Einhändig reiten - warum?

Rund um die klassische Reitkunst

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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Meine Erfahrungen mit der einhändigen Zügelführung

Nach Jahren der Ponyhof-Reiterei, einigen eher abschreckenden Stunden in einer Reitschule und einem kurzen Ausflug ins Westernreiten landete ich im Mas du Malibaud bei S. G. Solinski. Dort musste ich meine bisherige Reitweise ziemlich umkrempeln, besonders was meine Zügelführung anging. Denn bei Solinski waren die Zügelhilfen sekundär, sozusagen nur eine Bestätigung dessen, was das Pferd als Reaktion auf die anderen Hilfen zeigte.

Das Anfänger-Pferd, das ich zu reiten bekam, war mit einem Bosal gezäumt, und mit den Zügeln in einer Hand sollte ich gegebenenfalls nachgeben und sonst gar nichts machen, Versuche, das Pferd über die Zügel in eine bestimmte Haltung oder Richtung zu bringen, waren tabu. Wie ich dann besonders auf den Ausritten feststellte, brachte Fummeln mit den Zügeln auch nichts, ich konnte "le Rouge" damit noch nicht einmal anhalten.

Es dauerte, bis ich meinen Sitz und meine Schenkel so sortiert hatte, dass ich schliesslich auf einem anderen Pferd, was das Anhalten anging, ein Aha-Erlebnis hatte, als ich es nur mit den Schenkeln aus dem Trab anhalten konnte. Auch das Reiten von Volten und Handwechseln nur über Sitz und Schenkel schaffte ich schliesslich, besonders beeindruckte mich das erste Schulterherein, das sich ergab, als ich nach einer Volte, ohne den Sitz zu ändern, geradeaus auf den Hufschlag schaute. Wie gesagt, dabei hielt ich die Zügel immer in einer Hand.

Nun waren diese Pferde fein ausgebildet, und ich hätte mir sagen können, auf anderen Pferden geht das nicht. Trotzdem versuchte ich jeweils, wieder zu Hause, auf verschiedenen Pferden, die zur Kategorie durchschnittlich ausgebildeter Freizeitreiter-Pferde gehörten, mit den Zügeln in einer Hand zu reiten. Und im Grossen und Ganzen klappte es auch. Allerdings musste ich sehr genau darauf achten, wie ich sass und wo meine Schenkel waren. War mein Aussenschenkel nicht am Pferd und / oder war ich im Becken zu stark aufgerichtet und nicht locker genug, klappte es nicht.

Unterdessen reite ich meist mit den Zügeln in einer Hand und führe sie nur mit zwei Händen (bei vier Zügeln drei zu eins), wenn ich mich dem Pferd gegenüber präziser ausdrücken will und es mit den Sitz- und Schenkelhilfen allein nicht schaffe. Ich habe aber festgestellt, dass ich bei zweihändiger Zügelführung die Aufmerksamkeit eher auf meine Hände richte, bei einhändiger eher auf meinen Sitz und meine Schenkel.

Ich bin der Meinung, dass die einhändige Zügelführung nicht nur etwas für hochausgebildete Reiter und Pferde ist, sondern ein guter Test auch für zwei- und vierbeinige Schüler, weil es den Reiter dazu zwingt, mehr auf die anderen Hilfen zu achten.

Tanja Xezal
"Der Reitlehrer sei unser eigenes Pferd" SGS
(und der Schüler zeige Geduld, Demut und Hingabe)
Draussen bin ich 4:0 unterwegs, in der Halle 3:1, manchmal 1:3.
anettchen
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Beitrag von anettchen »

Das hast Du schön beschrieben!
Ich bin jetzt auch einhändig geritten! - in meiner "Verzweiflung" habe ich heute kurzerhand mein Parellihalfter drauf gemacht, mit dem ich damals immer meinen alten Trakkhi geritten bin. Ich war dermaßen verblüfft, daß die Stute das sofort verstanden hat - bei nur einseitiger "Strickführung" (manchmal mit geschwungenem Wechsel über den Pferdekopf)!!! Der Kopf ging nach unten, der Rücken wölbte sich, sie ging Wendungen, über Kavaletti und Plane. Ich bin noch immer von den Socken! Auch Halten aus dem Trab, Rückwärtsrichten, Galopp-Trab-Übergänge, Angaloppieren... ALLES ging besser! Und danach wurden wir angesprochen, daß das Pferd soooo zufieden aussehen würde....
DAS machen wir jetzt öfter!! :D
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
(A.Saint-Exuperie)
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

@annettchen: Es ist nicht bös gemeint, aber Kandare schreibt man mit einem r nicht mit zwei :love:

@Jen: Danke!

@Gawan: Hört sich spannend an.
Liebe Grüße, Sabine

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heike61
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Beitrag von heike61 »

hallo gawan,


lieben dank für deinen beitrag!



gruß
heike
Wenn du weitergehst, ändert sich deine Perspektive!
GingerCC
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Beitrag von GingerCC »

Gawan, ich kann dir nur zustimmen. Gut beschrieben!

Aber ich muß ehrlich sagen, daß ich mich das erst mit einem sehr gut ausgebildeten Pferd trauen würde der schon die Hilfen für die einzelnen Lektionen und Richtungsangaben kennt. Für mich ist es eine sehr gute Kontrolle, ob meine Schenkel- und Sitzeinwirkungen auch richtig sind.
Mein Pferd musste aber auch erst lernen, daß es nun anders gelenkt wird. Die ersten Male war es schon ein super Erfolg, wenn man einhändig abwenden konnte oder gar einen richtigen Zirkel reiten konnte.
Wenn ich mir unsicher bin bei gewissen Lektionen, oder wenn mein Pferd das nicht richtig verstanden hat, wechsel ich auf die 3:1 Führung um es zu korrigieren. Danach noch mal einhändig.
Mein langfristiges Ziel ist möglichst ganz ohne Zügel reiten zu können. Aber das dauert noch.
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