Reitkunst - Quo Vadis?

Rund um die klassische Reitkunst

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Janina
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Beitrag von Janina »

Habe nicht so viel Zeit zum Schreiben (lese aber auf alle Fälle mit), nur schon mal als Entschuldigung, wenn´s etwas ungeordnet ist . :oops:
Wichtig finde ich das, was Steffen geschrieben hat: Grundsätzlich muss man immer erst mal das Handwerk erlernen, bevor man evtl.(!) Kunst schaffen kann.
Es gibt schon recht wenige, die ihr "Handwerk" wirkl. gut beherrschen und unter diesen gibt es nochmal weniger, die auch echte Künstler sind.
Und das gilt nicht nur für´s Reiten, sondern sämtliche andere Kunstformen auch.
Sport kann für mich keine Kunst sein, weil Kunst nach meinem(!) Verständnis eine Aussage haben muss, nicht messbar, nicht reproduzierbar und somit auch nicht im Wettbewerb vergleichbar ist (ja, das kann man auch anders sehen).
Reitkunst steht für mich aber nicht als Synonym für "klassisch". Ich spreche/schreibe auch lieber von der klassischen Reitweise. Diese kann wiederum unterschiedlichste Stilrichtungen haben.
Für mich kann auch ein Westernreiter "klassisch" ausbilden (schönes und schon öfter zitiertes Beispiel wäre hier Peter Kreinberg).
Genauso ein Freizeitreiter, ein Sportreiter, usw.
Klassisch mache ich nicht an einer bestimmten Epoche oder bestimmten Autoren fest, sondern eher an bestimmten Grundsätzen, die sich durch sämtliche Epochen hindurch entwickelt und bestätigt haben.
Diese Grundsätze haben in ihrer Entwicklung eines gemeinsam: Sie haben sich immer weiter pro Pferd gewandelt. (pferdefreundlichere Ausrüstung, Anerkennung einer "pferdischen Gefühlswelt", bessere Haltung, medizinische Versorgung, usw.)
Insofern spielen dann auch wieder alle anderen Bereiche mit hinein.

Speziell auf´s Reiten bezogen heißt "klassisch" für mich, dass die Ausbildung individuell auf das jeweilige Pferd bezogen ist (wodurch ein "Hobbyreiter" mit seinem einen Pferd niveaumäßig auch nicht unbedingt "unter" einem Profi bleiben muss). Ganz salopp gesagt. Das beeinhaltet dann, dass das Pferd alle Zeit bekommt, die es benötigt. Dass es auf weitere Aufgaben entsprechend vorbereitet wird (physisch, insbesondere muskulär, aber auch psychisch) und seine Gesundheit nicht beeinträchtigt wird.
Wenn das erfüllt ist, ist es für mich "klassisches Reiten". Dazu braucht´s keine Piaffen und Passagen und schon gar kein Redopp :D

Kommt aber noch der von vielen erwähnte Ausdruck, eine spürbare Harmonie, eine gewisse Leichtigkeit auch in höheren Lektionen hinzu, dann wird es für mich zur Reitkunst.
Das ist so das Idealziel. Um das zu kennen, muss man sich aber zwangsläufig darüber hinaus informieren, als es dem eigenen aktuellen Stand entspricht.
Und da schließe ich mich einfach mal Jen an: Man muss wissen, wo man hin möchte, um nach einem bestimmten Konzept ausbilden zu können.
Und manchmal muss man sich auch praktisch an Sachen heranwagen, die vlt. noch zu schwierig sind, weil man nur dann wirklich merkt, woran man noch arbeiten muss.
Und daraus ergibt sich auch, warum es so schwierig ist, ein Pferd "einfach nur" in den drei Grundgangarten zu reiten: An der Basis muss man immer arbeiten. Je besser die Basis wird, desto weiter kann man lektionsmäßig gehen, aber wenn bei diesen höheren Lektionen etwas nicht klappt, führt die Lösung immer wieder über die Verbesserung der Basisarbeit.
Ich persönlich habe sowohl ältere als auch aktuellere Werke gelesen. Praktisch am meisten hat mir aber immer noch der Unterricht gebracht. Dennoch habe ich selbst den Anspruch ein gewisses theoretisches Wissen zu erlangen. Ich möchte wissen, woher diese verschiedenen Ideen und Ansätze kommen und wie sie sich entwickelt haben.
Wichtig finde ich auch, ein Buch nicht nur einmal zu lesen. Zwei Jahre später liest man dasselbe Buch evtl. ganz anders. Deswegen lese ich bestimmte Passagen immer wieder mal nach.
Liebe Grüße,
Janina

edit @Fehlentwicklungen: Diese sind für mich immer dann gegeben, wenn die klassischen Grundsätze "verletzt" werden, insbesondere wenn die Gesundheit des Pferdes gefährdet wird. Ganz pauschal, ohne das jetzt an "der FN" oder "den Barockreitern" oder sonstwas festzumachen :P
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Kolan
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Beitrag von Kolan »

Worin seht ihr die falsche Entwicklung der klassischen Reitkunst. Welche Literatur bildet die Grundlage für die Reitkunst?

Also...

Literarische Grundlage sind für mich Bücher, die "Spuren" hinterlassen haben wie Gueriniere, Steinbrecht, Seunig, die Richtlinien, Kurt Albrecht. Aber auch solche modernen Bücher wie von H. Becker und einige Elemente von P. Karl.

Falsche Entwicklung:
Gutes Reiten hängt für mich nicht von einer speziellen Montur ab. Auch in einer abgewetzten Jeans kann man schön reiten, so daß es für die Zuschauer ein Genuß ist.

Die Barockpferde-Turnierprüfungen sehe ich kritisch. Da tauchen einfach zu oft Leute auf wie der Pferdewirtschaftsmeister/Bereiter, der den Spanier, den er in Beritt hat, vorstellt. Kostüm an und los. Schließlich kann man das Preisgeld/den Ehrenpreis doch auch noch schnell mal mitnehmen. Und dann sieht man wieder aufgerollte Pferde mit offenen Mäulern, bei denen die Sporen im Bauch klemmen...
Oder Anfänger probieren sich nach 20 Reitstunden mit ihrem halb-verhungerten Friesen in der Einsteigerprüfung. Einfach nur gruselig...
Solche Bilder kenne ich nur zu gut - das wollte ich eigentlich nicht schon wieder sehen.

Außerdem stelle ich fest, daß auch in diesem Lager zunehmend diese "Wagenburg-Mentalität" auftaucht ( d.h. ich reite klassisch und bin deshalb besser als Du. Auch wenn mein Pferd schlecht geht, weil ich schlecht reite. Aber ich habe einfach die bessere Reitweise...). Minderwertigkeitskomplex??? :wink:
Lachen! Reiten macht Spaß. :-)
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

Jen: 100%ige Zustimmung :wink:

zum Thema "richtige" oder "falsche" Entwicklung:

...im Grundsatz sehe ich es wie Janina, von Pluvinel bis heute hat sich der Umgang mit dem Lebewesen Pferd eigentlich dahin entwickelt, dass Pferde weniger hart behandelt werden. Auch die Haltung hat sich im großen und ganzen pro Pferd entwickelt. Wenn man außerdem im Sport die Ritte der Olympia-Teilnehmer heute mit den Leistungen von vor 20 oder gar 40 Jahren vergleicht, so sind sind dies Welten, was natürlich nicht nur an der Entwicklung der Reiterei, sondern vor allem an der Entwicklung der Zucht liegt! Die modernen Sport-Pferde sind hoch spezialisiert, extrem sensibel und entsprechend leistungsfähig.

Die Vermittlung der Theorie in der Freizeitreiterei hat sich ebenfalls enorm entwickelt. Den typischen Buschreiter von früher (Pferd aus der Box und Galopp) gibt es heute fast gar nicht mehr.

All diese Entwicklungen sind sehr positiv... ABER es hat immer schon - und das gilt auch für heute - Irrwege in der Reiterei gegeben. Je mehr man sich mit der Theorie beschäftigt, desto mehr ist auch solchen Fehlentwicklungen Tür und Tor geöffnet. War es frücher das Verbiegen und Rückwärtsreiten eines Baucher oder Fillis (obwohl es in dieser Reitlehre sicher auch gute und interessante Ansätze gibt), das sich nicht durchgesetzt hat, ist es heute die Rollkur, die trotz des überragenden Erfolges im Sport, eindeutig als nicht klassisch bewertet wird.

Klassisch heißt für mich, dass sich die Reitlehre an den bewährten Grundsätzen orientiert und nur im Detail Verbesserungen oder neue Herangehensweisen beschreibt. Wenn die Basisarbeit verkürzt oder gar grundsätzlich in Frage gestellt wird, so halte ich die Lehre für nicht klassisch. Dabei halte ich es auch für nicht klassisch, wenn man die Entwicklungen der letzten 300 Jahre ignoriert und die Pferde wieder mit blanken Kandaren und teilweise brutalsten Methoden ausbildet, wie es von einigen der sog. "alten Meister" bekannt ist.
Modern ist vor allem die Betonung des schwingenden Rückens. Diese Überzeugung hat sich erst relativ langsam durchgesetzt und ist heute der Mittelpunkt der Ausbildung. Ein schwingendes Pferd hat bedeutend mehr Ausstrahlung und ist wesentlich leistungsfähiger, aber auch viel schwieriger korrekt zu reiten. In der Betonung des Schwungs sehe ich den Hauptunterschied zu dem Reiten der "alten Meister" und die Herausforderung der modernen Dressur nach klassischen Grundsätzen. Ich bin sicher, dass ein Guérnière begeistert wäre, wenn er sehen könnte, wie schwungvoll, elastisch und ausdrucksstark sich heute einige Spitzenpferde unter dem Reiter bewegen.

Noch etwas zu Jerez und Wien:
Was ich dort gesehen habe war sehr überzeugend, was natürlich nicht ausschließt, dass an einem anderen Tag auch einmal unschöne Bilder zu sehen waren. Fakt ist jedenfalls, dass in diesen Instituten - im Gegensatz zum Sport - genau das vermittelt wird, was wohl die meisten als Reitkunst definieren. Dass dabei ggf. auch einmal Härte im Spiel ist, zeigt nur, wie unglaublich schwierig diese Aufgabe ist. Wenn man die hier im Forum definierten Ansprüche ohne Abstriche umsetzen wollte, gäbe es wohl niemanden, der diesem Maßstab standhält. Auch z.B. ein Nuno Oliveira war durchaus dafür bekannt, dass er seine Pferde sehr hart anpacken konnte, wenn die angestrebte Leichtigkeit sich nicht eingestellt hat. Das wird natürlich nicht gemacht, wenn gerade Publikum daneben steht..., aber wenn man ein wenig weiter kommen will in der Ausbildung, muss man auch mal durchgreifen (ohne natürlich die Grenzen des Anstands zu überschreiten.)

puh, was für ein Roman, sorry dafür
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

Steffen hat geschrieben:ist es heute die Rollkur, die trotz des überragenden Erfolges im Sport, eindeutig als nicht klassisch bewertet wird.
Irgendwie stehen mir grade alle Haare zu Berge.
Du meinst nicht wirklich, was Du da schreibst, oder? Ich hoffe doch mal ganz schwer, daß das nur äußerst blöd ausgedrückt ist.
Ansonsten müsste man annehmen, daß Du Rollkur sehr wohl als probates Mittel auf dem Weg wohin auch immer akzeptierst - und auch einsetzt?
:shock:
Es grüsst ottilie
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Kolan
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Beitrag von Kolan »

Wieso sorry? Wirklich klasse und treffend gesagt. Kann ich komplett so unterschreiben. :D
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Jen
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Beitrag von Jen »

Möchte nochmals was zum Thema "Was ist Kunst" anfügen. Für mich ist Kunst nicht nur das, was im Louvre hängt. Natürlich sind das grossartige Künstler, es sind Meister ihres Fachs. Aber ich kann mich auch an einem Kunstwerk eines Kunstschul-Studentens erfreuen oder einer Privatperson, die ein Händchen für eine schöne Zusammenstellung oder eine gelungene Aussage hat. Kunst ist für mich in erster Linie etwas, was mich berührt. Wenn ich nun jemanden mit seinem Pferd umgehen oder reiten sehe und spüre, dass da etwas besonderes zwischen ihnen ist, schwierig in Worte zu fassen, dann kann das für mich auch eine gewisse Art von Kunst sein. Etwas was ich einfach schön anzuschauen finde, oder vielleicht sogar ein kribbeln oder Gänsehaut (in positivem Sinn ;) ) auslöst. Manchmal kann man das gar nicht so in Worte fassen, man spürt es einfach, wenn etwas besonderes passiert. Das ist auch das, was Kunst für mich von Handwerk unterscheidet. Handwerk erschafft etwas brauchbares, nützliches. Kunst erschafft etwas mit einem geistigen Hintergrund, etwas das einen emotional berührt. Wenn beides meisterlich ausgeführt wird, steht grossartiges Können dahinter. Das üben der Fertigkeit, des Könnens ist deshalb für beide wichtig, damit es Bestand hat. Die Grundlage ist dieselbe. Die innere Qualität aber, die drin steckt, ist unterschiedlich.
Rapunzel hat geschrieben:aber es gibt halt einen sehr großen unterschied zwischen "sich bemühen" und "tatsächlich besser reiten".
und seien wir ehrlich: bei den allermeisten Reitern bleibt es beim bemühen. Wahrscheinlich bei so ca. 99% der Reiter. Auch die allerallerwenigsten Künstler werden ein Kunstwerk im Louvre hängen haben... ;)
Liebe Grüesslis, Jen
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Alix_ludivine
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Beitrag von Alix_ludivine »

ottilie hat geschrieben:
Steffen hat geschrieben:ist es heute die Rollkur, die trotz des überragenden Erfolges im Sport, eindeutig als nicht klassisch bewertet wird.
Irgendwie stehen mir grade alle Haare zu Berge.
Du meinst nicht wirklich, was Du da schreibst, oder? Ich hoffe doch mal ganz schwer, daß das nur äußerst blöd ausgedrückt ist.
Ansonsten müsste man annehmen, daß Du Rollkur sehr wohl als probates Mittel auf dem Weg wohin auch immer akzeptierst - und auch einsetzt?
:shock:
Wieso? Er hat es doch eindeutig als Irrweg bezeichnet.. :?:
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

@Alix
Bei mir kommt es anders an.
Vielleicht bin ich da empfindlich, aber mir ist diese Aussage einfach zu lapidar und undurchdacht in den Raum gestellt.
Es ist ja nicht nur so, daß die Rollkur nur als "nicht klassisch" bewertet wird. Warum kämpft Heuschmann wie ein Blöder dagegen an? Weil es Tierquälerei ist. Und das dann einfach als "nicht klassisch" zu bezeichnen, ist einfach nur eine Frechheit, da geht mir der Hut hoch. Genau wegen solcher Aussagen, die die Rollkur einfach nur verharmlosen (denn nur weil es nicht klassisch ist, kann man es ja ruhig anwenden, oder etwa nicht?), ist das Problem doch allgegenwärtig.
Zumal im gleichen Satz auch noch die Verbindung zum Erfolg hergestellt wird. Da schüttelt es mich einfach nur.
Sorry, aber so oder so kann ich mit dieser Aussage nicht umgehen.
Es grüsst ottilie
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ottilie, ich denke auch, dass dir das zu Unrecht in den falschen Hals gerutscht ist ;) Dass die Rollkur heutzutage leider überragenden Erfolg im Sport nachweisen kann, ist eine traurige Tatsache. Nicht umsonst antwortete Sjef Janssen auf die Frage, was Rollkur denn bringen würde, lapidar: 10 Goldmedallien... :( aber ich denke nicht, dass diese Diskussion hier nun über Rollkur geführt werden sollte, das war ja nur ein Beispiel für eine Fehlentwicklung der modernen Reiterei.
Liebe Grüesslis, Jen
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

ottilie: ich glaube schon, dass ich die Rollkur eindeutig als Irrweg bezeichnet habe.

Obwohl ich auch ein strikter Gegener dieser Methode bin, muss man sich zwingen, auch hier nüchtern zu argumentieren. Immerhin sind nach meiner Kenntnis alle Pferde, die in den letzten 12 Jahren olympisches Gold gewonnen haben, so ausgebildet worden. Keines dieser Pferde hat nach meiner Kenntnis gesundheitliche Schäden davon getragen, die auf die Rollkur zurück zu führen gewesen wären und dass trotz der enormen Belastung durch weltweite Turniere. Guckt man sich den Rücken so manchen Freizeitpferdes an, kann man das leider nicht sagen.

Also ich bleibe dabei, Rollkur ist nicht klassisch, ich halte es sogar für einen Irrweg, aber es ist schon etwas verwerflich, dass die FN erst dann mit der Kritik anfängt, wenn die Goldmedallien nicht nach Deutschland, sondern nach Holland gehen. Erfunden wurde diese Technik leider in Deutschland.

Auch Baucher hat mit seiner Ausbildungstechnik teilweise enormen Erfolg gehabt, die übrigens - wenn man es etwas reduziert - im wesentlichen auch auf ein Hyperflexionieren beruht. Heute ist Baucher extrem umstritten und selbst seine größten Fans räumen ein, dass er wohl erst in seinen späten Werken zu einer brauchbaren Reitlehre gekommen sei. Oliveira z.B zieht trotzdem eine Menge aus den Lehren Bauchers, allerdings genau so aus den Werken von Bauchers stärkstem Widersacher Steinbrecht. Es kommt wohl auch darauf an, wie man etwas macht...

Man muss wohl zugeben, dass wenn mehrere Pferde ohne gesundheitliche Schäden nach einer bestimmten Methode ausgebildet werden und dann über Jahrzehnte die Höchstleistungen in der Dressur zeigen, etwas mehr an Disziplin bei der Kritik gefordert ist. Ich finde die Rollkur genau so schlimm wie Du, aber wenn man ernst genommen werden will, muss man schon bessere Argumente haben als nur ein Gefühl. Die negativen medizinischen Befunde, die bisher vorliegen richten sich wohl eher grundsätzlich gegen den (falschen?!) Gebrauch von Schlaufzügeln, als gegen die gezielte Anwendung der Rollkur. Hier benötigen wir einfach noch bessere Argumente...
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
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smilla
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Beitrag von smilla »

Jen hat geschrieben:Kunst erschafft etwas mit einem geistigen Hintergrund, etwas das einen emotional berührt. Wenn beides meisterlich ausgeführt wird, steht grossartiges Können dahinter. Das üben der Fertigkeit, des Könnens ist deshalb für beide wichtig, damit es Bestand hat. Die Grundlage ist dieselbe. Die innere Qualität aber, die drin steckt, ist unterschiedlich.
Das hast du wunderschön ausgedrückt! Für mich trifft es genau den Kern dessen, was für mich ReitKUNST ist.
"Reiter und Pferd sind zu einer geistigen und körperlichen Einheit verschmolzen, sind zwei Herzen und ein Gedanke- die wunderbare Alchemie des Reitens hat aus den zweien in Wahrheit eins gemacht. Solche Kunst ist klassische Kunst!"
Seunig
**Rubin**
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Re: Reitkunst - Quo Vadis?

Beitrag von **Rubin** »

Josatianma hat geschrieben:Irgendwie stelle ich mir in letzter Zeit immer öfter die Frage, was uns dazu bewegt zu sagen: wir reiten nach klassischen Grundsätzen und beschäftigen uns mit der klassischen Reitkunst.

...Lese ich insgesamt die Themen hier im Forum, so unterscheiden sie sich oft nicht, von dem was in anderen Foren diskutiert wird. Ist das Beschäftigen mit der Reitkunst bei euch eine Lebenseinstellung oder einfach nur weil es "In" ist?
Beim Lesen bin ich erst auf Seite 6, ich wollte aber schonmal meine Gedanken niederschreiben, sonst vergesse ich wieder die Hälfte und muss den Beitrag 5x editieren ;)

Zuerst mal glaube ich, dass niemand hier einfach so zugeben würde, dass er "klassisch" reitet, weil das gerade in Mode ist, selbst wenn man unbewusst oder bewusst dieser Mode folgt.

Nun zu mir: Klassisches Reiten ist auch für mich eine Lebenseinstellung. Ich musste gerade in den letzten beiden Tagen wieder feststellen, dass es vor Allem die "Klassiker" sind, die sich nicht nur mit ihrer einen Reitlehre, sondern mit mehreren Wegen und Möglichkeiten auseinandersetzen. Das ist ein wichtiger Schritt des klassischen Weges für mich. Ich bin wie die meisten in meinen ersten 13 Reitjahren nach FN geritten. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob das nun richtig oder falsch ist, denn es war einfach für mich richtig, das war reiten. Auch wenn ich mich damals schonmal in Claus Penquitt hinein gelesen hatte und mich das faszinierte, was er schrieb.

Seit ich mit Pferde gearbeitet habe und den ganzen Tag mit Pferden zusammen war, hat sich einfach meine gesamte Einstellung zum Pferd geändert. Die Pferde wurden allesamt nicht dressurmäßig gearbeitet, aber es hat sich eine ganz andere Einstellung, ein Respekt vor dem Tier entwickelt. Vorher mochte ich Pferde sehr gerne, aber ich war z.B. sauer, wenn das doofe Reitschulpferd nicht das gemacht hat was ich ihm gerade sagte.

Und als ich dann wieder nach Deutschland kam, fing ich an zu lesen. Nicht die alten Meister oder so, sondern so ziemlich alles, was mit in die Finger kam. Ich habe auch oberflächlich in die Westernrichtung geschaut, habe mich mit dem "alternativen" Weg beschäftigt und bin so zur klassischen Reiterei gekommen. Die sich meiner Meinung nach auch nicht grundlegend von anderen Reitlehren unterscheidet, aber wie schon erwähnt mit einer bestimmten, respektvollen Einstellung zum Pferd einher geht. Das Pferd wird gefragt, gebeten, auch aufgefordert, aber ihm wird nicht befohlen, und das finde ich ist ein grundlegender Unterschied. Und auch das beinhaltet für mich Reitkunst, ohne mich jetzt an dem Begriff aufhängen zu wollen.

Für mich bedeutet der klassische Gedanken, offen und flexibel zu sein für alle unterschiedlichen Wege, und den, der auf mein Pferd passt, beschreiten zu können - MIT meinem Pferd. Und nicht weil ich zu dem Pferd sage dass es gehen soll.

Und mir fällt auf, dass mich diese Einstellung auch im restlichen Leben begleitet und mir auch dort das Leben schwer macht. Ich bin nicht nur im Stall, sondern auch so ein Exot. Ich versuche mich ständig, in andere Standpunkte hinein zu versetzen, wäge ab, ob das logisch und richtig ist oder für mich nicht akzeptabel, versuche Gemeinsamkeiten zu finden und auf einem bestimmten Niveau zu diskutieren. Ich versuche, nicht über Dinge zu diskutieren, von denen ich keine Ahnung habe (habe ich mich z.B. mit dem Westernreiten nicht eingehend beschäftigt, so hüte ich mich, darüber Aussagen zu treffen die über meine Erfahrung/mein Wissen hinaus gehen, und so halte ich es auch bei jedem anderen Thema). Und so, wie ich auf andere eingehe und mir Gedanken mache, erwarte ich das auch von anderen - bekomme das allerdings höchst selten zurück.

Klassisches Reiten bedeutet für mich auch, den längeren Weg in Kauf zu nehmen, ohne Abkürzungen und Schein. Und auch, wenn ich darin noch nicht besonders gut bin, habe ich immer mein nächstes Ziel vor Augen, und sei dies nur ein kleiner Fortschritt. Ich passe die Ausbildung meinem Pferd an und versuche es nicht, in eine Schablone zu pressen (egal wo die nun her kommt) sondern versuche möglichst flexibel zu sein. Denn am Ende ist ein Pferd ein Pferd und da kann man auch mit ruppigen Methoden nichts dran ändern, irgendwann holt einen die Anatomie ein...

Ach herrje, da habe ich wieder ewig lang geschrieben ohne es zu merken. Ich hoffe meine Gedanken waren nicht zu unstrukturiert und ich wiederhole mich nicht zu oft ;)

LG Svenja
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Steffen
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Re: Reitkunst - Quo Vadis?

Beitrag von Steffen »

**Rubin** hat geschrieben:Ich passe die Ausbildung meinem Pferd an und versuche es nicht, in eine Schablone zu pressen
Hört sich ja toll an, aber wie machst Du das - also mal ganz praktisch gefragt???

Du fängst irgendwie an (wie eigentlich, nach Gefühl, nach eigener Erfahrung oder vielleicht doch nach einer "Schablone"?), dein Pferd auszubilden und dann klappt plötzlich was nicht...

Was nun... Sagt Dir dein Gefühl, was Du jetzt machen musst, oder brauchst Du vielleicht doch hier und da eine Reitlehre, die Dir hilft.

Ich glaube Reiten ist viel zu schwierig, als dass mein - allein auf sein eigenes Gefühl vertrauend - darauf hoffen kann, die Ausbildung eines Pferdes bewältigen zu können. Natürlich muss jedes Pferd und jede Situation individuell bewertet werden, aber es gibt schon auch eine Menge Richtlinien (darum heißen sie ja Richtlinien und nicht Vorschriften), die uns Gott sei Dank eine Schablone geben, mit deren Hilfe wir die Probleme analysieren und dann vielleicht auch eine Lösung finden können. :wink:
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
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Beitrag von Anchy »

Svenja schrieb:
Für mich bedeutet der klassische Gedanken, offen und flexibel zu sein für alle unterschiedlichen Wege, und den, der auf mein Pferd passt, beschreiten zu können - MIT meinem Pferd. Und nicht weil ich zu dem Pferd sage dass es gehen soll.


Der eigentliche klassische Gedanke war aber nicht sooo offen und flexibel , wie wir das gerne romantisieren. Wer die alten Meister liest, der findet genau die Dogmen wieder und Grabenkämpfe, die daraus entstehen.
Ich finde es wichtig "eine Linie" in der Ausbildung zu haben und eben nicht, mal hier mal dort , Hände hoch,Hände tief.
Diese Flexibililät vieler Reiter beruht leider häufig auf dem eigenen Unvermögen der richtigen Umsetzung. Funktioniert nicht, also wird nach Alternativen gesucht, die Methode verdammt.
Da nehme ich mich gar nicht aus!
Man muß sich sehr kritisch hinterfragen, paßt es wirklich nicht fürs Pferd oder stoße ich an meine Grenzen.

Ich kenne mittlerweile zu viele Reitmystiker auf diesem Sektor, wo die Basis fehlt. Die orientieren sich an den Paradeletkionen Pi und Pa, sie nähren das Klischee, was am Ende eventuell zu einer öffentlichen Abkehr führen wird.


Klassisches Reiten als Lebenseinstellung sehe ich für mich persönlich nicht.
Es ist meine Einstellung bezüglich meiner Reitphilophie, aber ich wüßte nicht, in wie weit dies meinen Alltag beeinflußt.
Kann es auch nicht, ich lebe hier und jetzt und wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet kann ich auch nicht wegleugnen.

Liebe Grüße
Wenn Du es festhalten mußt, hast Du es schon verloren
Unbek. Ecuyer
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Re: Reitkunst - Quo Vadis?

Beitrag von Colloid »

Steffen hat geschrieben: Du fängst irgendwie an (wie eigentlich, nach Gefühl, nach eigener Erfahrung oder vielleicht doch nach einer "Schablone"?), dein Pferd auszubilden und dann klappt plötzlich was nicht...

Was nun... Sagt Dir dein Gefühl, was Du jetzt machen musst, oder brauchst Du vielleicht doch hier und da eine Reitlehre, die Dir hilft.
Ich habe doch den besten Lehrmeister zur Hand, den es gibt. Tausendmal besser, als jedes Buch und immer 100%ig ehrlich im Feedback:
Das Pferd.
Und das heißt für mich klassisch: bereit zu sein, vom Pferd zu lernen.
Und das ist keinesfalls "Eideideiduidu". Mein Kleiner bringt mir grade sehr deutlich bei, wie er behandelt werden möchte: Zucht und Ordnung, streng und gerecht.
Da gehen mir dann sämtliche theoretischen Grabenkämpfe gepflegt am verlängerten Rücken vorbei ;)
Gruß
Colloid
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