Anlehnung gebisslos ?

Rund um die klassische Reitkunst

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Jolly
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Beitrag von Jolly »

Die Wirkweise der verschiedenen gebisslosen Zäumungen sind ja ähnlich vielfältig, wie die der Gebisse, daher muss man das sicherlich differenzierte betrachten. Habe ich ein Sidepull, dann wirke ich ziemlich direkt ein, beim Glücksrad kommt die Wirkung auf Kinn und Genick hinzug, die bei der mechanischen Hackamore dann nochmal höher ist. Die S-Hackemore wirkt nicht aufs Genick, bei annähernd senkrechter Kopfhaltung nur auf den Nasenrücken. Bei einer Kopfhaltung in eher waagerecht hat man dann die Hebelwirkung, die auch auf das Kinn wirkt.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Jolly, ich meinte mit indirekt nicht die Hebel, sondern, daß ich die eingeschgränkte direkte Wirkungsweise der Gebißlosen Zäumungen über andere Einwirkungen ( Sitz Schenkel) kompensieren muß/kann. Für einen Effekt muß ich indirekte Wege wählen.
Und als ich von der Hackmore schrieb, meinte ich eine klassische Western Hackamore. Die wirkt über Reflexbahnen auch aufs Genick- nicht über Hebelzüge wie die mechanische (die ich btw. ablehne) oder auch das Glücksrad mit Umlenkung oder gar Hebel verschnallt ( was dann nichts anderes ist als eine mechanische Hackamore und ich daher ebenfalls ablehne) .
skywalker

Beitrag von skywalker »

Danke S&P für die genaue Erklärung. Jetzt versteh ich was du meinst :-).

Über welche Reflexbahnen wirkt die klassische Hackamore aufs GEnick? Kennst du dich damit aus? Interessiert mich nämlich, auch wenn ich nicht vorhabe, damit in naher Zukunft (also die nächsten 10, 15 Jahre *g*) zu reiten.
Jolly
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Beitrag von Jolly »

S&P mein Post war nicht auf dich gemünzt, das hatte ich noch gar nicht gelesen :wink:
skywalker

Beitrag von skywalker »

Tossi hat geschrieben:Aber elegante Schleife zurück zum gebisslosen Reiten: bei dem Kandarentest wirkt der Hebel auf die höchst empfindliche Knochenhaut des menschlichen Schienbeins, m.E. nicht vergleichbar mit der Einwirkung auf Zunge/Laden und Kinnkettengrube des Pferdes, sondern eher mit der Einwirkung gebissloser Zäume auf den blanken Knochen des Nasenrückens...
Hm, so 1:1 darf ich die Einwirkung auf Knochenhaut vs. Lade+Zunge aber auchnicht vergleichen, denn das Gebiss ist ein rundes Metall (oder sonstwie hartem Material, wo dann im Endeffekt nur ein ganz schmaler Punkt aufliegt, weil ja rund...), die gebisslosen Zäumungen sind meist mehr oder weniger weich und gepolstert.
Ich müsste es nochmal ganz direkt ausprobieren, aber ich glaube der weiche Lederriemen vom Glücksrad an meinem Schienbein (Knochenhaut) ist angenehmer als ein runder harter Metallzylinder auf z.B. meinem Unterarmmuskel (mit Knochen drunter).

Das soll jetzt nicht heißen dass eins besser ist als das andere, nur dass so ein dirkekter Vergleich nicht geht. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, eine gebissähnliche Metallstange auf die Nase des Pferdes zu schnallen (ok, wahrscheinlich ist doch zu befürchten, dass irgendwer schon mal auf die Idee kam, aber ich würde nie niemals nicht).
horsman
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Beitrag von horsman »

Sag das nicht. Es geht noch schlimmer: gezackter Kappzaum (Sereta) der Spanier. Jedes zweite importierte Pferd aus Spanien kommt mit Verletzungen davon auf dem Nasenrücken nach Deutschland.
Zuletzt geändert von horsman am Do, 18. Aug 2011 09:51, insgesamt 2-mal geändert.
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Tossi
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Beitrag von Tossi »

@ skywalker

also vor meinem inneren Augen tauchen da div. Bosals und Sidepulls, Kappzäume/Cavecon/Seretta und Hackamores auf, die durchaus nicht weich gepolstert auf der Nase liegen.
Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet. (David Hume)
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Beitrag von Jolly »

Wenn ein Reiter die Zäumung gegen das Pferd einsetzen will, dann ist es wohl egal, ob Gebiss oder gebisslos :roll:
Wenn man eine Kommunikationsbasis hat, in der Pferd und Reiter mittun wollen und in der beide mit Spaß und Motivation bei der Sache sind, dann ist die Zäumung vermutlich sogar zweitrangig. Die Gewichtung der einzelnen Hilfe ist da eh individuell unterschiedlich, auch wenn es natürlich ein Ideal gibt, dem man versucht sich anzunähern oder das einem als Richtlinie dient.
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Tossi hat geschrieben:
sabrell hat geschrieben:...
Natürlich hat die Kandare Vorteile. Vermutlich allein schon der, öhm, physikalischen (sic!) Hebelwirkung wegen.
Ich würde den Satz ein wenig umstellen: die Kandare wirkt nicht WENIGER rückwärts - im Gegenteil, die Bauart bedingt eben genau DAS - sondern man muss sich mit ihr nur nicht so anstrengen, das Pferd zum Nachgeben zu kriegen.
Es gibt genau EINEN EINZIGEN Grund dafür, dass der Reiter in der Lage ist, mit der Kandare "leichter" einzuwirken - die Potenzierung jedes Fingerzuckens durch den Hebel. Besonders deutlich wird das bei der beidhändigen Führung auf blanke K.
Mal wieder der klassische Denkfehler.

Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall. Bei der Einwirkung auf die Trense wird der Anzug des Zügels 1:1 auf das Pferdemaul übertragen, d.h. 5 cm "Zügel annehmen" bedeuten 5 cm Zug auf dem Gebiss.

Bei einer Kandare mit dem Verhältnis Unterbaum : Oberbaum von z.B. 2:1 kommen bei 5 cm Zügelanzug am Oberbaum nur 2,5 cm an (an der Stange sogar noch weniger, da sie den Drehpunkt darstellt). Noch besser wird das Verhältnis bei einer 3:1 Kandare, da sind es bei 5 cm Anzug sogar nur noch max. 1,6 cm an der Kinnkette und am Maul. Dies bedeutet ganz "physikalisch (sic!)" zuerst einmal, dass jedes "Fingerzucken" je nach Kandare zumindest halbiert wird.

Ich verweise wie immer in Kandarenfragen auf die Ausführungen des Herrn Stahlecker (http://www.hsh-fritz-stahlecker.de/Kandare.28.0.html)

LG Lisa
Hier sind zwei Sachen durcheinandergeraten, und zwar das Verhältnis von Unterbaum zu Oberbaum, das die Stärke des Hebels bestimmt, und die absolute Länge des Unterbaums, die bestimmt, wie lange der Weg ist, bis die Kandare ansteht.
Also ein Verhältnis von 2:1 gibt einen schwächeren Hebel, ein Verhältnis von 3:1 einen stärkeren; damit ist aber die Länge der Bäume in Zentimetern noch nicht festgelegt, nur das Verhältnis.
Bei einem Verhältnis von z.B. 2:1 kann der Unterbaum in cm kürzer oder länger sein, der Oberbaum ist dann auch entsprechend kürzer oder länger (eben 1/2 des Unterbaums), und dies hat einen Einfluss auf den Weg, den die Hand zurücklegen muss, bis die Kandare von einer sozusagen neutralen Position (Zügel leicht durchhängend, Kinnkette hängt locker) in eine wirkende Position kommt (Zügel zieht den Unterbaum zurück, der Oberbaum geht nach vorne bis die Kinnkette anliegt, dann wirkt die Stange auf Zunge und Laden, und hier wirkt dann auch der Hebel verstärkend).
Ist also der Unterbaum lang, muss sich die Hand weiter zurückbewegen, bis die Kandare anschlägt, die Hand hat also eine grössere Fehlertoleranz als z.B. bei einer “Babykandare”, die schon bei der kleinsten Bewegung der Hand ansteht.

Tanja Xezal

PS: Ich führe die Kandare immer in einer Hand, da ich keinen Vorteil in der zweihändigen Führung eines Hebelgebisses sehe.
"Der Reitlehrer sei unser eigenes Pferd" SGS
(und der Schüler zeige Geduld, Demut und Hingabe)
Draussen bin ich 4:0 unterwegs, in der Halle 3:1, manchmal 1:3.
horsman
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Beitrag von horsman »

Ja, die sog. "Babykandare" ist eine gekonnte Verniedlichung der Tatsachen und mE eine Produktentwicklung, die den systematischen Fehlgebrauch der Kandare, nämlich das dauerende stramme Anstehen (möglicherweise zusätzlich herbei geführt durch das FN-Postulat der "sicheren Anlehnung ohne jeden Zügeldurchhang) , schon impliziert.
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Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Horsmän: Wieviele Importpferde aus Spanien hast du denn in den letzten Jahren gesehen? Serretanarben sind seeeehr selten geworden, und das ist auch gut so. Allerdings stammen die Narben selten von brutaler Einwirkung her, sondern eher von einer zu locker geschnallten Serreta - wenn das harte Nasenteil nämlich auf der Nase hin und her ruckeln kann, reichen schon drei Runden an der locker geführten Longe, und schon ist die Nase offen - auch ohne Zacken und ohne Gereiße.

Ich möchte das mit dem Respekt vor der Kandare noch unterstreichen. Vor einigen Jahre waren ja diese "Tellington-Stangen" total in, die angeblich ganz "weich" einwirken (mit irrsinnig langen Unterbäumen) und von denen dann viele aus der "mein Pferd mag keine Trense"-Fraktion total begeistert waren, weil sie die ja gar niemals nicht anfassen mussten und das Pferd ganz von allein sooo schön und zufrieden ging ... das ganze mit Vorliebe auf hochsensiblen Araberteilchen, bei denen dann tatsächlich schon die bloße "Drohung", die dieses Monstrum mit Gewicht und Anzügen für das Genick eines solchen Pferdes darstellt, ausreichte, damit sie das Köpfchen "schön" hinhielten und sich nie mehr muckten ...
horsman
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Beitrag von horsman »

die Zahl von 50% war nur mein eigener Eindruck, dem sicher keine repräsentative Stichprobe zugrunde liegt.

Gibt es auch Sereta ohne Zacken??

ALso ich arbeite seit vielen Jahren etliche verschied. Pferde mit einem leichten, lediglich durch dünnes Leder ummantelten port. Kappzaum (natürlich keine Zacken am Eisen). Da gab es noch nie irgendwelche Verletzungserscheinung jedweder Art am Nasenrücken, auch nicht nach ein paar Runden am ev. etwas zu locker geschnallten Kappzaum und auch nicht wenn mal mal deutlicher "Bescheid" sagen mußte. Insofern glaub ich das nicht so ganz, sondern Verletzungsnarben am Nasenrücken werden wohl zu 99,9% von gezackten oder meinethalber scharfkantigen Sereta-Eisenteilen her rühren - also letztlich gewollte bzw. inkaufgenommene Brutalität.

Das die Kandare selbstverständlich mit viel Feingefühl und auch nur auf gut durchlässig gearbeiteten Pferden benutzt werden sollte, steht wohl außer Frage. (Weshalb ich deren Einsatz bei sehr vielen Paaren im inten. GP-Sport und natürlich auch bei vielen Hopplahopp-Barockreiten und Schmuse-Freizeiteitern, auch etwas skeptisch betrachte.)
Zuletzt geändert von horsman am Do, 18. Aug 2011 12:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von Rapunzel »

Horsmän, es ist inzwischen anscheinend auch zu den grobmotorischsten Spaniern durchgedrungen, dass Serretanarben in Deutschland nicht so gut ankommen. Sieht man zum Glück nur noch selten.

Die meisten hierzulande erhältlichen Serretas sind ohne Zacken. Die sitzen weitaus besser als die portugiesischen Kappzäume, weil sie seitlich besser fixiert sind (kein Ring, sondern so ein plattes Metallteil, das den Kinnriemen gerade hält, falls man versteht, was ich meine).

Ich arbeite auch fast täglich damit und hab ein einziges Mal eine leicht offene Nase produziert, und das lag an der zu lockeren Verschnallung. War aber zum Glück nur ganz oberflächlich und ist wieder komplett verheilt.
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Beitrag von horsman »

mag sein ich hab noch das Bild von vor 10 jahren in Erinnerung. Das aber erst der Importwunsch der Deutschen die Spanier auf die Idee gebracht hat, diese Dinger nicht mehr zu nutzen ... :evil:
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

horsmän hat geschrieben:Das aber erst der Importwunsch der Deutschen die Spanier auf die Idee gebracht hat, diese Dinger nicht mehr zu nutzen ... :evil:
Seufz, das gute alte deutsche Kolonialdenken :P :P
Ganz so ist es aber dann doch nicht: Ich kenne in Spanien einen ganzen Haufen einheimischer Pferdebesitzer, die weder züchten, noch Verkaufsabsichten haben und dennoch bereits seit Jahren keine gezackten Serretas mehr benutzen. Schlicht deshalb, weil sie den Unsinn selbst eingesehen haben.
Immerhin wurde in Deutschland ja auch die Ständerhaltung nicht abgeschafft, weil die Schweden diese blöde fanden :D :D
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
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