Der Mythos der immerleichten Anlehnung

Rund um die klassische Reitkunst

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horsman
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Beitrag von horsman »

wieso das FN-Pferd neuerdings am Gebiss ziehen soll wird sich mir nie erschließen. Wohl natürlich dass es sich daran dehnt und mit ihm Kontakt aufnimmt und dass es vorm Bein ist (also promt und leicht auf eine treibende Hilde reagiert und nicht klemmt). Wenn man das damit meint, sollte man es besser auch so sagen.
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dornröschen
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Beitrag von dornröschen »

@horsmän
das Pferd soll nicht am Gebiss ziehen, sondern an das Gebiss ziehen, sprich ans Gebiss herantreten, mit ihm Kontakt aufnehmen, also sich weder hinter ihm verkriechen, noch sich drauflegen.

Warum wird sich hier oft an Begrifflichkeiten so aufgehangen? Eigentlich sollte doch klar sein, was mit ans Gebiss ziehen gemeint ist? Falls nicht, dann sorry, aber es ist schon ziemlich umständlich, zeilenlang zu erklären, was mit einem Begriff gemeint ist. Man reitet ja auch im Allgemeinen auf der "rechten/linken Hand", ich aber reite eigentlich auf einem Pferd, nicht auf einer meiner Hände :D

Viele Grüße,
Daniela
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Horsmän, ich finde den Begriff schon stimmig. Es ist halt kein Tauziehen gemeint. Sondern der Reiter spürt einen sachten Zug an der Hand, wenn das Pferd einen gleichmäßigen Kontakt zur Hand sucht und "ins Gebiss zieht" oder "an die Hand heranzieht". Das ist positiv und beschreibt auf andere Art und Weise das, was Du unter Kontakt suchen verstehst.

Das, was die holländische Dame auf ihrem Pferd Parsival in Aachen getan hat, ist jedenfalls kein "in die Hand ziehen" im Sinne des Erfinders ...

Und das kann ich mir jetzt nicht verkneifen, bitte nicht übel nehmen :D : mein High-End-FN-Zuchtprodukt tut es, es haben aber auch schon u. a. ein Kladruber, ein Vollblut, ein Shire, ein Haflinger-Fjord-Mix und ein Russenhengst getan :lol: Ist wohl doch eher Reitweisen-unspezifisch ... :lol:
Viele Grüße
Sabine
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horsman
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Beitrag von horsman »

Ich halte den Begriff für äußert unglücklich gewählt. Ich will weder ein Pferd was am noch an das Gebiss zieht. Und ich sehe täglich Bilder, wo die Reiter schon stramme Zügel haben, die Pferde schon hdS sind, und der sog. Reitlehrer immer noch davon spricht, das Pferd müsse mehr ans Gebiss ziehen. Was für ein Blödsinn! Hier wäre mal angebracht zu erklären, dass und wie das Pferd vom Gebiss loskommen sollte.

Das Pferd soll bestenfalls seinen Hals und sein Genick sanft öffnent dehnen bis es am Gebiss angekommen ist und einem weiterdehnen demzufolge ein Hindernis gesetzt wird. Dann soll es durch Abkauen Maul und Genick lockern um wieder vom Gebiss loszukommen. Bestenfalls ist dies ein sanfter fortwährender Prozess, der sich oftmals rythmisch mit den Tritten koppelt weil jedes abschieben eines Hinterbeins auch mit einem Dehnen/strecken des halses gekoppelt ist. Dies mag möglicherweise der Zustand sein, den man meint, dass das Pferd "an das Gebiss heran tritt". Ich sah jedenfalls noch nie ein Pferd, was sich ans Gebiss tritt. Aua.
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Pferde, die sich aufs Gebiss legen, ziehen nicht ins Gebiss im korrekten Sinn. Und umgekehrt ist ein Pferd, dem die "Anlehnung" durch Ziehen am Zügel aufgezwungen wird, auch keins, das "ins Gebiss zieht".

Du störst Dich an dem Begriff "ziehen", weil Du ihn durch Deine Beobachtungen negativ belegt hast.

Wenn Du Dich davon frei machst und auf Deinem Pferd spürst, wie es einen weichen Kontakt zur Hand sucht, spürst Du genau diesen zarten Zug, der gemeint ist. Das sind manchmal etwas mehr Gramm, manchmal ist es kaum spürbar, aber trotzdem da. Der Begriff "ans Gebiss dehnen" sagt nichts anderes aus.

Zwei verschiedene Worte für den gleichen Vorgang. Der eine versteht es so besser, der andere anders. Schlimm, wenn wir in der Sprache so begrenzt wären, dass nur ein Wort das richtige ist. Wie viele durchaus begabte Reiter würden auf der Strecke bleiben, weil das Bild, das das Gefühl vermitteln soll, für ihn unverständlich bleibt? :wink:
Viele Grüße
Sabine
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dornröschen
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Beitrag von dornröschen »

Horsmän hat Folgendes geschrieben
Und ich sehe täglich Bilder, wo die Reiter schon stramme Zügel haben, die Pferde schon hdS sind, und der sog. Reitlehrer immer noch davon spricht, das Pferd müsse mehr ans Gebiss ziehen. Was für ein Blödsinn!
Natürlich ist das Blödsinn. Diese Pferde ziehen nie und nimmer ans Gebiss, das ist einfach schlechtes Reiten. Man kann aber einen Begriff nicht als schlecht verurteilen, nur weil man nur oder überwiegend schlechte Beispiele kennt. Wie Max schrieb, ist mit ans Gebiss ziehen, kein Tauziehen gemeint. Damit ein Pferd ans Gebiss ziehen kann, muss es seine Oberlinie dehnen können. Das Pferd soll sich in Richting Gebiss bewegen, der Impuls von der HH soll sich über Becken, Rücken, Hals und Genick bis ins Maul fortsetzen. Dabei ist das Genick geöffnet, geht das Pferd hdS kann es nicht reell an das Gebiss herantreten. Der Impuls aus der HH kommt mit dem Abfussen des Hinterbeins und setzt sich im Idealfall eben bis ins Maul fort, das Pferd tritt ans Gebiss. Dabei sollen Maul und Genick locker sein.

Das Pferd soll bestenfalls seinen Hals und sein Genick sanft öffnent dehnen bis es am Gebiss angekommen ist und einem weiterdehnen demzufolge ein Hindernis gesetzt wird. Dann soll es durch Abkauen Maul und Genick lockern um wieder vom Gebiss loszukommen. Bestenfalls ist dies ein sanfter fortwährender Prozess, der sich oftmals rythmisch mit den Tritten koppelt weil jedes abschieben eines Hinterbeins auch mit einem Dehnen/strecken des halses gekoppelt ist. Dies mag möglicherweise der Zustand sein, den man meint, dass das Pferd "an das Gebiss heran tritt".
Wir sprechen also eigentlich durchaus von derselben Sache. Wie würdest Du den im Zitat beschriebenen Vorgang denn in kurz nennen? Das würde mich jetzt mal wirklich interessieren. Vielleicht hast Du ja einen Vorschlag, wie man das besser bezeichnen könnte?

Ein Pferd, was sich ans Gebiss tritt hab ich auch noch nicht gesehen :)

Viele Grüße,
Daniela
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sab
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Beitrag von sab »

Hallo,


das die Reitersprache oft nicht besonders klar ist, dass wissen wir doch alle.

Aber zur Praxis; ich reite seit einem Jahr ein moderen Deutsches Reitpony (vorher Lipizzaner) mit einem "modernen" Hals; d.h. einem leichten Genick. Wenn ich ihn korrekt reite, dann besteht ein leichter Zug seinerseits, es ist eine minimales, williges nach vorne Gehen mit dem Hals seinerseits. Wenn ich dagegen eine "federleichte" Anlehnung habe, also gar nichts mehr in der Hand, dann hat er sich unter Garantie hinter der Hand verkrochen. Das sieht von aussen gar nicht mal dramatisch aus sondern so wie man es leider schon von vielen Bildern gewöhnt ist. Der zieht dann gar nicht mehr ans Gebiss sondern knickt den Kopf ab und das wars. Der Rücken hört dann auf zu schwingen ; das Pferd geht dann zwar z.B. immer noch einen ordentlichen Trab (weil er den sowieso hat) aber der gesamte Schwung geht verloren. Man sitzt im Trab nicht mehr eingesogen in den Sattel sondern eher auf dem Pferd. Der deutlichste Unetrschied ist für mich die Rückentätigkeit, die sich spürbar ändert - der Rücken wird fest. Das Ganze passiert dann, wenn ich in der Abstimmung von treibenden Hilfen und Paraden nicht ordentlich reite sprich nicht genug zum Treiben komme.

LG

Sabine
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Horseman, mal eine Frage: wie soll ein Pferd einen Muskel aktiv nutzen, spannen, wenn es keinen Punkt gibt, wo dieser "fixiert" ist? Dazu gehört für meinen Begriff automatisch ein Nutzen des Gebiß´bzw der Anlehnung/Reiterhand um eine Spannung zu ermöglichen - in der Anfangszeit der Ausbildung mehr, später weniger, weil die Tragkraft die Muskelspannung ein Stück verlagert. An verschiedenen Stellen im Forum wurde doch von verschiedenen Usern der rein körperbauliche Zusammenhang sehr gut erklärt, das kann ich beim besten Willen nicht so gut und lasse es daher an dieser Stelle.
Eher zufällig war ich aber mal in der Situation zu spüren was gemeint ist, als ein völlig verkorkstes Pferd sich beim frischen Trab im Gelände im Hals lang machte (vorher jahrelang durch sehr enge Haltung mittels Martingal verhindert), in der Folge kam plötzlich ein Schwung über den Rücken, der mich doch arg überrascht hat, und dazu kam bei in schönem Bogen vorwärts-abwärts gedehnt mehr "Gewicht" in die Hand. Von Ziehen oder "aufs Gebiß legen" hatte das gar nichts, das Pferd zog das Tempo nicht an, es war gut zu spüren, dass da schlicht mal in der Oberlinie gedehnt wurde, sehr aktiv vom Pferd aus - der Unterschied zum "auf die Hand legenden Pferd" war gut spürbar, und dieses "in die Hand ziehen" war i.O..
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Bino
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Beitrag von Bino »

Sab schrieb:
"Der deutlichste Unetrschied ist für mich die Rückentätigkeit, die sich spürbar ändert - der Rücken wird fest. Das Ganze passiert dann, wenn ich in der Abstimmung von treibenden Hilfen und Paraden nicht ordentlich reite sprich nicht genug zum Treiben komme."

Dass der Rücken sich aufwölben kann, liegt auch daran, dass der Widerrist nicht zwischen den Schulterblättern absackt, wenn der Spannungsbogen vernünftig aufgebaut ist.

Der eine erreicht das durch vermehrtes Treiben, der andere durch das Spiel seiner Hände (siehe PK).

Wie sich eine schöne leichte Anlehnung anfühlt, bei der das Pferd das Gebiss sucht, ohne sich draufzulegen, spüre ich auch erst bei meinem jetzigen Pferd.
Wichtig ist glaube ich, dass man nicht versucht, dass Pferd in eine bestimmte Haltung zu zwingen ("der muss runder laufen" hört man oft genug in den Reithallen), dann entsteht eine falsche Alnlehung.
Der Tanz ist der Käfig, in dem man fliegen lernt. (Claude Nougaro)
Gast

Beitrag von Gast »

Moin

Workaround für Wortklauber:

Man ersetze das umgangsprachliche "an's Gebiss ZIEHEN" durch "an's Gebiss SCHIEBEN". Und schon ist der Fisch geputzt.
Ausserdem triffts die Sache auch besser.
gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

schön! so erklärt desmond das auch.
merci
Gast

Beitrag von Gast »

Da bin ich aber froh ;)
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Bino hat geschrieben:Der eine erreicht das durch vermehrtes Treiben, der andere durch das Spiel seiner Hände (siehe PK).

Wie sich eine schöne leichte Anlehnung anfühlt, bei der das Pferd das Gebiss sucht, ohne sich draufzulegen, spüre ich auch erst bei meinem jetzigen Pferd.
Wichtig ist glaube ich, dass man nicht versucht, dass Pferd in eine bestimmte Haltung zu zwingen ("der muss runder laufen" hört man oft genug in den Reithallen), dann entsteht eine falsche Alnlehung.
Ich weiß jetzt nicht genau, von wem der Satz mit dem Treiben und dem Spielen ist, aber er stimmt so jedenfalls nicht. Auch in der EdL muß sich der Kontakt zur Hand nach vorne ergeben ! Die Flexionen dienen nur dazu, diese sich aus dem Impuls der HH ergebende Anlehnung vorzubereiten. Man schafft sozusagen im Vorfeld die Voraussetzung, um dann sauber von hinten nach vorne reiten zu können.

In soweit muß das Pferd immer VOR den Hilfen sein ( in jedem Reitsystem, in dem der stete Kontakt zur Hand angestrebt wird), um reell das Gebiß zu nehmen, oder an dieses zu ziehen im Sinne von der Bereitschaft und Befähigung, den Hals zu dehnen und das Genick zu öffnen- sprich die Oberlinie zu verlängern und aktiv in die Hand zu "drängen" oder auch einfach den Kontakt selbst zu suchen.

Das hat aber nichts damit zu tun, daß eine Schwere im Kontakt immer von einem unausbalancierten Pferd zeugt. Ein Pferd welches AUF den Zügel kommt, rsptve. sich auf ihm abstützt und ausbalanciert ist schwer.

Eines , das in eine korrekte Anlehnung geht, ist nie schwer, sondern stet und leicht, denn es trägt sich selbst. Es ist in Balance und bringt daher kein Gewicht in den Kontakt.

Also ist für die Leichtigkeit im Kontakt das Gleichgewicht des Pferdes unter dem Reiter ausschlaggebend - völlig unabhängig vom Pferd. Je besser das Pferd ins Gleichgewicht kommt, um so leichter ist es.
Ein Maßststab für die Befähigung des Reiters, sein Pferd so angemessen auszubilden, daß es, auch mit evtl. ungünstigem Gebäude ins Gleichgewicht kommt.
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Bino
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Beitrag von Bino »

S&P, das kann ich voll unterschreiben!
Allerdings vergleiche ich im Kopf immer die Arbeit, die ich früher mit dem Treiben hatte, um das Pferd an die Hand heranzutreiben mit dem leichten Beinkontakt und dem impulsartigen Treiben, das ich heute verwende. Deshalb verbinde ich "vermehrtes Treiben an die Hand" immer mit etwas Negativem. Natürlich soll das Pferd vor den Hilfen sein, aber dazu muss ich nicht ständig treiben, oder?
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Bino, mit "vermehrtem Treiben in die Hand" ist auch in der deutschen Schule kein Dauerfeuer gemeint. Es wird lediglich landauf, landab in diesem Sinne falsch verstanden und falsch vermittelt.

Sämtliche Hilfen erfolgen nur dann, wenn sie benötigt werden, d. h. neben den Hilfen, die eine neue Lektion/Aktion auslösen, gibt es Hilfen/Impulse, die der Vorbereitung auf eine Lektion dienen, zur Korrektur der Formgebung oder zur Aktivierung, um einige Beispiele zu nennen. Also zur Veränderung. Ist diese erfolgt, schweigen die Hilfen so lange, bis wieder ein Eingriff seitens des Reiters notwendig wird.

Wenn man sagt "der Reiter kommt zum Treiben" heißt es, dass das Pferd die Beinhilfen durchlässt.

Dass das auch im Sport genau so funktioniert (und nicht überall gequetscht wird), konnte man in Aachen schön bei Fuego und bei Steffen Peters sehen.
Viele Grüße
Sabine
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