Bei Parelli ist es genauso wie bei allen anderen "Reitweisen". Sie ist sehr abhängig davon, wie sie umgesetzt wird. Problematisch finde ich, das "schlechtes Parelli" sehr schnell zu Lasten des Pferdes geht. Vielen Leuten fehlt es daran, Ihr Pferd objektiv zu beurteilen. Sie setzen Funktionalität mit gut gleich, damit meine ich - es funktioniert, also ist es gut und im schlimmsten Fall ist das auch noch gleichzusetzen mit "mein Pferd hat Spass, denn es tut, was es soll". Das kann eben sehr nach hinten losgehen. Aber wo ist das anders? Dieses Problem trifft man doch tendentiell in allen Reitweisen an. Es gibt eben recht viele Leute, die Parelli machen und darunter gibt es eben auch viele, die es nicht umsetzen können und wo dann ein unschöner Eindruck entsteht. Insbesondere ist das sehr abhängig vom Trainer.
Ich kenne Trainer, die würde ich nicht mal in die Nähe meines Pferdes lassen. Aber ich kenne auch Trainer, die tun uns beiden einfach gut und inspirieren.
Nicht gut ist es - auch wie in allen Reitweisen - wenn man nicht mehr nachfragt, sondern einfach alles als gegeben nimmt, was einem gesagt wird. Dann wird die Beschäftigung einseitig und man verliert die Objektivität, man wird sozusagen "betriebsblind".
Dabei bietet das System selbst soviele Möglichkeiten, flexibel zu sein. Es versteht sich eigentlich auch nicht als vollständige Ausbildung, sondern als Grundausbildung, nach der man für alle Disziplinen gewappnet ist. Das war aber nicht immer so. Vor 8 oder 9 Jahren habe ich dem System damals den Rücken gekehrt, weil es sehr starr war und eben die notwendige Flexibilität nicht bot. Damals war in der Tat nicht erwünscht, das Pferd zu füttern. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Systemen, hat sich parelli weiter entwickelt. Inzwischen ist das anders, weshalb es auch für mich wieder interessant geworden ist. Ich muss mich nicht verbiegen, sondern ich kann meine eigene Philosophie und Erfahrung einbringen. das "Schema F" so wie damals gibt es nicht mehr. Es wird sehr flexibel auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten des Pferdes und der Menschen eingegangen und so gibt es sehr viele alternative Lernvorschläge. Aber Parelli hat es durch seine damaligen Aktivitäten eben leider geschafft, sich einen eher negativen Ruf zu erarbeiten der jetzt nur sehr schwer wieder gerade zu biegen ist (siehe Finchen

) Und wer nicht dran geblieben ist, der hat sich leider vielleicht nicht mit weiterentwickelt. Dieses beispiel sehe ich sehr häufig ...
Was die Exklusivität und die kosten angeht, da muss man sicher abstriche machen. Das Geld für den Savvyclub oder parelliconnect zahlt man nicht, um dazuzugehören, sondern um Lehrmaterialien zu bekommen. Lehrmaterialien sind nun mal kostenpflichtig, genauso wie mich auch niemand umsonst unterrichtet. Wir sind nun einmal in einem digitalen Zeitalter, wo Medien auch online kostenpflichtig sind, wenn qualitativ gut. DVDs kosten deutlich mehr Geld. Für knapp 80 Euro pro Jahr bzw. 8 Euro im Monat bekommt man z. B. eine digitale Mitgliedschaft. Dabei sind die kompletten Medien für das Level 1, 8 Mal im Jahr eine neue DVD (bzw. diese dann online), Magazin, 25% Rabatt und und und. Das soll ausdrücklich keine Werbung machen, sondern ich möchte damit einfach verdeutlichen, dass man für sein Geld auch etwas geboten bekommt. Ich finde den Preis durchaus günstig, wenn man mit solchen Medien arbeiten kann. Auch die Preise für die Kurse etc. finde ich durchaus ok. Dass allerdings dieses Event z. B. von Linda neulich ein absoluter Fantasiepreis ist, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Das hat ein wenig was von Liebhaberpreise. Es hat nichts mit dem objektiven Wert der Leistung zutun, ein Oldtimer bringt auch nicht viel Leistung und kann ein Vermögen kosten ...
Eure Beispiele, die genannt wurden als "Kontra-Punkte", sehe ich ganz genauso und schließe mich an. Aber das empfinde ich weniger als ein "Parelli Problem", als ein ganz allgemeines Problem der Menschen. Es ist immer so gut wie das, was Mensch draus macht! Diese schlechten Beispiele treffe ich auch in der schule der Légèreté an oder in der klassischen Reitkunst oder im "FN Reiten", oder oder oder ...
Kommunikation entspricht in den weitesten Teilen konditionierung. Denn Konditionierung heißt nichts anderes als Lernen. Und wenn das Pferd die Verhaltensweisen aus der Herde bereits kennt, so muss es dennoch durch Konditionierung erstmal lernen, wie es uns zu verstehen hat - in jeder Reitweise.
@Jen
ich habe auch den Eindruck, dass du zwar leider viele schlechte Beispiele gesehen hast, was schade ist, aber durchaus eine objektive Meinung bildest

Menschen sind eben verschieden und jeder empfindet Dinge nun einmal anders. Allerdings stelle ich fest, dass auch du die Formen der operanten Konditionierung wie viele andere _meiner Meinung nach_ nicht ganz richtig definierst und das ist ein ganz großes Problem im Umgang mit Natural Horsemanship.
Jen hat geschrieben:
1) der positive Verstärker (=Belohnung, zb. Futter)
2) der negative Verstärker (=eine Bestrafung bleibt aus, zb. Druck wird weggenommen)
3) die Bestrafung durch eine unangenehme Konsequenz (zb. Schlag)
4) die Bestrafung durch entziehung angenehmer Konsequenzen (zb. Aufmerksamkeit entziehen, Liebesentzug)
Parelli arbeitet genauso mit der Operanten Konditionierung, wie alles andere. Der einzige Unterschied zwischen den unterschiedlichen Methoden sind die Arten und Häufigkeiten der Verstärker, die benutzt werden.
Konditionierung hat oft einen negativen Beigeschmack, weil viele nicht so recht wissen, was es ist. Es ist schlicht eine Beschreibung, wie man lernt. Völlig ohne Wertung. Wir alle kommen an der Konditionierung nicht vorbei. Ob wir wollen oder nicht, ist egal. Es passiert trotzdem. Besser ist, man versteht's, dann kann man es auch geschickter anwenden.

In der Tat arbeitet Parelli deutlich mehr mit negativer Verstärkung als mit positiver. Ich finde allerdings in deiner Beschreibung die negative Verstärkung schon ein wenig sehr pragmatisch beschrieben

Mit Strafe sollte Verstärkung natürlich nichts zutun haben, denn Strafe ist etwas, was ein Verhalten nicht positiv beeinflussen kann. Sie dient nur dazu ein Verhalten für den Moment abzuschalten, gibt dem Pferd aber keine Information dazu, wie es sich stattdessen verhalten soll. Ich gestehe durchaus zu, dass es von einigen Leuten als Strafe empfunden wird, wenn man den Druck steigert, aber das ist sinngemäss und lerntheoretisch eben nicht richtig, weil, wie gesagt, Strafe nicht dazu führen kann, das ein Verhalten wiederholt gezeigt wird. Denn Verstärkung führt immer dazu, das die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten erneut gezeigt wird, steigt, während Strafe dazu dienen soll, das die Auftrittswahrscheinlichkeit des Verhaltens sinkt. Die negative Verstärkung ist im Prinzip das Gegenstück zur positiven Bestärkung, etwas, was das Pferd zu vermeiden versucht. Bei der negativen Verstärkung kann ein Verhalten, was grade geschieht, positiv beeinflusst werden. Ein aversiver (negativer) Reiz verschwindet, sobald das Verhalten positiv verändert wurde. Man kann einem Pferd das Kopfsenken beibringen, indem man wartet, bis es freiwillig den Kopf senkt und das dann verstärkt, oder man „drückt“ solange im Genick nach unten, bis das Pferd den Kopf senkt, um dem Druck zu entgehen. Sobald es den Kopf senkt, verschwindet der aversive Reiz, also der Druck im Genick, und bestärkt das Pferd so. Es hat gelernt, dass es besser ist, den Kopf zu senken um so dem Druck zu entgehen. Zwar wird das Pferd mit einer negativen Verstärkung ebenfalls lernen, das Verhalten schneller und zuverlässiger zu ändern, die eigentliche Motivation, das Verhalten gerne zu ändern, der Anreiz, dass es sich lohnt, ist jedoch im Gegensatz zur positiven in geringerem Maße vorhanden, aber eben nicht ganz verschwunden.
Nun wird in der Tat auch bei Parelli mit Futterlob und Stimmlob und Handlob gearbeitet. Meiner Erfahrung nach erhöht das durchaus die Motivation des Pferdes, nach einer negativen Bestärkung nicht nur durch das abstellen des unangenehmen Reizes zu belohnen, sondern auch zu füttern bzw. anderweitig zu loben. Allerdings macht dies aus einer negativen Bestärkung noch lange keine positive. Denn bei einer positiven Bestärkung müsste man grundsätzlich davon ausgehen, dass das Verhalten des PFerdes ohne unserer zutun und dem Auftreten von Druck zustande kommt - wer kann das schon sagen? Wer definiert, ab wieviel Gramm wir von Druck ausgehen? Selbst wenn irgendwann mal mehr Druck dazu geführt hat, dass das Pferd sein verhalten ändert, wäre die Vorstufe von Druck schon eine negative Verstärkung. Und genau das beobachte ich auch bei vielen anderen Pferdemenschen. Sie definieren positive Bestärkung darüber, ob man das Pferd zusätzlich belohnt durch Futter, Hand oder Stimme. Aber das allein macht noch keine positive Bestärkung. Sondern die Form der Bestärkung hat lediglich etwas damit zutun ob das Pferd eigeninitiativ etwas zeigt und ich das dann bestärke oder ob ich mich einbringe, in dem ich dem Pferd eine Aufgabe stelle. Denn wenn ich mich einbringe und eine "Forderung" stelle, dann ist in den meisten Fälle doch grundsätzlich auch mit einer Vorstufe von Druck oder negativem Reiz verbunden. Wenn ich z. B. möchte, das das Pferd eine Hinterhandwendung macht und ich zeige auf die Vorhand, dann würde ich in den meisten Fällen doch eingreifen, wenn keine Reaktion des Pferdes folgt. Das wäre dann ebenfalls schon eine negative Verstärkung. Hinzugehen und dem Pferd zu sagen "schau, ich zeig dir wie du dich bewegen musst. kannst du das Bein hier bewegen? Ja, genau so!" und auch wenn ich dafür wirklich nur andeuten muss, wäre es eine negative Verstärkung, weil ich mich einbringe. Es ist eben nicht immer alles schwarz-weiß zu sehen sondern kommt immer auf den Ausführenden an, was man daraus macht. Ich höre immer wieder "ich arbeite nur mit positiver und nicht mit negativer Verstärkung". In der Praxis ist das doch für die meisten Leute gar nicht so umsetzbar. Das hören sie dann nie gerne, aber das ist einfach Fakt. Und negative Verstärkung heißt eben nicht zwangsweise auch negativ für das Pferd, es ist eine neutrale Sache und der Umgang mit ihr ist maßgeblich für die Motivation und den Lernerfolg. Die Menge macht das Gift!
Man darf nie vergessen, genug positive Akzente für das Pferd zu setzen, es muss ausgewogen sein, das macht es für das Pferd spannender. Ich habe im Parellilager sehr häufig mitbekommen, dass immer wieder darauf geachtet wird, dass das Pferd seine natürliche Neugierde behält, gerne mitarbeitet und durchaus auch selbstinitivative zeigen darf. Wer erwartet. dass das Pferd keinerlei eigenitivative mehr zeigt und sein Pferd in die "erlernte Hilflosigkeit" treibt, weil er jede Frag des Pferdes abweist, der hat es nicht verstanden - weder bei Parelli, noch bei anderen Methoden.
Hier wurde außerdem noch gesagt, dass Parelli als Monolog mit dem Pferd, nicht als Dialog geführt wird. Das kann ich nicht bestätigen. Denn das Pferd hat immer die Chance, zu reagieren, genauso wie ich auch. Ein Dialog ist ein Austausch von informationen zwischen zwei Parteien. Dabei hat mein Pferd immer doch auch die Möglichkeit, die Frage falsch zu beantworten oder einen anderen Vorschlag zu machen. Letztlich kann ich dann sagen "ok, find ich auch nett" oder "jap, versteh dass du dazu jetzt keine lust hast, aber hey, lass uns das noch schnell erledigen und dann machen wir etwas anderes". Es steht doch niemals geschrieb, dass man sein Pferd bei der falschen Reaktion gleich anschreien soll a la "Hey, hast du nicht gehört, du sofort was ich sage, oder es setzt was. und wenn das jetzt ncht klappt, dann machen wir das so lange, bis das klappt". Pat hat mal gesagt "Wenn dein Pferd nein sagt, hast du entweder die Frage falsch gestellt oder die falsche Frage gestellt". Das finde ich auch immer wieder treffend und animiert zur Selbstreflektion.
Sehr schön sind hier auch die Beiträge von Skywalker, denn sie sind sehr treffend. Ein guter Horseman hinterfragt, warum etwas nicht funktioniert und auch das ist Teil der Parelli-Lehre. Kein lehrer sagt - sanktioniere sofort, wenn dein Pferd nicht richtig antwortet. Aber man muss sich eben mit dem System auseinandersetzen und da bietet Parelli soviele Möglichkeiten zur Selbstschulung. Wer sich nur oberflächlich damit beschäftigt wird auch keine guten Ergebnisse erzielen. Möglicherweise funktioniert es trotzdem, aber das macht die Ergebnisse eben nicht besser (siehe oben).
Leider muss ich jetzt los und das Lesen auf Seite 5 des Threads unterbrechen. Aber ich schicke meinen Post mal trotzdem ab
LG Sady