Totilas - Eine eigene Klasse?

Allgemeines rund ums Pferd

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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Ich differenziere da halt auch zwischen "richtigen" und "falschen" Trainingsmethoden und je weiter ein Reitstil m.E. von "echter" klassischer Reitweise abweicht, desto "schlimmer" ist das Ergebnis (welches dann eben "Korrigiert" werden muss, Weiterentwicklung würde ich anders definieren)...

Für mich ist und bleibt Totilas nun einmal nicht nach klassichen Kriterien gearbeitet, noch nirgendwo habe ich hierfür irgendwelche Belege gesehen, nur ein Resultat das sich eben der Kritik aussetzen muss, welches seine Reitweise mit sich bringt.

Und über diese Thematik ist scheinbar in keiner bisherigen Diskussion eine Annäherung zwischen den "Kontrahenten" zu erreichen, da eben jeder auf seinem Standpunkt beharrt und sich nur im Kreise darum gedreht wird.
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Gast

Beitrag von Gast »

Belfigor hat geschrieben:
Für mich ist und bleibt Totilas nun einmal nicht nach klassichen Kriterien gearbeitet, noch nirgendwo habe ich hierfür irgendwelche Belege gesehen, ...
Jepp.
Deswegen ist er - und vielleicht noch 2 oder 5 andere, höchstens! - der Einzige, bei dem die Durchlässigkeit in den Übergängen nahezu perfekt ist. Vermutlich ist es auch der Rollkur zu verdanken, dass seine Wechsel wie Perlen auf der Schnur der Linie folgen und er nicht, wie manch ein anderes Pferd, mit der Vorhand oder der Hinterhand von einer Seite zur anderen hüpft, als hätte er Angst, an der vorgesehenen Stelle den Boden zu berühren.
Die Erkenntnis, dass man mit LDR oder gar der Rollkur geraderichten kann, trifft mich heute früh geradezu baseballschlägerartig.
Worüber ich auch zwingend nachdenken muss ist: worin liegt das Geheimniss, dass das Pferd bei den Traversalen so schwungvoll mit dem äusseren Bein in die Linienrichtung tritt.
Verhält es sich womöglich so, dass gerollkurte Pferde, lässt man sie mal vorne hoch, nicht nur automatisch davonfliegende Vorhände bekommen, sondern darüber hinaus auch die Hinterbeine, wie von Zauberhand geführt, die Schwerpunktrichtung ganz von alleine finden? Und warum ist das nicht bei jedem gerollkurten Pferd so?
Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Soviel ich weiß (mag mich vielleicht auch irren, don't know) wurde die "Rollkur" ja von Linda Tellington Jones propagiert (damals von Nicole Uphoff in die Öffentlich getragen...).

Sinn dieser "runden, tiefen" Kopfhaltung ist der, dass es im Bereich Brustwirbelsäule zur Entspannung kommen kann, weshalb diese Haltung für Pferde, die hier gerade Probleme haben für eine gewisse Zeit (und damit meine ich Minuten) durchaus Sinn machen kann, um eine Lockerung zu erfahren; selber habe ich das mal bei einem rückengeschädigten Pferd erlebt (Folgen eines Unfalles): das Pferd verkroch sich für 10 Minuten völlig hinter der Senkrechten, rollte sich von alleine ein, um sich aus der Position wieder von selbst anzuheben.

Linda Tellingston Jones sagte hierzu: die WS eines Pferdes muss zu jeder Zeit an jede beliebige Position zu bewegen sein (sollte vielleicht noch fortgeführt werden mit der Begründung:) ... wenn es dafür Sinn macht (z.B. das Anheben, Lockern im Bereich der Brustwirbelsäule). Vielleicht ist es ja etwas, das Totilas tatsächlich benötigt...

Hierzu gibt es auch diverse Untersuchungen von Physiotherapeuten, die genau diese Aspekte untersucht haben. Soweit ich mich erinnere gibt es auch tatsächlich keine Beweise für eine schädigende Wirkung von gerollkurten Pferden, was alle an der Studie beteiligten Physios wohl selber überrascht hat (ging man doch davon aus, dass man diverse Schädigungen würde finden können).

Dennoch sehe ich bei Totilas zwar ein wunderschönes, hochbegabtes Pferd, welches sich aber NICHT in physiologisch sinnvollem Umfange nutzt - logischerweise nicht duchgängig, sein Talent kompensiert sehr viel; durch sein hohes Bewegungspotential zeigt er alle verlangten Lektionen für's Auge des (unkundigen) Betrachters schön anzusehen... Nur fehlt es an ettlichen Points (z.B. Nutzung richtiger Muskelgruppen, korrekte Kraftübertragung), wass mir vor Augen führt, dass die Reiter Totilas' nicht auf klassisches Wissen und Können zurückgreifen, wahrscheinlich weil es einfach nicht vorhanden ist... Dennoch möchte ich behaupten, dass es sich hierbei um Reiter handelt, die dem "Durchschnittsreiter" um Klassen überlegen sind...

Gäbe es nicht andere Probleme auf dem Planeten, die ich für weit bedeutender halte, würde dieses verlorengehende Wissen der ganzen Altklassiker echt einem Drama gleichkommen...
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Beitrag von Ielke »

Naja, aber ein "Nicht-nach-den-Altklassikern-ausbilden" regelrecht mit dem Einsatz von Rollkur gleichzusetzen ist schon bischen arg schwarz-weiß-betrachtet...
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Bino
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Beitrag von Bino »

Man kann mit LDR nicht geraderichten und auch alle anderen Kriterien eines GP erfüllen?
In der LDR-Haltung kann man so ziemlich alles erreichen und anscheinend gewinnen auch nur noch Reiter, die ihre Pferde so ausbilden. Die Formen reichen dabei von stark gerollkurt bis mäßig lang und rund geritten (wien Gal es jetzt anscheinend macht), dabei ist die Nase aber immer hinter der Senkrechten! Heutzutage muss ein Pferd "rund" sein, damit es gut läuft.
Es ist schon schlimm genug, dass LDR erlaubt ist, aber klassisch ist es deswegen noch lange nicht.
Totilas mag in den Prüfungen und auch beim Training mit all den Dingen glänzen, die Sabrell erwähnt hat, aber ausgebildet wird er trotzdem konsequent mit der Nase hdS und das ist in meinen Augen weder pferdegerecht noch klassisch.
Gal ist mit Sicherheit ein guter Reiter und sicher wurde in vielen anderen Bereichen bei Totilas Ausbildung gut gearbeitet, Totilas Talent und sein Charakter haben ihr übriges dazu beigetragen. Doch leider ist es einfach schon so normal gworden, das Pferd tief und rund einzustellen, dass selbst Reiter, die sich "klassisch" auf ihre Fahnen geschrieben haben, es tun.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Ielke hat geschrieben:Naja, aber ein "Nicht-nach-den-Altklassikern-ausbilden" regelrecht mit dem Einsatz von Rollkur gleichzusetzen ist schon bischen arg schwarz-weiß-betrachtet...
…zumal es bewusstes HdS-Reiten schon lange vor dem modernen Dressurzirkus gab. Dazu muss man z.B. nur mal die Fotos anschauen, die neulich hier von Baucher eingestellt wurden.
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Oder man liest mal den Plinzner.
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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Das ist wohl wahr, Cubano.

Ich hatte mal einen Artikel in Fingern, in dem sich ein (altklassischer) "kaiserlicher Hofausbilder" beschwerte, dass er keine Pferde übernehmen wolle, die LDR ausgebildet wurden... keine Ahnung mehr, wie die das damals nannten... Aber das "Problem" scheint tatsächlich schon sehr alt zu sein. Schade, dass ich mir solche Artikel nicht aufhebe, es wäre sehr interessant für die ganze Diskussion hier und vielleicht hat ja jemand Zugang zu irgendwelchen Archiven, weiß woher man das bekommen kann...

Es ist einfach wirklich ein immer größer werdendes Problem, dass selbst "Klassiker" bzw. solche, die sich - ohne entsprechenden Hintergrund - so nennen, LDR als pferdegerecht bezeichnen und praktizieren.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Übrigens denke ich, das auch das Schönheitsideal sich nicht so sonderlich gewandelt hat, was die Halsoberlinie eines Pferdes angeht. Wenn man sich mal Reiterstandbilder in vielen europäischen Metropolen anschaut, die ja teilweise aus dem 18./19. Jahrhundert stammen, kommt man nicht umhin, festzustellen, dass diese fast ausschließlich HdS gehende Pferde mit sehr rundem Hals waren. Nebst feurig rollenden Augen übrigens, und ich möchte gar nicht so genau wissen, wie dieser Augenausdruck zustande gekommen ist…

@Bino: Was den Charakter von Totilas angeht, glaube ich eher, dass dieser Gal "gezwungen" hat, reiterlich umzudenken. In einem spanischen Sender gab es mal ein Interview von ihm. Da erzählte er, dass er beim ersten Proberitt nach zwei Minuten von dem Pferd abgesprungen sei – und zwar in blitzartiger Geschwindigkeit. Nicht alle Pferde sind nämlich so duldsam, wie man glaubt.
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Beitrag von Max1404 »

Tja, und was nun ist "klassisch"?

Pluvinel, Newcastle, Gueriniere, Baucher, Steinbrecht, Plinzner, Lörke, Fillis, Klimke, Oliveira, Neindorff, Stecken, Stensbeck, Karl, Racinet, Branderup, Beran, v. Ziegner, andere???
Die genannten sind allesamt "Klassiker" mit sehr unterschiedlicher Auffassung davon, was gut und richtig ist. Und sehr unterschiedlichen Reit- und Ausbildungsstilen.
Viele Grüße
Sabine
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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Alle aufgeführten klassischen Strömungen sind auf alle Fälle allesamt klassischer als das, was im "modernen Reitsport" derzeit dargeboten wird; über die Unterschiede all der unterschiedlichen klassischen Anschauungen zu diskutieren halte ich im Falle "Totilas" erst für angebracht, wenn wenigstens einer der aufgeführten klassischen Weg gegangen wird, was aber nicht der Fall ist.

Alles andere - also das Herausarbeiten und das Diskutieren über die Unterschiede von "Klassikern" - gehört m.E. nicht in diesen Thread.
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@Belfigor: dann ist aber keiner derjenigen, die sich heute "Klassik" aufs Etikett schreiben, wirklich klassisch.
Weder AB, noch BB, noch PK, um einige der prominentesten zu nennen.
Jeder von ihnen geht seinen eigenen Weg.
Wer also reitet heute noch wirklich klassisch?

Und die Diskussion, wie im Sport zu reiten ist, ist 100 Jahre alt. Davon zeugen die geänderten Abmessungen der Vierecke, die sich ständig ändernden Aufgaben, die geänderten Richtverfahren und die Multiplikatoren für einzelne Lektionen, die ebenfalls ständig geändert wurden.

Mit all den Fehlern, die hierbei unterlaufen können.
War es zeitweise die Exaktheit der Ausführung der Lektionen (mit dem Ergebnis, dass zumindest 1x ein Schenkelgänger Olympiasieger wurde), liegt jetzt eine Überbetonung auf den "ausdrucksstarken" Gängen und des Showgedankens. Die Reiter reiten so wie gerichtet wird. Findet irgendwann ein Umdenken im Richtverfahren statt, wird auch wieder anders geritten. So einfach ist das.

Nicht zu vergessen: die Show lässt die Kassen klingeln. Noch niemals war die Dressur so interessant für "Uneingeweihte" wie seit dem Zeitpunkt, als Totilas auf der Bildfläche erschienen ist.

PS: es war nicht meine Absicht, die Unterschiede der verschiedenen Klassiker hier in diesem Thread zu diskutieren. Ich wollte nur aufzeigen, dass das, was wir heute in einen Topf mit dem Label "Klassik" werfen, keinesfalls so einheitlich war, wie viele uns das glauben machen möchten.
Viele Grüße
Sabine
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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Max, ja, die Unterschiede der (heutigen, mordernen) "Klassiker" sind groß und das waren sie schon wohl auch schon immer... auch ich habe da meine "Vorlieben", die ich halt am Resultat werte... Ich weiß nicht, ob sich das mit "Geschmacksache" umschreiben läßt oder eher erklären mit Verständnis und Gefühl: man kann halt nur das umsetzen, was man verstanden hat (vergleichbar mit der Mathematik) und für das "Erarbeiten" des Verständnisses ist das Gefühl, die Erfahrung wichtig und selbst dann führen sicherlich noch verschiedene Wege nach Rom; aber dort sollten sich halt alle, die sich auf die Fahne schreiben nach klassischen Kriterien auszubilden, spätestens wieder treffen.

Ich weiß, dass das ne Methapher ist, für die man jetzt "Argumente" oder Erklärungen einfordern könnte; das halte ich aber für so komplex, dass ich nicht wüßte, wie in ein paar Worten umschreiben.

Ich meine, solange es Herrn Totilas gesundheitlich (körperlich wie psychisch) gut geht, besteht m.E. auch kein Grund sich zu sorgen... ob dies so ist, sei mal dahingestellt, ich wage das nicht zu beantworten... Was ich halt nicht mag ist, wenn man das Totilas-Gereit auf die selbe Ebene mit irgendwelchen (modernen oder alten) Klassischen Ausbildern auf eine Stufe stellt, denn dort (den erwähnten wie PK, AB oder BB und da gäbe es noch einige zeitgenössische Kollegen) habe ich wahrlich noch nie erlebt, dass ein Pferd mit Rollkur, LDR, Hyperflektion oder ähnlichen Kopfhaltungen "ausgebildet" wird...
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@Belfigor, wir sehen die Sache eigentlich gar nicht so sehr verschieden.

Ich bin wahrlich kein Freund von Rollkur. Ich bin aber auch kein Freund der völlig auseinandergefallenen und durch den Sand schlurfenden Pferde, deren Videos man bei zahlreichen Schülern von zumindest einem "Neuen Klassiker" sieht. Manch einer sieht es vielleicht als harmonisch und "leicht" an. Für mich haben diese Pferde den Zauber, der in elastischen, federnden Bewegungen wohnt, verloren.

Ich bin kein Totilas-Fan. Ich bin aber ein Fuego-Fan. Und ein alter Rembrandt-Fan. Warum, weiß ich nicht. Das kann ich auch nicht an fachlichen Gründen festmachen, denn natürlich sehe ich Holperer und Fehler. Bei zweien ist nur einfach der berühmte Funke übergesprungen, bei dem anderen nicht, auch wenn mir einzelne Lektionen gut gefallen. Vielleicht wirklich nur Geschmackssache. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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LordFado

Beitrag von LordFado »

Belfigor hat geschrieben:...Was ich halt nicht mag ist, wenn man das Totilas-Gereit auf die selbe Ebene mit irgendwelchen (modernen oder alten) Klassischen Ausbildern auf eine Stufe stellt, denn dort (den erwähnten wie PK, AB oder BB und da gäbe es noch einige zeitgenössische Kollegen) habe ich wahrlich noch nie erlebt, dass ein Pferd mit Rollkur, LDR, Hyperflektion oder ähnlichen Kopfhaltungen "ausgebildet" wird...
Na ja - propagieren und "bewerben" tut das ja auch heute keiner - das kam nur eben irgendwann raus und man schämt sich nicht dafür. Niederschreiben und so ganz hochoffiziell empfehlen tut das ja niemand, oder?
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