Finchen hat geschrieben:
@Jen:
wenn du noch mal nachliest, habe ich geschrieben, dass auch Kommunikation mit Lernen zu tun hat, dass auch da positive Verstärkung eine Rolle spielt.
Umgekehrt gibt es aber sehr viele Pferdemenschen (noch schlimmer bei den Hundeleuten) die überwiegend oder fast ausschließlich konditionieren auf bestimmte Gesten, Kommandos etc. und das viel einfachere und für jedes Pferd verständliche Mittel Kommunikation beiseite lassen.
ja, das habe ich schon gelesen. Der Punkt ist, dass du Kommunikation davon trennst bzw. das "Lernverhalten" der "Kommunikation" gegenüberstellst:
Finchen hat geschrieben:
Die Frage ist einfach, ob man nur über Lernverhalten "arbeiten" will, oder ob man mit dem Pferd eine Kommunikationsebene anstrebt, die den Menschen für das Pferd als ernstzunehmenden "Partner" auch im Sinne von Führungsverständnis präsentiert.
Das sind zwei Dinge, die zwar ineinanderübergehen, aber schon getrennt zu betrachten sind.
Jedes Beispiel, das ihr gebracht habt ist ganz einfach über positive und negative Verstärkung zu erklären. Kommunikation ist schlicht ein Sammelbegriff der Anwendung verschiedener
gelernter Signale. Dass du (anscheinend) die positive Verstärkung insbesondere heraushebst und dies alleine mit Lernverhalten gleichsetzt, greift zu kurz.
Finchen hat geschrieben:
Klar lernt ein Pferd auch Kommunikation.
Aber in der Art mit einem Pferd umzugehen kann ich in wenigen Momenten einem Pferd meine Position ihm gegenüber verständlich klar machen, dann hat es erkannt, dass ich zB führungsstark bin und schließt sich an.
Oder ich errreiche gleiches über viele viele Wiederholungen, Bestätigungen, eben viele Wiederholungen von dem Lerneffekt "wenn ich das mache bekommne ich einen Keks/Lob, also geht es mir damit gut, dann mache ich das so".
Den Unterschied meine ich.
Wie meinst du hat das Pferd denn ursprünglich "Kommunikation" gelernt? Auch durch Wiederholungen. Situationsbezogen, sowie verallgemeinernd. Wie gesagt, kann man bei einem eindrücklichen Erlebnis auch durch nur 1-2 Wiederholungen ein Signal mit einem Verhalten bereits etwas stark verknüpfen. Aber andere Signale brauchen öfters Wiederholungen. Das ist bei Pferden unter ihresgleichen genauso wie bei uns. Da wir Körpersprachliche Neandertaler sind, brauchen wir vielleicht einige Wiederholungen mehr.
Dein Keksbeispiel ist ja nur ein winziger Aspekt von positiver Verstärkung. Mitnichten aber die Gesamtheit von "Lernverhalten". Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, die unterschiedlichen Lernprozesse darzustellen. Diese sind im Alltag überhaupt nicht immer explizit erkennbar. Das macht es ja auch so kompliziert. Aber auch jedes körpersprachliche Signal wurde irgendwann "gelernt", soweit sind wir uns einig. WIE diese gelernt wurden ist eben genau mit diesen positiven/negativen Verstärkern, Strafe etc. Lernen bedeutet: Ein Signal mit einer bestimmten Reaktion zu verbinden. Das heisst, wenn ein bestimmtes Signal kommt wird ein bestimmtes Verhalten häufiger gezeigt. Bzw, wenn es ein Unterbrechungssignal ist wird das Verhalten weniger häufig gezeigt. Ein "Signal" ist nicht gleichbedeutend mit "Kommando". Ein Signal kann zb. auch der mürrische Gesichtsausdruck der Leitstute sein, der bedeutet lass mich in Ruhe. Und wenn sie nicht in Ruhe gelassen wird, gibts eins auf den Deckel.
Ein guter Ausbilder kann nun ganz gezielt diese positive und negative Verstärker anwenden, um neue Signale zu etablieren oder bereits gelernte Signale abzurufen. Viele tun das völlig unbewusst und nennen das dann eben "Kommunikation". Aber "Kommunikation" ist ein völlig schwammiger, beliebig interpretierbarer Begriff. Wie Max sagt: sobald man auch nur irgendwie in Erscheinung tritt kommuniziert man. Man kann gar nicht "nicht-kommunizieren". Man kann aber eben auch nicht sagen, ich definier jetzt mal den Begriff "Sprache", wie es mir passt und lasse zb. alle Fluchwörter weg. Klar, ich kann mich entscheiden, diese nicht anzuwenden. Trotzdem sind sie ein Teil der Sprache.
Dass du das Wort "Konditionierung" aus deinem Verhaltensrepertoire streichen möchtest und lieber "kommunizierst", ist nur eine emotionale Entscheidung, weil du das Wort nicht magst. Du verbindest mit dem Wort "Kommunikation" nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Lernverhalten. Diese Definition ist aber rein willkürlich, es ist deine persönliche Definition und deshalb nicht hilfreich.
Warum reite ich da so drauf herum? Man kann zwar schon sagen, das alles ist zu abstrakt, das muss ich nicht wissen. OK, klar, diese Meinung kann man haben. Wenn es dann aber Einfluss auf die Ratschläge hat, wie "du musst kommunizieren" und nicht mit "Lernverhalten" arbeiten. Dann ist das m.E. problematisch, weil es inhaltlich nicht richtig ist. Man kann Fachsprache nicht beliebig neu definieren. Wenn jeder seine eigene Definition konstruiert, verstehen wir uns noch viel schwerer. Man kann sagen, ich mag Clickertraining nicht, dafür Natural Horsemanship. Oder ich arbeite lieber mit Keksen statt ohne. Oder ich arbeite lieber mit verbalen Signalen statt Körpersprache oder umgekehrt. Man kann auch sagen, ich arbeite lieber mit positiver statt negativer Verstärkung. Oder umgekehrt.
Die Frage ist also nicht: Wann kommuniziere ich, denn man kommuniziert immer, sondern WIE kommuniziere ich. Mit welcher Sprache möchte ich mich mit dem Pferd unterhalten.
Körperbeherrschung, Koordination, Timing beeinflusst, wie erfolgreich ich die gewählte Sprache anwende. Es ist quasi die Sprachfertigkeit, die Eloquenz der gewählten Sprache.
Um den Bogen dieses ganzen Exkurses zurück zur TE zu schlagen: Wenn man mit seinem Pferd feststeckt, weil dieses unerwünschtes Verhalten zeigt, muss ich mich damit befassen, herauszufinden, wie ich das Pferd dazu bringe, auf ein bestimmtes Signal häufiger erwünschtes Verhalten zu zeigen. Dies kann man Kommunikation, Erziehung, Ausbildung was auch immer nennen. Aber runtergebrochen ist es das: Ich gebe ein Signal (dies kann ein Wort, eine Geste, eine bestimmte Körperhaltung, oder auch einfach eine bestimmte Körperspannung sein) und das Pferd reagiert mit einem bestimmten, eben erwünschten, Verhalten darauf. Sei das nun Hufe geben, vorwärts laufen oder eine Gangart runterschalten etc. pipapo... das sind alles Verhaltensweisen, die ich als "Chef" steuern möchte. Und als Mensch möchte man äusserst viele Verhaltensweisen vom Pferd steuern.
Umgekehrt gibt das PFerd auch dem Menschen Signale ("kommuniziert"), weil es gelernt hat mit diesem Verhalten erfolgreich zu sein. Erfolgreich im Sinne des Pferdes ist nicht immer deckungsgleich im Sinne des Menschen.
Einfaches Beispiel eines unangenehmen/unerwünschten Verhaltens: Wenn ein Pferd gelernt hat, dass andere vor ihm wegweichen, wird es auch den Menschen zu bedrängen versuchen. Dass der andere weicht, ist das Erfolgserlebnis (=positiver Verstärker). Deshalb wird es dieses Verhalten häufiger zeigen.
Wenn ich nun ein saures, verdorbenes Pferd habe, kann ich nicht immer beliebig aus dem grossen Werkzeugkasten von Signalen schöpfen und diese mit beliebigen Verstärkern verbinden, um eine erwünschte Reaktion vom Pferd zu erzeugen. Weil eben viele Signale schon mit unerwünschten (=falschem) Verhalten besetzt sind. Ich muss herausfinden, mit welchen Verstärkern ich am konfliktfreisten das Pferd kooperativ zu erwünschtem Verhalten bringen kann. Und je grösser der Erfahrungsschatz des PFerdes ist, sprich, je verdorbener das PFerd ist, desto schwieriger ist es die richtige Wahl zu treffen. Hat man nun einen grossen Werkzeugkasten und kann aus vielen Varianten auswählen, ist das hilfreich. Wenn man dazu noch über eine gute Koordination, präzise Körperbeherrschung und Timing beherrscht, so wird man am leichtesten einen guten Zugang zum Pferd finden.
Wenn man zb. die Körpersprache erhöht bzw. dem Pferd den Weg abschneidet, so ist das eine wie auch immer sanfte Drohung. Das ist ein negativer Verstärker, bzw. wenn auch eine Konsequenz bei Nichtbeachten seitens des PFerdes erfolgen würde, eine Strafe. Man erzeugt Druck und wenn nötig folgt diesem Druck eine Sanktion. Diesen Druck kann ich - wenn ich geschickt bin - beliebig stufenlos erhöhen und verringern. Nichtsdestotrotz ist es Druck. Wenn ich nun ein Pferd habe, das gelernt hat, auf Druck "zu" zu machen (wie eben einige hart ausgebildete Pferde), dann kann ein Paradigmenwechsel in der Trainingsart äusserst hilfreich sein. Dadurch dass man eine ganz neue Methode anwendet, welche nicht vorbelastet ist, kann man einen besseren Zugang zum Pferd finden.
Wenn man also feststeckt, dann ist es hilfreich zu wissen, dass es auch noch andere Wege gibt und sich mit diesen befassen. Manche Leute sind experimentierfreudig und wursteln sich da alleine durch. Ich empfehle auch eher, dass man sich dazu Hilfe sucht. DAMIT man aber weiss, wo in diesem Riesenhaufen von Ausbildern und Methoden den richtigen herauszufinden ohne zig durchzuprobieren und am Schluss schlechter dazu stehen als vorher, ist es ganz gut, wenn man die angebotenen Methoden vorher etwas durchleuchten kann. Deshalb ist Theoriewissen auch für den "Schüler" hilfreich. Und deshalb versuche ich das so abstrakte Thema etwas zu durchleuchten und erklären.
p.s. normalerweise würde ich nie so tief in die materie reingehen, wenn nicht eben diese Missverständnisse auftauchen würden.