Meine Hände machen was sie wollen - Tipps?

Rund um die klassische Reitkunst

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grisu
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Beitrag von grisu »

Cubano hat geschrieben:
(...)
Was mich interessieren würde: In den mir bekannten Reitlehren/-Büchern wird samt und sonders für die Handhaltung plädiert, die ich auch anwende und die ich hier verlinkt habe. Woher kommt denn die "Lehre von der aufrechten, mit Fingernagel sichtbaren Hand"? Ich meine mich dunkel erinnern zu können, dass die aus der französischen Ecke kommt, bin aber nicht sicher.
Diese Handhaltung kommt ganz sicher nicht aus irgendeiner Ecke, sondern entspricht einfach der Wirkung der Muskelketten, wie von S&P und esge beschrieben.

Sie wird übrigens landauf landab von FN-Reitlehrern vertreten. "Die kleinen Finger sind sich näher als die Daumen", habe ich jahrelang von meinem ehemaligen Chef gehört - der immerhin von Reitmeister Günther Festerling (FN) ausgebildet wurde. Meine jetzige RL - Meisterprüfung mit Stensbeck-Auszeichnung, erfolgreiche Ausbilderin bis Grand-Prix - sagt dasselbe.

Zu der Vermutung, in bekannten Reitlehren stünde dies nicht, ein Zitat aus der FN-"Sitzbibel" von Susanne von Dietze "Balance in der Bewegung" Ausgabe 2003 Seite 94:

" (...) Diese Muskelketten sind beim Reiten von entscheidender Bedeutung. Wenn Sie sich nochmals die die Unterarm- und Handhaltung verdeutlichen, so ist dies der Anfang des Streckmusters. Die kleinen Finger sollen sich näher stehen als die Daumen, somit ist im Körper die Auswärtsdrehung angebahnt (...)"

((Unterstreichung von mir))
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Dann empfehle ich mal einen Blick in die Richtlinien Band 1, S. 77 (Zügelhilfen). Dort ist gleich oben eine Abbildung der korrekt getragenen Hand zu sehen. Mitnichten sind dort die kleinen Finger dichter zusammen. Im Gegenteil sind es die Daumen. Von oben betrachtet ergibt sich nämlich nur so die gerade Linie Unterarm, Handgelenk, Hand. Überflüssig zu erwähnen, dass dort auch keineswegs die Fingernägel zu sehen sind.
Zuletzt geändert von Cubano am Fr, 31. Aug 2012 10:38, insgesamt 1-mal geändert.
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
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Gast

Beitrag von Gast »

Auf die Gefahr hin, daß ich gesteinigt werde:

Ihr zäumt das Pferd von der falschen Seite auf.
Vergesst die Hand!

Das ist nicht die Ursache!
Das ist lediglich ein Symptom!

Die Ursache liegt in diesem Falle erst einmal beim Pferd.

Hier wird ein junges Pferd gearbeitet.
Dieses ist jedoch noch nicht ausbalanciert.
Das dürfte noch nicht einmal seinen Takt gefunden haben.

Also heißt es, der Ausbildungsskala folgend zunächst den Takt zu erarbeiten und so das Pferd dazu zu bringen, daß es sich nach vorwärts- abwärts an das Gebiss heran dehnt.
Erst dann kann sich das Pferd loslassen und den Rücken aufwölben.

Hat das Pferd den Takt gefunden und kann sich loslassen, dürfte auch das Problem mit der Hand verschwinden.

Ohne das Pferd gesehen zu haben, würde ich dennoch vermuten, daß das Grundtempo zu hoch gewählt ist.
Also ist es ratsam, das Tempo zu veringern.
Vorwärts Reiten heißt nämlich nicht, schnell zu reiten.

Über das Tempo geritten verliert das Pferd nur sein Gleichgewicht und verspannt sich. Als Folge verspannt sich das Pferd im Rücken und der Reiter kommt nicht zum Sitzen. Also hat der Reiter eine unruhige Hand.

Weil die Hand unruhig ist, verspannt sich das Pferd um so mehr.
Weil sich das Pferd verspannt, kommt der Reiter nicht zum Sitzen ..... !
Also, runter mit dem Grundtempo!

Das kann man übrigens sehr schön an der Longe erarbeiten, da man da sehr gut beobachten kann, wie sich selbst geringste Änderungen im Grundtempo auswirken.

Hat man das ideale Tempo gefunden, beginnt der Schweif zu pendeln, das Pferd läßt den Hals fallen und wird anfangen, im Rücken zu schwingen.

Es gilt, sich dieses Tempo auch unter dem Sattel zu erarbeiten.

Das bedeutet jedoch nicht, daß das aktive Treiben aufgegeben werden darf.
Das Gegenteil ist der Fall.
Mit Treiben ist jedoch nicht das Klopfen mit den Schenkeln gemeint.
Ein aufrechter, geschmeidig der Bewegung folgender Sitz mit entsprechender Körperspannung reicht völlig aus.

Das Geheimnis liegt halt darin, daß man das Tempo durch diese eigentlich vorwärts treibende Hilfe zurück nehmen muß.
Auch ist es zwingend erforderlich, daß jeder Schritt einem Metronom gleich wie jeder anderer ausfallen muß.
Auch schon in der Lösungsphase!

Bei der Arbeit mit jungen Pferden hat sich eine breite und tiefe Zügelführung bewährt. So kann der Reiter auf unvorhergesehene plötzliche Richtungsänderungen entsprechend reagieren.
Auch kommt so der Schwerpunkt des Reiters etwas tiefer.
Das führt dazu, daß dieser sein Gleichgewicht nicht so schnell verliert.
Die Gefahr, unfreiwillig sein Pferd zu verlassen, wird so vermindert.

An diesem Punkt sei allen Deutschlehrern gesagt:
Von "Absteigen" gibt es ein Passiv!

Hinzu kommt der Nebeneffekt, daß durch das notwendige Anspannen der Armmuskulatur die Hand automatisch ruhiger wird.
Auch zeigt man dem Pferd so den Weg in die Tiefe.

Wie war das noch:
Eine tiefe Hand sorgt für ein "tiefes Pferd"!
grisu
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Beitrag von grisu »

Cubano hat geschrieben:Dann empfehle ich mal einen Blick in die Richtlinien Band 1, S. 77 (Zügelhilfen). Dort ist gleich oben eine Abbildung der korrekt getragenen Hand zu sehen. Mitnichten sind dort die kleinen Finger dichter zusammen. Im Gegenteil sind es die Daumen. Von oben betrachtet ergibt sich nämlich nur so die gerade Linie Unterarm, Handgelenk, Hand. Überflüssig zu erwähnen, dass dort auch keineswegs die Fingernägel zu sehen sind.
Wir können uns hier gerne Literatur um die Ohren hauen. Nur dass die Richtlinien in Bezug auf die funktionelle Beschreibung des Sitzes überarbeitungsbedürftig ist, sagen sogar die Autoren selbst.

Gerne aber noch ein Buchzitat aus dem Buch"Reiten als Dialog", Seite 64, von Hannes Müller (Ausbildungsleiter der Deutschen Reitschule in Warendorf) und Eckart Meyners (Veranstaltungen der FN für Sitzschulung und Dozent für Sportpädagogik an der Universität Lüneburg):

Faust

"Die kleinen Finger sind sich näher als die Daumen, die Fäuste geschlossen und unverkrampft."
Schennue
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Beitrag von Schennue »

@ claustim : Danke für deinen Beitrag. Ich habe das Problem aber auch im Schritt, es liegt also schon an "mir".


Am Dienstag habe ich Probereitunterricht bei einer RL ;)
Bin schon sehr gespannt.
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Beitrag von esge »

Claustim: Es gibt aber auch den alten Reiterspruch: Hohe Hand zäumt, tiefe Hand bäumt.
Tief darf die Hand sein, wenn sie dort locker getragen wird. Sobald sie abwärts drückt, quetscht das Gebiss die Zunge des Pferdes und dessen natürliche Reaktion darauf wird sein, den Hals hoch zu stemmen. Die Höhe der Reiterhand richtet sich auch beim jungen Pferd nach der Kopfhaltung des Pferdes, nach seinem Gebäude, nach seinen individuellen Erfordernissen.

Beim Literaturvergleich dünkt es mich doch ziemlich erkenntnisreich, dass Autoren mit tiefgehenden anatomischen Kenntnissen wie Susanne v. Dietze (Physiotherapeutin) oder wirklich praxisorientierte Reiter und Ausbilder wie Hannes Müller von einer Handhaltung sprechen, wo sich die kleinen Finger näher sind als die Daumen. Da die Richtlinien, die auch in anderen Bereichen ungenaue bis z.T. falsche Zeichnungen aufweisen und in ihren Erläuterungen bestenfalls dürftig sind (wie auch anders, es sind nur RICHTLINIEN, keine Reitlehre) hier anders darstellen, würde ich mich nicht allzu sehr auf sie stützen. Leider finde ich meine 70er Jahre Version der Richtlinien gerade nicht. Würde mich interessieren, wie es da drin steht.
Loslassen hilft
Gast

Beitrag von Gast »

Zu den Lehrbüchern kann ich eine nette Anekdote beifügen:

Nachdem eine glühende Verehrerin eine Zeit lang den ehemaliger Leiter der LRF Rheinlands und Autor eines Lehrbuches diesen beim Reiten zugesehen hatte, wurde dieser angesprochen:

"Sagen Sie mal, Herr Brandl, in Ihren Büchern beschreiben Sie DAS aber ganz anders?"

Es kam folgende Antwort:

"Gnädige Frau, das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis!"

Oder anders ausgedrückt:
"Papier ist geduldig!"

Welche Finger sich wann wie am nächsten sind, ist absolut nebensächlich.
Da kann man sich stundenlang drüber auslassen.
Nur bringt das nichts, solange man nicht auf die anatomischen Bedürfnisse des jeweiligen Reiters eingeht.

Es ist völlig egal, wie ein Reiter seine Zügel führt, solange das Pferd dadurch nicht im Maul gestört wird.
Es ist völlig egal, solange das Pferd locker im Takt schwingt, den Rücken aufwölbt und der Reiter so zum Sitzen kommt.
Es ist völlig egal, solange das Pferd in keinster Weise beeinträchtigt wird.

Nur, das steht so in keinem Lehrbuch!
Kann es auch nicht!
Das Lehrbuch muß nämlich eine möglichst breite Basis schaffen.

Nur ist das, was in den Lehrbüchern veröffentlicht wird, kein Gesetz!
Das sind Regeln.
Die kann man befolgen.
Die sollte man auch befolgen.
Nur muß man die nicht unbedingt befolgen.

Für mich ist der Unterricht viel zu schematisch.
Auf individuelle Bedürfnisse sowohl von Pferd als auch von Reiter wird in der Regel nicht eingegangen.

Bezogen auf diesen Fall heißt das, ob sich nun die Daumen oder die kleinen Finger näher stehen, hat keinen Einfluß auf die unruhige Hand.

Die dürfte eher in der (noch) mangelhaften Balance, der fehlenden Losgelassenheit und fehlendem Takt zu suchen sein.

Das ist jetzt auch kein Vorwurf an die Reiterin.
Das ist einfach dem noch geringen Alter des Pferdes und somit dem Ausbildungsstand geschuldet.

Nochmals:
Vergesst die Hand!
Erarbeitet lieber Takt, Losgelassenheit und Schwung.
Dann erledigt sich das Problem mit der unruhigen Hand von selber.

Übrigens, das betrifft nicht nur die Arbeit mit jungen Pferden.
Für ältere gilt das genau so.

Ein verspanntes Pferd schwingt nicht im Rücken.
Ein verspanntes Pferd führt zu einem unruhigen Sitz.
Ein Unruhiger Sitz führt zu einer unruhigen Hand.

Da kann man noch so sehr auf die Handhaltung eingehen.
Das ist jedoch nicht die Ursache.
Da doktert man nur an den Symptomen herum.
grisu
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Beitrag von grisu »

Tatsächlich ist es häufig nicht zu trennen, was Ursache und was Symptom ist. Tatsache aber ist, dass es ohne gefestigten und funktionellen Sitz schwierig ist, einem jungen Pferd die nötige Sicherheit zu geben.

Unruhige Hände sind dabei sicherlich ein Symptom, aber eines das durch Arbeit am Sitz (und nicht am jungen Pferd) abzustellen ist.

Natürlich ist es einfacher, auf einem gelösten, durchlässigen Pferd gut zu sitzen. Die Threaderstellerin hat ja auch geschrieben, dass sie auf einem Schulpferd keine Probleme mit den Händen hatte.

Das ist eben der Unterschied zwischen jemanden, der so gefestigt ist, dass er junge Pferde ausbilden kann, und jemanden, der noch lernen muss, auch in weniger optimalen Reitsituationen nicht Passagier, sondern Pilot zu sein.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Cubano hat geschrieben:
Aber sicher erinnere ich mich daran… :wink:
Was mich interessieren würde: In den mir bekannten Reitlehren/-Büchern wird samt und sonders für die Handhaltung plädiert, die ich auch anwende und die ich hier verlinkt habe. Woher kommt denn die "Lehre von der aufrechten, mit Fingernagel sichtbaren Hand"? Ich meine mich dunkel erinnern zu können, dass die aus der französischen Ecke kommt, bin aber nicht sicher.

Edit: Hier haben wir mal die ungefähre Handhaltung, die ich meine, im bewegten Bild. Gut zu sehen relativ am Schluss, wenn der Reiter mit dem Pferd (sabber - also das Pferd :wink:) auf die Kamera zureitet…

https://www.youtube.com/watch?v=PdBkHEq ... detailpage
Nein Cubano, keine französische Ecke - urdeutsche Ecke : v.Neindorf, Schudzierra, Meyners, v.Dietze,
Grundlagen der Erkenntnisse aus funktioneller Anatomie des Menschen... funktionaler Zusammenhang der Muskelketten und Mechanik des Skeletts. Bewegungslehre.
Daß einige französische Ausbilder sich dieser Haltung ebenfalls bedienen mag vielleicht daher kommen, daß sie sich der funktionellen Anatomie und ihrer Bedeutung nicht entziehen können :wink:

Zu deinem Clip. Dieser Mann kann sitzen, wie er will. Er könnte auch im Kopfstand auf dem Pferd sitzen/stehen.

Er hat seinen ganz individuellen Stil, der hochfunktionell ist und bei dem die leicht zu verdeckte Handhaltung und weichen Gelenken ( Katzenpfötchen) sich funktionell nicht auswirkt, weil er über andere perfektionierte Ketten ausgleicht.

Desweiteren ist das Pferd nahezu im Zenit seines Ausbildungsstandes und somit die Hand sowieso nur noch absolut untergeordnet. DAS ist kein Beispiel für "korrekt", sondern für "grandios".
Hat aber mit reiterlicher Grundausbildung so viel gemein, wie jemanden bei der ersten Geigenstunde mit einem Geigenvirtuosen zu vergleichen. Der Letzter kann den Ellebogen gerne auch zu hoch halten....
Wenn du es im Selbstversuch nicht richtig hinbekommst und dich dabei selbst behinderst, könntest du doch eine fachliche Anleitung für dieses Bewegungsmuster zu Hilfe nehmen ... du sitzt doch quasi an der Quelle :wink:
Korrekt ausgeführt, ist der Bewegungsablauf zu einer korrekt aufrechten Hand mitnichten beengend oder überspannend, sonder Spannung optimierend. So, wi wenn körperlich möglich, die Rotation der Hüfte und Rücknahme des Beines es sein kann.
Wichtig ist dabei, die Knochenmechanik für sich arbeiten zu lassen und zu lernen, welche Muskelgruppen losgelassen werden müssen, um es eben unverspannt zu tun.
Claustim, das hat sicher alles seine Berechtigung, ist aber hier nicht passend, weil nach meiner Vermutung hier die Reiterin mit ihrer Hand stört und indifferent ist. In soweit das Pferd ohne ein Entgegensteuern nicht "ungestört" ist.
Eine störende Hand stellt man nicht durch Hoffen und Warten ab, sondern man kann sie gezielt schulen, einen neutralen, nicht störenden Kontakt zu bieten.

Und noch etwas, die Hände werden nicht mit den Fingernägeln nach oben gedreht, sondern mit der Linie der Fingernägel vertikal. Aufrecht eben !
Funktionel ist leichtes Annähern der kleinen Finger- im Hinblick auf die Schulterrotation sinnvoller als das der Daumen. Wie ich ja bereits erklärte.
Für mich ist das erprobt und für wichtig befunden, ich muß hier aber niemand missionieren.
Wenn man mit leicht verdeckten Händen so reitet ,wie der Herr im Clip, bin ich der letzte, der das kritisiert.... :D
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

saltandpepper hat geschrieben: Wenn man mit leicht verdeckten Händen so reitet ,wie der Herr im Clip, bin ich der letzte, der das kritisiert.... :D
Nun hoffe ich aber ernsthaft, dass mir hier niemand unterstellt, den Clip in einem Anflug von Größenwahn eingestellt zu haben… :wink:
Ansonsten: Tja, offensichtlich bin ich old-fashioned was den bisherigen FN-Unterricht angeht. Denn so wie ich es beschrieben habe, habe ich es gelernt und setze es halt so auch um. Bislang ohne die Probleme, die in diesem Zusammenhang genannt werden. Aber wahrscheinlich unterhalten wir uns gerade ohnehin über Nuancen im kleineren Bereich.
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Gast

Beitrag von Gast »

Ich will hier jetzt wirklich nicht als Weltverbesserer agieren.
Auch bin ich weit davon entfernt, meine Ansichten als allein gültig zu unterbreiten. Ich möchte lediglich weitere Aspekte in diese Diskussion einbringen.

Wir haben es hier offensichtlich mit zwei Problemen zu tun:
Einmal handelt es sich um ein junges, noch wenig ausgebildetes Pferd.Dann haben wir es offensichtlich mit einer Reiterin zu tun, die noch nicht sehr erfahren ist mit der Ausbildung junger Pferde.

Die notwendige Erfahrung kann man aber nur sammeln, wenn man die gestellte Aufgabe öfters bewerkstelligt.
Gut ist, daß hier neben dem jungen Pferd auch noch auf ausgebildetes, älteres zurück gegriffen werden kann. Das dürfte sich für den weiteren Werdegang nur positiv auswirken.

Ich reite ja nun ein wenig länger.
In Bezug auf den Sitz, speziell aber auf die Zügelführung habe ich da so einige "Moden" kennen gelernt:

Als ich mit dem Reiten angefangen habe war es noch üblich, die Hände mindestens zwei Handbreit über dem Vorderzwiesel zu führen.
Da mein erster Reitlehrer noch als aktiver Kavallerist gedient hatte, machte das auch Sinn. Denn auf langen Ritten mußte der Reiter ja seine Ausrüstung mitführen. Ein Teil wurde da vor den Sattel geschnallt. Diesen Anforderungen folgend resultierte die relativ hohe Zügelhand.

Etwas später sank die Zügelhand auf ein Maß von einer Handbreit über dem Vorderzwiesel.

Wieder etwas später wurde dann gefordert, daß Ellenbogen, Handgelenk und Gebiss auf einer durchgehenden Linie liegen sollen.

Mit letzterer Forderung habe ich mich jedoch nie so recht anfreunden können.
Nicht nur, weil ich es ursprünglich einmal anders gelernt habe.
Mit dem nach unten "durchgestreckten" Arm blockiert man die Beweglichkeit des Ellenbogengelenkes. Ein elastisches Mitgehen mit der Nickbewegung des Pferdemaules ist so kaum noch möglich.

Aber diese anatomisch bedingte Versteifung des Ellenbogengelenkes ist es gerade, die zu dem Rat führt, junge Pferde mit einer sehr tiefen Hand zu reiten. Dabei darf die Hand nicht nur breit geführt werden. Sie muß es sogar. Weil einem sonst nämlich der Pferdehals im Weg ist.

Und bitte:
Auch ein Weltmeister wird auf einem verspannten Pferd nicht in der Lage sein, seine Hand ruhig zu halten.
Allerdings dürfte es einem geübten Reiter leichter fallen, sich auf diese Anforderung entsprechend einzustellen.
Zumindest leichter, als einem Reiter, der das erste mal in seinem Leben mit der Ausbildung eines jungen, nicht ausbalancierten Pferd konfrontiert wird.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

So wird´s wohl sein Cubano... :wink:

Claustim, wie gesagt, deine mahnenden Hinweise haben ja sicher seine Berechtigung. Nur wird eine Hand, die herumfuhrwerkt ( jetzt nicht auf Schennue bezogen, sondern ganz allgemein) und auch eine Hand, die starr und nicht fühlend an einer bestimmten Stelle gehalten wird, ganz sicher einem Pferd NICHT die Möglichkeit einräumen, sich zu entspannen.
Oder anders gesagt, man muß als Reiter gewisse Voraussetzungen für Takt und Losgelassenheit erst einmal ermöglichen, bzw. dieses eben NICHT verhindern.
Nach meiner Erfahrung ist eine stete, verbindliche Verbindung für das Pferd immer besser einzuschätzen und zu akzeptieren, als eine unstete, unkontrollierte. Sogar, wenn die Stete zunächst ein wenig mehr Gewicht nach sich zieht. Es schafft "Verbindlichkeit" im wahrsten Sinne und damit Vertrauen.
Und ganz ehrlich, die ungebrochene Linie zwischen Ellebogen und Maul, ist genau das Gegenteil eines starren, durchgedrückten Armes. Sie ist für eine neutrale Verbindung unerläßlich. Aus dieser Grundhaltung heraus kann Einwirkung in unterschiedliche Richtungen erst erfolgen.
Die Handposition nach dieser Regel, richtet sich nach der Kopfposition des Pferdes und begleitet es somit immer nach oben und unten. Flexibel und individuel- nicht entsprechend der gewünschten Kopf-Halsposition , sondern entsprechend der tatsächlichen.
Gruß S&P
Gast

Beitrag von Gast »

Wir sollten aufhören, die Reiterei generell nach dem zu beurteilen, was in deutschen Reitschulen heute so gelehrt wird.

Wie schon gesagt, ich habe noch gelernt, die Hand mindestens zwei handbreit über dem Vorderzwiesel zu tragen.
Aus ganz praktischen Erfahrungen heraus.

Nachdem ich lange Jahre den Moden der deutschen Reitlehrern (Nein, das ist kein Schreibfehler!) gefolgt bin, habe ich vor ein paar Jahren wieder den Weg zurück zu der hohen Zügelführung gefunden.
Ich habe für mich festgestellt, daß ich im Ellenbogen viel beweglicher bin, wenn diese ungefähr in einem rechten Winkel abgewinkelt werden.

Das ist eine Beobachtung, die ich für mich selber gemacht habe. Bei einem anderen Reiter mag das anders aussehen.

Auch sollte man einmal den Blick über den Tellerrand hinaus schweifen lassen.
Die gemäß deutscher Reitschulen geforderte tiefe Handhaltung ist z.B. beim Westernreiten gar nicht möglich. Dies wird allein schon durch die Bauweise der Westernsättel unterbunden. Da verhindern Fork und Horn die in Deutschland geforderte tiefe Handhaltung.

Dennoch ist es beim Westernreiten möglich, ein Pferd zuverlässig an die Hilfen zu stellen sowie Takt und Losgelassenheit zu erarbeiten.

Auch möchte ich darauf hinweisen, daß die geforderte gerade Linie zwischen Pferdemaul, Hand und Ellenbogen im Gegensatz zu der unabhängig von der Pferdebewegung geforderten Zügelführung steht.
Um die gerade Linie aufrecht erhalten zu können, muß die Hand dem Pferdekopf folgen. Das aber bedeutet, daß der Unterarm und somit auch die Hand bewegt werden muß.

Ganz anders sieht das aus, wenn man wieder die althergebrachte hohe Zügelhand fordert.
Da ist die Position der Hand vorgegeben. Dennoch kann diese elastisch federnd nachgeben.

Auch sollte man sich einmal alte Stiche ansehen.
Wenn die dort abgebildeten Pferd auch nicht immer originalgetreu wiedergegeben werden, so kann man dennoch Rückschlüsse auf den Sitz der Reiter ziehen. Es mag sein, daß der dort abgebildete Sitz nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht. Aber die hohe Zügelführung ist deutlich wiedergegeben.

Ist es nicht gerade diese Reitweise, die gemeinhin mit dem Begriff "Klassisch" belegt wird?
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Claustim, sei versichert, daß ich die Reiterei ganz bestimmt nicht danach beurteile, was in deutschen Reitställen so geschult wird .... Sicher gar nicht.

Was grundsätzlich das Anheben der Hand betrifft, so rennst du bei mir offenen Türen ein. Ich selbst arbeite nach klassisch französischen Vorbild und hebe die Hand für die Einwirkung an. Wirke also nach oben und nicht ( nicht mal durch einrollen der Handgelenke o.ä) nach hinten ein und bin davon auch überzeugt.
Dennoch ist die mir die ungebrochene Linie zwischen Ellebogen und Maul im Rahmen der neutralen Grundführung heilig.
Anders gesagt, für die Einwirkung selbst, verlasse ich diese, nach erfolgter Einwirkung, senke ich die Hand wieder in diese zurück ein.

Das geschieht aus ganz praktischen Gründen und erfolgt auch hier im Hinblick auf die funktionelle Anatomie. Hier der des Pferdes, das Bewegungsspektrum Hals und Kopf betreffend.

Übrigens ist bei sehr vielen Pferden, die Hand automatisch 2 Hand breit über dem Widerrist, wenn sie in einer natürlichen Haltung gehen und die Linie zwischen Ellebogen und Maul ungebrochen sein soll.

Ich verwehre mich nur dagegen, die Hand grundsätzlich hoch oder auf einer definierten Höhe im Verhältnis zum Sattel zu positionieren, weil eine solche Vorgabe statische Vorstellungen nach sich zieht und diese wiederum dem flexiblem Charakter von "Reiten" entgegenstehen.

Ist das Pferd oben, ist die Hand oben ( u.U. sogar sehr viel höher als 2 Hand breit über Wiederrist,!) ist das Pferd tief, ist die Hand tief.
Im Hinblick auf die Funktionalität aber nie so tief, daß der Ellebogen vollständig durchgestreckt wird, weil in diesem Moment dessen Beweglichkeit massiv eingeschränkt ist. Hier muß dann der Zügel länger werden.
Das alles im Hinblick auf meinen Anspruch an die Reiterei, mit direktem, stetem Kontakt reiten zu wollen. Weil ich das Reiten in Form eines Dialoges haben möchte und hierfür eine Telefonleitung benötige die nach BEIDEN Seiten durchgängig ist.
Würde ich einer Gebrauchsreiterei nachgehen oder z.B. den Signalcharakter des modernen Westernreitens pflegen, sähe das anders aus.

Gruß S&P
Gast

Beitrag von Gast »

Ich glaube, wir streiten uns hier um Kaisers Bart.
Es geht hier um Begrifflichkeiten.

Ich hatte den Begriff des "Durchgestreckten Armes" verwendet.
Das ist soweit richtig.
Aber, ich hatte diesen Begriff ganz bewußt in "" gesetzt.
Weil ich damit nicht den völlig gerade nach unten ausgestreckten Arm gemeint habe.

Das Problem mit der eingeschränkten Beweglichkeit beginnt bereits, wenn der rechte Winkel im Ellenbogengelenk aufgegeben wird. Wann genau das geschieht, wird von Reiter zu Reiter unterschiedlich ausfallen.

Auch hatte ich nicht geschrieben, daß die Handhaltung bei 2 Handbreit über dem Vorderzwiesel zementiert ist.
Ich hatte geschrieben, daß das zu Beginn meiner reiterlichen Laufbahn das unterste Mindestmaß dargestellt hat.
Wörtlich:
Mindestens zwei Handbreit!

Auf der Anderen Seite wurde mir bereits zu diesem Zeitpunkt gelehrt, daß diese Art der Zügelführung bei der Arbeit von Remonten nicht anzuwenden sei!

Da wurde eine tiefe und auch breit geführte Hand gefordert.

Aber nie, wirklich nie wurde da von einer geraden Linie Gebiss- Hand, Ellenbogen gesprochen.

Das kam erst später. Sehr viel später.
Diese Forderung gibt es erst seit ca. 25 bis 30 Jahren.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich aber schon 20 Jahre lang geritten!

Die heute ausgeübte Reiterei beruht auf der von Dir genannten Gebrauchsreiterei. Nur wurde die zu einer Kunstform hoch stilisiert.

Auch die von Dir angeführte französische Reitweise beruht im wesentlichen auf den damals herrschenden militärischen Anforderungen. Zum Zeitpunkt des entstehens dieser "Reitlehre" war das nichts anderes, als eben eine Form der Gebrauchsreiterei,

Nur aus der heutigen Sicht sieht das anders aus. Weil sich die Anforderungen geändert haben.
Was vor zwei- bis dreihundert Jahren eine Gebrauchsreiterei war, ist heute eine Kunstform. Das sollte man bedenken.

Nur, unsere Diskussion hilft der Fragestellerin nicht weiter.
Das mag zwar ganz interessant sein, sich darüber zu streiten, wo die Hand denn nun hingehört.
Aber das Problem der unruhigen Hand wird dadurch nicht abgestellt.

Ich kann mich nur noch einmal wiederholen:
Es bringt nichts, sich zu sehr auf die Hand zu konzentrieren.
In den meisten Fällen ist die unruhige Hand nur ein Symptom.
Ein Hinweis darauf, daß an anderer Stelle etwas nicht stimmt.

Sich jetzt nur auf die Hand zu konzentrieren, führt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu, daß sich der Reiter noch mehr verspannt.
Psychisch!
Und somit leider auch physisch!

Dann aber hat das unmittelbaren Einfluß auf den Sitz.
Ein verspannter Reiter sitzt nun einmal unruhig.
Das wiederum führt zu einem verspannten Pferd.

So beginnt der Teufelskreis von vorne.

Deshalb besteht mein Rat darin, sich nicht zu sehr auf die Hand zu konzentrieren. Es gilt an erster Stelle, die Ursache für die unruhige Hand zu finden und dann abzustellen.
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