieht so aus, als läge das äußere Bein des Reiters beinahe weiter vorn als das innere, was ich für falsch hielte?

Und wenn man hier mal ein Lineal anlegt, von Mitte Schweifansatz zu Mitte Widerrist, dann kann man sehr schön sehen, dass man an der Wirbelsäule selbst eigentlich keine "Biegung" ablesen kann, denn der Strich diese Lineallinie ist eine fast völlig gerade Linie ist. Die "gleichmäßige" Biegung der Wirbelsäule ist also nicht wörtlich zu nehmen, aber dies Thema hatten wir auch schon mal.
Zuletzt geändert von horsman am Fr, 12. Aug 2011 10:44, insgesamt 2-mal geändert.
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Nun, vielleicht wirkt er just in diesem Moment mit dem inneren Bein ein, um das innere Hinterbein nach vorne zu holen und die Biegung zu unterstützen.

Es ging um das SH per definitionem. Und das sieht natürlich bei dem gut ausgebildeten Dressurpferd anders aus als beim Jungspund, das ist offensichtlich.
Woran jedoch soll ich mich orientieren, wenn ich ein Bild vor Augen haben möchte? An der unvollkommenen Ausführung eines jungen Pferdes, oder lieber an der Perfektion eines gut ausgebildeten?

PS: ja, man sieht, dass durch den Körper keine gleichmäßige Biegung gehen kann, das ist Fakt, und es ist müßig, darüber zu diskutieren. Was man aber hier sehr schön sehen kann ist, dass der Hals an der Schulter "festgestellt" ist und nicht fehlerhaft überbogen wurde (ein Fehler, den ich gerade vor wenigen Tagen hier im Forum auf einem Video mit einer Schülerin eines nicht ganz unumstrittenen französischen Ausbilders gesehen habe ... :wink: )
Zuletzt geändert von Max1404 am Fr, 12. Aug 2011 10:48, insgesamt 2-mal geändert.
Viele Grüße
Sabine
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Motte
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Beitrag von Motte »

Max1404 hat geschrieben:Es ging um das SH per definitionem. Und das sieht natürlich bei dem gut ausgebildeten Dressurpferd anders aus als beim Jungspund, das ist offensichtlich.
Woran jedoch soll ich mich orientieren, wenn ich ein Bild vor Augen haben möchte? An der unvollkommenen Ausführung eines jungen Pferdes, oder lieber an der Perfektion eines gut ausgebildeten?
*volleZustimmung*
Genau dieses Bild habe ich auch immer gedanklich im Kopf, wenn ich SH reiten will.

Und: SO sieht ein Hals aus :wink:
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Motte: :trink1:
Viele Grüße
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Max1404 hat geschrieben:Was man aber hier sehr schön sehen kann ist, dass der Hals an der Schulter "festgestellt" ist und nicht fehlerhaft überbogen wurde
Und genau da liegt für mich (neben dem korrekten Spuren) einer der großen Herausforderungen eines korrekten SH – in der exakten Biegung, die zudem auch noch je nach hohler und fester Seite des Pferdes etwas anders gestaltet werden sollte. Und wenn man dann noch bedenkt, dass der Reiter beim SH ggf. ständig neu positionieren muss, wird erstens klar, dass das keine "Pillepalle-Lektion" ist und – zumindest mir – zweitens klar, warum man mit einem jungen Pferd besser den Weg über das Schultervor geht…
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
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