Unterschiede: klassisch - englisch?

Rund um die klassische Reitkunst

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Steffen
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Beitrag von Steffen »

Susanne hat geschrieben:Steffen, aber woran würdest Du dann die klassische Reitweise festmachen - wenn nicht an der Philosophie?
... natürlich, nur daran.

Das Problem besteht doch darin, dass die etablierte Reiterei diese Philosophie eigentlich absolut verinnerlicht haben sollte. Leider führt die Konzentration auf Wettbewerbe dazu, dass viele Reiter sich um die Philosophie gar nicht mehr kümmern, teils weil sie nicht vermittelt wird, teils weil die Reiter kein Interesse daran haben.

Trotzdem heißt das noch lange nicht, dass die Philosophie der klassischen Reitlehre damit nicht mehr existiert oder das Einzelne diese für sich allein in Anspruch nehmen und allen anderen Absprechen können.

Allerdings ist die Reiterei extrem komplex. Die klassische Reitlehre muss aber das Ganze Spektrum umfassen. Natürlich gibt es für jeden Einzelfall immer eine spezielle Lösung, die hier und da vielleicht sogar zu einem besseren Ergebnis führt. Es ist aber gefährlich, wenn man solche Lösungen zum Prinzip erhebt, weil sie der weiteren Logik der Ausbildung oft nicht Stand halten.

Z.B. das Vorwärtstreiben wird hier sehr häufig kritisiert. Wenn Vorwärtstreiben mit gleichzeitigem Vorne Ziehen kompensiert wird, ist dies natürlich eine Katastrophe und ein völlig falsches Verständnis.

ABER ein Pferd, das nicht wirklich kompromisslos vorwärts geht, wird niemals korrekt auszubilden sein, das sehen auch Herr Oliveira und Herr Hinrichs nicht anders.

Wenn man versucht, eine Philosphie umzusetzen, kann es schnell passieren, dass man versucht einen Fehler zu vermeiden und dabei so "erfolgreich" ist, dass man gleich 10 andere Fehler provoziert.
So verzichten viele Reiter gleich ganz darauf, Ihre Pferde vorwärts zu reiten. Aus Angst vor zuviel Zügel verzichten man gleich ganz auf Anlehnung. Aus Bewunderung vor dem feinen Reiten auf Kandare schnallt man schon jungen Pferden zum Teil blanke Kandaren ins Maul und und und.

Die Philosphie der klassischen Reitlehre ist ziemlich umfassend und nicht ganz so offensichtlich wie es oft zunächst scheint. Darum reicht ja auch ein Leben nicht aus, um sie zu begreifen. Die "einfachen und angeblich so offensichtlichen Lösungen" sind in der Reiterei leider ganz selten auf lange Sicht die Richtigen.
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
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Celine
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Beitrag von Celine »

Seit ich "klassischen" Unterricht habe, ist die Ausbildung des Pferdes viel flexibler. Dadurch haben Pferd und Reiterin mehr Spaß. Ich versuche, das Pferd mehr zu motivieren und weniger zu zwingen. Soweit wie möglich eben.

*halb offtopic*
Ich habe plötzlich ohne Kraftaufwand ein an den Hilfen stehendes, freudig vorwärts gehendes Pferd, was ganz eifrig ist. Vorher habe ich mit viel Kraft ein über dem Zügel laufendes, auf der Vorhand latschendes, nicht auszusitzendes Pferd gehabt. Beide waren wir nach den Dressurstunden durchgeschwitzt und unzufrieden.
Das lag aber am schlechten Unterricht und nicht an der Reitweise.
*halb offtopic aus*

Durch Zirkusquatsch und Handarbeit hab ich viel mehr Möglichkeiten, mich mit dem Pferd sinnvoll zu beschäftigen. Das macht die Arbeit abwechslungsreich. Und man kann an Problemen arbeiten, die auch beim Reiten auftreten und hat einfach ein größeres Spektrum.

Dass mir diese "neue" Art der Pferdeausbildung eine Hinrichs-Schülerin beibringt, ist allerdings eher Zufall. Weil ich sie nunmal kennengelernt habe.
Trotzdem hab ich immernoch vor, auch Turniere zu reiten.
muppet
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Beitrag von muppet »

Dann will ich auch mal, das erste Posting und dann gleich in so nem Thema. :oops:

Für mich gibt es hauptsächlich gutes oder schlechtes Reiten.
Leider beschäftigen sich viele "FN-Reiter" nicht wirklich mit dem Reiten. Da heißt es rauf auf's Pferd, in eine Haltung gezuppelt und das ist dann schön. Aber zu diesen "FN-Reitern" wird eben auch jeder x-beliebige Reiter mit einem englischen Sattel gezählt, egal ob der mal eine FN-Reitlehre gelesen hat oder guten Unterricht hatte.

In der FN-Reitlehre heißt es nicht Dauertreiben, vorne Zumachen und permanent Druck. Im Gegenteil! Man muß nur mal in die beiden einfachsten Standardwerke schnuppen: Richtlinien für Reiten und Fahren I+II, dort wird niemals die Rede vom Ziehen sein, sondern von feinen Hilfen, vom von hinten nach vorne Reiten.
Ein Beispiel: Entwicklung der Piaffe und Passage. Dort ist nicht von Druck die Rede, sondern davon, daß sich das Pferd die treibende Hilfe selbst durch seine Bewegung abholt.
Und die FN-Reiterei ist nicht langweilig, langweilig ist, was der unkreative Reiter daraus macht. Es ist immer die Rede von Abwechslung, kurzen Reprisen Neues zu üben, weiter zu kommen, kein Einheitsbrei. Und auch in der FN gibt es die Arbeit an der Longe, Doppellonge, Langzügel. Alles da!
Natürlich brauch man die Muße, sich damit zu beschäftigen, und/oder einen guten Reitlehrer. Leider scheitert es oft an einem vom beidem.

Ich hatte ein Gespräch mit einer Reitlehrerin, selbst bist zur höchsten Klasse im Sport erfolgreich geritten. Sie sagte mir, daß viele "FNler" sich einfach zu wenig zutrauen, immer die gleichen Kreise zuckeln. Aber das liegt nicht an der Reitlehre. Nur sieht die FN eben auch vor, wie die klassische Reitkunst auch, daß das schwere auf Grundlagen aufbauen muß, die es sich zu erarbeiten gilt.
Ich kann keine halben Tritte reiten, wenn mir der Sinn nicht klar ist, wenn ich mein Pferd nicht vor mir reiten kann, wenn ich mit meinem Hilfen nicht fein bin.
Ich brauche Ruhe, Zeit, Muße, Anleitung und evt. Geld für die eigene reiterliche Ausbildung und die des Pferdes, nix schnellschnell. Egal ob Klassisch oder FN. Und der Marktdruck lässt genau das kaum zu, in beiden Sparten, leider.

So und was ist klassiches Reiten für mich?
Ich muß zugeben, daß es im Prinzip nicht viel anderes ist als das klassische FN-Reiten, in der Theorie (mal abgesehen von landestypischen oder trainerbedingten Feinheiten).
Aber was ist es in der Praxis? Hier bei mir im Umfeld: genau so falsch verstandenes Reiten wie die FN-Reitweise, aber auf andere Art:
Permanentes kreisen im Schulterherein oder vielmehr dem, was der Reiter dafür hält. Kandarren auf Pferden, die nicht mal geradeaus laufen können, taktunrein zappelnde Tiere ohne vorwärts, Trainer, die bloß keine Zügel aufnehmen, weil es Druck bedeutet: nix elastische Verbindung zum Maul, nur Zügel wegschmeißen oder "impuls"-Zügel-Ranknallen.

Warum ich das so drastisch schreibe? Weil es bei beiden das falsch verstandenen Reiten gibt. Nur fällt es in der FN-Reiterei mehr auf, weil es mehr "FN"-Reiter gibt. Aber ich habe keine Sorge, daß sich das ändert. Hier wird klassisches Reiten gerade zur Mode und je mehr es davon gibt, desto seltener sieht man auch dort das wirklich feine Reiten.

So und nun für mich ganz persönlich:
Ich unterscheide nicht wirklich, sondern ziehe mir das heraus, was sich für mich gut und sinnvoll anhört. Ich würde mich selbst als FN-Reiter bezeichnen, ohne daß ich das passende Pferd noch Turnierambitionen hätte, und trotzdem bilde ich mir ein klassisch reiten zu wollen von können kann leider noch lange keine Rede sein.:lol:
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Medora
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Beitrag von Medora »

Hm,

an der Frage kaue ich nun schon eine ganze Weile rum. Habe mehrere Anläufe genommen, um sie zu beantworten, aber irgendwie war ich nicht zufrieden... Vielleicht ist das gar nicht "mal eben" zu beantworten?

Egal, ich schreib einfach mal die zwei für mich wesentlichen Punkte auf, zu denen ich jetzt nach einigem Überlegen gekommen bin:

Ein wichtiger Unterscheidungspunkt ist für mich der Einsatz der Hilfengebung. Während ich beim "englischen Reiten" immer wieder den Eindruck bestätigt bekomme, dass Reiten dort im Wesentlichen ein Kraftakt ist, sehe ich ein Ziel der Klassischen Reiterei in der konsequenten Reduktion der Hilfen. Dazu gehört für mich auch die Reduktion von Hilfsmitteln. Die Hilfengebung nähert sich im Idealfall dem Führen wie beim Tanz an.

Ein weiterer und für mich ganz wesentlicher Punkt ist der: Im Gegensatz zu fast allem, was ich bisher von der "englischen" Reiterei gesehen habe, wird in der Klassischen Lehre fast immer motiviert, warum man welche Lektionen macht oder warum man welche Hilfe einsetzen soll. DAS war das, was mich zur klassischen Reiterei gebracht hat: überzeugende oder zumindest bedenkenswerte Argumente.

So, das war nun doch kurz, aber sicher nicht vollständig :wink:
Medora
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Larry
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Beitrag von Larry »

Hallo Medora, sehe es ähnlich. Würde aber ein Roman werden-bei ausführliche Antwort!

Ich finde auch in der Klassik die Spielrei mit den Ideen des Weges zum Ziel weitaus breiter gefächert.
Zumindest nehmen es Klassiker öfter an und sezten es eben auch öfter um, als Englischreiter-warum auch immer.

Zu dem Gefühl Tanz und Kraft..war bei der Appasionata mal sehr deutlich zu sehen.
Nenne keinen Namen. Wenn aber (Jahre her), nach den Doma Vaquerareitern eine Dressurreiterin (englisch) rein kommt, hast Du eher das Gefühl schlagartig auf einem Dressurplatz zu stehen, nichts mehr mit Pferdegala. Mehr kann ich für mich dazu nicht sagen.
Grüße
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Anchy
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Beitrag von Anchy »

Hallo Medora,

kann ich Dir nur zustimmen. Den Auftritt der FNgesteuerten Dressurreiter erlebe ich leider auch eher immer als Stimmungskiller( denke da auch an die letzte Appassionata).Gääähn, aber da kann man wenigstens auf die Toilette gehen, denn das hat man im Fernsehen auf dem Vierecke ja genauso gesehen.
Und genau dieses ist sooo bezeichnend für das "reelle Reiten" ( bitte Gänsefüßchen beachten), stets genormt in Kleidung und Haltung.

Liebe Grüße
Anchy
Wenn Du es festhalten mußt, hast Du es schon verloren
Unbek. Ecuyer
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Steffen
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Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von Steffen »

...nur damit ich den Faden nicht verliere,

kann mir mal jemand erklären, was "englisch" - Reiten sein soll, und wie man auf diesen Begriff kommt. :roll: :?: Das habe ich scho mal gefragt, ohne dass es jemand beantworten konnte, trotzdem wird fleißig weiter englisch ./. klassisch "argumentiert".

Die FN soll dann wohl englisch sein - warum auch immer - und wer ist dann bitte schön klassisch?

Herr Hinrichs oder Herr Branderup oder Her Karl, wobei jeder dieser Herren eine eigene Lehre mit Anspruch auf die Einzig wahre Weisheit verkündet und außer sich selbst höchsten noch die "alten Meister" gelten läßt, keinesfalls aber die "Konkurrenz"?

Bei Herrn Hinrichs läßt sich - abgesehen von den Kostümen - mittlerweile überhaupt kein Unterschied mehr zur Lehre der FN erkennen (was mich auch nicht überrascht, sondern eher darauf hinweist, dass er in der Tat klassische Dressur betreibt). Er arbeitet ja wohl auch bereits eng mit Frau Kemmer zusammen (interessante Mischung :? )

Also bevor es weitergeht, bitte mal Aufklärung: Was ist Englisch und was ist Klassisch???

Hier wird soviel durcheinander geschmissen, dass ich beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen kann, was gemeint ist.

Die FN hat kaum etwas mit England zu tun, sondern bezeichnet ihre Lehre als klassische Dressur.

Wenn eine Dressurreiterin nicht im Biene Maja Kostüm auftritt finde ich das angemessen und nicht langweilig und als ich damals Appasionata in Hamburg gesehen habe, gab es standing ovation - da steht man zwar auch auf, aber nicht um auf die Toilette zu gehen.

Zur Zeit ist diese Diskussion - zumindest für mich - nicht nachvollziehbar.
Viele Grüße
Steffen, Gavilan & Duende
horsman
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Beitrag von horsman »

@gavilan
Ich denke der Begriff "englisch" Reiten kommt daher, dass so spästestens ab Mitte des 19 Jrh. sich die Mode bei den Pferden und in der Reiterei änderte. Der Niedergang der Monarchien und der königlichen Reitenschulen und die Verlagerung der Reitkompetenz zu den Militärs ging damit einher, wobei die Kriegsführung nun Massen von schnellen Pferden für lange Strecken brauchte, anstatt das wendige Nahkampfross.
Das iberische Pferde mit seiner Wendigkeit und Versammlungsfähigkeit wurde mehr und mehr verdrängt vom engl. Vollblüter und seinen Kreuzungsprodukten. Die Art der Sättel änderten sich, es kam mehr in Mode Jagden zu reiten und auf Promenaden rumzustolzieren, als etwa in der kleinen Reitbahn sich auf engem Raum zu tummeln.
Die Jagdreiter erfanden notgedrungen das Leichttraben, weil sie ihre langen Vollblutviecher sonst nicht sitzen konnten.

Diese neuen Tiere und ihre besonderen Schwierigkeiten brachten übrigens Baucher wohl auch auf seine neue Ideen.

Gruss
horsmän
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Jen
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Re: Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von Jen »

Steffen hat geschrieben: Also bevor es weitergeht, bitte mal Aufklärung: Was ist Englisch und was ist Klassisch???
jaja, finde ich eine wichtige Sache. Man sollte diese Begriffe zuerst definieren, bevor man darüber diskutiert. Denn Tatsache ist, dass sehr viele irgendwelche Vorurteile gegenüber dem einen oder anderen haben, aber die v.a. darauf basieren, dass man eigentlich gar nicht so genau weiss was dahinter steckt.

Englisch reiten... da wird heute einfach irgendwie alles in den Topf geworfen, was nicht western ist... aber stimmt denn das? Für mich ist die englische Reitweise nämlich nicht das gleiche wie FN. Englische Reitweise ist für mich v.a. das Geländereiten, Jagdreiten. Halt wirklich das Reiten wie es in GB betrieben wird. Es ist auch ein "leichtes", durch vorwärts geprägtes, unerschrockenes reiten, es wird weniger auf die Haltung der Pferde geachtet, die ergibt sich von alleine, Geländehindernisse sind etwas natürliches, es wird v.a. Schritt und Galopp geritten, Trab leichtreiten. Viele Ponyprüfungen, eher auf Springen als Dressur ausgerichtet. Das ist für mich "englisches" Reiten. Und hat nichts mit FN oder so zu tun.

FN-Reitlehre ist für mich das "deutsche" Reiten. Ursprünglich geprägt von Steinbrecht, der HDV und den Richtlinien. Leider ist die moderne Interpretation von diesem "deutschen" Reiten in eine ungünstige Richtung abgedriftet, weil die Interpretation dieser Schriften etwas ähm gedehnt wurde. Ich glaube viele dieser modernen Interpretationen resultieren auch in einem etwas anderen Sprachverständnis heute als früher und der Entwicklung des Reitsports in Richtung Breitensport vs. Spitzensport. Reiten wurde zu einer "Massenbetätigung". Die ursprüngliche REitlehre ist für mich also schon auch klassisch, aber nicht DIE klassische REitlehre, sondern nur EIN TEIL der klassischen Reitlehre. Denn:

Klassisches Reiten ist für mich ein grösserer Begriff als "nur" das deutsche (FN-)Reiten, sondern ist international, also beinhaltet sowohl auch iberische, französische, englische und deutsche etc. Reitmeister. Es ist ein schwammiger Begriff und Klassisch ist für mich nicht automatisch "besser". Denn auch bei den alten Meistern gibt es Sachen, die heute nicht mehr angebracht sind. Aber es ist unbestritten, dass sie sehr viel wussten und das klassische Reiten ist für mich dieses "alte Wissen", das bewahrt werden soll. Leider ist schon vieles Wissen verloren gegangen, durch den Breitensport, dadurch dass Reiten ein "Hobby", eine Freizeitbeschäftigung wurde und nicht mehr eine "Leidenschaft" oder "Passion" ist, die intensiv studiert wird. Das Wissen verwässert, verblasst, geht vergessen.

Klassisches Reiten ist für mich das "alte" Reiten. Also eine Reitlehre, die sich direkt an den alten Meistern orientiert. Unbestritten gibt es auch eine moderne Reitlehre (vielleicht auch den ein oder anderen Meister) und nicht alles davon ist automatisch schlecht. Ich bin mir aber unschlüssig, wie ich das nennen soll, denn "klassisches" Reiten ist es nicht für mich.
Liebe Grüesslis, Jen
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Steffen
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Re: Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von Steffen »

@ horsemän: sehe ich genau so, "englisch Reiten" ist also im Grunde eher die Abkehr von der Dressur hin zu einem leichten Reiten insbesondere im Gelände, bei Jagden und Springen. Im Grunde genommen also ein deutlich anderer Zweck als die Dressur der FN (FEI).
Jen hat geschrieben: Klassisches Reiten ist für mich ein grösserer Begriff als "nur" das deutsche (FN-)Reiten, sondern ist international, also beinhaltet sowohl auch iberische, französische, englische und deutsche etc. Reitmeister.
Dann sind wir uns völlig einig. Wenn wir also von FEI und nicht von FN reden, kommen wir der Sache schon näher. Allerdings wird man wohl einräumen müssen, dass man sich auch international in Fragen der Dressur recht stark an der deutschen Auslegung orientiert, und das nicht nur, weil man irgendwann mal die deutsche HDV als Richtlinie zu Wettbewerbszwecken verwendet hat.
Jen hat geschrieben: Klassisches Reiten ist für mich das "alte" Reiten. Also eine Reitlehre, die sich direkt an den alten Meistern orientiert.
Auf die alten Meister berufen sich eigentlich alle, insofern ist das leider kein Unterscheidungskriterium. Aber die Reitkunst ist wie jede Kunst nicht statisch, sondern sie entwickelt sich immer weiter. Dabei gibt es natürlich auch immer wieder Fehlentwicklungen. Außerdem muss sich die Dessur dem entsprechenden Pferdetyp anpassen. Wenn man eine Dressur von 1970 sieht und eine von heute, sind das Welten.

Aus meiner Sicht bedeutet klassische Reitlehre lediglich das Festhalten an bestimmten Prinzipien der Ausbildung von Pferden. Dazu gehört insbesondere das Bemühen, eine vertraunesvolle Kommunikation mit dem Pferd zu entwickeln (reiterliche Hilfengebung) und das Pferd mit System (im Gegensatz zu "try and error") auf die Aufgaben vorzubereiten. Symbol für dieses System ist die Skala der Ausbildung, die natürlich für jedes Pferd individuell angepasst werden muss, aber zumindest vom Grundsatz her das System der Ausbildung beschreibt.

Die etablierten Organisation der Reiterei, seien es die Reitinstitute oder die Verbände haben die Aufgabe, die klassischen Grundsätze zu erhalten und die laufende Entwicklung stets an ihnen zu messen. Darum wird auch nicht gleich jedes neue Buch als Errungenschaft gefeiert, sondern man prüft zunächst sehr lange und intensiv, ob die Thesen wirklich zum versprochenen Ergebnis führen. Das ist sicher auch gut so.

Ich persönlich bin z.B. insbesondere von der Reiterei wie sie an der Reitschule in Wien praktiziert wird begeistert. Auf die Frage eines Journalisten an einen Wiener Oberbereiter, was denn anders sei als bei der Sportdressur, war dessen Antwort: "Eigentlich gar nichts".
Genau zu diesem Ergebnis komme ich immer und immer wieder. Und z.B. auch das was man von Herrn Hinrichs hört unterscheidet sich in gar nichts von dem, was eine gute Dressur ausmachen sollte. Es wird vielleicht nur etwas besser erklärt.

Man soll nicht schlechte Dressur zum Maßstab von FEI Dressur an sich nehmen. Schlechte Reiterei gibt es überall genügend, auch bei den Schülern von Herrn Karl und Co.
Viele Grüße
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Re: Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von horsman »

[quote="Steffen Im Grunde genommen also ein deutlich anderer Zweck als die Dressur der FN (FEI).[/quote]

Nunja, die FN-Reiterei verfolgt ja auch ebensolche Ziele, kommt m.E. auch eher aus der enl. Reiterei. Für die hohe Schule wurde dann hier und da was drangeklatscht, m.E. aber nicht durchgängig schlüssig kombiniert.

[quote="Steffen
Ich persönlich bin z.B. insbesondere von der Reiterei wie sie an der Reitschule in Wien praktiziert wird begeistert. Auf die Frage eines Journalisten an einen Wiener Oberbereiter, was denn anders sei als bei der Sportdressur, war dessen Antwort: "Eigentlich gar nichts". [/quote]

Das kann man jetzt leider wohl auch feststellen, an einem Foto vom BRT in der März-St.Georg, wo ein Pferd für die Piaff-Bodenarbeit mit Herrn Riegler m.E. viel zu eng ausgebunden daher kommt :(
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Jen
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Re: Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von Jen »

Steffen hat geschrieben: Dann sind wir uns völlig einig. Wenn wir also von FEI und nicht von FN reden, kommen wir der Sache schon näher. Allerdings wird man wohl einräumen müssen, dass man sich auch international in Fragen der Dressur recht stark an der deutschen Auslegung orientiert, und das nicht nur, weil man irgendwann mal die deutsche HDV als Richtlinie zu Wettbewerbszwecken verwendet hat.
Das ist aber genau das, was ich mit modern vs. klassisch meine. Klassisch hat nichts mit einer Auslegung einer bestimmten "Nation" bzw. "deutsch" zu tun, sondern ist eben der Bezug auf verschiedene alte Meister und nicht nur eine Schrift (HDV), die nach meinem Verständnis ja auch sooo alt nicht ist, wenn man von "alten" Meistern spricht.
Steffen hat geschrieben:
Jen hat geschrieben: Klassisches Reiten ist für mich das "alte" Reiten. Also eine Reitlehre, die sich direkt an den alten Meistern orientiert.
Auf die alten Meister berufen sich eigentlich alle, insofern ist das leider kein Unterscheidungskriterium. Aber die Reitkunst ist wie jede Kunst nicht statisch, sondern sie entwickelt sich immer weiter. Dabei gibt es natürlich auch immer wieder Fehlentwicklungen. Außerdem muss sich die Dessur dem entsprechenden Pferdetyp anpassen. Wenn man eine Dressur von 1970 sieht und eine von heute, sind das Welten.
Auch hier: 1970 ist was Reitkunst betrifft nicht "alt". Sondern eigentlich schon der Beginn der Moderne.

Aus meiner Sicht bedeutet klassische Reitlehre lediglich das Festhalten an bestimmten Prinzipien der Ausbildung von Pferden. Dazu gehört insbesondere das Bemühen, eine vertraunesvolle Kommunikation mit dem Pferd zu entwickeln (reiterliche Hilfengebung) und das Pferd mit System (im Gegensatz zu "try and error") auf die Aufgaben vorzubereiten. Symbol für dieses System ist die Skala der Ausbildung, die natürlich für jedes Pferd individuell angepasst werden muss, aber zumindest vom Grundsatz her das System der Ausbildung beschreibt.
Nun ja, auch Anky van Grunsven betreibt ihre Ausbildung systematisch! Aber das hat trotzdem nichts mit klassischer Reitweise zu tun. Nur weil es ein "System" gibt, heisst das noch nicht automatisch klassisch. Und auch die klare Formulierung der Skala der Ausbildung teile ich eher der modernen Reiterei (begründet auf alten Prinzipien) zu. Das bedeutet ja nicht per se, dass es schlecht ist. Ich möchte dies wertfrei betrachten.

Ich persönlich bin z.B. insbesondere von der Reiterei wie sie an der Reitschule in Wien praktiziert wird begeistert. Auf die Frage eines Journalisten an einen Wiener Oberbereiter, was denn anders sei als bei der Sportdressur, war dessen Antwort: "Eigentlich gar nichts".
Genau zu diesem Ergebnis komme ich immer und immer wieder. Und z.B. auch das was man von Herrn Hinrichs hört unterscheidet sich in gar nichts von dem, was eine gute Dressur ausmachen sollte. Es wird vielleicht nur etwas besser erklärt.
Wobei gerade eigentlich die Tradition der Wiener sich ja sehr stark auf Guérinière berufen und der Sinn der Spanischen ursprünglich mal war, diese Ausbildungsart zu bewahren. Dies jetzt auch völlig wertfrei betrachtet. Wobei ich persönlich auch hier eher einen Wandel zu erkennen meine und der Einfluss moderner Methoden nicht immer nur positiv ist.
:?
Man soll nicht schlechte Dressur zum Maßstab von FEI Dressur an sich nehmen. Schlechte Reiterei gibt es überall genügend, auch bei den Schülern von Herrn Karl und Co.
richtig. Klassisch/Nicht-klassisch ist von der Definition her nicht einfach gleichzusetzen mit guter vs. schlechter Reiterei!
Liebe Grüesslis, Jen
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Medora
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Beitrag von Medora »

Um die Frage, was "englisch" ist, habe ich mich bewusst gedrückt - ich wählte den Begriff tatsächlich als Sammelbezeichnung für das, was man eben "normalerweise" in der Bahn geritten sieht. Das gleichzusetzen mit der "FN" dürfte nun wieder dahingehend zu kurz greifen, dass die FN vieles davon nicht gutheißen dürfte. Gleichzeitig sehe ich aber eben auch viel Mist, der ausdrücklich mit dem Hinweis auf die FN-Richtlinien verzapft wird.

Schwierig, schwierig. Aber es stimmt natürlich - "englisch" versus "klassisch" ist eine zu starke Vereinfachung und auch ich setze "klassisch" keineswegs mit "gut geritten" gleich. Und natürlich müsste man ja auch noch mal ziemlich differenziert zwischen den verschiedenen klassischen Ansätzen unterscheiden. Mag sein, dass ich mich deshalb auch so schwer mit einer Antwort getan habe... :roll:

Dennoch treffen für mich die beiden genannten Punkte zu - das allerdings in der etwas plakativen und vereinfachten Gegenüberstellung. Und jep, Larry Hinweis auf die Vielfalt der Möglichkeiten kann ich auch mitaufnehmen.

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feathercut
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Beitrag von feathercut »

Wenn ich mich auch mal einklinken darf.

Ich sehe mich ja auf dem Gebiet der klassischen Reitkunst auch als ein absoluter Frischling. Dazu gekommen bin ich über meinen Westernstall. Als die dortige Trainerin sich Unterricht nahm bei Emil Scheid.

Was ich an der üblichen Reitweise in englischen Sätteln (möge man sie nennen wie man will) im Durchschnitt eben auch nicht mag ist, dass wie schon erwähnt, erst sehr spät auf präzise Hilfengebung verwiesen wird (wie kommt es sonst, dass nur sehr weit ausgebildete Lehrer anfangen darauf zu verweisen?). Außerdem wird mir um zu viele Lektionen ein zu großes Tänzchen gemacht. So dass man mit vielen Dingen (seien es die Seitengänge oder sonst was), erst sehr spät beginnt und davor jahrelang versucht sein Pferd auf Zirkeln, ganzer Bahn und Volten zu lösen. Anstatt, dass man "diese Lektionen" dazu verwendet, dass Pferd zu gymnastizieren. Am Ende steht dann, ein erhabenes lockeres Pferd.

Diesen Gedanken vermisse ich oft und ich hab als englisch Sattel Exot im Westernstall oft die ERfahrung gemacht, dass viele vom sogenannten "englisch Reiten" nur denken, dass es ziehen und klopfen ist.

Ein weiterer Unterschied der mir stark auffällt ist die Anfforderung, welche man an das Pferd stellt. Wenn ich mir Dressur im Fernsehen anschaue, dann sehe ich immer einen großen Stapel WB, die alle viel TamTam auf der Vorderhand machen, ihr Beine bis zu den Ohren werfen und man darüberhinaus gar nicht mehr so sehr auf die Hinterhand achtet. Hat man selbst nicht ein solches Pferd, ist man oft schon in irgendeiner Schublade verschwunden, aus der man kaum noch heraus findet. Klassisches Reiten ist für mich toleranter und offener.
Natürlich möchte ich nicht verallgemeinern, ich kann mich nur auf Erfahrungswerte berufen. Aber so ist es mir seither ergangen.

Liebe Grüße,
Nina
Tornano
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Re: Häh??? was ist denn überhaupt Englisch - Reiten ???

Beitrag von Tornano »

Steffen hat geschrieben: Auf die alten Meister berufen sich eigentlich alle, insofern ist das leider kein Unterscheidungskriterium. Aber die Reitkunst ist wie jede Kunst nicht statisch, sondern sie entwickelt sich immer weiter. Dabei gibt es natürlich auch immer wieder Fehlentwicklungen. Außerdem muss sich die Dessur dem entsprechenden Pferdetyp anpassen. Wenn man eine Dressur von 1970 sieht und eine von heute, sind das Welten.
Dazu ist jedoch anzumerken, dass kein Gemälde von Steinbrecht, La Guérinière oder irgendeinem anderen "Alten Meister" auch nur im Entferntesten dem entspricht, was die Richtlinien für Reiten und Fahren lehren. Diese Bilder widersprechen diesen in den meisten Fällen deutlich und dies liegt wohl kaum daran, dass die Künstler nicht malen konnten.
Steffen hat geschrieben: Man soll nicht schlechte Dressur zum Maßstab von FEI Dressur an sich nehmen. Schlechte Reiterei gibt es überall genügend, auch bei den Schülern von Herrn Karl und Co.
Das ist in etwa so aussagekräftig, wie die Erkenntnis, dass es Anfänger und Fortgeschrittene gibt. Sämtliche Praktiken und Fehler seiner Turniersieger, vorallem auf höchsten Niveau, hat sich ein System sehr wohl zuzuschreiben.
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