Zitat: S.12
Jetzt stellt euch mal vor, ihr sieht diesen Herrn bei euch um die Ecke in der Reitbahn seine Pferde so arbeiten. Hand auf's Herz... hättet ihr die Genialität des Mannes erkannt?"...so wandte ich (Anm.: Plinzner) mich denn eines schönen Tages an den "alten Steinbrecht", von dem ich mir hatte erzählen lassen, dass er einer der wenigen lebenden Stallmeister sei, welche nach der Weise der alten klassischen Reitkunst ein Schulpferd zu arbeiten verständen. Ich hatte den alten Herrn wohl öfters einmal im Tiergarten getroffen, wo man ihn in keineswegs sehr elegantem Kostüm in nachlässigem, losem Sitz mit tanzenden Händen meist in einer halben Schulterhereinstellung in einer Gangart zwischen Schritt und Trab sein Pferd arbeiten sah, wenn er sich nicht in fröhlich-freundlicher, sympathisch anmutender Weise mit anderen Reitern unterhielt.
(...)
Wenn der alte Herr, der, damals in seinem 70. Lebensjahre stehend, noch sechs Pferde täglich arbeitete, und dem wir, wenn es unsere Zeit irgend erlaubte, bei dem letzten Pferde vor Beginn unserer Unterrichtsstunde stets zusahen, manchmal nach harten Kämpfen schweisstriefend abstieg und dann mit dem heitersten Lächeln sich zu uns wendend sagte: "Ja, ja, es dauert manchmal lange, bis die Hanken recht tätig werden", so war man bezaubert. Man hätte sich ja schämen müssen, in seiner Gegenwart durch die Bekämpfung von Schwierigkeiten sich aus der Laune bringen zu lassen, und so blieben wir mit unseren Pferden, denen wir wahrhaftig nichts schenken durften, bei allem Ernst der Arbeit stets die besten Freunde."

Zitat S. 13ff
es lohnt sich das Vorwort noch ganz fertig zu lesen..."Aus Steinbrechts persönlichem Reiten zu lernen, war nicht leicht, denn er war ein Genie, dessen Fluge zu folgen dem gewöhnlichen Sterblichen schwer war. Ich bin überzeugt, dass von den vielen Fachleuten und Liebhabern, welche durch seinen grossen Ruf angelockt, kamen, um ihn arbeiten zu sehen, die wenigsten sein Reiten verstanden haben. Ich selber verstand es damals keineswegs immer, und selbst heute, nachdem ich jahrelang den innigsten fachlichen Verkehr mit gepflogen, nachdem ich seine Theorien zu einem umfangreichen Buche verarbeitet und in langjähriger Praxis, ich möchte sagen, keinen Tritt geritten habe, ohne seiner zu gedenken, wage ich kaum mit Sicherheit zu behaupten, dass ich sein Reiten wie es in der Erinnerung vor mir steht, voll und ganz verstehe. So erinnere ich mich, ihn vielfach mit ziemlich hochgestelltem Halse arbeiten gesehen zu haben, wobei infolge der taktmässigen Beweglichkeit seiner Arme und Hände das Pferd in jedem Tritt in eine gewisse Beizäumung herunterklappte, wobei die Hankenschwingungen sichtlich immer schöner und geschmeidiger wurden, während er in seinem Unterricht durchaus auf einen in zweifelloser Beizäumung festgestellten Hals hielt.
Bewundernswert war übrigens gerade bei dieser Genialität seiner persönlichen ARbeit seine Fähigkeit, sich in die Bedürfnisse und Gefühle des gewöhnlichen Reiters zu versetzen, so dass er nie MIttel angab, die nicht der Schüler auch anzuwenden in der Lage gewesen wäre. Auch darf man sich unter dem, was ich die Genialität seines REitens genannt habe, keineswegs Systemlosigkeit vorstellen, vielmehr lag dieselbe nur darin, dass er infolge seines durch eine ans Fabelhafte grenzende Erfahrung ausserordentlich verfeinerten Gefühls in der Wahl der Mittel bedeutend unbedenklicher sein konnte, als der gewöhnliche Sterbliche es ungestraft tun darf. So konnte er in gewissem Sinne Schnelldressur betreiben, ohne dass er, wie es meist dabei geschieht, GEfahr lief, sich festzureiten oder sein Material zu schädigen. Das System seiner ARbeit lag dabei in jedem Augenblicke klar vor seinem geistigen Auge.
(...)
...dass er wenige Tage vor seinem Tode in sein Exemplar des Newcastleschen Reitwerkes, welches er mir oft als eine der Hauptquellen seiner Grundsätze genannt hatte, mit zitternder Hand eine Widmung einschrieb, durch welche er mir dieses Buch vermachte und zu fleissigem Studium empfahl. Ich habe in Efüllung dieses Vermächtnisses das Newcastlesche Werk wirklich studiert und in der Tat in demselben (...) jene unverrückbaren Wahrheiten gefunden, welche die Steinbrechtsche Reiterei charakterisieren, nämlich zunächst die, dass die Gewichte zur Belastung und Biegung der Nachhand nur von der Vorhand entnommen werden können, und dass daher die Feststellung und Durchlässigmachung der letzteren in einer absoluten Beizäumung die unerlässliche Vorbedingung jeder Hankenarbeit ist, sodann aber die, dass die seitliche Biegung der Wirbelsäule bei richtiger Einrichtung der Nachhand und Vorhand aufeinander, also das, was Steinbrecht die gebogen-gerade Richtung des Pferdes nannte, das einzige Mittel ist, um in zwangloser, allmählich sich steigernder Weise die Gewichte der beigezäumten Vorhand durch den elastisch gespannten Körper des Pferdes hindurch auf die Hanchand wirken zu lassen. Das hieraus hervorgehende Prinzip, welches Steinbrechts ganze Arbeit durchzog, nämlich die Notwendigkeit, die Last des beigezäumten und gebogenen Pferdes durch stete Entlastung der auswendigen Schulter vermittelst des auswendigen Zügels und durch stetes Beleben und Herantreiben des inwendigen Hinterfuss zu konzentrieren, finden wir von Newcastle immer wieder und bei allen Gelegenheit zum Ausdruck gebracht und dürfen somit in diesem wirklich grossen Manne auf dem Gebiete der Reitkunst den Urahn unseres Steinbrechtschen Systems erblicken."

Es ist alles ein bisschen komplizierter.

(Tippfehler bitte ich zu entschuldigen)